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Die kapitalistische Warenproduktion beruht auf der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Jedes Unternehmen, das seine Waren auf den Markt bringt, muß einen Teil der Güter erzeugen, die die Gesellschaft zur Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Mitglieder braucht. Ob aber in einem Unternehmen Güter erzeugt wurden, die die Gesellschaft wirklich braucht, erfährt der Unternehmer erst nachträglich, erst auf dem Markte. Waren, die die Gesellschaft nicht braucht, finden keinen Käufer; kann der Unternehmer seine Ware verkaufen, für die Ware Geld bekommen, dann ist damit der Beweis erbracht, daß in seinem Betriebe Güter erzeugt wurden, die die Gesellschaft braucht, daß in seinem Betriebe also gesellschaftlich notwendige Arbeit geleistet worden ist. Kann der Warenbesitzer auf dem Markte seine Ware gegen Geld umsetzen, dann erfährt er, daß die individuelle Arbeit der in seinem Betriebe tätigen Arbeiter, die er um seines individuellen Profites willen in seinen Dienst genommen hat, doch zugleich gesellschaftliche Arbeit war, durch die ein Bedürfnis der Gesellschaft befriedigt wurde. Die Bestätigung, daß die individuelle Arbeit ein gesellschaftliches Bedürfnis befriedigt, empfängt der Besitzer des Arbeitsproduktes in dem Gelde, das er für das Arbeitsprodukt eintauscht.
Zwischen allen Arbeitenden besteht ein gesellschaftliches Verhältnis. Jeder erzeugt ja Güter, die die anderen brauchen. Aber diese gesellschaftliche Verflechtung zwischen allen Arbeitenden wird hergestellt durch eine Sache: durch das Geld, das der Besitzer des Arbeitsproduktes für das Arbeitsprodukt eintauscht und für das er dann wieder Arbeitsprodukte aller anderen Mitglieder der Gesellschaft eintauschen kann. Die Umsetzung des Arbeitsproduktes in Geld ist nun das Ziel aller Arbeit, die Umsetzung des Geldes gegen andere Arbeitsprodukte der Weg, unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Am Golde hängt, nach Golde drängt nun alles. Das Geld, zunächst nur ein Hilfsmittel des Warenaustausches, repräsentiert, sobald alle Güter zu Waren werden, den ganzen Reichtum der Gesellschaft. »Aus dem Knecht wird es der Herr. Aus dem bloßen Handlanger wird es zum Gott der Waren.« [23]
Im internationalen Verkehr wird für alle Waren mit Gold gezahlt. Wenn wir Weizen aus Rußland, Baumwolle aus Amerika, Kohle aus dem Deutschen Reiche einführen, so müssen wir für diese Waren mit Gold oder mit Wechseln, die Anweisungen auf Gold sind, zahlen. Im Inland zahlen wir freilich nicht mit Gold, sondern mit Banknoten, Silber-, Nickel- und Bronzemünzen. Aber alle diese Zahlungsmittel werden durch unsere Währungsgesetzgebung und unsere Währungspolitik in ein festes Wertverhältnis zum Golde gesetzt. Eine Zwanzigkronennote ist eben so viel wert wie ein goldenes Zwanzigkfonenstück, und das Wertverhältnis zwischen dem goldenen Zwanzigkronenstück und dem goldenen Zwanzigmarkstück hängt immer davon ab, wie viel Gold in jeder dieser beiden Münzen enthalten ist. Der Preis jeder Ware ist also das Wertverhältnis der Ware zum Golde.
Soweit der freie Wettbewerb besteht, hängt der Preis jeder Ware von ihren Herstellungskosten ab. Gelingt es, eine Ware mit geringeren Kosten herzustellen, dann sinkt bei freiem Wettbewerb auch der Preis der Ware. Sinkt der Preis der Ware, dann bekommt der Verkäufer für sie weniger Gold. Wir sagen dann, die Ware sei billiger geworden.
Auch der Preis des Goldes hängt aber von seinen Herstellungskosten ab. Wenn es gelingt, eine Unze Gold mit geringeren Kosten zu gewinnen, dann sinkt der Produktionspreis des Goldes. Sinkt der Preis des Goldes, dann bekommen wir für das Gold weniger Ware. Wir sagen dann, die Ware sei teurer geworden. [24]
Veränderungen in den Warenpreisen können also verschiedene Ursachen haben. Die Warenpreise können steigen, weil die Herstellungskosten der Ware gestiegen oder weil die Herstellungskosten des Goldes gefallen sind.
Die Besitzer der Goldbergwerke liefern das geförderte Gold an die Münzstätten und Banken ab. Sie bekommen dafür Münzen oder Wechsel, Anweisungen auf Gold. Damit begleichen sie zunächst die Kosten der Goldproduktion. Der Überschuß der erzeugten Goldmenge über die Erzeugungskosten bleibt ihnen. Er ist desto größer, je geringer die Produktionskosten sind. Für diesen Überschuß kaufen sie dann Waren. Die Goldproduzenten vermehren nicht den Warenvorrat, da sie Gold, nicht Waren erzeugen; wohl aber steigern sie die Nachfrage nach Waren. Sie steigern sie um so mehr, je größer der Überschuß der Produktion über die Kosten ist, je geringer also die Kosten sind. Die vermehrte Nachfrage nach Waren bei gleichbleibendem Vorrat treibt den Preis der Waren in die Höhe. Auf diese Weise werden durch das Sinken der Herstellungskosten des Goldes die Preise der Waren erhöht.
Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß die Herstellungskosten des Goldes in den letzten Jahren beträchtlich gesunken sind. Die englische Regierung hat durch den Burenkrieg die letzten Schranken beseitigt, die die Entwicklung des südafrikanischen Goldbergbaues hemmten. Vortreffliche Maschinen wurden in den Goldbergbau eingeführt. Um den Bergwerksbesitzern billige Arbeitskräfte zu verschaffen, wurden zuerst chinesische Kulis nach Südafrika, gebracht, später 160.000 Kaffern in die Goldminen gelockt. Auf diese Weise wurden die Herstellungskosten des Goldes verringert. [25] Nun wurde es möglich, Goldminen abzubauen, deren Betrieb bei höheren Löhnen und ohne die neuen technischen Vorrichtungen nicht ertragreich genug gewesen wäre. Daher ist die Goldproduktion schnell gestiegen.
In Transvaal betrug die Goldproduktion:
Pfund Sterling |
|
1904 |
16.054.809 |
1905 |
20.802.074 |
1906 |
24.579.997 |
1907 |
27.403.738 |
1908 |
29.957.610 |
1909 |
30.925.788 |
Die Herabsetzung der Gewinnungskosten des Goldes im südafrikanischen Goldbergbau ist wahrscheinlich eine der Ursachen der heutigen Teuerung. Wir müssen heute für jede Ware mehr Geld, mehr Gold . hingeben, weil in jedem Goldstück heute weniger gesellschaftliche Arbeit verkörpert ist als früher.
Die europäischen Arbeiter haben mit den Unternehmern Tarifverträge abgeschlossen, in denen festgelegt ist, wieviel Kronen, wieviel Mark oder Franken sie für eines Tages Arbeit bekommen. Die Unternehmer zahlen den vereinbarten Arbeitslohn auf Krone und Heller aus. Und dennoch werden die Arbeiter bei jeder Lohnauszahlung betrogen. Denn die Krone, die Mark, der Franken sind heute nicht mehr, was sie einst gewesen sind. Sie stellen weniger gesellschaftliche Arbeitszeit dar und haben daher auch eine geringere Kaufkraft als vordem. Ist das Zwanzigkronenstück heute weniger wert als vor zehn Jahren, so müssen wir heute für unsere Arbeitskraft mehr Kronen erhalten, um denselben Wert zu bekommen. Der Geldlohn muß steigen, damit der Sachlohn, der Lohn in Werten unverändert bleibe. Und trotzdem klagen die Unternehmer über die Begehrlichkeit der Arbeiter, wenn unsere Gewerkschaften höhere Geldlöhne fordern. Die Gewerkschaften haben heute die Aufgabe, die Höhe der Geldlöhne dem veränderten Werte des Goldes anzupassen.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß eine Arbeiterschichte sich ihre günstigeren Arbeitsbedingungen schwer erhalten kann, wenn die Arbeiter anderer Orte oder Gewerbszweige sich mit weniger günstigen Arbeitsbedingungen begnügen. Dieselbe Erscheinung sehen wir hier nun im internationalen Maßstabe. Die Verringerung der Produktionskosten des Goldes ist eine der Ursachen der Teuerung. Sie hat ihre Ursache darin, daß dem Goldgrubenkapital überaus billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Der gebildete, verhältnismäßig gut bezahlte österreichische sieht seine Lebenshaltung verschlechtert, weil der arme, unwissende, schmutzige Kaffer, der in den Minen Südafrikas das gleißende Gold zutage fördert, ein furchtbares Maß der Ausbeutung erträgt. Mag sich germanischer Rassenstolz noch so sehr dagegen sträuben, so ist es doch eine unleugbare Tatsache, daß unsere eigene Lebenshaltung, unser ganzes Kuiturniveau abhängig ist von der Lebenshaltung und dem Kulturniveau der schwarzen Arbeiter in den Goldminen, des Transvaal. Das ist ein Beweis für die internationale Solidarität aller proletarischen Interessen. [26]
Auch die kapitalistische Produktion ist gesellschaftliche Arbeit. Denkt auch jeder einzelne Unternehmer nur an seinen individuellen Profit, so ist das Ergebnis ihrer Tätigkeit doch, daß die vielen Millionen Menschen, die unter der Herrschaft des Kapitalismus leben, schlecht und recht ernährt, gekleidet, behaust werden. Aber die Verknüpfung der Individuen zu einer großen Gesellschaft wird durch eine Sache hergestellt, durch das Gold. So wurde diese Sache zum Herrn der Welt. Von ihren Launen, von den Wechselfällen ihres Lebens hängt nun das Schicksal von Millionen Menschen ab. Millionen leiden heute unter der Teuerung, weil es dem Zufall beliebt, die Erzeugungskosten des Goldes zu verringern. Das leblose Ding, das Menschenhand aus der Tiefe emporträgt, ist zum Herrscher über die Menschen geworden.
Die Menschheit kann sich von der Herrschaft einer Sache erstbefreien, wenn sie nicht mehr durch eine Sache die einzelnen zu einer Gemeinschaft verknüpft. Ist die Arbeit des einzelnen nicht mehr individuelle Arbeit, die erst in der Umsetzung des Arbeitsproduktes in Geld erfährt, daß sie ein Bedürfnis der Gesellschaft befriedigt hat, sondern unmittelbar gesellschaftliche Arbeit, die von der Gesellschaft planmäßig geleitet und gegliedert wird, damit alle Bedürfnisse ihre Befriedigung finden; ist der Anspruch des einzelnen auf die Güter, deren er bedarf, nicht mehr durch seinen Besitz an Geld bedingt, sondern durch seine Zugehörigkeit zur Gesellschaft garantiert, deren Mitglied er ist, als Bürger mit vollen Rechten und Pflichten; werden die Güter nicht mehr als Waren erzeugt, die verkauft und gekauft werden müssen, sondern von allen Mitgliedern der Gesellschaft erzeugt, in den Speichern der organisierten Gesellschaft aufgehäuft und aus ihnen allen Gliedern der Gesellschaft zugeteilt nach den Gesetzen, die die Gesamtheit aller Arbeitenden selbst beschließt, dann hört das Gold auf, der Menschen Herr zu sein. Es wird zu einem simplen Ding, wie jedes andere es ist, gut genug, wie Thomas More meinte, zur Erzeugung von Nachtgeschirren verwendet zu werden.
23. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Seite 121 f.
24. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, sagt: »Das Gold, wo es als Element der Preisbestimmung und daher als Rechengeld dient, hat nicht nur keinen fixen, sondern überhaupt keinen Preis.« Das ist, im Zusammenhänge gelesen, vollständig richtig. Bei entwickelter kapitalistischer Warenproduktion werden aber auch Ware und Gold gegeneinander nicht zu ihrem Werte, sondern im Verhältnisse ihrer Produktionspreise (Kostenpreis und Durchschnittsprofiti ausgetauscht. Darum sprechen wir hier vom Preise des Goldes. Vgl. Bauer, Die Kolonialpolitik und die Arbeiter, in: Neue Zeit, XXIII., 2., Seite 411 ff.
25. Daß dies wirklich der Fall, beweisen viele Berichte des Londoner Economist über die Produktionskosten im südafrikanischen Goldbergbau.
26. Auf die Hersteilungskosten des Goldes kommt es an, nicht auf die Menge der Zirkulations- und Zahlungsmittel. Wenn Hainisch in seiner Untersuchung über die Ursachen der Teuerung Gold- und Banknotenumlauf zusammenzählt und aus dem Steigen dieser Summe das Steigen der Warenpreise erklären will, so geht dieses Verfahren auf dieselbe Quantitätstheorie zurück, von der er selbst mit Recht sagt, daß sie überwunden sei. Der Banknotenumlauf steigt, weil die Warenpreise steigen, nicht umgekehrt.
Leztztes Update: 18. Februar 2023