August Bebel

Brief an Witold Jodko-Narkiewicz

(1905)


Nach Róża Luksemburg, Listy do Leona Jogichesa-Tyski, Tom 2 (1900–1905), Warszawa 1968, S. 377 f., Anmerkung 8.
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W[erter] G[enosse]!

Ich erhalte von befreundeter Seite das Zirkular, das die Korrespondenz der PPS an bekannte Genossen im Ausland versandte, in dem außer einem sehr seltsamen Anschreiben des Büro der Korrespondenz der PPS den Offenen Brief des polnischen Dichters und Konfusionsrats Niemojewski an mich veröffentlicht wurde.

Das Zirkular auch an mich zu schicken, dazu hatte man nicht den Mut.

Ich nehme als selbstverständlich an, dass die Leitung der PPS von diesem Schritt des Korrespondenzbüros unterrichtet ist und ihn billigt.

Ich erlaube mir deshalb Ihnen mitzuteilen, dass Ich die erwähnte Veröffentlichung für eine Gemeinheit ansehe.

Mein Offener Brief enthielt kein Wort, das einen Sozialdemokraten verletzen konnte, daher war auch der Naprzód gezwungen eine absprechende Kritik zu unterlassen; er glaubte den, wie es schien, ihm unangenehmen Brief mit den Worten bei Seite schieben zu können, tant de bruit pour une omelette!

In dem Büro der Korrespondenz der PPS scheint man aber anderer Ansicht zu sein. Diese veröffentlicht den Brief des Konfusionsrats Niemojewski (an mich) mit der Schlussbemerkung, dass er ein charakteristisches Dokument für die Stimmung vieler Kreise in Polen sei. Man hat aber nicht den Mut, sich selbst zu diesen Kreisen zu bekennen, und man besitzt auch nicht die Ehrlichkeit und den Takt, das in dem Brief des Konfusionsrats Niemоjewski angegriffene Aktenstück eines alten Pairteigenossen im Wortlaut hinzuzufügen, damit der Leser weiß, um was es sich handelt.

Und das nennt sich international. Ich habe für diese Handlungsweise nur ein Pfui.

Ich werde Sorge tragen, dass der Erlass der Korrespondenz der PPS nebst dem offenen Brief des Konfusionsrats Niemojewski und meinem offenen Brief mit entsprechender Kritik den bekanntesten Genossen der Internationale zugeht, damit diese die Handlungsweise der Leiter der PPS genügend würdigen können.

Das Verfahren wirft zugleich ein helles Licht auf die Beziehungen der PPS zu den bürgerlichen Parteien. Mit diesen mogelt man, findet es aber in der Ordnung, durch die giftigsten und gehässigsten Angriffe gegen die eigenen Parteigenossen die Spaltung immer unheilbarer zu machen und damit die Sache der Sozialdemokratie auf das Schwerste zu schädigen und zu kompromittieren.

Gegenüber den hochherzigen Handlungen des Proletariats in der russisch-polnischen Revolution macht dieses Verfahren einen außerordentlich niederdrückenden Eindruck.

Ich hoffe die Stunde kommt, in der die Internationale ihr Urteil über das Verhalten einiger ihrer Glieder abgibt.

 

Mit Parteigruß
A. Bebel


Zuletzt aktualisiert am 23. Januar 2025