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Die Geschichte bewegt sich in Widersprüchen. In Widersprüchen entwickelt sich auch die Grundlage des geschichtlichen Seins, die wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft. Ewige Formveränderung, vorübergehendes Bestehen dieser Formen, lebende Dynamik, die ständig Neues erzeugt, – das ist das immanente Gesetz der Wirklichkeit. Die Hegelsche Dialektik, die Marx vom Kopf auf die Füße gestellt hat, ist deshalb richtig, weil sie die Dialektik des Lebens erfaßt, weil sie die Gegenwart furchtlos analysiert, ohne vor der Tatsache zurückzuschrecken, daß jeder gegebene Zustand den Keim seiner eigenen Vernichtung in sich trägt.
In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Entstehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel. weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordene Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.
Dies schrieb Marx im Vorwort zum ersten Bande des Kapital. Viel Zeit ist seither vergangen, und eine andere Zukunft schlägt bereits deutlich vernehmbar an die Tür der Geschichte. Die moderne Gesellschaft, die die Produktivkräfte gewaltig entwickelt, die immer neue Gebiete erobert, die die gesamte Natur in ungeahntem Maße der Herrschaft des Menschen unterwirft, beginnt, in den Fesseln des Kapitalismus zu ersticken. Die Widersprüche, die im Wesen des Kapitalismus begründet sind, die zu Beginn seiner Entwicklung erst im Keimzustande vorhanden waren, haben mit jedem weiteren Schritt des Kapitalismus zugenommen und sich zugespitzt. In der imperialistischen Epoche wachsen sie bis ins Ungeheuerliche. Die Produktivkräfte erfordern in ihrem heutigen Umfang kategorisch andere Produktionsverhältnisse. Die kapitalistische Hülle muß unvermeidlich gesprengt werden.
Die Epoche des Finanzkapitals hat alle Elemente des Widerspruchs im kapitalistischen Organismus als solchem am krassesten aufgezeigt. Früher, als der Kapitalismus ebenso wie die Klasse, die seine Trägerin war, die Bourgeoisie, als fortschrittliche Kraft auftrat, konnte er seine inneren Mängel teilweise durch die furchtbare Rückständigkeit und durch die Widersprüche der vorkapitalistischen Verhältnisse verhüllen. Der mit gewaltigen Maschinen ausgerüstete Großbetrieb zerdrückte das Handwerk mit seiner armseligen Technik erbarmungslos. Aber dieser schmerzhafte Prozeß bedeutete den Zusammenbruch der vorkapitalistischen Produktionsweisen. Andererseits erlaubte gerade das Vorhandensein dieser Produktionsweisen und aller möglichen „dritten Personen“ im kapitalistischen Produktionsprozeß dem Kapitalismus, seine Macht „friedlich“ auszudehnen; die Schranken, die die kapitalistische Hülle der wirtschaftlichen Entwicklung setzt, traten deshalb nicht in Erscheinung. Ans diesem Grunde konnten die allgemeinsten inneren Widersprüche des Kapitalismus, die sein „Gesetz“ darstellen, erst in einem Stadium der wirtschaftlichen Entwicklung in Erscheinung treten, in dem der Kapitalismus bereits seinen Kinderschuhen entwachsen ist, in dem er nicht nur zur vorherrschenden Form des sozialökonomischen Lebens geworden ist, sondern sich bereits in die allgemeine Form der ökonomischen Verhältnisse verwandelt hat, mit einem Worte, als Weltkapitalismus auftritt. Erst jetzt offenbaren sich die inneren Widersprüche des Kapitalismus mit erschütternder Gewalt. Die fieberhaften Zuckungen der modernen kapitalistischen Welt, die in ihrer Agonie Ströme von Blut schwitzt, – sie sind der Ausdruck solcher Widersprüche der kapitalistischen Ordnung, die sie schließlich in die Luft sprengen müssen.
Der Kapitalismus hat versucht, seine eigene Anarchie dadurch zu überwinden, daß er ihr die eisernen Fessel der staatlichen Organisation anlegte. Indem er aber die Konkurrenz innerhalb des Staates aufhob, ließ er alle Teufel im internationalen Kampf los.
Der Kapitalismus hat versucht, die Arbeiterklasse zu zähmen, die sozialen Gegensätze abzustumpfen, indem er ihren Druck durch das Ventil der Kolonialpolitik milderte. Das gelang ihm für einen Augenblick. Aber er bereitete dadurch nur die Sprengung des gesamten kapitalistischen Systems vor.
Der Kapitalismus hat versucht, die Entwicklung der Produktivkräfte dem nationalstaatlichen Rahmen ihrer Ausbeutung durch imperialistische Eroberungen anzupassen. Er hat sich aber als unfähig erwiesen, diese Aufgabe mit seinen eigenen Methoden zu lösen.
Er hat den Militarismus bis aufs äußerste entwickelt. Er hat Millionen bewaffneter Menschen auf den Kampfplatz der Geschichte gerufen Aber schon beginnen sich die Waffen gegen ihn selbst zu wenden. Zum politischen Leben erwacht, erleben die anfangs zahmen und willigen Volksmassen ihre Stimme immer lauter. In Kämpfen, die ihnen aufgezwungen waren, gestählt und gewöhnt, in jedem Augenblick dem Tod ins Gesicht zu schauen, beginnen sie, ebenso furchtlos, den Durchbruch der Front des imperialistischen Krieges und verwandeln ihn in einen Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie. So hat der Kapitalismus, der die Konzentration der Produktion auf eine noch nie dagewesene Höhe gebracht und einen zentralisierten Produktionsapparat geschaffen hat, gleichzeitig gewaltige Heere seiner eigenen Totengräber geschult. Der große Zusammenschluß der Klassen setzt an die Stelle der Diktatur des Finanzkapitals die Diktatur des revolutionären Proletariats. „Die Stunde des kapitalistischen Eigentums schlägt. Die Expropriateure werden expropriiert.“
Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003