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AN DEN QUELLEN DES AMERIKANISCHEN „einheimischen Sozialismus“ bietet sich dasselbe Bild noch deutlicher. Wenn wir absehen von dem importierten „deutschen Sozialismus“ (das Lassalleanertum mit marxistischen Verzierungen) der frühen Socialist Labor Party (Sozialistische Arbeiterpartei), dann ist hier die bei weitem führende Gestalt Edward Bellamy mit seinem Buch Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887 (1887). Kurz vor ihm gab es den heute vergessenen Laurence Gronlund, dessen Buch Cooperative Commonwealth („Das kooperative Gemeinwesen“; 1884) zu seiner Zeit äußerst einflussreich war – 100.000 Exemplare wurden verkauft.
Gronlund ist so modern, dass er nicht sagt, er lehne die Demokratie ab – er definiert sie einfach „neu“, als „die Verwaltung durch die Kompetenten“ im Gegensatz zur „Herrschaft durch Mehrheiten“, begleitet von einem bescheidenen Vorschlag, die repräsentative Herrschaft und alle Parteien abzuschaffen. Alles, was das „Volk“ wolle, lehrt er, sei „Verwaltung – gute Verwaltung“. Sie sollten „die richtigen Führer“ finden und dann „bereit sein, diesen ihre ganze kollektive Macht anzuvertrauen“. Die repräsentative Herrschaft sollte durch den Volksentscheid ersetzt werden. Er sei sicher, dass sein Schema funktioniere, erklärt er, weil es so wunderbar bei der katholischen Kirchenhierarchie funktioniere. Er lehnt selbstverständlich die schreckliche Vorstellung von Klassenkampf ab. Die Arbeiter seien unfähig, sich selbst zu befreien, und er verurteilt ausdrücklich Marx' berühmte Formulierung dieses Grundprinzips. Die armen Tölpel werden durch die aus den Reihen der Intellektuellen gewonnene Elite der „Kompetenten“ befreit werden; und irgendwann begann er, eine geheime verschwörerische Amerikanische Sozialistische Studentenverbindung aufzubauen.
Die sozialistische Utopie von Bellamy in seinem Buch Ein Rückblick ist ausdrücklich nach dem Vorbild einer Armee als ideales Muster für eine Gesellschaft modelliert – reglementiert, hierarchisch beherrscht durch eine Elite, organisiert von oben nach unten, in der die behagliche Gemeinschaft eines Bienenstocks das große Ziel ist. Den Übergangsprozess zeichnet der Roman als die Konzentration der Gesellschaft in einer großen Unternehmung, einem einzigen Kapitalisten: dem Staat. Das allgemeine Wahlrecht wird abgeschafft; alle Basisorganisationen werden ausgeschaltet; Entscheidungen werden von oben durch Verwaltungstechnokraten getroffen. Einer der Anhänger dieses „amerikanischen Sozialismus“ definierte ihn so: „Seine Gesellschaftsvorstellung ist ein perfekt organisiertes Industriesystem, das auf Grund des engen Ineinandergreifens seiner Räder bei einem Minimum an Reibung ein Maximum an Reichtum und Muße für alle schafft.“
Wie im Falle der Anarchisten besteht Bellamys fantastische Lösung des Grundproblems der gesellschaftlichen Organisation – wie Meinungs- und Interessenverschiedenheiten zwischen Menschen zu lösen sind – in der Voraussetzung, dass die Elite übermenschlich weise und zur Ungerechtigkeit unfähig ist (dies gleicht im Wesentlichen dem stalinistisch-totalitären Mythos von der Unfehlbarkeit der Partei), und der Sinn dieser Voraussetzung ist, dass sie alle Sorgen um die demokratische Kontrolle von unten überflüssig macht. Letztere ist für Bellamy undenkbar, weil die Massen, die Arbeiter einfach ein gefährliches Monster sind, eine barbarische Horde. Die Bellamy’sche Bewegung – die sich „Nationalismus“ nannte und ursprünglich gleichzeitig antisozialistisch und antikapitalistisch sein wollte – wurde systematisch organisiert, indem an den Mittelstand appelliert wurde, wie bei den Fabiern.
Dies waren die äußerst beliebten Lehrmeister des „einheimischen“ Flügels des amerikanischen Sozialismus, deren Vorstellungen ein Echo unter den nicht marxistischen und antimarxistischen Teilen der sozialistischen Bewegung bis weit ins 20. Jahrhundert fanden; durch das Wiederaufleben der „Bellamy Clubs“ sogar noch in den Dreißigerjahren, als der Philosoph John Dewey Ein Rückblick als Beschreibung des „amerikanischen Ideals der Demokratie“ lobte. Die Technokratie, die schon offen faschistische Grundzüge zeigt, war auf einer Seite ein direkter Nachkomme dieser Tradition. Um zu sehen, wie dünn die Linie zwischen etwas, das Sozialismus genannt wird, und etwas wie dem Faschismus sein kann, ist es lehrreich, die monströse Darstellung eines „Sozialismus“ zu lesen, die der einst berühmte Erfinder und Wissenschaftler und Leuchte der Sozialistischen Partei, Charles P. Steinmetz, schrieb. In America and the New Epoch (1916) verfasst er todernst das genaue Gegenteil von Sozialismus, die Antiutopie, wie sie irgendwann in einem Science-Fiction-Roman satirisch dargestellt wurde, in dem der Kongress durch Senatoren von DuPont, General Motors und den anderen großen Unternehmen ersetzt worden ist. Steinmetz präsentiert die riesigen monopolistischen Unternehmen (wie sein eigener Dienstherr, General Electric) als höchstmöglicher Grad an industrieller Effizienz und schlägt vor, die politische Regierung zu Gunsten der unmittelbaren Herrschaft der vereinigten Monopolisten aufzulösen.
Die Ideen Bellamys brachten viele auf den Weg zum Sozialismus, aber der Weg gabelte sich. Um die Jahrhundertwende entwickelte der amerikanische Sozialismus die weltweit dynamischste Antithese zum Sozialismus von oben in allen seinen Formen: Eugene Debs. 1897 war Debs noch an dem Punkt, ausgerechnet John D. Rockefeller um die Finanzierung einer sozialistischen utopischen Kolonie in einem westlichen Bundesstaat zu bitten; aber Debs, dessen Sozialismus im Klassenkampf einer militanten Arbeiterbewegung geschmiedet wurde, fand bald seine wahre Stimme.
Das Herz des „Debs’schen Sozialismus“ war sein Appell an und die Zuversicht in die Selbstaktivität der Massen von unten. Debs’ Schriften und Reden sind von diesem Thema durchdrungen. Er gab Marx’ „erstes Prinzip“ in den Statuten der Internationale in seinen eigenen Worten oft wieder: „Die größte Entdeckung der modernen Sklaven besteht in der Erkenntnis, dass sie selbst ihre Freiheit erringen müssen. Das ist das Geheimnis ihrer Solidarität; das Herzstück ihrer Hoffnung ...“ Seine klassische Äußerung ist: „Zu lange haben die Arbeiter der Welt auf irgendeinen Moses gewartet, sie aus der Knechtschaft zu führen. Er ist nicht gekommen; er wird niemals kommen. Ich würde euch nicht hinausführen, wenn ich es könnte; denn wenn ihr hinauszuführen wäret, könntet ihr auch wieder zurückgeführt werden. Ich möchte, dass ihr begreift, dass es nichts gibt, das ihr nicht für euch selbst tun könntet.“
In Anlehnung an Marx’ Worte von 1850 sagte er:
Im Kampf der Arbeiterklasse, sich von der Lohnsklaverei zu befreien, kann nicht oft genug wiederholt werden, dass alles von der Arbeiterklasse selbst abhängt. Die einfache Frage ist: Können die Arbeiter sich durch Schulung, Organisation, Zusammenarbeit und selbst auferlegte Disziplin dazu befähigen, die Kontrolle über die Produktivkräfte in die Hände zu nehmen und die Industrie im Interesse des Volkes und zum Wohle der Gesellschaft zu leiten? Mehr ist nicht dazu zu sagen.
Können die Arbeiter sich befähigen ... Er gab sich keinen blauäugigen Illusionen über die Arbeiterklasse hin. Aber er schlug ein anderes Ziel vor als die Elitären, deren einzige Weisheit darin besteht, mit dem Finger auf die heutige Rückständigkeit der Menschen zu zeigen und zu lehren, es müsse immer so sein. Gegen den Glauben an die Herrschaft der Elite von oben stellte Debs die genau umgekehrte Vorstellung der revolutionären Avantgarde (ebenfalls eine Minderheit), deren Vertrauen sie veranlasst, einen härteren Weg für die Mehrheit zu befürworten:
Es sind die Minderheiten, die die Geschichte dieser Welt gemacht haben [sagte er in der 1917 gehaltenen Rede gegen den Krieg, wofür die Wilson-Regierung ihn ins Gefängnis warf]. Es sind die wenigen, die den Mut hatten, ihren Platz an der Front einzunehmen; die sich selbst gegenüber aufrichtig genug waren, um die Wahrheit auszusprechen; die sich trauten, Widerstand gegen die bestehende Ordnung der Dinge zu leisten; die Partei für die Sache der leidenden, um ihr Dasein kämpfenden Armen ergriffen; die ohne Rücksicht auf persönliche Konsequenzen die Sache der Freiheit und Gerechtigkeit unterstützt haben.
Dieser „Debs’sche Sozialismus“ fand gewaltigen Anklang im Herzen der Menschen, aber Debs hatte keinen Nachfolger als Tribun des revolutionär-demokratischen Sozialismus. Nach der Radikalisierung während der Nachkriegszeit wurde einerseits die Sozialistische Partei rosarot anständig, während andererseits die Kommunistische Partei zur gleichen Zeit stalinisiert wurde. Der amerikanische Liberalismus hatte seinerseits schon lange einen Prozess der „Verstaatlichung“ durchgemacht, der in der großen Illusion des „New Deal“ der Dreißigerjahre seinen Höhepunkt erreichte. Die elitäre Vision der Befreiung von oben unter der Schirmherrschaft des Retterpräsidenten zog eine ganze Strömung von Liberalen an, für die der Landbesitzer im Weißen Haus das war, was Bismarck für Lassalle gewesen war.
Dieser Typus kündigte sich durch den kollektivistischen Liberalen Lincoln Steffens an, der (wie Shaw und Georges Sorel) gleichermaßen von Mussolini wie Moskau angezogen war und das aus den gleichen Gründen. Als Upton Sinclair die Sozialistische Partei verließ, weil sie zu „sektiererisch“ war, gründete er seine „breite“ Bewegung zur „Beendigung der Armut in Kalifornien“ mit einem Manifest mit dem passenden Titel Ich, Gouverneur von Kalifornien, und wie ich die Armut beendete (vermutlich das einzige radikale Manifest, welches das Wort „Ich“ zweimal im Titel führt) zu dem Thema „Sozialismus von oben in Sacramento“. Eine typische Gestalt dieser Zeit war Stuart Chase, der einen Zickzackkurs vom Reformismus des Bundes für industrielle Demokratie zum Halbfaschismus einer Technokratie schlug. Dann gab es die mit dem Stalinismus liebäugelnden Intellektuellen, die es schafften, ihre gleichzeitige Hochachtung für Roosevelt und Russland zu verfeinern, indem sie die National Recovery Administration (Bundesamt für den wirtschaftlichen Wiederaufbau) und die Moskauer Prozesse gleichermaßen bejubelten. Als Zeichen der Zeit lief jemand wie Paul Blanshard von der Sozialistischen Partei zu Roosevelt über mit der Begründung, dass mit dem „New Deal“-Programm des „gelenkten Kapitalismus“ den Sozialisten die Initiative für wirtschaftliche Veränderungen entrissen wurde.
In die Zeit des „New Deal“, oft zu Recht Amerikas „sozialdemokratische Periode“ genannt, fiel auch das große Anbändeln der Liberalen und Sozialdemokraten mit einem Sozialismus von oben, der Utopie von Roosevelts „Volksmonarchie“. Die Illusion der Roosevelt’schen „Revolution von oben“ vereinigte den „schleichenden Sozialismus“, den bürokratischen Liberalismus, das stalinoide Elitedenken und Illusionen sowohl über den russischen Kollektivismus als auch den kollektivierten Kapitalismus in einem Paket.
Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003