MIA > Deutsch > Marxisten > Hilferding > Finanzkap.
Die Entwicklung der kapitalistischen Industrie entwickelt die Konzentration im Bankwesen. Das konzentrierte Banksystem ist selbst ein wichtiger Motor zur Erreichung der höchsten Stufe kapitalistischer Konzentration in den Kartellen und Trusts. Wie wirken nun diese wieder zurück auf das Banksystem. Das Kartell oder der Trust ist ein Unternehmen von größter Kapitalkraft. In den gegenseitigen Abhängigkeitsbeziehungen kapitalistischer Unternehmungen entscheidet vor allem die Kapitalstärke darüber, welches Unternehmen von dem anderen in Abhängigkeit gerät. Eine weit fortgeschrittene Kartellierung wirkt von vornherein dahin, daß auch die Banken sich zusammenschließen und sich vergrößern, um dem Kartell oder Trust gegenüber nicht in Abhängigkeit zu geraten. Die Kartellierung selbst befördert so den Zusammenschluß der Banken, wie umgekehrt der Zusammenschluß der Banken die Kartellierung. An dem Zusammenschluß der Stahlwerke zum Beispiel ist eine ganze Reihe von Banken interessiert, die Zusammenwirken, um den Zusammenschluß herbeizuführen, selbst gegen den Willen einzelner Industrieller. Umgekehrt kann eine Interessengemeinschaft, die zunächst von den Industriellen herbeigeführt wird, zur Folge haben, daß auch zwei bisher konkurrierende Banken gemeinsame Interessen bekommen und zunächst auf einem bestimmten Gebiet gemeinsam vorgehen. In ähnlicher Weise wirken industrielle Kombinationen auf die Erweiterung der industriellen Sphäre einer Bank hin, die bisher vielleicht bloß auf dem Gebiet der Rohmaterialindustrie sich betätigt hat und durch die Kombination gezwungen wird, diese Tätigkeit auch auf die weiterverarbeitende Industrie zu erstrecken.
Das Kartell selbst aber setzt eine Großbank voraus, die imstande ist, dem gewaltigen Zahlungs- und Produktionskredit einer ganzen Industriesphäre stets zu genügen.
Aber das Kartell bewirkt auch eine weitere Intensivierung der Beziehungen zwischen Bank und Industrie. Indem die freie Konkurrenz in der Industrie aufgehoben wird, findet zunächst eine Steigerung der Profitrate statt. Diese gesteigerte Profitrate spielt eine wichtige Rolle. Wo der Ausschluß der Konkurrenz durch Fusion zustande kommt, wird ein neues Unternehmen gegründet. Dieses Unternehmen kann auf erhöhten Profit rechnen. Dieser erhöhte Profit kann kapitalisiert werden und Gründergewinn bilden. [1] Dieser spielt beim Zustandekommen der Trusts in doppelter Hinsicht eine wichtige Rolle. Erstens ist seine Erlangung ein sehr wichtiges Motiv für die Banken, die Monopolisierung zu fördern. Zweitens aber kann ein Teil des Gründergewinnes dazu verwendet werden, um widerstrebende, aber doch wichtige Elemente durch Bezahlung eines höheren Kaufpreises zum Verkauf ihrer Fabriken, also zur Ermöglichung des Zustandekommens des Kartells zu bewegen. Man kann das vielleicht so ausdrücken: Das Kartell übt eine Nachfrage aus auf die Unternehmungen eines Industriezweiges; diese Nachfrage steigert bis zu einem gewissen Grad ihren Preis [2], dieser erhöhte Preis wird mit einem Teil des Gründergewinns bezahlt.
Die Kartellierung bedeutet auch eine größere Sicherheit und Gleichmäßigkeit des Ertrages der kartellierten Unternehmungen. Die Gefahren der Konkurrenz, die dem Einzelunternehmen früher so oft lebensgefährlich wurden, sind ausgeschaltet. Dadurch aber steigen einmal die Aktien dieser Unternehmungen im Kurse, was wieder bei Neuemissionen erhöhten Gründergewinn bedeutet. Weiter aber ist die Sicherheit für das in diesen Unternehmungen investierte Kapital eine bedeutend vermehrte. Dies erlaubt den Banken, den industriellen Kredit weiter auszudehnen und so in höherem Maße als bisher Anteil zu nehmen ein dem industriellen Profit. So verengern sich durch die Kartellierung die Beziehungen zwischen Banken und Industrie noch weiter, während gleichzeitig die Verfügung über das in der Industrie angelegte Kapital immer mehr den Banken zufällt.
Wir haben gesehen, wie im Beginn der kapitalistischen Produktion das Geld der Banken zwei Quellen entstammt. Einmal den Geldern der nichtproduktiven Klassen, das zweitemal dem Reserve-kapital der industriellen und kommerziellen Kapitalisten. Wir haben weiter gesehen, wie die Entwicklung des Kredits dahin geht, nicht nur das gesamte Reservekapital der Kapitalistenklasse, sondern auch den größten Teil des Geldes der nichtproduktiven Klassen der Industrie zur Verfügung zu stellen. Die heutige Industrie wird mit anderen Worten mit einem Kapital betrieben, das weitaus größer ist als das Gesamtkapital im Eigentum der industriellen Kapitalisten. Mit der kapitalistischen Entwicklung wächst auch beständig die Summe des Geldes, das von der nichtproduktiven Klasse den Banken und durch diese den Industriellen zur Verfügung gestellt wird. Die Verfügung über diese der Industrie unentbehrlichen Gelder gehört den Banken. Mit der Entwicklung des Kapitalismus und seiner Kreditorganisation wächst so die Abhängigkeit der Industrie von den Banken. Anderseits können die Banken die Gelder der nichtproduktiven Klassen nur heranziehen und den stets wachsenden Grundstock derselben zu dauernder Verfügung behalten, wenn sie diese Gelder verzinsen. Dies konnten sie, solange diese Gelder nicht zu umfangreich waren, durch ihre Verwendung zu Spekulationskredit und Zirkulationskredit. Mit dem Wachstum dieser Gelder einerseits, mit der abnehmenden Bedeutung der Spekulation und des Handels anderseits mußten sie immer mehr in industrielles Kapital verwandelt werden. Ohne die ständige Ausdehnung des Produktionskredits wäre die Verwendbarkeit der Depositen, damit aber auch die Verzinsung der Bankdepositen längst viel tiefer gesunken. Dies ist in der Tat zum Teil in England der Fall, wo die Depositenbanken nur Zirkulationskredit vermitteln, der Depositenzins daher minimal ist. Daher das beständige Abströmen der Depositen in industrielle Anlagesphären durch Aktienkauf. Hier macht das Publikum direkt, was bei der Verbindung von Industrie- und Depositenbank die Bank tut. Für das Publikum ist das Resultat dasselbe, da der Gründergewinn ihm auf keinen Fall zufällt. Für die Industrie bedeutet es aber eine geringere Abhängigkeit vom Bankkapital in England im Vergleich zu Deutschland.
Die Abhängigkeit der Industrie von den Banken ist also die Folge der Eigentumsverhältnisse. Ein immer wachsender Teil des Kapitals der Industrie gehört nicht den Industriellen, die es anwenden. Sie erhalten die Verfügung über das Kapital nur durch die Bank, die ihnen gegenüber den Eigentümer vertritt. Anderseits muß die Bank einen immer wachsenden Teil ihrer Kapitalien in der Industrie fixieren. Sie wird damit in immer größerem Umfang industrieller Kapitalist. Ich nenne das Bankkapital, also Kapital in Geldform, das auf diese Weise in Wirklichkeit in industrielles Kapital verwandelt ist, das Finanzkapital. Den Eigentümern gegenüber behält es stets Geldform, ist von ihnen in Form von Geldkapital, zinstragendem Kapital, angelegt und kann von ihnen stets in Geldform zurückgezogen werden. In Wirklichkeit aber ist der größte Teil des so bei den Banken angelegten Kapitals in industrielles, produktives Kapital (Produktionsmittel und Arbeitskraft) verwandelt und im Produktionsprozeß fixiert. Ein immer größerer Teil des in der Industrie verwendeten Kapitals ist Finanzkapital, Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen.
Das Finanzkapital entwickelt sich mit der Entwicklung der Aktiengesellschaft und erreicht seinen Höhepunkt mit der Monopolisierung der Industrie. Der industrielle Ertrag gewinnt einen sicheren und stetigeren Charakter, damit gewinnt die Anlagemöglichkeit von Bankkapital in der Industrie immer weitere Ausdehnung. Aber die Verfügung über das Bankkapital hat die Bank, und die Herrschaft über die Bank haben die Besitzer der Majorität der Bankaktien. Es ist klar, daß mit zunehmender Konzentration des Eigentums die Besitzer des fiktiven Kapitals, das die Macht über die Banken, und desjenigen, das die Macht über die Industrie gibt, immer mehr identisch werden. Dies um so mehr, als wir gesehen haben, wie die Großbank immer mehr auch die Verfügungsgewalt über das fiktive Kapital gewinnt.
Haben wir gesehen, wie die Industrie immer mehr in Abhängigkeit gerät vom Bankkapital, so bedeutet das durchaus nicht, daß auch die Industriemagnaten abhängig werden von Bankmagnaten. Wie vielmehr das Kapital selbst auf seiner höchsten Stufe zum Finanzkapital wird, so vereinigt der Kapitalmagnat, der Finanzkapitalist, immer mehr die Verfügung über das gesamte nationale Kapital in der Form der Beherrschung des Bankkapitals. Auch hier spielt die Personalunion eine wichtige Rolle.
Mit der Kartellierung und Trustierung erreicht das Finanzkapital seine höchste Machtstufe, während das Handelskapital seine tiefste Erniedrigung erlebt. Ein Kreislauf des Kapitalismus hat sich vollendet. Bei Beginn der kapitalistischen Entwicklung spielt das Geldkapital als Wucherkapital und als Handelskapital eine bedeutende Rolle sowohl für die Akkumulation des Kapitals als auch bei der Verwandlung der handwerksmäßigen Produktion in kapitalistische. Dann aber beginnt der Widerstand der „produktiven“, das heißt der Profit ziehenden Kapitalisten, also der Kommerziellen und Industriellen gegen die Zinskapitalisten. [3]
Das Wucherkapital wird dem Industriekapital untergeordnet. Als Geldhandlungskapital vollzieht es die Geldfunktionen, die sonst die Industriellen und Kommerziellen hei der Metamorphose ihrer Waren selbst hätten vollziehen müssen. Als Bankkapital vermittelt es die Kreditoperationen unter den Produktiven. Die Mobilisierung des Kapitals und die stets stärkere Ausdehnung des Kredits ändert allmählich die Stellung der Geldkapitalisten vollständig. Die Macht der Banken wächst, sie werden die Gründer und schließlich die Beherrscher der Industrie, deren Profite sie als Finanzkapital an sich reißen, ganz wie einst der alte Wucherer in seinem „Zins“ den Arbeitsertrag des Bauern und die Rente des Grundherrn. Der Hegelianer könnte von Negation der Negation sprechen: Das Bankkapital war die Negation des Wucherkapitals und wird selbst vom Finanzkapital negiert. Dieses ist die Synthese des Wucher- und Bankkapitals und eignet sich auf einer unendlich höheren Stufe der ökonomischen Entwicklung die Früchte der gesellschaftlichen Produktion an.
Ganz anders aber die Entwicklung des Handelskapitals. Die Entwicklung der Industrie drängt es von der herrschenden Stellung über die Produktion, die es in der Manufakturperiode innehatte, allmählich zurück. Aber dieser Rückgang bleibt definitiv, und die Entwicklung des Finanzkapitals reduziert den Handel absolut und relativ und verwandelt den einst so stolzen Kaufmann in einen Agenten der vom Finanzkapital monopolisierten Industrie.
1. Der amerikanische Zuckertrust wurde 1887 von Havemeyer durch Verschmelzung von 15 kleinen Gesellschaften, die ihr Kapital auf zusammen 6½ Millionen Dollar angaben, gegründet. Das Aktienkapital des Trusts wurde auf 50 Millionen Dollar festgesetzt. Der Trust erhöhte sofort die Preise für raffinierten und drückte die Preise für Rohzucker. Eine Untersuchung, die 1888 eingeleitet wurde, ergab, daß der Trust an einer Tonne raffinierten Zuckers ungefähr 14 Dollar verdiente, was ihm die Auszahlung von 10 Prozent Dividende auf das volle Aktienkapital, also ungefähr 70 Prozent auf das bei Gründung der Gesellschaft wirklich einbezahlte, ermöglichte. Außerdem konnte sich der Trust noch gelegentlich die Zahlung von Extradividenden und die Rücklage enormer Reserven leisten. Heute hat der Trust 90.000.000 Dollar Aktienkapital. Die Hälfte sind Vorzugsaktien, berechtigt zu 7 Prozent kumulativ, die andere Hälfte sind Stammaktien, die gegenwärtig ebenfalls 7 Prozent bringen. (Berliner Tageblatt vom 1. Juli 1909) Zahllose Beispiele auch in den Reports der Industrial Commission on Trusts and Industrial Combinations.
2. Es handelt sich dabei um den „Preis des Kapitals“, der gleich ist dem kapitalisierten Profit.
3. In der Tat war der „Wucher ein Hauptmittel für die Akkumulation des Kapitals, das heißt seine Anteilnahme an den Revenuen des Grundbesitzes. Aber das industrielle und kommerzielle Kapital gehen mehr oder minder Hand in Hand mit den Grundbesitzern gegen diese altmodische Form des Kapitals“. Marx, Theorien über den Mehrwert, I. Bd., S. 19.
Zuletzt aktualisiert am 25. September 2016