Rudolf Hilferding

Das Finanzkapital


Fünfter Abschnitt
Zur Wirtschaftspolitik des Finanzkapitals


XXIV. Kapitel
Der Kampf um den Arbeitsvertrag


Der Kampf um den Arbeitsvertrag durchläuft bekanntlich drei Stadien. Im ersten Stadium steht der einzelne Fabrikant den einzelnen Arbeitern gegenüber. Im zweiten kämpft der einzelne Fabrikant gegen die Organisation der Arbeiter; im dritten treten den Arbeiterorganisationen die Unternehmerorganisationen geschlossen gegenüber.

Die Gewerkschaft hat die Funktion, die Konkurrenz der Arbeiter untereinander auf dem Arbeitsmarkt aufzuheben; sie erstrebt das Monopol des Angebots der Ware Arbeitskraft; sie stellt so ein Kontingentierungskartell dar oder, da es sich hier im Verhältnis zum Kapitalisten nur um Kauf und Verkauf der Ware handelt, einen Ring. Jedes Kontingentierungskartell und jeder Ring leidet aber an der Schwäche, daß er die Produktion nicht beherrscht und infolgedessen das Ausmaß des Angebots nicht regeln kann. Bei der Gewerkschaft ist diese Schwäche unabänderlich. Die Produktion der Arbeitskraft entzieht sich fast immer ihrer Regelung. Nur wo es sich um qualifizierte Arbeitskraft handelt, kann es der Arbeiterorganisation gelingen, durch gewisse Maßnahmen ihre Produktion einzuschränken. Eine starke Gewerkschaft qualifizierter Arbeiter kann durch Beschränkung der Zahl der Lehrlinge, durch Durchsetzung einer längeren Lehrzeit, durch das Verbot, andere als qualifizierte Arbeitskräfte, das heißt als von der Gewerkschaft als qualifiziert anerkannte, zu beschäftigen, auch die Produktion solcher Arbeitskräfte beschränken und damit sich eine gewisse Monopolstellung sichern. Ein Beispiel bilden die Buchdruckergewerkschaften, die es zum Beispiel durchgesetzt haben, daß auch an Setzmaschinen, für deren Bedienung rein technisch angelernte und daher verhältnismäßig niedrig qualifizierte Arbeitskräfte ausreichen würden, nur hochqualifizierte „gelernte“ Buchdrucker verwendet werden dürfen. Es kann einer starken Gewerkschaft unter günstigen Umständen gelingen, sogar das Verhältnis umzukehren und einer Arbeit die Eigenschaft einer qualifizierten und daher hoch bezahlten zu verleihen dadurch, daß sie als Vollarbeiter nur Arbeiter mit einer gewissen längeren Verwendungszeit zuläßt. Das ist zum Beispiel der Fall in der englischen Textilindustrie, deren Monopolstellung auf dem Weltmarkt, die auch heute noch für gewisse Produkte zum Teil erhalten ist, einmal die Ausbildung einer starken Gewerkschaft begünstigte, anderseits den Unternehmern ein Nachgeben erleichterte, da die Monopolstellung erlaubte, den höheren Lohn auf die Konsumenten abzuwälzen.

Das Streben nach Beherrschung des Arbeitsmarktes erzeugt auch die Tendenz, die Konkurrenz ausländischer Arbeiter durch Erschwerung der Einwanderung abzuhalten, namentlich wo es sich um Zuzug noch bedürfnisloser, schwer organisierbarer Proletarier handelt. Die Einwanderungsverbote sollen der Gewerkschaft dasselbe leisten wie der Schutzzoll dem Kartell. [1]

Aber die Gewerkschaft ist eine Organisation lebendiger Menschen; soll sie ihr Ziel erreichen, so muß sie dieses durch den Willen ihrer Mitglieder verwirklichen lassen. Die Herstellung des Monopols hat zur Voraussetzung, daß die Arbeiter nur durch die Gewerkschaft und nur zu den von ihr festgesetzten Bedingungen ihre Arbeitskraft verkaufen. Der Preis der Arbeitskraft muß dem Spiel von Nachfrage und Angebot entzogen werden. Das heißt aber, daß die Anbietenden, das sind die Arbeitslosen, nicht auf dem Arbeitsmarkt in Aktion treten zu anderen als bestimmten Preisen. Der Preis ist das Gegebene, nämlich das durch den Willen der Gewerkschaft festgesetzte, und das Angebot muß sich nach dem Preise richten, nicht der Preis nach Angebot und Nachfrage. So wird die Gewerkschaft zu der Kooperation von Arbeitenden mit den Arbeitslosen. Die Arbeitslosen müssen vom Arbeitsmarkt zurückgehalten werden, wie etwa das Kartell, wenn schon einmal die Produktion das den Kartellzwecken entsprechende Angebot überschreitet, durch Lagerung der Produkte den Markt vor Überfüllung schützt. Den Lagerungskosten entsprechen die Arbeitslosenunterstützungen der Gewerkschaften, die hier aber von viel größerer Bedeutung sind, da sie das einzige Mittel sind, das Angebot in Schranken zu halten, während das Kartell das viel wirksamere Mittel der Produktionseinschränkung besitzt. Anderseits aber wird derselbe Zweck der Abhaltung der Arbeitslosen erreicht, wenn durch moralische Zwangsmittel, durch Verfemung der Arbeitswilligen, durch Aufklärung über die Schädigung der Klasseninteressen, kurz, durch die spezifische gewerkschaftliche Erziehung die Arbeiterklasse zu einer Kampfeinheit vereinigt wird.

Wie bei jedem Monopol handelt es sich naturgemäß auch bei der Gewerkschaft um die möglichst völlige Beherrschung des Marktes. Hier aber erwachsen der Gewerkschaft bedeutende Hindernisse. Dem Klasseninteresse der Arbeiter tritt das momentane persönliche Interesse der einzelnen Arbeiter entgegen. Die Organisation fordert gewisse Opfer: Beiträge, Zeitaufwand, Kampfbereitschaft. Wer ihr fernbleibt, wird vom Unternehmer begünstigt, vermeidet Konflikte, Arbeitslosigkeit oder Zurücksetzung. Je mehr die Gewerkschaften erstarken, desto mehr wächst das Bestreben des Unternehmers, seine Arbeiter von der Gewerkschaft fernzuhalten. Er ersetzt die Unterstützungseinrichtungen der Gewerkschaft durch die eigenen und nützt zielbewußt den Gegensatz zwischen dem persönlichen und dem Klasseninteresse aus.

Der gewerkschaftliche Kampf ist ein Kampf um den Arbeitsertrag. Der Arbeiter reproduziert [2] den Wert von c und schafft einen Neuwert, der zerfällt in v + m, Arbeitslohn und Mehrwert. Die absolute Größe von v + m hängt ab von der Länge der Arbeitszeit. Je kürzer die Arbeitszeit, desto kleiner v + m und bei gleichbleibendem v desto kleiner m. Bei gleichbleibender Arbeitszeit wächst m, wenn v abnimmt, und umgekehrt. Diese Wirkung wird durchkreuzt durch die Änderung der Intensität der Arbeit; bei steigendem Lohn und sinkender Arbeitszeit wächst die Intensität der Arbeit. Die Entwicklung des Akkord- und Prämienlohnsystems sucht die Intensität der Arbeit auf das bei gegebenem Lohn und Arbeitszeit höchste Maß zu steigern, ebenso bietet die Beschleunigung der Schnelligkeit, mit der die Maschinerie in Gang erhalten wird, ein objektives Mittel, die Intensität der Arbeit zu steigern. Die Errungenschaften, die die Arbeiterklasse in bezug auf die Verkürzung der Arbeitszeit erreicht hat, liegen sicherlich innerhalb und zum Teil noch weit innerhalb jener Grenzen, wo die Verkürzung der Arbeitszeit durch Erhöhung der Intensität der Arbeit völlig kompensiert worden ist. So bedeutend die Wirkung der Arbeitszeitverkürzung in bezug auf die soziale Lage der Arbeiter gewesen ist, so sehr sie und der Kampf um sie das körperliche und geistige Niveau gehoben hat, so unterliegt es kaum einem Zweifel, daß diese Verkürzung der Arbeitszeit das Verhältnis von v : m nicht zuungunsten von m affiziert hat. Die Profitrate ist dadurch nicht affiziert worden, also rein ökonomisch nichts geändert worden. Nur nebenbei sei bemerkt, daß für die Entwicklung vieler Industrien mit ihren hohen Anforderungen an Präzision und Genauigkeit längere Arbeitszeiten unmöglich gewesen wären und daß allgemein mit der Verkürzung der Arbeitszeit sich die Qualität der Arbeit gehoben hat, der technische Fortschritt beschleunigt, der relative Mehrwert gesteigert worden ist. In bezug auf die Lohnhöhe liegt der Zusammenhang zwischen Lohnsteigerung und Erhöhung der Arbeitsintensität nicht ganz so offen zutage, aber auch hier ist er vorhanden, und es bleibt zumindest äußerst zweifelhaft, ob die verhältnismäßig geringe Erhöhung des Reallohnes vor allem für unqualifizierte Arbeit v auf Kosten von m gesteigert oder ob nicht vielmehr, was viel wahrscheinlicher ist, auch hier eine vollständige Kompensation durch Erhöhung der Intensität der Arbeit eingetreten ist. Nur so viel muß natürlich zugegeben werden, daß bis zum Eintritt solcher Kompensationen eine gewisse Zeit verstreicht, während der m durch das Steigen von v geringer geworden ist.

Da der Wert der Ware – und wir können hier, wo es sich um das gesellschaftliche Verhältnis handelt, der Kürze halber von Wert sprechen – gleich ist dem konstanten plus dem variablen Kapital plus dem Mehrwert (c + v + m), so hat die Änderung von v, der eine entgegengesetzte von m entspricht, auf den Preis der Ware keinen Einfluß, für den Konsumenten also keine Wirkung. Daß die Erhöhung des Arbeitslohnes und die Verkürzung der Arbeitszeit keine Wirkung auf den Preis der Ware haben können, hat schon Ricardo schlüssig nachgewiesen. Es ist dies auch ohne weiteres klar. Das gesellschaftliche Produkt jedes Jahres zerfällt in zwei Teile. Der erste ist der Ersatz für die verbrauchten Produktionsmittel, für Maschinerie, Rohstoffe usw., der aus dem Gesamtprodukt zunächst zu ersetzen ist; der zweite ist das während des Jahres von den produktiven Arbeitern erzeugte Neuprodukt. Dieses ist zunächst in der Hand der Kapitalisten und zerfällt in zwei Teile; der eine bildet das Einkommen der Arbeiter, der zweite fällt als Mehrwert den Kapitalisten zu; der Preis des Produktes für den Konsumenten ist gleich der Summe der beiden Teile und kann nicht alteriert werden durch das Verhältnis, in dem der zweite Teil zwischen Arbeitern und Kapitalisten geteilt wird. Daß die Lohnsteigerung und Arbeitszeitverkürzung das Produkt verteuern, ist also eine ganz unsinnige Behauptung vom gesellschaftlichen Standpunkt aus. Trotzdem taucht diese Behauptung stets von neuem auf, und zwar aus guten Gründen.

Die von uns eben Eingeführte Deduktion gilt unmittelbar nur für den Wert der Waren, also nur vom Standpunkte der Gesellschaft. Wir wissen aber, daß der Wert der Ware eine Modifikation erfährt durch das Streben nach Ausgleichung der Profitrate. Für den einzelnen Kapitalisten respektive den Kapitalisten eines einzelnen Industriezweiges stellt sich aber die Lohnerhöhung dar als Erhöhung des Kostpreises. Gesetzt, seine Lohnsumme habe bisher betragen 100; bei einem verbrauchten konstanten Kapital von 100 und einer Profitrate von 30 Prozent verkaufte er das Produkt um 260; steigt jetzt der Lohn infolge eines erfolgreichen Streiks auf 120, so ist jetzt sein Kostpreis gleich 220; verkaufte er nach wie vor zu 260, so wäre sein Profit gesunken absolut von 60 auf 40, seine Profitrate von 30 auf etwas weniger als 19 Prozent, also weit unter die Durchschnittsprofitrate. Es wird daher eine Ausgleichung der Profitraten stattfinden müssen. Das bedeutet: Lohnerhöhung in einem einzelnen Produktionszweig hat Steigerung des Preises in diesem Produktionszweig zur Folge; diese Steigerung vollzieht sich auf Grund der Bildung einer neuen allgemeinen Profitrate, die niedriger ist als die frühere. Preissteigerungen vollziehen sich aber immer unter Widerständen; Preissteigerung bedeutet Erschwerung des Absatzes, die wieder der Preissteigerung entgegenwirkt; Verträge zu den alten Preisen müssen noch ausgeführt werden; vor allem dauert es längere Zeit, bis die Preissteigerung sich durchsetzen kann. Strenggenommen müßte erst Abwanderung von Kapital aus diesem Produktionszweig erfolgen, da Preissteigerung Absatzverminderung bedeutet und daher das Angebot, das heißt die Produktion, vermindert werden müßte. Diese Gefahr der Absatzverminderung ist in den verschiedenen Produktionszweigen verschieden und daher auch der Widerstand der Unternehmer gegen die Lohnforderungen. Es hängt dabei auch viel von dem Stande der Konjunktur ab und von der Organisation der Industrie, die ihr solche Abwälzungen in größerem oder geringerem Grade, rascher oder langsamer möglich macht. Die Lohnerhöhung als allgemein gesetzt, wird die Ausgleichung der geänderten Profitrate zur Folge haben, daß die Preise der Produkte der Industrien mit höherer organischer als der Durchschnittszusammensetzung fallen, die mit niedrigerer steigen. Jede Lohnerhöhung hat aber eine Senkung der Durchschnittsprofitrate zur Folge, wenn auch diese Senkung durch die Lohnsteigerung einer Sphäre nur langsam sich durchsetzt und von geringem Ausschlag ist.

Da aber bis zur Erreichung des neuen Preisniveaus Verluste für den einzelnen Kapitalisten entstehen, so ist der Widerstand der Kapitalisten nur natürlich und, je niedriger die Profitrate, desto stärker. Wir haben eben gesehen, daß niedrigere Profitrate als im Durchschnitt im Kleingewerbe und in kleinkapitalistischen Sphären herrscht; schon deshalb wird sich hier der Widerstand am stärksten bemerkbar machen, während gleichzeitig die Kraft zum Widerstand hier am geringsten ist. Der gewerkschaftliche Kampf ist ein Kampf um die Profitrate vom Standpunkt des Unternehmers, um die Lohnhöhe (worin die Verkürzung der Arbeitszeit eingeschlossen ist) vom Standpunkt der Arbeiter. Er kann nie sein ein Kampf um die Beseitigung des Kapitalverhältnisses selbst, der Ausbeutung der Arbeitskraft. Denn ein solcher Kampf wäre stets von vornherein entschieden; da der Zweck der kapitalistischen Produktion die Produktion von Profit durch die Ausbeutung des Arbeiters ist, so würde die Beseitigung der Ausbeutung dem Unternehmer den Betrieb sinnlos erscheinen lassen. Er würde also die Produktion einstellen; denn wie immer sich seine persönliche Lage gestalten würde, sie könnte durch die Aufnahme des Betriebes nicht gebessert werden; er würde es in solchem Falle auf die völlige Aushungerung seiner Arbeiter ankommen lassen müssen. Würde nur seine Sphäre bedroht, so würde er wenn auch nur einen Teil seines Kapitals zu retten suchen durch Übertragung auf eine andere Sphäre. Der Kampf um die völlige Beseitigung der Ausbeutung fällt so außerhalb des Rahmens der rein gewerkschaftlichen Aufgaben; es ist ein Kampf, der überhaupt nicht durch die rein gewerkschaftlichen Kampfmethoden zur Entscheidung gebracht werden kann, wie die syndikalistische „Theorie“ glauben machen will. Auch wo er die Form den gewerkschaftlichen Kampfmethoden entlehnt, wie etwa beim Massenstreik, handelt es sich nicht um einen Kampf gegen die ökonomische Position des Unternehmers, sondern um einen Machtkampf der Arbeiterklasse als Ganzes gegen die Machtorganisation der Bourgeoisie, den Staat. Die ökonomische Schädigung der Unternehmer ist immer nur ein Hilfsmittel in dem Kampf um die Desorganisation der staatlichen Machtmittel. Diese politische Aufgabe kann niemals die Aufgabe der Gewerkschaften als solcher sein, sondern kann nur die gewerkschaftliche Organisationsform in den Dienst der politischen Kämpfe des Proletariats stellen.

Bedeutet aber der gewerkschaftliche Kampf den Kampf um die Profitrate, so sind damit den Zielen der Gewerkschaft jedesmal gewisse Schranken gesetzt. Es handelt sich für den Unternehmer um die Kalkulation, ob er in der Lage ist, die neue Preisfestsetzung durchzusetzen, ob die Verluste während der Übergangszeit nicht die Verluste eines auch länger ausgedehnten Streiks überwiegen, und schließlich, ob nicht für ihn die Möglichkeit besteht, sein Kapital anders anzulegen, in einem Produktionszweig, der nicht durch die Streikerfolge in seiner Profitrate unmittelbar alteriert ist. Daraus folgt aber, daß von vornherein jedem einzelnen gewerkschaftlichen Kampf gewisse Schranken gezogen sind, die zu erkennen die schwierige Aufgabe der gewerkschaftlichen Leitung ist und ihre Taktik bestimmt. Es folgt sodann, daß die Gewerkschaft im allgemeinen um so erfolgreicher operieren kann, je höher die Profitrate ist, sei es allgemein wie während der Hochkonjunktur, sei es in einem besonderen Zweige, etwa durch Monopolstellung, Erzielung von Extraprofit durch Patente usw. Auf diese Bedingungen im einzelnen einzugehen fällt außerhalb des Rahmens unserer Untersuchung. Dagegen muß hier noch die Änderung der Machtverhältnisse der beiden Klassen im allgemeinen kurz erörtert werden.

Es ist selbstverständlich, daß die Entstehung der Unternehmerorganisation eine Machtverschiebung in dem Verhältnis von Kapital und Arbeit bedeutet.

Die Entwicklung der Unternehmerorganisation wird in der Regel als eine Rückwirkung der Arbeiterorganisation betrachtet und sicherlich mit Recht. Aber das Tempo ihrer Entwicklung sowohl als ihre Macht ist wesentlich abhängig von der Änderung der industriellen Struktur, der Konzentration und der Monopolisierung des Kapitals.

Solange der vereinzelte Unternehmer der organisierten Arbeiterschaft gegenüberstand, hatte die Gewerkschaft eine Reihe Maßregeln zur Verfügung, die durch die Entwicklung der Unternehmerorganisation unwirksam gemacht werden.

Mit der Konzentration des Kapitals wächst die Macht des Unternehmers im Kampfe um den Arbeitsvertrag, wächst aber auch die Organisationsfähigkeit der konzentrierten Arbeiter. Die Verschiedenheit der Größe der Unternehmungen bedingt auch eine ganz andere Widerstandskraft gegenüber den Gewerkschaften. Je zersplitterter eine Industrie, je kleiner die durchschnittliche Größe des Betriebes, desto größer im allgemeinen die Macht der Gewerkschaft. Innerhalb derselben Industrie wieder ist die Macht der Gewerkschaft größer im Klein- und Mittelbetrieb als im Großbetrieb, einfach deswegen, weil das durch die Konkurrenz des Großbetriebes ohnehin schwer bedrohte kleine Unternehmen die Verluste eines Kampfes viel weniger aushalten kann als das große Unternehmen. Der Kampf der Gewerkschaften fördert überhaupt die Entwicklung zum Großbetrieb und damit die Entwicklung der Produktivität, den technischen Fortschritt, die Herabsetzung der Produktionskosten und die Entstehung von relativem Mehrwert, wodurch er selbst die Vorbedingung schafft für die Erreichung neuer Zugeständnisse.

Solange die Gewerkschaften den Einzelunternehmern gegenüberstehen, ist ihre Position günstig. Sie können ihre konzentrierte Kraft gegen den vereinzelten Unternehmer wirken lassen. Der Lohnkampf wird aufgelöst in eine Reihe von Einzelstreiks. Die Arbeiter der betreffenden Unternehmer haben die ganze finanzielle Kraft der Gewerkschaft hinter sich, die durch die Beiträge und eventuellen Extrasteuern der weiterarbeitenden Mitglieder während des Kampfes keine Schwächung erfährt. Der Unternehmer muß fürchten, daß seine Kunden von den weiterarbeitenden Unternehmern ihm abgenommen werden, daß auch nach Beendigung des Streiks sein Absatzgebiet geschmälert bleibt. Er muß sich zum Nachgeben entschließen und hat von diesem Moment an das Interesse, daß die von ihm zugestandenen Bedingungen im Gewerbe verallgemeinert werden, daß also auch die anderen Unternehmer freiwillig oder gezwungen dieselben Arbeitsbedingungen zugestehen müssen. Die Vereinzelung der Unternehmer erlaubt es den Gewerkschaften, sie einzeln nacheinander in systematisch geführten Einzelkämpfen zu bezwingen, ohne daß diese Streiks die Kräfte der Gewerkschaften allzusehr in Anspruch nehmen. Die Erfolge stärken sie durch Mitgliederzuwachs und vermehrte Beiträge, und sie stellen nach dem Kampfe mächtiger da als vorher. Es ist klar, daß diese Taktik um so eher angewandt werden kann, je geringer der Zusammenhalt der Unternehmer, je stärker die Konkurrenz ist, die sie sich untereinander machen, je größer also die Zahl der in Betracht kommenden Unternehmer und je geringer die Widerstandskraft jedes einzelnen. Das aües ist der Fall in den Zweigen, wo kleinere und mittlere Betriebe vorherrschen. Der Einfluß der Gewerkschaften ist hier am größten, ihre Macht am höchsten. Die viel genauer kalkulierende Großindustrie setzt solchen Einzelstreiks von vornherein viel größeren Widerstand entgegen, da die großen Unternehmungen mit viel größerem Nachdruck auf möglichster Gleichheit der Produktionskosten bestehen. Hier sind Erfolge nur als allgemeine möglich; der Einzelstreik findet hier viel größeren Widerstand, und dieser ist viel schwerer zu überwinden, da dio Macht auch des einzelnen großen Unternehmers viel bedeutender, die Verständigung zwischen den verhältnismäßig wenigen Unternehmern auch viel rascher erfolgen kann. [3] Je stärker aber die gewerkschaftliche Entwicklung, desto stärker auch der Widerstand, den sie bei den Unternehmern auslöst. Der Vereinigung der Arbeiter tritt jetzt die gesammelte Kraft der Unternehmer gegenüber. Da der Einfluß der Gewerkschafteil den kleineren und mittleren Unternehmungen gegenüber am größten ist, so wird hier sich der Widerstand auch am stärksten geltend machen. In der Tat beginnt die Organisation des Unternehmertums im Handwerk und in den kleineren Fertigindustrien [4], wo die Macht der Gewerkschaften am fühbarsten war, und nimmt in den Jahren der Hochkonjunktur ihren raschesten Aufschwung. [5] Aber wenn auch die Entstehung der Arbeitgeberverbände sicher als Reaktion gegen die Gewerkschaften angefaßt werden muß [6] und daher zunächst in der leichteren Industrie vor sich geht, so bleibt sie nicht darauf beschränkt. Die Kartellierung und Vertrustung vereinigt in viel stärkerer und unlöslicherer Weise die Interessen der beteiligten Kapitalisten und macht sic zu einer Einheit gegenüber der Arbeiterklasse. Die Ausschaltung der Konkurrenz beschränkt sich hier nicht wie in der leichteren unkarlellierten Industrie auf den Arbeitsmarkt und verstärkt so die Solidarität der Unternehmer in viel höherem Maße. Es kann dies so weit gehen, daß gerade in den Zweigen, wo die Unternehmer die stärkste Position innehaben, eine besondere Organisation unnötig wird. Das Kohlensyndikat macht einen Arbeitgeberverband überflüssig, der Stahltrust ihn unmöglich. Selbst wenn wirklich wahr wäre, was immer offiziell behauptet wird, daß sich die deutschen Kartelle nicht mit Arbeiterangelegenheiten beschäftigen, so ist doch das einheitliche Vorgehen der Unternehmer hier von vornherein gegeben, und gerade ihre Stärke macht spezifische Funktionen des Arbeitgeberverbandes, wie die Streikunterstützung, überflüssig, da eine „freundnachbarliche Verständigung“ von Fall zu Fall genügt. Aber auch hier macht sich die Tendenz zur Gründung von Arbeitgeberverbänden immer stärker bemerkbar.

Die Bildung der Arbeitgeberverbände macht zunächst den Gewerkschaften einen Erfolg des Einzelangriffes viel schwieriger, wenn nicht unmöglich; hinter dem einzelnen Unternehmer steht jetzt seine Organisation; sie entschädigt ihn für seine Verluste, sorgt dafür, daß die streikenden Arbeiter keine andere Arbeit finden, während sie sich bemüht, die dringendsten Arbeiten des Unternehmers selbst ausführen zu lassen. Nötigenfalls greift sie zu stärkeren Mitteln; sie wird ihrerseits zum Angreifer und verallgemeinert den Kampf durch eine Aussperrung, um die Gewerkschaft zu schwächen und zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Und in diesem Kampf der gesamten Unternehmer gegen die Gewerkschaften ist die Unternehmerorganisation oft die stärkere. [7]

Der Arbeitgeberverband bedeutet zunächst die prinzipielle Möglichkeit, den Zeitpunkt des Kampfes zu verschieben. Solange die Arbeiterorganisationen den vereinzelten Unternehmern entgegenstanden, stand die Wahl des Zeitpunktes den Arbeitern zu. Für den Erfolg des Kampfes ist aber die Zeit entscheidend. In der Hochkonjunktur, wo die Profitrate am höchsten, die Gelegenheit zu Extraprofit am besten ist, ist die Arbeitseinstellung am empfindlichsten; um nicht die ganze Profitrate zu verlieren, wird auch der starke Unternehmer in solchen Zeiten den Kampf zu vermeiden suchen, denn es handelt sich für ihn um eine nicht, wenigstens nicht bis zur nächsten Hochkonjunktur wiederkehrende Gelegenheit; rein vom Standpunkt des gewerkschaftlichen Erfolges aus gesehen, müßte der Streik in die Zeit der höchsten Anspannung der Produktivkräfte verlegt werden, und es ist eine schwere Aufgabe gewerkschaftlicher Erziehungsarbeit, die Mitglieder zu dieser Taktik zu bekehren. Denn gerade in dieser Zeit ist durch Überstunden und regelmäßige Beschäftigung das Einkommen der Arbeiter am höchsten, der psychologische Antrieb zum Streik daher schwächer. Das erklärt auch, warum die zahlreichsten Streiks in der Periode der Prosperität vor der eigentlichen Hochkonjunktur stattfinden.

Diese Wahl des Zeitpunktes aber hört auf, allein den Gewerkschaften zuzustehen, sobald die Unternehmerorganisation gefestigt ist. Dann kann diese die Zeit des Kampfes bestimmen. Für sie ist aber die Aussperrung ein Präventivkrieg, der am besten in der Zeit der Depression geführt wird, wo eine Arbeitseinstellung infolge der Überproduktion ganz nützlich, die Widerstandskraft der Arbeiter wegen des Überangebotes auf dem Arbeitsmarkt, wegen der finanziellen Schwächung der Organisationen durch die Unterstützungserfordernisse und den Mitgliederverlust am geringsten ist. Diese Möglichkeit der Verlegung der Kampfzeit allein bedeutet bereits eine außerordentliche Machtverschiebung, die die Folge der Unternehmerorganisation ist. [8]

Dieselben Gründe aber, die zur Unternehmerorganisation führen, bringen wieder eine Erstarkung der Gewerkschaften. Diese werden jetzt überall die Zuflucht der Arbeiter, wenn sie nicht vollends auf Gnade und Ungnade den Unternehmern ausgeliefert sein wollen. Die Kampfmaßregeln der Unternehmer treffen auch diejenigen, die bisher den Gewerkschaften fernstanden. Zumal die Aussperrung und insbesondere die Generalaussperrung wird zum kräftigsten Antrieb auch für die bisher Unorganisierten, der Organisation beizutreten. Die Gewerkschaften wachsen rasch an Mitgliedern, und damit wächst auch ihre Stärke.

Dem suchen die Unternehmerorganisationen durch den dauernden Kampf gegen die Gewerkschaften entgegenzutreten. Sie suchen durch künstliche Auswahl unter ihren Arbeitern die Unorganisierten zu den Überlebenden zu machen. Der Arbeitsnachweis des Unternehmerverbandes begünstigt systematisch die Unorganisierten vor den Organisierten, deren Gefährlichste umgekehrt durch schwarze Listen geächtet werden. Mit der Organisierung der gelben Gewerkschaften, dieser Züchtungsanstalten für Klassenverrat, sucht man durch Bestechungen und Gewährung von Sondervorteilen die Arbeiter zu spalten und sich einer Streikbrechergarde zu versichern. [9] Durch die Ablehnung von Verhandlungen mit den Organisationsleitern sucht man deren moralischen Einfluß zu verringern. Der Kampf ist vergeblich, weil schließlich das Klasseninteresse der Arbeiter zugleich ihr persönliches ist und die gewerkschaftliche Organisation überhaupt die Lebensbedingung der Arbeiter geworden ist. Aber er erschwert die Fortschritte der Gewerkschaftsbewegung und schmälert ihren Einfluß. Wie in der Periode vor der Unternehmerorganisation die Widerstandskraft des Einzelunternehmers je nach der Größe des Unternehmens verschieden war, so ist auch die Widerstandskraft der Unternehmerorganisationen verschieden, je nach ihrer Zusammensetzung. Am stärksten sind die Verbände der Großindustrie und hier wieder am mächtigsten die Stellung der großen kartellierten Industrien. Diese haben vor allem den Abfall oder das Zugrundegehen von Mitgliedern nicht zu fürchten. Sie sind sicher, daß kein Konkurrent aus der Stillegung ihrer Betriebe Vorteil ziehen kann, und sie können schließlich, wo das Monopol gesichert, die ausländische Konkurrenz auch durch den Schutzzoll wenig wirksam ist, die Verluste während des Streiks wieder einholen; die verzögerten Aufträge werden später erfüllt, die Warenknappheit infolge der Stillegung erlaubt Preissteigerung, also Abwälzung der Streikverluste. Hier ist also der Widerstand am stärksten, der Kampf gegen die Gewerkschaften am leichtesten. So werden diese Industrien die führenden im Kampfe aller Unternehmerorganisationen, sie erscheinen als die Verfechter des gemeinsamen Unternehmerinteresses im Kampfe gegen die Arbeiterklasse. Je mehr die Kleinkapitalisten von den Gewerkschaften zurückweichen müssen, je bedrohlicher ihnen die Macht der Arbeiter erscheint, desto mehr fühlen sie sich solidarisch mit den größten Industriellen, den Vorkämpfern ihrer eigenen Sache.

Daran ändert nichts, daß die schwächeren Verbände sich mit den Gewerkschaften ihrerseits abfinden müssen, wenn auch unter für sie günstigeren Umständen als früher die Einzelunternehmer. Auch für sie hat der Verband die größten Gefahren beseitigt. Er hat die Streikklausel für das Gewerbe durchzusetzen verstanden, er hindert den Outsider durch die Waffe der Materialsperre, wodurch er die Lieferanten zu Helfern seines Kampfes macht, vom Abfall, und schließlich sichert er unter allen Umständen die Gleichheit der Konkurrenzbedingungen, indem er besondere Abmachungen einzelner verhindert. Am besten geschieht dies durch den Tarifvertrag, die gemeinsame Vereinbarung des Arbeitsvertrages von Organisation zu Organisation. Der Tarifvertrag entspricht auch den Interessen der Gewerkschaft, da er die erreichten Erfolge für das ganze Gewerbe sofort verallgemeinert. Sein Nachteil ist, daß er den Zeitpunkt für eine neue Vereinbarung im voraus festsetzt und so der Gewerkschaft die Wahl der Kampfzeit nimmt. Da aber schon durch die Existenz des Unternehmerverbandes selbst der Gewerkschaft nicht mehr allein die Wahl des Zeitpunktes freisteht, so trifft dieser Umstand in gleicher Weise beide Organisationen; immerhin trägt er ein Moment des Zufalls in den künftigen Kampf und macht es daher zu dem Bestreben einer starken Gewerkschaft, die Dauer des Tarifvertrages nicht so zu wählen, daß die Ausnützung einer Hochkonjunkturperiode dadurch eventuell unmöglich würde.

Für die Unternehmer hat die Existenz ihrer Organisation noch den Vorteil, daß sie die Abwälzung der Produktionskostenerhöhung erleichtert. Wir wissen, daß die Streikerfolge für den betreffenden Industriezweig unmittelbar eine Verringerung der Profitrate unter den Durchschnitt bedeuten. Die Ausgleichung durch Preiserhöhung, die erfolgen muß, wird erleichtert und beschleunigt durch gemeinsames Vorgehen, das der Arbeitgeberverband in diesem Falle leicht vermitteln und auch in nichtkartellierten Industrien durchsetzen kann, da die Preiserhöhung den geänderten Kostpreisen entspricht. Gerade kleinkapitalistische, nichtkarteliierte Fertigindustrien sind daher den Abschlüssen von Tarifverträgen geneigt. [10]

Hier auch erwachsen jene Tendenzen, die zum Abschluß von Trade Alliances führen. Industrien, die durch ihre technisch bedingte Zersplitterung noch nicht kartellfähig sind, suchen sich ein Monopol zu sichern durch Sperrung des Arbeitsmarktes für Outsider. Diese Sperrung soll ihnen die Gewerkschaft besorgen. Die vereinigten Unternehmer besitzen jetzt ein Kartell, das durch die Gewerkschaft vor der Konkurrenz der Außenseiter behütet ist. Der Kartellextraprofit wird zwischen Unternehmern und Arbeitern geteilt und die Arbeiter an dem Bestand des Kartells interessiert.

Anders liegen die Verhältnisse in der kartellierten Industrie. Hier hat die Profitrate bereits die größte, unter den bestehenden Produktionseinrichtungen mögliche Höhe erreicht. Der Preis ist gleich oder fast gleich dem Weltmarktpreis + Schutzzoll + Transportkosten. Hier kann eine Lohnerhöhung nicht abgewälzt werden, der Widerstand wird also besonders groß sein. Der hohe Kartellprofit ist zudem im Preis der Aktien bereits festgelegt; eine Minderung des Profits bedeutet Kurssenkung und ruft damit den Widerstand der Aktionäre gegen jede Nachgiebigkeit der Leitung hervor. Darin wird diese unterstützt durch das Interesse der Banken, für die ein geringerer Profit Schmälerung des Emissionsgewinns bei Neuausgabe von Aktien bedeutet. Anderseits ist der Widerstand der nur beauftragten Leiter der Aktiengesellschaften auch aus psychologischen Gründen größer. Ihnen ist jede Fühlung mit den Arbeitern verlorengegangen, und sie sind ihnen gegenüber die Vertreter fremder Interessen. Die Nachgiebigkeit, die ein Unternehmer, der seine eigene Sache vertritt, bisweilen noch betätigen mag, erscheint ihnen als Pflichtverletzung. Der letzte Rest persönlicher Stimmungen im Verhältnis von Arbeitern und Kapitalisten ist verschwunden, und der Inhalt des Arbeitsvertrages wird eine von allen Erwägungen des Sentiments völlig losgelöste Machtfrage. [11]

Die dem Unternehmer wertvollen Eigenschaften des Tarifvertrages, die Gleichheit der Kosten zu garantieren, ist bei den Kartellen durch das gemeinsame Vorgehen der Unternehmer ohnehin erreicht, die Garantie der Dauer des gewerblichen Friedens durch die Größe der Kämpfe, die oftmalige Wiederholung ausschließen. Es bleibt also nur der Nachteil, die Unternehmer in der Wahl des Zeitpunktes für den nächsten Kampf zu binden und für die Gewerkschaften propagandistisch zu wirken. Daher hier die Ablehnung der Tarifverträge. Zugleich macht die Kartellierungsmöglichkeit ohne die gewerkschaftliche Hilfe eine Trade Alliance mit ihrer Teilung des Kartellextraprofits völlig überflüssig. [12] Ähnlich wie die Stellung der kartellierten Industrie ist auch die überwiegender Exportindustrien, da die Preise durch den Weltmarkt bestimmt, die Abwälzung also erschwert ist.

Die Entwicklung der Unternehmer- und Arbeiterorganisation gibt den Lohnkämpfen immer größere, allgemein soziale und politische Bedeutung. Der Guerillakrieg der Gewerkschaften gegen den einzelnen Unternehmer weicht den Massenkämpfen, die ganze Industriesphären betreffen und, wenn sie die lebenswichtigsten Teile der durch die Arbeitsteilung aufeinander angewiesenen Produktion ergreifen, die gesamte gesellschaftliche Produktion mit Stillsetzung bedrohen. Der gewerkschaftliche Kampf wächst damit über seine eigene Sphäre hinaus und wird aus der Angelegenheit der unmittelbar betroffenen Unternehmer und Arbeiter zu einer allgemeinen Angelegenheit der Gesellschaft, das heißt zu einem politischen Ereignis. Zugleich wird die Beendigung des Kampfes durch bloß gewerkschaftliche Mittel immer schwieriger. Je stärker die Unternehmerorganisation und die Gewerkschaft, desto langwieriger die Kämpfe. Das Problem der Lohnerhöhung und Profitsenkung wird zu einem Problem der Macht. In den Unternehmern wird die Überzeugung unerschütterlich, daß jede Nachgiebigkeit ihre Position in der Zukunft schwächen wird, daß die moralische und faktische Macht der Gewerkschaft gestärkt, der Sieg in der Gegenwart künftige Siege der Gewerkschaft in der Zukunft bedeuten würde. Sie wollen ein für allemal den Kampf entscheiden und sind gewillt, die Kriegskosten zu zahlen, um die Unterwerfung für lange Zeit zu erreichen. Ihre Kapitalskraft ist groß genug, um aushalten zu können, länger auszuhalten als die Gewerkschaft, deren Mittel die Unterstützungen immer rascher aufzehren. Aber der Kampf bleibt nicht auf diese Sphäre beschränkt und greift über auf andere, denen diese Sphäre das Rohmaterial oder die Hilfsstoffe liefert; auch hier müssen die Betriebe stillgelegt werden, die Arbeiter feiern. Es ist ein Zustand, der in den Arbeitern und darüber hinaus in den von der Arbeiterklasse alimentierten Zweigen des Kleinhandels steigende Erbitterung auslöst und zu großen sozialen und politischen Zusammenstößen führen kann. Das Drängen der nicht unmittelbar Beteiligten wächst, den primären Lohnkampf zu beendigen, und da ihnen kein anderes Mittel der Einwirkung zu Gebote steht, verlangen sie ein Eingreifen des Staates. Damit ist die Frage der Beendigung des Streiks aus einer Frage der gewerkschaftlichen zu einer Frage der politischen Macht geworden, und je stärker die Machtverschiebung zugunsten der Unternehmer durch das Entstehen der Unternehmerorganisation geworden ist, desto wichtiger ist es für die Arbeiterklasse, sich möglichst großen Einfluß in den politischen Vertretungen zu sichern, eine Vertretung, die unabhängig und rücksichtslos die Arbeiterinteressen gegen die Unternehmerinteressen vertritt und ihnen zum Siege verhilft. Dieser Sieg aber ist geschuldet nicht nur der politischen Einwirkung. Diese kann vielmehr erst einsetzen und schließlich erfolgreich werden, wenn die Gewerkschaft stark genug, um den rein ökonomischen Kampf mit solcher Intensität und Energie durchzuführen, daß der Widerstand des bürgerlichen Staates, sich in die Arbeitsbedingungen zuungunsten der Unternehmer einzumischen, bereits erschüttert ist und der politischen Vertretung nur mehr die Aufgabe zufällt, ihn vollends zu brechen. Weit entfernt davon, daß die Gewerkschaft der Arbeiterklasse etwa entbehrlich und durch politische Kämpfe ersetzbar wird, wird umgekehrt die immer größere Stärke der gewerkschaftlichen Organisation zur Bedingung jedes Erfolges. Aber so stark auch die Gewerkschaft ist, so macht gerade die Größe, Intensität und Ausbreitung ihrer Kämpfe diese zugleich zu politischen und zeigt den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern die Ergänzung der gewerkschaftlichen durch die politische Aktion. So kommt im Laufe jeder gewerkschaftlichen Entwicklung notwendigerweise der Punkt, wo die Bildung einer unabhängigen politischen Arbeiterpartei zu einer Bedingung des gewerkschaftlichen Kampfes selbst wird. Ist aber erst eine unabhängige politische Arbeiterpartei vorhanden, so bleibt ihre Politik nicht allzu lange auf die Momente beschränkt, die den Anstoß zu ihrer Gründung gegeben haben, sondern wird zu einer Politik, die die Klasseninteressen aller Arbeiter in ihrer Totalität zu vertreten sucht und damit hinauswächst über den Kampf innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, um zu einem Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft zu werden.

Anderseits aber macht auch die Stärkung der Unternehmerorganisation den gewerkschaftlichen Kampf nicht nur nicht überflüssig, sondern auch keineswegs aussichtslos. Es ist einseitig, zu schließen, weil die Unternehmerorganisation an sich die Macht hat, ruhig abzuwarten, bis die Arbeiter erschöpft, ihre Gewerkschaft finanziell ausgehungert ist, die Arbeitswilligen allmählich überhandnehmen, daß deshalb die gewerkschaftlichen Kämpfe stets mit einer Niederlage enden, die Aussperrungen stets siegreich sein müssen. Denn es handelt sich nicht um die bloße Machtfrage, sondern um die Rechenfrage der Einwirkung auf die Profitrate. Eine Aussperrung oder ein Streik in der Hochkonjunktur bedeutet unter allen Umständen einen so großen Verlust, daß es den Unternehmern vorteilhafter sein kann, die Lohnforderungen zu konzedieren, um den Kampf zu vermeiden. [13] Selbst eine durch eine Aussperrung vorher geschwächte Gewerkschaft kann immerhin so viel Kraft aufwenden, um den Unternehmern während der Hochkonjunktur Zugeständnisse abzuringen. Nur werden hier die Zugeständnisse, da auch die Gewerkschaft die Schwere des Kampfes fürchten muß, innerhalb engerer Grenzen bleiben als in den Zeiten, wo die Gewerkschaft sich noch keiner Unternehmerorganisation gegenübersah.


Anmerkungen

1. Näher auf das Einwanderungsproblem einzugehen ist hier nicht der Ort und erübrigt sich auch angesichts der bereits oben angeführten eingehenden Erörterungen in der Neuen Zeit.

2. Offenbar ein Druck- oder Schreibfehler. Es muß heißen: „Der Arbeiter überträgt den Wert von c ...“ usw. Siehe Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, S. 216:

„Was überhaupt an den Produktionsmitteln verzehrt wird, ist ihr Gebrauchswert, durch dessen Konsumtion die Arbeit Produkte bildet. Ihr Wert wird in der Tat nicht konsumiert, kann also auch nicht reproduziert werden.“ Die Red.

3. Deshalb ist in Ländern, wo die gewerkschaftliche Entwicklung verhältnismäßig spät einsetzt und von Anfang an einer sehr entwickelten Großindustrie gegenübersteht, die Gewerkschaftsorganisation in den Zweigen der Großindustrie in der Regel schwächer als zum Beispiel in England, wo sie sich Schritt für Schritt mit der Industrie zugleich entwickelt hat.

4. Vergleiche Dr. Gerhard Keßler, Die deutschen Arbeitgeberverbände, in Schriften für Sozialpolitik, 124. Bd., Leipzig 1907, S. 40.

5. Ebenda, S. 57.

6. Keßler, a. a. O., S. 20:

„Solange die Arbeiter eines Betriebes eine unorganisierte Masse sind, ist auch der einzelne Arbeitgeber ihnen durchaus überlegen. Er bedarf keines Arbeitgeberverbandes ... Solange also die deutsche Gewerkschaftsbewegung mühsam um ihre Existenz kämpfte – im allgemeinen bis gegen Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts –,gab es in Deutschland kein Bedürfnis nach Arbeitgeberverbänden. Als aber seit dem Ende der achtziger Jahre und besonders nach dem Fortfall des Sozialistengesetzes der große Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung einsetzte, als immer eine Flutwelle von Lohnbewegungen und Streiks der anderen folgte, da begann auch die Unternehmerschaft zu besonderen Arbeitgeberverbänden zusammenzutreten – eine natürliche Reaktion auf die Aktion der Gewerkschaften. Die Gewerkschaft ist überall die primäre, der Arbeitgeberverband die sekundäre Erscheinung. Die Gewerkschaft greift ihrer Natur nach an, der Arbeitgeberverband wehrt ab (daß gelegentlich das Verhältnis sich umkehrt, ändert an der allgemeinen Richtigkeit dieser Tatsache nichts). Die Gewerkschaft ist in ihrer Jugendzeit vornehmlich Streikverein, der Arbeitgeberverband Antistreikverein. Je früher in einem Gewerbe eine kräftige Gewerkschaft auftritt, um so früher bildet sich auch ein ausgeprägter Arbeitgeberverband. Der Arbeitgeberverband ist also die Organisation der gewerblichen Unternehmerschaft zur Regelung ihrer Verhältnisse zu den organisierten Arbeitern.“

7. Vergleiche über die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten das Folgende:

„Die Arbeitgeberorganisationen in den Vereinigten Staaten dürften fester und kampfbereiter sein als in den anderen Ländern. Zentrale, einzelstaatliche und örtliche Verbände, nicht zu gedenken der Bünde dieser Verbände, gibt es fast in jeder Industrie. Die beiden wichtigsten sind die ‚National Association of Manufacturers‘ und die ‚Citizen’s Industrial Association of America‘. Erstere besteht fast ausschließlich aus Fabrikanten und wurde 1895 wesentlich zur Erweiterung des auswärtigen Marktes für amerikanische Erzeugnisse errichtet. In den letzten fünf Jahren hat sie sich indes aktiv an dem Kampfe gegen die Arbeiterorganisationen beteiligt und die öffentliche Meinung und die Bundesgesetzgebung im Interesse der Unternehmerklasse zu beeinflussen gesucht. 1905 verhinderten sie abermals die Annahme zweier wichtiger Gesetze, die im Kongreß auf Ersuchen der Arbeiterverbände eingebracht waren. Das eine wollte einen Achtstundentag für alle Arbeiten einführen, die durch oder für die Bundesregierung ausgeführt werden; das andere wollte den Kompetenzbereich von ‚richterlichen Einhaltsbefehlen‘ in Arbeitsstreitigkeiten einschränken.

Die ‚Citizen’s Industrial Association‘ weicht von diesem Verband darin ab, daß sie ein Bund aller lokalen, einzelstaatlichen und nationalen Unternehmer- und Bürgerverbände in den Vereinigten Staaten ist. Sie ist 1905 auf Anregung der ‚National Association of Manufacturers‘ zwecks Vereinigung aller Individuen und Vereine zu einer Kampforganisation gebildet, die den Forderungen der Unionen und speziell der Einführung des ‚closed shop‘, das heißt der ausschließlichen Anstellung von Arbeiterunionsmitgliedern in den Betrieben, Widerstand zu leisten gesonnen ist. Sie hat rapid zugenommen und enthält in ihren nationalen, Distrikts- und örtlichen Verbänden im ganzen mehrere Hunderttausend Mitglieder. Sie bekämpft alle Eingriffe sowohl der Regierung wie der Arbeiterverbände in gewerbliche Angelegenheiten. Auf ihrer dritten Jahresversammlung in St. Louis nahm sie im November 1905 Resolutionen hinsichtlich der Begründung von Gewerbeschulen und Arbeiternachweisen an, von welchen letztere unter Kontrolle ihres Verbandes stehen und die Versorgung der Unternehmer mit Arbeitern ohne Rücksicht auf deren Zugehörigkeit zu einer Union besorgen sollen.

Zwei der wichtigsten Verbände, die mit dieser ‚Citizen’s Industrial Association‘ außer der erstgedachten Vereinigung in Verbindung stehen, ist die ‚National Metal Trades Association‘ von Maschinenfabrikanten und die ‚National Founders Association‘ von nicht in der Ofenindustrie tätigen Gießereibesitzern. Diese schlossen bei ihrer Organisation vor fünf Jahren zunächst Verträge mit den Unionen der Maschinisten und der Gießereiarbeiter. Diese Verträge sind seither aber wieder beseitigt, und die ‚Founders Association‘ begann 1905 einen Kampf mit der mächtigen Gießereiarbeiterunion, der sich seither auf die gesamten Fabriken der Vereinigten Staaten ausdehnt.“ Halle, Weltwirtschaft, III., S. 62.

8. Daran ändert es nichts, wenn vorläufig, wo die Entwicklung der Unternehmerorganisation und ihrer Taktik noch in den Anfängen, diese Wirkung der Zeitverschiebung noch nicht voll in Erscheinung tritt. Die Statistik der Aussperrungen, wie sie Keßler, a. a. O., S. 259, mitteilt, zeigt, 1. daß die der Aussperrungen rasch wächst, 2. daß ihre Zahl in der Hochkonjunktur höher ist als in der Zeit der Depression. Das erklärt sich ohne weiteres daraus, daß jene Aussperrungen, die Abwehrmaßregeln gegen Streiks darstellen, natürlich in Zeiten der Hochkonjunktur, wo die Streiks am häufigsten, rasch wachsen. Es widerlegt aber durchaus nicht die Ansicht, daß mit dem Wachsen der Unternehmerorganisation immer häufiger der Kampf durch den Willen der Unternehmer in Depressionszeiten verlegt werden wird, je mehr die Angriffsaussperrungen wachsen. Keßler sagt darüber S. 243:

„Neben der Sympathieaussperrung ist besonders in jüngster Zeit die Programmaussperrung häufig geworden, unter welchem Namen der Verfasser alle Arbeiterentlassungen begreift, die ohne vorhergegangenen Streik vorgenommen werden, um ein von der Arbeitgeberschaft aufgestelltes Programm mit bestimmten Lohnsätzen, bestimmter Arbeitszeit, unparitätischem Arbeitsnachweis oder irgendwelchen sonstigen allgemeinen oder besonderen Arbeitsbedingungen der Arbeiterschaft aufzuzwingen ... Die Bedeutung der Programmaussperrungen wird in nächster Zeit vermutlich noch wachsen, da nach gescheiterten Tariferneuerungsverhandlungen der Arbeitgeberverband oft noch größeres Interesse als die Gewerkschaft daran hat, schleunigst einen neuen Tarifabschluß, sei es auch durch Kampf, zu erzwingen. Die Programmaussperrungen lassen sich bald mit den Angriffs-, bald mit den Abwehrstreiks der Gewerkschaften in Vergleich stellen, mit den letzteren aber, dem Charakter der Arbeitgeberverbände entsprechend, in der großen Mehrzahl der Fälle. Daß ein Arbeitgeberverband durch eine Aussperrung die Arbeitsbedingungen direkt zu verschlechtern versucht, ist selten und wird wohl auch selten bleiben. Häufiger geschieht es, daß ausgesperrt wird, um einen Tarifvertrag unverbessert auf Jahre hinaus zu erneuern und etwaige Lohnerhöhungen usw. abzuwehren.“

Keßler kommt nach einer Würdigung der vorliegenden Statistik zu dem Ergebnis,

„daß fast alle größeren Aussperrungen mit einem Erfolge – bald einem vollen, bald einem teilweisen – für die Arbeitgeberschaft endeten ... Die Aussperrung ist eine Waffe, der die Arbeiterschaft in der Regel nicht widerstehen kann. Grund genug für die Gewerkschaftsführer, die Streiklust ihrer Schnren möglichst zu zügeln und leichtfertige Ausstände rasch im Keime zu ersticken. Grund genug auch für die Arbeitgeberschaft, sich vor dem Anwachsen der Arbeiterverbände nicht in unvernünftiger Weise zu ängstigen, übrigens werden die hohen Kosten und Verluste, mit denen jede Aussperrung auch für die siegreiche Arbeitgeberschaft verbunden ist, es sicher verhüten, daß man sich dieser scharfen Waffe zu häufig und in zweifellos unberechtigten Fällen bedient. Weder hüben noch drüben werden die Bäume in den Himmel wachsen.“ (S. 263)

9. „Wenn es in Amerika ein besonderer Erwerbszweig geworden ist, als Condottiere eine Truppe gewerbsmäßiger Streikbrecher zu mieten, die man je nach Bedarf gegen Entgelt bald diesem, bald jenem Unternehmer zur Verfügung stellt, so hält man sich in unseren Riesenbetrieben mittels Wohlfahrt seinrichLungen also eine ständige Truppe von Streikbrechern. Die Wohlfahrtseinrichtungen erscheinen somit nicht als ein Mittel, das dem sozialen Frieden dient, sondern als Kampfmittel, das den sozialen Kampf mit verursacht und in ihm die Übermacht der einen der beiden Parteien verstärkt.“ Lujo Brentano in Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik 1905, 115. Bd., S. 142.

10. Anderseits stärkt der Abschluß von Tarifverträgen die Gewerkschaft, der jetzt zahlreiche bis dahin fernstehende Arbeiter Zuströmen. Dieser Umstand vermehrt den Widerstand der Unternehmer. So faßte die mächtigste deutsche Fabrikantenorganisation, der Zentralverband deutscher Industrieller, im Mai 1905 folgenden Beschluß:

„Der Zentralverband deutscher Industrieller betrachtet den Abschluß von Tarifverträgen zwischen den Arbeitgeberorganisationen und den Organisationen der Arbeiter als der deutschen Industrie und ihrer gedeihlichen Fortentwicklung überaus gefährlich. Die Tarifverträge nehmen ebensowohl dem einzelnen Arbeitgeber die für die sachgemäße Fortführung jedes Unternehmens notwendige Freiheit der Entschließung über die Verwendung seiner Arbeiter, als sie auch die einzelnen Arbeiter unvermeidbar unter die Herrschaft der Arbeiterorganisation bringen. Die Tarifverträge sind nach der Überzeugung des Zentralverbandes, wie auch durch die Erfahrungen in England und Amerika voll bestätigt wird, schwere Hindernisse der technischen und organisatorischen Fortschritte der deutschen Industrie.“ Zitiert bei Ad. Braun, Die Tarifverträge und die deutschen Gewerkschaften, Stuttgart 1908.

11. Siehe auch die Rede des Regierungsrates Leidig in den Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik 1905, S. 156, und des Dozenten Doktor Harms, S. 201.

12. Daß die Trade Alliances auch vom allgemeinen Standpunkt der Arbeiterklasse zu verwerfen sind, führt Adolf Braun aus: Es sei

„darauf hingewiesen, daß die Unternehmer mit den Tarifverträgen weitgehende Absichten zu verknüpfen beginnen zur Ausschaltung jeder unbequemen Konkurrenz, zur Sicherung hoher Preise und zur Ausbeutung des konsumierenden Publikums. Dieselben Unternehmer, welche noch vor kurzem und zum Teil gegenwärtig die größte Entrüstung über Arbeitseinstellungen, über die Fernhaltung von Zuzug, über die Beeinflussung des Arbeitsmarktes durch die Gewerkschaften äußerten, erwägen jetzt, ob man nicht von den Gewerkschaftsorganisationen beim Abschluß von Tarifverträgen Garantie zu fordern habe für die Einhaltung bestimmter Mindestpreise für die hergestellten Waren. Dann sollte neben dem Tarif, der die Bezahlung der Arbeitskraft bindet, auch ein Tarif bestehen, der das Verhältnis der Preise, welche die Konsumenten zu entrichten haben, zur Regel hat. Die durch den Tarif gebundenen Gewerkschaftsorganisationen sollten dann überall die Arbeit, beziehentlich die Arbeitsvermittlung einstellen, wo ein Unternehmer zu billigeren Preisen seine Waren absetzt, als es in der allgemeinen Preisfestsetzung durch die Unternehmerorganisation bestimmt ist. Dadurch könnten die Gewerkschaftsorganisationen nicht bloß gezwungen werden, die Tendenz zur Verteuerung aller Bedarfsgegenstände erheblich zu fördern und ausdrücklich mit zu bestimmen, sie wurden damit zu bewußten Vertretern von Unternehmerinteressen, und sie würden in der öffentlichen Meinung für die Verteuerung der Lebenshaltung verantwortlich gemacht werden. Man kann sich wohl Ausnahmefälle denken, wo der gewerkschaftliche Zweck in keiner anderen Weise erreicht werden kann, wo die bezüglichen Zugeständnisse den Massenkonsum nicht beeinflussen und wo deshalb ein derartiges Zugeständnis erklärlich erscheinen kann. Aber als Regel, als Bedingung und Voraussetzung des Tarifabschlusses derartige Zugeständnisse zu machen, scheint den Prinzipien der Arbeiterbewegung, den Aufgaben der Gewerkschaften zu widersprechen.“ (Adolf Braun, l. c., S. 5 ff.)

13. Es heißt also das Kind mit dem Bade verschütten, wenn Naumann (Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik 1905, S. 187) sagt:

„... Die Sphäre, innerhalb deren dieser normale Abschluß des Streiks (scil. der Tarifvertrag) möglich ist, hört etwa dort auf, wo der Mittelbetrieb nach oben hin aufhört. Es sind zwar auch vereinzelte Versuche des Tarifvertrags oberhalb dieser Grenze gemacht worden, aber trotzdem ist es eine Sphäre für sich, wo man dem Arbeiter in alter Weise nach liberalem Rezept den Streik empfehlen kann, um damit zum Tarifvertrag zu kommen, und eine ganz andere Sphäre ist oberhalb des Gebietes, wo mit keinem Streik für sich allein ein Tarifvertrag erreicht werden kann, aus dem ganz einfachen Grunde, weil die elementare Frage: Wer von uns beiden hält es am längsten aus? vom ersten Tag an für jeden rechnenden Menschen entschieden ist. Wenn wir einmal einen Bergarbeiterstreik wieder erleben ... so weiß von vornherein der Beteiligte und der Unbeteiligte, daß die Arbeiter einen Sieg im Sinne der alten Friedensverhandlungen nicht erreichen können, daß diese Streiks vom Hause aus unter die neue Gattung der Demonstrationsstreiks gehören. Denn setzen wir selbst den Fall, daß ein einzelner derartiger Streik einmal gewonnen würde, eine ganz hypothetische Voraussetzung, so würde die Möglichkeit, eine Rüstung gegen die Wiederkehr solcher Vorkommnisse anzulegen, in den Händen der kombinierten Großindustrie in höherem Maße vorhanden sein. Es ist nicht lange her, daß mir ein jüngerer Bankier einfach vorrechnete: ‚Welcher Zinsverlust ist es, wenn wir uns einen beständigen Vorrat auf so und so viele Monate halten, der uns vor jeder Streikniederlage – Streik im alten Sinne gedacht – während dieser Zeit absolut behütet.‘ Was folgt daraus? Daß der Arbeiter, wenn er überhaupt eine Verbesserung seiner Lage haben will, den Streik nur unter dem Gesichtspunkt des Appells an die übrige Bevölkerung auffassen kann.“


Zuletzt aktualisiert am 27. September 2016