Rudolf Hilferding

Zwischen den Entscheidungen

(Januar 1933)


Quelle: Die Gesellschaft. Internationale Revue für Sozialismus und Politik, Band 10, Nr. 1, Januar 1933, Berlin, S. 1–9.
Transkription: Rosemarie Nünning:
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


In dem grandiosen Machtkampf, den seit Eintritt der Weltwirtschaftskrise Deutschlands Sozialdemokratie um ihre eigene Geltung, um die Erhaltung und Neueroberung der Demokratie im mittel- und osteuropäischen Raum, um die Niederringung der sozialen, politischen und geistigen Konterrevolution führt, sind im Jahre 1932 wichtige Vorentscheidungen gefallen, die die endgültige Lösung weitgehend beeinflussen. In dieses Jahr fällt der Kulminationspunkt des deutschen Faschismus, der am 13. August erreicht ist, dem Tage, an dem der Reichspräsident sich weigert, die Uebergabe der Staatsmacht, die Hitler fordert, zu vollziehen, und Hitler vor dem Oberbefehlshaber der Reichswehr kapituliert. Es ist die Peripetie im Drama – in diesem Jahre die zunächst entscheidende Wendung …

Die Reichspräsidentenwahlen waren vorausgegangen. Sie hatten Hitler nicht die Macht gebracht. Aber der Erfolg war imposant und die politische Entscheidung offen. Denn Hitler wurde nur geschlagen, weil der Gegenkandidat Hindenburg war. Hindenburg – das war aber nicht die eindeutige politische Entscheidung für Republik und Demokratie, noch nicht einmal die Entscheidung gegen den Faschismus. Das Lager Hindenburgs war keine Einheit: nur die Sozialdemokratie und der größte Teil des Zentrums stimmten aus rein politischen Erwägungen, der Rest, der für die Verhinderung des faschistischen Sieges unerläßlich war, stimmte nach persönlichen Sentiments; es waren keine absoluten Gegner des Faschismus, und soweit politische Ueberlegungen mitwirkten, wollten diese Wähler nur nicht die Alleinherrschaft, wohl aber die von ihnen mitkontrollierte Beteiligung Hitlers an der Staatsmacht.

Die faschistische Bewegung hatte nicht den vollen Sieg erreicht, aber ihr Aufstieg war, wie die preußische Landtagswahl und die erste Reichstagswahl bewiesen, noch ungehemmt. Wichtig war aber ein anderes: die Partei hatte offenbar alle Vorbereitungen getroffen, um im Falle der Wahl Hitlers zum Reichspräsidenten, den sozusagen demokratisch errungenen Sieg durch eine sofortige, gewaltsame, revolutionäre Aktion zu ergänzen, in der richtigen Erwägung, daß der faschistischen Machtergreifung die Machtbehauptung durch Vernichtung der gegnerischen Führer und Organisationen un<2>mittelbar folgen müsse. Der „Marsch auf Rom“ sollte gleichsam nachgeliefert werden, nachdem man durch die Spielregel der Demokratie den legalen Anspruch auf die Macht erlangt hätte. Da dem deutschen Faschismus bei der Stärke und Widerstandskraft der deutschen Arbeiterorganisationen das nicht gelungen war, was der italienische schon vor der Eroberung der Staatsmacht vollführen konnte: die Terrorisierung, Schwächung oder Vernichtung der feindlichen Organisationen, so war er zur Taktik der Legalität gezwungen, die dem Wesen des Faschismus widerspricht und ihn immer wieder zurückwirft – wie ja die Demokratie in modernen Staaten an sich ein Element größerer Stabilität und Sicherheit der Staatsform darstellt als jede andere Verfassung. Aber faschistische Legalität – dieser Widerspruch in sich – hört an dem Tage der Machtergreifung auf, und daher die Tendenz, den legalen Sieg durch einen gewaltsamen Coup zu vervollständigen.

Daß aber nach der Wahlniederlage nur ein paar irreguläre Terrorakte und Bombenattentate geschahen, die das tatsächliche Vorhaben enthüllten, ohne daß die Bewegung es wagte, sich die Staatsmacht revolutionär anzueignen, solange sie nicht auf dem legalen Weg ans Ziel gelangt war, enthüllte den tatsächlichen Machthabern eine Schwäche, die für die späteren Entscheidungen von fortwirkender Bedeutung wurde. Die Stärke der Staatsmacht auch gegenüber der Partei mit den stärksten und ausgebildetsten Kampfformationen war offenbar geworden.

Die Heterogenität, der innere Zwiespalt im „Lager Hindenburgs“, in der so verschieden zusammengesetzten Zweckgemeinschaft zur Verhinderung der Wahl Hitlers, und die Dynamik der faschistischen Bewegung selbst in ihrem unaufhaltsamen Vormarsch, bestimmen die weiteren Etappen. Der faschistenfreundliche, sozial und politisch reaktionäre Teil der episodenhaften Hindenburgmehrheit drängt zur Verständigung mit Hitler, und die Inhaber der Staatsmacht, ihre unmittelbaren Exponenten, die schon unter Brüning bei der fortschreitenden Lähmung des Parlaments an Selbständigkeit außerordentlich gewonnen haben, stellen sich die bange Frage, wann sie ihre Macht an die aufsteigende Bewegung werden abtreten müssen. Kontrollierter Faschismus, Bündnis der konservativen und reaktionären Gewalten mit der Massenbewegung, die alle Elemente vereinigt, die sich in der Republik deklassiert fühlen, die durch die Wirtschaftskrise sich depossediert [1] sehen, die von der Macht der Arbeiterklasse unter der demokratischen „Herrschaft der Zahl“ sich bedroht glauben, wird das Ziel. Der Faschismus soll die Regierungsverantwortung gerade in der schwersten Zeit der Wirtschafts<3>krise mittragen, sein Anwachsen als Volksbewegung dadurch gehemmt werden. Das Ministerium Brüning, das letzte, das ohne Konflikt mit dem Parlament noch bestehen kann, wird gestürzt, ein politisches Abenteuer beginnt, dessen Ausgang nicht vorauszusehen ist.

Hitler erstrebt den Alleinbesitz der Macht; das Ministerium Brüning ist das erste Hindernis, das beseitigt werden muß. Sein Nachfolger wird ein Uebergang sein. Die Neuwahlen sollen auf dem legalen Weg die Macht der Partei zur ausschlaggebenden machen, die Aufhebung des Verbots der faschistischen Wehrverbände das revolutionäre Machtmittel ihr wiedergeben, die Vereinigung der preußischen Polizei- und Verwaltungsmacht mit der Reichsmacht die wichtigste Voraussetzung für das Funktionieren des totalen Staates schaffen. Unter diesen Bedingungen ist Hitler einverstanden. Er sagt die Unterstützung zu und nur durch diese Zusage tritt die Regierung von Papen ins Leben. Der rein reaktionäre Flügel des konterrevolutionären Lagers ergreift allein die Staatsmacht. Herr Hitler hat sie ihm überlassen, um – den Wahlsieg zu organisieren und seine Kampftruppen in aller Legalität verstärken zu können.

La légalité le tue – die Gesetzlichkeit tötet ihn.

Hitler verfügt über die stärkste Partei des Reichstags, über ein Drittel der Mandate. Mehr: der Reichstag ist durch seine drei Diktaturparteien, Nationalsozialisten, Deutschnationale und Kommunisten, arbeitsunfähig, das „System“ ist vernichtet, die Verfassung kann nicht funktionieren und Herr von Papen proklamiert den Tatbestand: die neue autoritäre Staatsführung wartet auf ihren faschistischen Partner.

Am 13. August steht Hitler vor Hindenburg, wie zehn Jahre früher Mussolini vor dem König. Der Deutsche spielt dasselbe Stück wie der Italiener: Abdankung der Staatsmacht in die Hände des Faschismus. Aus der italienischen Tragödie wird das deutsche Satyrspiel [2]. Herr Hitler geht die Treppe des Palais hinunter – es ist der Absturz des Faschismus.

Hitler hatte selbst dem Ministerium Papen in den Sattel geholfen, seine Bewegung zum Piedestal [3] gemacht, auf dem sich die alte Reaktion erheben konnte. Jetzt sollte diese vor ihm kapitulieren? Die herrschgewohnte Schicht der preußischen Junker, die Spitzen der Bürokratie, die Generalität sollten bedingungslos, ohne Zwang der plebejischen Massenbewegung das Feld räumen? Mussolini war nach Zerschlagung der gegnerischen Organisationen, nach dem Marsch auf Rom vor dem König erschienen. Und der König dankte in seine Hände ab, weil es die italienische Generalität verlangte. Aber die <4> deutsche Staatsmacht war unerschüttert, nicht zuletzt dank der Taktik Hitlers selbst. Ohne die Revolution die Resultate der Revolution zu fordern – diese politische Konstruktion konnte nur im Gehirn eines deutschen Politikers entstehen.

Der geschlagene Hitler sucht sich aufs Neue in die Legalität zu retten. Aber Legalität, das ist jetzt der Kampf gegen die Autorität, gegen die Diktatur, gegen den Nationalismus – es ist der Kampf gegen die faschistische, für die demokratische Ideologie. La légalité le tue. Bei der zweiten Reichstagswahl verliert Hitler zwei Millionen Stimmen, der Nimbus der Unaufhaltsamkeit ist zerstört, der Abstieg hat begonnen.

Die Regierung Papen ist die Regierung der Restauration. Sie ist es von Anfang an und ihr Konflikt mit dem Nationalsozialismus verschärft noch diese Haltung. Sie ist im Reichstag völlig isoliert, aber ihre Stellung in der Gesellschaft ist stärker als sie politisch zum Ausdruck kommt. Sie ist Exponentin der agrarischen Interessen und bringt durch die Steuergutscheine, den Abbau der Sozial- und Arbeitslosenrenten, die Durchlöcherung des Tarifvertrags einen großen Teil der Bourgeoisie hinter sich. Die hohe Bürokratie unterstützt eine Regierung, die durch den Kampf gegen das „Parteibuchbeamtentum“ ihr bedrohtes Monopol auf die Verwaltung wieder herzustellen verspricht, und die Führung der Reichswehr wahrt durch sie ihre Stellung als entscheidender und beherrschender Faktor in einer erschütterten politischen Welt. Ihre Außen- und Wehrpolitik sichert ihr Sympathien, die bisher allein der nationalsozialistischen Haltung gegolten haben. Aber die Politik der Restauration zerstört rasch und gründlich die von ihr eben geschaffenen Grundlagen der gesellschaftlichen Stellung, bevor diese sich noch in eine politische umsetzen kann. Die agrarische Diktatur, unter der sie steht, treibt den handelspolitischen Gegensatz zwischen Landwirtschaft und Industrie ins Unerträgliche; ihre Kampfansage gegen die Arbeiterschaft erzeugt eine rasch ansteigende Erregung und Erbitterung, die gefährlichen Umfang annimmt; ihre Machtpolitik will die Verfassungsreform zu einem ostelbischen Zentralismus gestalten, wie er in Deutschland nie erhört war, und ruft den Widerstand der Länderregierungen wach; ihre Finanzpolitik, namentlich die Unbekümmertheit, mit der sie die fortschreitende Zerrüttung der Kommunalfinanzen vor sich gehen läßt, weckt immer größere Besorgnisse; die gewagte Außenpolitik ist eine schlechte Vorbereitung für die Lösung der deutschen Wirtschaftsprobleme, die ohne internationale Zusammenarbeit nicht gefunden werden kann. Und bei alledem hat sich die innerpolitische Krise noch ins Ungeahnte verschärft, hat der Versuch der Heranziehung <5> der „wertvollen, nationalen, aufbauwilligen Elemente“ mit ihrer wilden Rebellion geendet, die sie zeitweilig bis an die Seite der Kommunisten heranbringt. Die „Wirtschaft braucht Ruhe“ und Herr von Papen hat in seinem leichtsinnigen Dilettantismus alle Herdfeuer der Unruhe zu hellem Brand entfacht. Die zweite Reichstagswahl, deren volle politische Bedeutung erst später sich manifestiert, zeigt die völlige Isolierung der Regierung der Restauration. Sie sinkt in sich zusammen.

Die Art der Entstehung der Krise enthält die Bedingungen ihrer Lösung. Drei Möglichkeiten scheinen gegeben. Einmal die Rückkehr zur parlamentarischen Regierung. Der Reichspräsident fordert Hitler als präsumtiven [4] Reichskanzler zur Bildung einer Mehrheitsregierung auf. Dieser Versuch wird nicht einmal ernstlich unternommen. Er scheitert nicht an den staatsrechtlich sicher unzulässigen Bedingungen des Reichspräsidenten, sondern an dem Wesen einer faschistischen Partei. Der Faschismus besteht aus einer Sammlung sozial, wirtschaftlich und sogar ideologisch ganz disparater Elemente zur Eroberung der Staatsmacht. In der Opposition sichert der Faschismus den verschiedenen Gruppen die Erfüllung ihrer entgegengesetzten Wünsche zu. In der Machtausübung muß er zwischen den entgegengesetzten Interessen entscheiden. Die soziale Differenziertheit muß die Einheit der Sammelpartei sprengen, wenn die einzelnen Gruppen auch nach der faschistischen Machtergreifung ihre Interessen politisch wirksam vertreten dürfen. Deshalb kann der Faschismus, zur Macht gekommen, die Macht nur behaupten als unumschränkte Diktatur. Als Faschist hat Hitler deshalb recht, wenn er die volle und unumschränkte Machtausübung fordert. Aber die Macht des deutschen Faschismus im Verhältnis zur Staatsmacht hat seit dem 13. August noch eine weitere Verringerung erfahren. Das Spiel vom 13. August wiederholt sich und Hitler ist wieder der Geschlagene. Er wird unter weit ungünstigeren Bedingungen nochmals auf die „Legalität" zurückgeworfen. Er muß die Rolle einer parlamentarischen Oppositionspartei weiterspielen. Das zwingt ihn an die Seite der Kommunisten. Gemeinschaft mit den Kommunisten, Ausnutzung dieser parlamentarischen Mehrheit zum Sturz der autoritären Präsidialregierung ist aber für die faschistische Partei verderblich. Sie kann das Parlament im Bunde mit den Kommunisten funktionsunfähig erhalten, aber sie erhält damit zugleich die Notwendigkeit der „Präsidialregierung“, die sie außerparlamentarisch zu beseitigen zu schwach ist. Will sie aber das Parlament funktionsfähig machen, so muß sie sich – offen oder getarnt – einordnen in eine parlamentarische Mehrheit, muß die Verantwortung für Tolerierung oder Koali<6>tionspolitik übernehmen, in der sicheren Voraussicht, daß die Gegensätze in ihren Reihen allmählich ihre Sprengwirkung entfalten. Es ist dieses Dilemma, das in dem Streit zwischen Gregor Straßer und Hitler zum Ausdruck kommt, dessen Wirkungen bei allen Wahlen mit fast überraschender Stärke sich äußert.

Die zweite Möglichkeit war das Festhalten an der Regierung Papen. Es hätte den Versuch bedeutet, die Restauration auf einem Wege fortzusetzen, der zum offenen Verfassungsbruch hätte führen müssen, der ein Zusammenfließen der Volksmassen zu einer rebellisch-revolutionären Masse bewirkt, die Staatskrise aufs Aeußerste zugespitzt hätte. Die Inhaber der Staatsmacht, die Generalität, die hohe Bürokratie schreckten davor zurück und setzten ihre Auffassung schließlich gegen den Repräsentanten der Staatsmacht, den Reichspräsidenten, durch, der in Verkennung der Situation bis zuletzt an Herrn von Papen festgehalten hatte. So ergab sich die Lösung der Krise durch die Bildung der Regierung Schleicher.

Der Sturz Papens ist ein Erfolg der gegen ihn gerichteten Volksbewegung. Kein Erfolg der Demokratie in dem Sinne, daß die politischen Parteien, die für die Verfassung eintreten, stark genug waren, um diese Regierung zu beseitigen. Wohl aber ein Erfolg der Demokratie, weil diese Regierung an dem Widerstand der breiten Massen, an dem völligen Fehlen jeder Massengrundlage zerbrach. Es war ein Sieg des Demos gegen den Absolutismus – nur daß dieser Sieg nicht verfolgt werden konnte wegen des Gegensatzes der Kräfte, der nur im Kampf gegen diese Regierung einen Moment lang überbrückt war.

Trotzdem: der Sturz Papens hat bewiesen, daß eine Regierung der Restauration in Deutschland nicht mehr möglich ist; sein Verschwinden hat zugleich die Politik Hugenbergs, der sich bereits vor seinem Sieg glaubte, um den Erfolg gebracht. Er hat vor allem gezeigt, daß auch die verselbständigte Staatsmacht keine Politik gegen das Volk machen kann, und in diesem Sinne war Papens Sturz ein Sieg der demokratischen Kräfte.

Das zeigt auch das Verhalten der Regierung Schleicher. Sie versucht gerade die eigentliche Restaurationspolitik zu liquidieren. Preisgabe der Verfassungsreform, der schlimmsten sozialpolitischen Maßnahmen, Beseitigung der Sondergerichte, Amnestie. Daß es zum Teil dieselben Personen sind, die für die Restaurationspolitik mitverantwortlich waren, macht die Aenderung nur noch auffälliger und zeigt, daß sie in den objektiven Bedingungen, die zum Sturz Papens geführt haben, begründet ist.

<7> Die Stellung der Regierung Schleicher weist in ihrer Stellung zum Reichstag eine gewisse Analogie zu den Obrigkeitsregierungen der kaiserlichen Zeit auf. Die Entschlüsse des Reichstags sind für das Schicksal dieser Regierung nicht das Entscheidende. Im Konfliktsfall ist der Reichstag der politisch schwächere Teil, gegen den sich die Regierungsgewalt zu behaupten suchen wird. Die Sozialdemokratie steht zu der Obrigkeitsregierung in Opposition. Der Gedanke einer parlamentarischen Tolerierung ist schon deshalb absurd, weil dazu alle Voraussetzungen fehlen. Kommunisten und Nationalsozialisten verfügen über die Mehrheit für Mißtrauensvoten und für Aufhebung von Notverordnungen. Tolerierung oder Mitarbeit ist keine Erwägung für die Sozialdemokratie, sondern für die Nationalsozialisten.

Aber mit der Opposition gegen die Präsidialregierung ist das politische Problem nicht erschöpft. Die Situation ist nicht so einfach wie zur Zeit, als das liberale Bürgertum seinen Kampf gegen den Absolutismus für das parlamentarische System gekämpft hat. Die Präsidialregierungen sind in Deutschland nur möglich, weil das Parlament durch die Diktaturparteien, die Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Kommunisten, außer Funktion gesetzt ist. Der Kampf gegen die Präsidialregierung muß also verbunden sein mit dem Kampf um ein arbeitsfähiges Parlament und das erfordert Kampf gegen die Diktaturparteien. Denn die Präsidialregierungen sind das Sekundäre, das Primäre ist die Lahmlegung des Parlaments.

Für die Sozialdemokratie handelt es sich dabei um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Kommunisten. Deshalb versagt jetzt die Einheitsfrontparole, die in den ersten Nachkriegsjahren zur Zeit der Uebermacht der Sozialdemokratie und der unerschütterten Autorität der Gewerkschaften noch ihren Sinn haben konnte, aber jetzt nur Verwirrung stiften kann. Die Kommunisten suchen eine Einheit der Arbeiterbewegung auf unmittelbar revolutionärer Basis zur revolutionären Aktion der sofortigen Machtergreifung. Dazu brauchen sie die Unterordnung der Arbeiter unter die Führung der revolutionären Avantgarde, der kommunistischen Leitung. Die Einheit setzt also die Unterwerfung der sozialdemokratischen Massen unter ihre Führung, die Zerstörung der Sozialdemokratie, ihres Wesens, ihrer organisatorischen Selbständigkeit voraus. Wenn wir Sozialdemokraten von Einheit sprechen, so denken wir an die Einheit einer Arbeiterbewegung in ihrem Kampfe für die von ihr selbst, in demokratischer Selbstbestimmung jeweils gesetzten Ziele. Dieselben Worte bezeichnen ganz verschiedenen Inhalt. In der gegen<8>wärtigen Situation aber sich auf pseudo-revolutionäre Aktionen einzulassen, hieße dem Faschismus zum sicheren Siege im Bunde mit der Staatsmacht verhelfen – ein Spiel, dem wir uns von Anfang an versagen müssen, denn es endete nicht in der Revolution, sondern in der Konterrevolution.

Die Aufgabe ist nicht leicht. Es widerstrebt dem Arbeiter, den Kampf gegen die eigenen Klassengenossen zu führen, und dies erst recht angesichts der faschistischen Gefahr, die nichts dringender erforderte als die Einheit der proletarischen Aktion. Aber die Erfüllung der Aufgabe ist unerläßlich, weil die Taktik der kommunistischen Führung zugleich die parlamentarische wie die außerparlamentarische Aktionskraft der Arbeiterklasse lähmt. Denn der immer erneute Versuch, die „Einheitsfront“ zur Entlarvung der sozialdemokratischen Führung, zur Abtrennung der sozialdemokratischen Massen auszunutzen, die „echt revolutionäre Haltung“ der Kommunisten mit dem „Verrat der Sozialdemokraten“ zu kontrastieren, verwandelt naturgemäß jede außerparlamentarische Aktion in ein putschistisches Abenteuer. Deshalb ist der grundsätzliche Kampf gegen die kommunistische Führung, das Ringen um den kommunistischen Arbeiter nur die andere Seite des Kampfes gegen die Präsidialregierung, des Kampfes um die Zurückeroberung der Demokratie, die, neu erobert und neu gesichert, erst wirklich der Kampfboden wird, auf dem die Arbeiterklasse ihre Ziele erreichen kann.

Unterdessen bleibt die politische Situation labil und ungewiß. Die Wirtschaftskrise stellt die Regierung Schleicher vor Probleme, bei deren Lösungsversuchen sie ebenso ihre Position verlieren kann wie ihre Vorgängerin, und die Gefahr, die schon bei der Regierung Papen gegeben war, kann aufs Neue erstehen, die Rettung zu suchen in dem Abdanken in die Hände des Faschismus. Es ist ja überhaupt das Charakteristische der Zeit, daß zwischen dem Lauf der Wirtschaftskrise und dem Ablauf der rebellischen Auflehnung, die sie auf dem politischen Feld erzeugt hat, eine Art Wettlauf stattfindet, und es im Ungewissen bleibt, ob die Krise zu Ende geht, bevor die Rebellion ihren Weg genommen hat.

So stehen wir zwischen den Entscheidungen. Die faschistische Bewegung ist in Deutschland aus der Staatsmacht, deren Ergreifung so unmittelbar bevorzustehen schien, ferngehalten worden dank der Taktik der Sozialdemokratie, die durch ihre Tolerierungspolitik den Zusammenschluß des Bürgertums zu einer reaktionären Masse unter faschistischer Führung vermieden und den Eintritt der Faschisten in die Regierung während ihres Aufstiegs verhindert hat. Dieselbe Taktik hat das Zentrum in seiner Opposition gegen die Re<9>gierung der Restauration festgehalten und damit diese der Stütze der einzigen festgefügten bürgerlichen Partei beraubt. Die Nationalsozialisten aber sind in die Legalität gebannt, die ihnen nur die Wahl läßt, als dienendes Glied in einem Bürgerblock den beginnenden Abstieg zu beschleunigen oder ihm in einer Opposition erst recht nicht zu entgehen, die ihre ungeduldig auf Rettung wartenden Anhänger enttäuscht. Es ist dieser beginnende Abstieg, der die Gefahr des Kompromisses zwischen Hitler und Schleicher verringert, denn die absteigende Partei hat die Chance, die Alleinmacht durch die Verdrängung ihrer Regierungspartner doch noch zu erobern, in verschwindend geringerem Maße als die aufsteigende.

So sind die bisherigen Entscheidungen gegen den Faschismus und gegen die Restauration gefallen. Ihre endgültige Gestalt wird aber die politische Entwicklung erst von den wirtschaftlichen Ereignissen erfahren.


Notes

1. Enteignet.

2. Groteske.

3. Sockel.

4. Möglichen.


Leztztes Update: 2.3.2013