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Die Interessen der Bourgeoisie und die der katholischen Kirche kreuzen sich in mannigfachster Weise vermöge der Rolle, welche die Kirche als Herrschaftsorganisation, durch ihre ökonomischen Funktionen, ihre Internationalität und endlich durch ihre reaktionären Sympathien spielt.
Betrachten wir zunächst den letztgenannten Punkt. Wie dem Proletariat steht die katholische Kirche seit dem Ausgang des Mittelalters auch jeder anderen revolutionären Klasse feindlich gegenüber, da der Höhepunkt der mittelalterlichen Staats- und Gesellschaftsordnung den Höhepunkt ihrer Macht und daher das Ideal bildet, dem sie immer wieder zustrebt. Die aufstrebende Bourgeoisie hat am meisten dazu beigetragen, diese mittelalterlichen Ordnungen zu überwinden, mit ihr hat daher die Kirche die erbittertsten Kämpfe ausgefochten, und je kühner und weiterblickend ein Denker der aufstrebenden Bourgeoisie war, desto intensiver auch sein Hass gegen die Kirche, welche für Voltaire und seine Freunde die „infame“ Einrichtung war, die es vor allem zu vernichten galt. In den Traditionen dieses Kampfes ist das Proletariat groß geworden, das ihn energisch mitkämpfte.
Indessen war von seinen Anfängen an der Gegensatz zwischen; Kirche und Bourgeoisie kein unbedingter und allseitiger. Das mittelalterliche Ideal der Kirche galt nur für Europa. In den andern Weltteilen gab es keine Traditionen und keine Klassen, die ihr die Rückkehr zur Vergangenheit hätten wünschenswert erscheinen lassen. Die Erschließung und Ausplünderung dieser Weltteile, die „Welt-Politik“, war für die kapitalistische Bourgeoisie von ihren Anfängen an ein Hauptmittel, Macht und Reichtum zu gewinnen. Dabei fand sie aber einen verständnisinnigen Helfer und Teilnehmer im Klerus, der mit dem Wachstum des Gebiets der Weltpolitik auch sein eigenes Herrschafts- und Ausbeutungsgebiet vergrößerte. Trotz allen Konkurrenzneides und zeitweiliger Verschiedenheiten der Herrschafts- und Ausbeutungsmethoden und trotz aller daraus hervorgehenden Reibereien sind doch im wesentlichen Kirche und Bourgeoisie in der Kolonialpolitik stets auf dem gleichen Boden gestanden. Dieselben Mächte, die in Europa einander erbittert. bekämpften, haben einander in den Kolonien gestützt und gefördert; der Missionar wurde der Pionier des Händlers und des Eroberers, und der Händler exportierte zu den Wilden ebenso gerne Bibeln wie Schnaps. Erst jüngst haben wir wieder deutliche Illustrationen der anscheinend so sonderbaren Tatsache gesehen, dass dieselben Mächte — Liberalismus und Klerikalismus — die in Europa so häufig gegeneinander Krieg führen, sich außerhalb Europas gegenseitig stützen. Dasselbe Ministerium Waldeck-Rousseau, das den Kampf gegen die Kongregationen aufnahm, führte gleichzeitig Krieg in China, um diesem Land dieselben Kongregationen aufzuzwingen, deren Bestehen in Frankreich es für unerträglich erklärte, und denselben Kongregationen, deren Güter in Frankreich es mit Konfiskation bedrohte, schenkte es eine Reihe von Millionen zur Entschädigung für ihre Verluste in China.
Ist aber in den Kolonien die Kirche ebenso — sagen wir: revolutionär — wie die Bourgeoisie, so hört diese in Europa auf, revolutionär zu sein. Sie wird konservativ, sie will den bestehenden Zustand erhalten und nur darin weiter entwickeln, dass sie seine Stützen zu verstärken sucht, durch Kartellierung, Weltpolitik, und so weiter. Mit denherrschenden Klassen hat sich aber, wie schon bemerkt, die Kirche stets abzufinden gewusst, wenn sie keine Aussicht hatte, zur Alleinherrschaft zu gelangen. Wie der Grundadel macht auch sie mit dem Großkapital ihren Frieden;, wie jener sucht auch sie die kapitalistischen Methoden immer mehr ihrer eigenen Ausbeutung und Herrschaft dienstbar zu machen, Freilich — und auch darin gleicht sie dem Grundadel — ihr mittelalterliches Sehnen bleibt doch bestehen und bricht immer wieder durch. Wo eine reaktionäre Klasse sich mit einiger Aussicht auf Erfolg gegen den bürgerlichen Liberalismus erhebt, kann sie auf die Unterstützung der Kirche rechnen. Innerhalb der Bourgeoisie selbst sympathisiert sie stets mit jenen Schichten derselben, die sich jedem politischen und sozialen Fortschritt entgegenstemmen. Immerhin kann man sagen, dass auch in Europa selbst in dem Maße, in dem die Bourgeoisie konservativer wird, der Gegensatz der Kirche zu ihr schwindet, soweit er aus dem revolutionären Wesen der ersteren entspringt.
Weniger als dieser wird jener Gegensatz zwischen den beiden Mächten durch die fortschreitende Entwicklung überwunden, der aus der Internationalität der katholischen Kirche hervorgeht.
Diese ist ein Kind des römischen Weltreichs, in dem während der Kaiserzeit alle Nationen, die zu ihm gehörten, zu einem einzigen großen Kulturkreis verschmolzen mit nur zwei Sprachen, der lateinischen und der griechischen. Jeder freie Angehörige des Reiches, welches immer seine Abstammung, mochte er ein Syrer oder Ägypter, Gallier oder Germane sein, war ein römischer Bürger. Diese Ausgleichung der Nationen fand ihren stärksten Ausdruck im Christentum, das alle neueren Tendenzen der Kaiserzeit vertrat und im Gegensatz zu ihren „heidnischen“ Traditionen entwickelte. Diese Internationalität ist dann eine mächtige Wurzel der Kraft der katholischen Kirche geworden, als sich auf den Trümmern des Römer Reichs in seiner westlichen, römisch sprechenden Hälfte zahlreich Staaten germanischer Stämme mit nur schwacher Staatsgewalt! bildeten. Nur die internationale Organisation der Kirche, die im Papsttum ihre Spitze fand, war imstande, zu verhindern, dass die abendländische Welt in innere Anarchie verfiel und von ausländischen Eroberern unterjocht wurde. Die Kirche rettete damals die Kultur Europas und erhob sie zu jener Höhe, auf der ein kräftiges Städtewesen mit blühender Industrie und ausgedehntem Handel sich entwickeln konnte. Damit zog sie aber ihren eigenen Gegner groß. Die aufstrebende Bourgeoisie bedurfte einer starken nationalen Staatsgewalt, stark nach innen wie nach außen; einer Staatsgewalt, die es vermochte, die Souveränität der einzelnen kleinen Gemeinwesen zu brechen und sie zu einer großen Nation zusammenzuschweißen, die es aber auch verstand, dieser Nation nach außen hin Geltung zu verschaffen, ihr Territorium zu sichern und ihr auf dem Weltmarkt einen ausreichenden Platz zu verschaffen. Der Ultramontanismus, das heißt die Abhängigkeit der Nation von dem jenseits der Alpen (ultra montes) residierenden Beherrscher der ganzen Christenheit, wurde nun das Objekt des Hasses der Bourgeoisie, jedes Landes, sobald sie sich stark genug fühlte, als gesonderte Nation sich ihren eigenen Weg zu bahnen. „Los von Rom“ wurde die Losung. An Stelle der Literatur und des Gottesdienstes in der internationalen Sprache der Kirche, der lateinischen, setzte man eine Literatur und einen Gottesdienst in der Volkssprache, an Stelle der internationalen römischen Kirche suchte man eine nationale kirchliche Organisation zu setzen.
Hierbei trat jedoch ein großer Unterschied zwischen der Weltgeistlichkeit und der Ordensgeistlichkeit zu Tage. Wir haben im ersten Kapitel die beiden Formen kennengelernt, die der Kommunismus in den Anfängen des Christentums annahm: Auf der einen Seite die Zusammenfassung einer Anzahl Frommer, die auf Ehe und Familie verzichteten, in dem gemeinsamen Haushalt eines Klosters, in dem sie sich von der übrigen Welt abschlossen; auf der andern Seite für die Masse der Gläubigen, die in der Welt blieben, die Bildung eines gemeinsamen Fonds, des Kirchenguts, das hauptsächlich dazu dienen sollte. Bedürftige zu unterstützen und gemeinsame Zwecke, zum Beispiel den Unterricht der Kinder, zu fördern.
Die Insassen der Klöster bildeten die Ordensgeistlichkeit, die Vorsteher der Gemeinden und Verwalter des Kirchenguts bildeten die Weltgeistlichkeit. Mit dem Wachstum der Kirche entwickelte sich die erste wie die zweite Kategorie zu einem ungeheuren Organismus; beider gemeinsamer Kopf war der Papst.
Wie in vielen anderen Dingen, so entfalteten auch in Bezug auf die Internationalität die beiden Kategorien einen verschiedenen Charakter. Der Weltgeistliche hatte wichtige soziale Funktionen zu erfüllen, bei den Ordensgeistlichen war dies oft nicht der Fall. Jener blieb mit seiner Existenz auf ein bestimmtes Territorium angewiesen; die Verschiedenen Orden hatten dagegen Besitz in aller Herren Länder. Endlich lebte der Weltgeistliche mit dem Volke, die Ordensgeistlichkeit war von ihm abgeschlossen. Ehe und Familie, also die Knüpfung verwandtschaftlicher Bande mit der weltlichen Bevölkerung, waren ihr durch das Wesen der klösterlichen Einrichtung selbst untersagt. Dagegen waren die Funktionen des Weltgeistlichen sehr wohl mit Ehe und Familie vereinbar. Stand auch, dem eigenartigen Kommunismus und dem asketischen Zuge des Urchristentums entsprechend, die Ehe bei der Kirche nie in großem Ansehen; galt der ehelose Stand als der höhere und heiligere, so hat doch, namentlich unter den Germanen, die das Christentum annahmen, die Lebensfreudigkeit immer wieder die Oberhand gewonnen; und der Kommunismus ist auf die Praxis des Christentums außerhalb der Klöster ohne Einfluss geblieben. Die Verheiratung der Weltpriester war daher auch in der katholischen Kirche bis ins zwölfte Jahrhundert gang und gäbe.
Aus alledem folgt, dass die Ordensgeistlichen, die Kongregationen, nationalen Einflüssen weniger unterworfen waren, als die Weltgeistlichkeit. Sie wurden vor allem die Träger des internationalen Charakters der Kirche und Schützer der internationalen Macht des Papstes. Die Weltgeistlichkeit mit ihren nächsten Häuptern, den Bischöfen und Erzbischöfen, zeigte sich stets widerhaariger gegen das Papsttum und entgegenkommender gegen die heimische Staatsgewalt, als die Orden. Um sie in jeder Beziehung unabhängiger von dem nationalen Milieu zu machen, suchten daher die Päpste schon frühzeitig der Weltgeistlichkeit dasselbe Zölibat aufzudrängen, das in den Klöstern bestand; dem großen Begründer des internationalen päpstlichen Absolutismus, dem Cluniacensermönch Gregor VII., gelang es schließlich, die Ehelosigkeit, wenn auch nicht die Keuschheit, der Weltgeistlichen zur Regel zu machen. Die Reformation, die Losreißung der kirchlichen Organisationen einzelner Länder von Rom, musste naturgemäß, schon im Gegensatz zum päpstlichen Internationalismus, abgesehen von anderen Gründen, die Ehe der Weltpriester wieder gestatten. Die Klöster aber hob sie auf.
Auch in den Ländern, die katholisch blieben, machen die Gegner der Kirche einen scharfen Unterschied zwischen der Weltgeistlichkeit und den Kongregationen. Diese letzteren sind es hauptsächlich, gegen die sich ihre Angriffe richten. Selbst die frömmsten Regenten haben mit ihnen Konflikte gehabt, wegen ihrer Unabhängigkeit von der heimischen Staatsgewalt. Dagegen ist die Weltgeistlichkeit auch in den katholischen Ländern Europas nie ausschließlich vom Papsttum abhängig gewesen; dieses hat sich stets einen gewissen Einfluss der Staatsgewalt auf ihre Leitung (bei der Wahl der Bischöfe und dergleichen) gefallen lassen müssen. Im Gegensatz dazu hat das Papsttum die Klostergeistlichkeit der einzelnen Länder möglichst der Oberhoheit der Bischöfe zu entziehen und in direkter Abhängigkeit vom römischen Stuhle zu bringen gesucht und vielfach auch gebracht.
Derselbe Unterschied zwischen Weltgeistlichkeit und Kongregationen zeigt sich auf dem dritten Gebiet, auf dem der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Kirche sich äußert, dem ökonomischen.
Die Kirche ist ein Mitglied der besitzenden Klassen geworden, das Kirchengut hat große Dimensionen angenommen. Gerade dadurch erregt es den Anstoß der Bourgeoisie. Und zwar richtet sich ihr Gegensatz gegen jede der beiden Formen des kirchlichen Besitzes: die feudale wie die kapitalistische.
Wir haben bereits die Gründe kennengelernt, welche die katholische Kirche reaktionär machen und sie an den mittelalterlichen Traditionen hängen lassen. Dadurch kann sie aber den Aufschwung der Bourgeoisie und des Kapitalismus gewaltig hemmen, und zwar mehr noch dadurch, dass sie die dem Arbeiter günstigen als dadurch, dass sie die ihn drückenden Seiten des Feudalismus konserviert. Dieser strebte wohl dahin, die juristische Gebundenheit des Arbeiters zu verstärken, aber solange die Naturalwirtschaft herrschte — und dies war der Fall in der Blütezeit des Feudalismus — blieb der Drang gering, die Arbeitslast des Arbeiters zu vermehren. Steigende Kultur und steigende Produktivität der Arbeit erzeugten damals, im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, in allen Klassen vermehrtes Wohlleben, die Freude am Leben und Lebenlassen, die sich in unzähligen Festtagen äußerte. An ihnen hielt die Kirche auch später noch hartnäckig fest, teils aus dem Trägheitsmoment, das bei jeder großen Masse stärker ist als bei einzelnen kleinen Teilchen, teils aus andern Gründen, von denen wir einen gleich kennen lernen. Der aufstrebenden Bourgeoisie waren aber diese Feiertage ein Dorn im Auge, da sie die Ausbeutung des Arbeiters einengten.
Nicht minder widerwärtig als durch die vielen Feiertage wurde der Bourgeoisie die katholische Kirche durch ihre Wohlfahrtseinrichtungen.
Wir haben bereits gesehen, dass der kirchliche Reichtum in seinen Anfängen nur zu gemeinnützigen Zwecken, namentlich der Unterstützung der Armen und Kranken, zur Erziehung der Jugend und dergleichen bestimmt war. Wohl wurde er im Laufe der Zeiten diesen Zwecken immer mehr entfremdet. Aber vollständig konnte doch die Kirche ihren Ursprung nicht verleugnen, gerade in ihr ist die Tradition eine große Macht; und so krass auch die breiten Bettelsuppen, die den Hungernden an den Klosterpforten ausgeteilt wurden, von den üppigen Mahlen abstechen mochten, die innerhalb dieser Pforten einen schlemmenden Klerus mästeten, das aufstrebende Kapital verlangte, dass außerhalb seiner Ausbeutungsstätten dem Besitzlosen überall, der Hungertod drohe. Ebenso wie die Feiertage der Kirche entzogen ihm die Wohltätigkeitsanstalten Arbeitskräfte des Proletariats, nach denen es verlangte.
Aber nicht bloß Arbeitskräfte entzog die feudale Kirche der Bourgeoisie, sondern auch Kapitalien. In den vorkapitalistischen Gemeinwesen äußert sich die Anhäufung von Reichtum in zwei Formen: in der von Grundbesitz und der von Schätzen, Gold, Silber, Juwelen. Diese letzteren wieder werden in verschiedener Weise aufgehäuft, je nach der Machtstellung des Besitzers. Der gesellschaftlich Schwache verbirgt sie, vergräbt sie oft, um sie vor Diebstahl und Plünderung zu bewahren; der Mächtige liebt es vielmehr, sie prunkend zur Schau zu trägen und dadurch sein Ansehen zu mehren, durch die Ausstellung seiner Hilfsmittel seine Freunde zu ermutigen und neue anzulocken, seine Gegner einzuschüchtern. Die katholische Kirche folgte darin nur den Sitten ihres Zeitalters; sie betrieb ebenso eifrig, wie die Vermehrung ihres Grundbesitzes, die Anhäufung von Schätzen, die bei ihr natürlich meist kirchliche Formen annahmen — kostbare Monstranzen, Messgewänder, Altar-schmuck und dergleichen — und ebenso liebte sie es, diese. Schätze in kirchlichen Festen zur Schau zu steiler; neben der Lebenslust und dem geringen Arbeitsdrang der besten Zeiten der Feudalität, die wir schon erwähnt, war diese feudale Prunksucht jedenfalls eine der Hauptursachen der zahllosen kirchlichen Festtage jenes Zeitalters, von denen, wie von dem kirchlichen Pomp, sich in. katholischen Ländern noch Reste bis heute erhalten haben.
Dem Bourgeois musste diese Anhäufung von Schätzen, die tot dalagen, statt als heckendes Kapital in Handel und Industrie verwertet zu werden, ein Gräuel sein, namentlich in den ersten Jahrhunderten des Kapitalismus, wo Kapitalien ebenso rar waren, wie brauchbare Lohnproletarier. Der Bourgeois begegnete sich in seiner Entrüstung über diese Schätze mit den oppositionellen, kämpfenden Proletariern seiner Zeit. Aber wie in so vielen andern Punkten war auch hier ihre gemeinsame Gegnerschaft gegen die Kirche sehr verschiedener Natur. Bekämpften diese den kirchlichen Prunk, weil sie jeder Ausbeutung und jedem Luxus feindlich gegenüberstanden, so ärgerte jene im Grunde nur der Umstand, dass die kirchlichen Schätze nicht zu neuer, kapitalistischer Ausbeutung angewendet wurden.
Indessen war dafür gesorgt, dass die Bäume des kirchlichen Reichtums nicht in den Himmel wuchsen. Freilich, die Kirche hatte einen guten Magen, und als unsterbliche Institution hatte sie nie lachende Erben, die ihren Reichtum teilen und vergeuden konnten. Sie wäre wohl so weit gekommen, den gesamten Reichtum der Christenheit zu verdauen, wenn sie nicht zeitweise ein kleiner Aderlass vor übermäßiger Vollblütigkeit bewahrt hätte. Von den Zeiten der Völkerwanderung an bis in die Napoleons war die Plünderung von. Kirchen und Klöstern ein beliebtes Mittel von Fürsten und andern Kriegsherren, ihre leeren Taschen zu füllen. Namentlich die Reformation hat da ausgiebig gewirkt. Es waren aber zumeist recht lockere Kumpane, die auf diese Weise die Schätze der Kirche ihrer frommen Bestimmung entfremdeten. Das edle Metall blieb nicht lange in ihren Taschen, bald zirkulierte es durch die Hände derer, denen in den letzten Jahrhunderten schließlich jede soziale Veränderung zugute kam, der Kapitalisten. Der Kirchenraub in seinen verschiedenen Formen ist ein sehr wichtiges Mittel, der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals geworden.
Bestand also ein scharfer ökonomischer Gegensatz zwischen der Bourgeoisie und der Kirche der Feudalzeit, und besteht er bis heute noch, insoweit diese noch an feudalen Traditionen hängt, so wurde der Gegensatz nicht minder scharf dort, wo einzelne klerikale Organisationen es verstanden, sich der kapitalistischen Ausbeutung anzupassen. Schon früh begannen sich einzelne Formen von klerikalem Kapitalismus zu entwickeln. Ja, man kann sagen, dass nördlich der Alpen klösterliche Betriebe die ersten Industriebetriebe waren, die kapitalistische Züge aufwiesen. Indessen gelang es erst den Jesuiten, nach der Reformation, bewusst und planmäßig die Methoden der kapitalistischen Ausbeutung, Handel, Industrie, Kolonialpolitik in den Dienst der Kirche oder vielmehr ihres Ordens zu stellen. Dadurch wurde dieser aber zu einem furchtbaren Konkurrenten des bürgerlichen Kapitals. Neben dem Reichtum und der internationalen Ausdehnung war es auch die Wohltätigkeit mancher Orden, die ihre Unternehmungen der bürgerlichen Konkurrenz in manchen Punkten überlegen machte. Ihre Wohlfahrtseinrichtungen hatten gerade die hilflosesten, unselbständigsten und rückständigsten Schichten des Proletariats in vollständige, nicht bloß ökonomische, sondern auch geistige Abhängigkeit von ihnen gebracht. Das waren Ausbeutungsobjekte, mit denen man alles anfangen konnte. Hatten die Wohlfahrtseinrichtungen der mittelalterlichen Kirche die Bourgeoisie empört, weil sie die Proletarier von der Lohnarbeit fernhielten und das Lumpenproletariat begünstigten, so empörten sie noch mehr die Wohlfahrtseinrichtungen des kapitalistischen Klerikalismus, welche die billigsten und unterwürfigsten Proletarier der Lohnarbeit für den weltlichen Kapitalisten entzogen, um sie der Ausbeutung durch die klerikale Konkurrenz zuzuführen.
Auch hier, bei dem ökonomischen Gegensatz zwischen Kirche und Bourgeoisie, ist dieser ein anderer für die Kongregationen als für die Weltgeistlichkeit. Allerdings, der feudalen Kirche steht der Bourgeois in allen ihren Teilen feindlich gegenüber. Anders dagegen verhält sich’s mit der nachfeudalen Kirche. Der kapitalistische Klerus wird vornehmlich von den Kongregationen repräsentiert. Diese sind von vornherein ihrem Wesen nach als gemeinsame Haushaltungen auch Wirtschaftsgenossenschaften. Soweit sie nicht ihr Einkommen aus irgendeiner Form des Bettels ziehen, müssen sie es durch ihre Produktion gewinnen. Die Haushaltsgenossenschaft wird zur Produktivgenossenschaft. Es geht aber mit den geistlichen Produktivgenossenschaften wie mit den weltlichen. Sobald sie gedeihen, hören ihre Mitglieder auf, selbst zu arbeiten, und lassen andere für sich schanzen, die ausgebeutet werden. Unter feudalen Verhältnissen geschieht das in feudalen Formen, unter kapitalistischen in kapitalistischen. Die Kongregationen sind also zum Betrieb der kapitalistischen Ausbeutung ihrer Natur nach ganz gut veranlagt.
Anders steht's mit der Weltgeistlichkeit. Der Weltgeistliche ist seiner Stellung und seinen Funktionen nach nicht Geschäftsmann, sondern Beamter. Wenn er in der Feudalzeit sein Einkommen neben Naturalabgaben aus dem ihm zugewiesenen Anteil am kirchlichen Grundbesitz bezog, so entsprach das ganz dem Wesen der damaligen Produktionsweise, unter der auch der weltliche Beamte den Lohn für „seine Dienste durch Belehnung mit einem bestimmten Grundbesitz erhielt. Der Unterschied zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Beamten war nur der, dass der weltliche den verliehenen Grundbesitz, damit aber auch sein Amt einem seiner Söhne zu sichern suchte, so dass wir in der Feudalzeit das Bestreben sehen, alle mit Grundbesitz verbundenen Ämter vom König abwärts erblich zu machen. Bei der Geistlichkeit ließ ihre Ehelosigkeit gleiche Tendenzen nicht aufkommen. Oder vielmehr, um diese Tendenzen nicht aufkommen zu lassen, wurde ihr die Ehelosigkeit aufgezwungen, für die allerdings auch noch andere Gründe sprachen.
Als aber dann die Geldwirtschaft aufkam und mit ihr die Lohnarbeit, da lag es nahe, auch die Beamten statt mit Grundbesitz mit Geld zu entlohnen. Ihre Abhängigkeit von dem „Brotgeber“ wurde dadurch erheblich gesteigert. Sein Grundbesitz hatte den feudalen Beamten ein für allemal ökonomisch sichergestellt, sein Gehalt wird dagegen dem modernen Beamten monatlich ausgezahlt; man kann ihm jederzeit den Brotkorb höher hängen oder ihn völlig subsistenzlos machen. Unter „der Feudalwirtschaft neigte daher der mit Grundbesitz beliehene Beamte stets zur Unbotmäßigkeit gegen den Lehnsherrn. Erst die Geldwirtschaft ermöglichte eine völlig vom Staatsoberhaupt abhängige Bürokratie und damit das Auf kommen des Absolutismus. Und was für den Verwaltungsdienst, gilt auch für alle andern Zweige der Herrschaftsorganisation. Aus dem Heer feudaler, selbstherrlicher Vasallen wurde ein Heer mit bezahlten Offizieren, die blindlings auch im Frieden jedem Kommando von oben zu gehorchen haben. Dasselbe versuchte der fürstliche Absolutismus mit der Kirche. Der Weltgeistliche wurde zum bezahlten Beamten, wobei die Staatsgewalt nicht bloß den Vorteil hatte, ihn von sich abhängig zu machen, sondern auch den, die Kirchengüter, die zur Erhaltung des Klerus gedient, an sich reißen zu können.
Diese Verstaatlichung des Klerus konnte sich jedoch nur auf die Weltgeistlichkeit beziehen, welche die Funktionen von Beamten verrichtete, nicht auf die Kongregationen, die nicht als Beamte, sondern als Erwerbsgesellschaften tätig waren. Ihnen gegenüber hatte die neu aufkommende Staatsgewalt nur die Wahl, sie entweder zu vernichten oder sie als ökonomisch unabhängige damit aber auch politisch selbständige Teile der Kirche fortbestehen zu lassen.
So sehen wir auch hier wieder denselben Unterschied zwischen Weltgeistlichkeit und Kongregationen auftauchen, den wir schon bei der Betrachtung der Internationalität der römischen Kirche beobachtet.
Die Kirchenpolitik der Bourgeoisie ergibt sich unschwer aus dem Gesagten. Wo und solange sie revolutionär ist, das heißt, der bestehenden Staatsordnung feindlich gegenübersteht, steht sie auch der gesamten Kirche feindlich gegenüber; nicht bloß den Kongregationen, sondern auch der Weltgeistlichkeit, die im Dienste des bestehenden Regimes die aufstrebenden Volksklassen niederzuhalten sucht. Sobald sie selbst herrscht, sucht sie sich auch aller Herrschaftsmittel und Herrschaftsorganisationen zu bemächtigen, hat sie keinen Grund mehr, deren Einfluss auf das Volk zu mindern. Es fällt ihr nicht mehr ein, Bürokratie und Militarismus einschränken zu wollen, sie weiß sich aber auch mit der Weltgeistlichkeit abzufinden, und nur die Kongregationen bleiben ihr ein Dorn im Auge. Nicht mehr die ganze Kirche erscheint ihr als die infame Einrichtung, die es zu vernichten gilt, nur der selbständige, von der Staatsgewalt unabhängige Teil der Kirche erregt ihre Entrüstung. Aber auch die ist vorwiegend nur traditionell und flaut immer mehr ab. Je internationaler das Kapital, desto ungefährlicher ihm gegenüber die Internationalität der Kirche. Den ökonomischen Bedürfnissen des Kapitals hat diese sich sehr gut anzupassen gewusst. Die Zahl der Feiertage ist selbst in des katholischsten Gegenden bedeutend reduziert worden. Die Wohltätigkeitsanstalten der Kirche genieren auch nicht mehr, da dein Kapital heute genügende Mengen Proletarier zu Gebote stehen, diese Wohltätigkeitsanstalten sind heute dem Kapital sogar sehr willkommen, weil sie ihm die Armenlasten verringern. Die Kapitalistenklasse hat auch keine Ursache mehr, nach den Schätzen der Kirche gierig auszuschauen, denn die Massen von Kapital sind so ungeheuer angeschwollen, dass das Kirchenvermögen daneben sich sehr bescheiden ausnimmt. Die Akkumulation des Kapitals geht so rasch vor sich, dass die Kapitalistenklasse der künstlichen Nachhilfe durch Einziehung von kirchlichem Vermögen nicht mehr bedarf. Und die geschäftliche Konkurrenz der Kongregationen braucht das Kapital erst recht nicht mehr zu fürchten. Sie vollzieht sich nicht auf den Gebieten der Großindustrie, sondern meist auf dem Gebiet der Produktion von geringfügigen Spezialitäten — zum Beispiel Schnäpsen — oder in rückständigen Produktionszweigen, in denen noch die Hausindustrie vorherrscht.
Auf der andern Seite wächst das Proletariat an Zahl und Kraft immer drohender an, da verspürt die Bourgeoisie immer weniger Lust, an ihren Herrschaftsinstitutionen zu rütteln. Dem Volke muss die Religion erhalten bleiben. Der Wille und die Kraft zu einem energischen Kampfe gegen die Kirche schwinden ihr immer mehr.
Trotzdem kommt es hoch von Zeit zu Zeit zu einem solchen.
Ich habe schon einmal an anderer Stelle ausgeführt, dass eine der Eigentümlichkeiten der Bourgeoisie darin besteht, dass sie zwar herrscht, aber nicht regiert, nicht die Funktionen einer herrschenden Klasse ausübt. Sie überlässt diese andern Klassen, die sie entweder eigens zu diesem Zweck geschaffen oder von früher her übernommen und sich dienstbar gemacht hat; zu den ersteren gehören Journalisten, Professoren, Bureaukraten, zu den letzteren Offiziere und Geistliche. Aber jede große Körperschaft hat das Bestreben, selbständig und für sich Selbstzweck zu werden und zeitweise gegen jene zu rebellieren, denen sie nur Mittel zum Zweck ist. Die Herrschaftsmittel der Bourgeoisie rebellieren, gelegentlich gegen ihre Herren, und am unbotmäßigsten erweist sich darunter die katholische Kirche, dank ihren Traditionen, ihren reaktionären Sympathien und ihrer Macht, wobei die Kongregationen, als ökonomisch stärkster und unabhängigster Teil, stets im Vordergrund der Rebellion stehen. Man darf sich aber durch den Lärm, den diese Kämpfe erregen, nicht irremachen lassen, es sind Zänkereien zweier Eheleute, die einander brauchen, und die voneinander nicht lassen können. Ernstlichen Schaden dabei kann nur ein dritter Teil erleiden, das kämpfende Proletariat, wenn es den Zwist ernsthaft nimmt und darauf eine neue Taktik begründet.
Das Proletariat Schulter an Schulter mit der Bourgeoisie in den Kulturkampf führen, heißt, seinen revolutionären Drang irreführen und seine revolutionäre Kraft nutzlos verschwenden. Es heißt, ihm eine Katzbalgerei zwischen Bourgeoisie und Kirche als eine große, welterlösende Tat vorspiegeln, heißt, alle seine Kraft auf eine Aufgabe konzentrieren, bei der nichts herauskommen wird und nichts herauskommen kann. Denn die Bourgeoisie kann den Kampf gegen die Kirche nicht siegreich führen, weil sie die Kirche braucht, sie kann nicht als konservative Macht eine revolutionäre Tat leisten, die sie selbst als revolutionäre Macht nicht erfolgreich zu vollenden wusste.
Und Bourgeoisie und Proletariat können den Kampf gegen die Kirche nicht gemeinsam führen, weil die Klassenlage des Proletariats eine ganz andere Kirchenpolitik erfordert, als die der Bourgeoisie.
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Zuletzt aktualisiert am 7.1.2012