Karl Kautsky

Neue Programme


3. Methoden und Ziele des Kampfes gegen den Faschismus


Ehe wir an die Kritik der neuesten diktatorischen Richtung in unserer Partei herangehen, ist es vor allem notwendig, unzweideutig klar zu legen, was sie eigentlich will. Sonst laufen wir Gefahr, uns in Mißverständnisse zu verstricken, die bloß böses Blut bei den Kritisierten hervorrufen, ohne eine Klärung der Anschauungen zu fördern, die unerläßlich ist.

Zunächst ist streng zu unterscheiden zwischen den Aufgaben, die der Kampf gegen das Hitlerregiment erheischt, und den Aufgaben, die nach seiner Besiegung erstehen werden. Nur von den letzteren handelt Genosse X.

Welche Methoden der Kampf gegen die faschistische Diktatur erheischt, läßt sich augenblicklich schwer feststellen. Die modernen Diktaturen sind etwas so neues, unerhörtes in der Weltgeschichte, daß zu erwarten ist, auch die Art ihrer Überwindung werde ganz neue, bisher unerhörte Formen annehmen. Wir werden in dieser Beziehung aus unseren Versuchen noch viel zu lernen haben.

Der Kampf gegen den Faschismus erheischt unbedingt illegale, geheime Organisationen. Wenn diese nicht bloß der Propaganda dienen, sondern Erhebungen gegen die Diktatur vorbereiten wollen, werden sie zu Verschwörungen. Diese ebenso wie Kriege, also auch Bürgerkriege, erheischen diktatorische Befugnisse der Leiter. Krieg und Verschwörung waren stets der Demokratie ungünstig. Das ist sicher zu bedauern, kann uns aber nicht hindern, wirksame Mittel zur Bekämpfung des Faschismus auch dann in Anwendung zu bringen, wenn ihre Durchführung nur mit diktatorischen, undemokratischen Methoden möglich ist. Es wäre sehr unzweckmäßig, in dieser Hinsicht jede Diktatur von vornherein abzulehnen.

Darüber sind wir in der Partei wohl alle einig. Offen ist die Frage, welches politische Ziel wir bei dem Kampf gegen den Faschismus aufrichten und propagieren wollen: Die Eroberung der Demokratie oder die Ersetzung der Hitlerschen Diktatur durch eine „Marxistische“ Diktatur?

Das sind zwei sehr verschiedene Fragen: Mit welchen Mitteln der Kampf gegen Hitler zu fuhren und um welches politisches Ziel er geführt werden soll. Beide sind scharf auseinander zu halten. Man kann sehr wohl anerkennen, daß im Kampf gegen Hitler demokratische Mittel nicht am Platze, ja überhaupt nicht möglich sind und doch die Notwendigkeit der Demokratie als Kampfziel verfechten. Nicht wenig Konfusion entspringt daraus, daß man in der Diskussion nicht immer beide Gesichtspunkte klar scheidet und meint, wenn die Demokratie als Kampfmittel gegen den Faschismus dort versage, wo er herrscht, sei damit erwiesen, daß sie auch dort versagen müsse, wo wir den Faschismus überwunden hätten.

Es ist ganz selbstverständlich, daß wir mit demokratischen Mitteln dort nicht kämpfen können, wo solche Mittel fehlen. Es ist in letzter Zeit Öfter, auch auf der Pariser Konferenz, der Gegensatz aufgestellt worden von demokratischen und revolutionären Mitteln. Man meinte, die einen unter uns wollen prinzipiell nur demokratische, die ändern nur revolutionäre Mittel. Unter solchen versteht man offenbar Insurrektion und Generalstreik. Aber diese Gegenüberstellung von Demokraten und Revolutionären ist nicht minder verkehrt, als die von Reformisten und Revolutionären. Sozialistisch-revolutionär ist unser Ziel. Ob wir für dieses Ziel reformistisch oder revolutionär arbeiten, hängt nicht immer in unserem Denken, stets aber in der Praxis von der jeweilig gegebenen Situation in Staat und Gesellschaft und den Machtverhältnissen der Klassen ab, die wir nicht nach Belieben bestimmen können. Davon hängt es aber auch ab, ob wir demokratische oder „revolutionäre“ Mittel in Anwendung bringen.

Solange in den Staaten des europäischen Festlandes im vorigen Jahrhundert das nötige Maß der Demokratie, das heißt Bewegungsfreiheit der Massen nicht erreicht war, erschienen gerade die Demokraten als die Revolutionäre, als diejenigen, die für die Demokratie mit revolutionären Mitteln kämpften, weil sie mit anderen Mitteln nicht erreichbar war. Damals war der Begriff des Demokraten und des Revolutionärs identisch.

Anderseits ist es einfach lächerlich, sich in Erinnerung an jene alten Zeiten verpflichtet zu fühlen, auch weiterhin den gewaltsamen politischen Umsturz auch dort zu predigen, wo man die demokratische Republik erobert hat.

Es gibt Genossen, die auch in der Demokratie die Mittel der „Revolution“, Insurrektion oder des Generalstreiks zur Anwendung bringen möchten, weil sie meinen, daß diese Mittel eher zum Ziel, zum Sozialismus führen, als das Abgeben von Stimmzetteln, ja, daß unsere Gegner auch im demokratischen Staate schließlich nur der Insurrektion oder dem Generalstreik weichen werden. Und sie sind der Ansicht, durch Gewalttat könnten die Sozialisten sich bereits dann in einem demokratischen Staat durchsetzen, wenn sie noch eine Minderheit bildeten, wo also für sie die „Demokratie versage“. Und endlich behaupten sie, wir könnten die Mehrheit in großen Wahlkämpfen selbst dort nicht erlangen, wo das Proletariat an Zahl im Staat überwiege, solange unsere Gegner über ihre ökonomischen und intellektuellen Machtmittel verfügen.

Darauf ist zu entgegnen:

Sicher können die Machtmittel der Gegner, die ökonomische Abhängigkeit der Arbeiter von ihnen, die Überlegenheit in der Presse, für die dem Besitzenden weit mehr Geldmittel und Intellektuelle zur Verfügung stehen, als dem Sozialisten, können also ökonomischer Druck und Betrug die Wahlresultate auch bei weitgehender Demokratie verfälschen.

Aber eine sozialistische Partei, die nicht imstande ist, trotz dieser Hindernisse die Mehrheit in einem Wahlkampf bei vollkommener Demokratie zu erreichen, wird noch weniger imstande sein, die Mehrheit des Volkes in einem Kampf der Waffen oder einem Generalstreik für sich zu gewinnen. Denn in diesem Fall wirken die Machtmittel der Gegner noch weit stärker gegen uns, als bei einem demokratischem Wahlkampf. Der Weg der Gewalt verlangt vom Proletariat weit größere Opfer, als der der Demokratie.

Andrerseits aber brauchen wir bei der Anwendung der Methoden der Gewalt eine weit größere Mehrheit des Volkes, wollen wir uns durchsetzen. Da genügen nicht die so oft bespöttelten 51 Prozent, die in der Demokratie die politische Macht verleihn.

Gerade wo Gewalt gegen Gewalt geht, kommt die Überlegenheit der Machtmittel der herrschenden Klassen weit mehr zur Geltung, als in der Demokratie. Da können wir dieser Machtmittel nur Herr werden, wenn wir über eine ungeheure Mehrheit verfügen. Die Überlegenheit der Zahl, das ist die einzige entscheidende Waffe, über die das Proletariat in großen Entscheidungskämpfen verfügt. Wohl haben Proletarier nicht selten in Barrikadenkämpfe oder Generalstreiks gesiegt. jedoch nur dann, wenn sie Ziele verfochten, die nicht bloß dem Proletariat, sondern der Gesamtmasse des Volkes teuer waren, so daß diese sich für die Erhebung begeisterte. Das waren stets demokratische Ziele. Doch das allein genügte noch nicht, um im Gewaltkampf zu siegen. Es mußten auch Armeen und Bürokraten unsicher für die bestehende Regierung geworden sein.

Das war der Fall bei der Pariser Juli-Revolution 1830, sowie bei den Erhebungen des Februar und März 1848. Und später wieder traf es zu bei den Massenstreiks von 1905 in Rußland und 1920 in Deutschland.

Beide, Straßenschlacht wie Generalstreik, haben sich dagegen als untaugliche Mittel erwiesen, wenn sie von einer Minderheit des Volkes angewendet wurden, um nicht etwa einer moralisch bankerotten, sondern einer von der Mehrheit des Volkes getragenen Regierung ihren Willen aufzuzwingen. Dort, wo eine Regierung nicht bloß über die Machtmittel der Staatsgewalt verfügt, sondern auch noch die Mehrheit des Volkes hinter sich hat, ist an ihre Niederwerfung durch uns nicht zu denken. Und, wie schon bemerkt, bedarf die Sozialdemokratie um sich mit Gewalt durchzusetzen, nicht bloß der Mehrheit, wie in der Demokratie, sondern einer weit größeren Mehrheit.

Überdies heischt der Weg der Gewalt größere Opfer als der der Demokratie. Wie viel leichter ist es, jemand zu veranlassen, einen sozialdemokratischen Stimmzettel bei geheimer Wahl abzugeben, als seinen Arbeitsplatz oder gar sein Leben in die Schanze zu schlagen.

Gewalttat ist also für eine Arbeiterpartei nicht ein Mittel, rascher vorwärtszukommen als in der Demokratie, oder gar Resultate zu erreichen, die wir auf demokratischem Wege nicht zu erreichen vermöchten. Nein, die Demokratie bildet den kürzesten und sichersten und am wenigsten opfervollen Weg zum Sozialismus, sowie sie am besten dessen Vorbedingungen schafft und mit ihm selbst untrennbar verknüpft ist.

Das wissen die großen Ausbeuter ganz genau. Daher ihr zäher Haß gegen die Demokratie, die steten Versuche, ihr den Garaus zu machen. Diese Versuche nehmen an Intensivität und Gewalttätigkeit umso mehr zu, je mehr die Demokratie den Aufstieg des Proletariats begünstigt. Ist das ein Grund für Sozialdemokraten, die Demokratie gering zu schätzen? Was augenblicklich als Schwäche der Demokratie erscheint, ist tatsächlich eine Schwäche des Proletariats. Eine Arbeiterklasse, die nicht die Kraft besitzt, die Demokratie zu verteidigen, hat – solange die Machtverhältnisse der Klassen sich nicht ändern – erst recht nicht die Aussicht, sich ihrer Ausbeuter durch Gewalttat zu erwehren. Wo wir die Demokratie verlieren, ist unsere erste und wichtigste Aufgabe die, sie wieder zu erobern. Und es ist die aussichtsreichste.

Für die Verteidigung, aber auch für die Gewinnung der Demokratie sind große Volksmassen, Kleinbürger, Intellektuelle und Bauern weit eher mit den Proletariern zu vereinigen, als für die Durchsetzung bloßer Lohnarbeiterforderungen.

Natürlich ist es ein Unsinn, zu sagen, wir dürften unter allen Umständen nur demokratische Methoden anwenden. Wir sollen uns dazu verpflichten in der Demokratie gegenüber denen, die sich der gleichen Methoden bedienen. Gewalttaten dagegen können nicht mit Stimmzetteln und Leitartikeln oder Versammlungsprotesten abgewehrt werden. Jedoch auch dort, wo wir gezwungen werden, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen, müssen wir trachten, vor allem die Mehrheit der Bevölkerung zu gewinnen. Das ist die erste Vorbedingung eines jeden Sieges für uns, welche Methoden immer wir anwenden mögen, gewalttätige oder demokratische. Und weiter müssen wir uns dessen bewußt bleiben, daß der Boden der Demokratie für eine Arbeiterpartei stets der ersprießlichste ist und daß für eine solche Partei dort, wo die Demokratie fehlt, keine Aufgabe dringender sein kann, als die der Eroberung der politischen Freiheit. Es ist ganz verkehrt, zu meinen, zuerst müssen die Arbeiter sich ökonomisch befreien. Erst dann könne es „wirkliche“ Demokratie geben.

Ob man eine starke Volksvertretung, gewählt unter allgemeinem, gleichen Wahlrecht, ob man Preßfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinsfreiheit als „wirkliche“ oder bloß als „formale“ Demokratie betrachten mag, macht keinen Unterschied gegenüber der Erkenntnis, daß ohne diese Einrichtungen sich das Proletariat nicht ökonomisch befreien kann. Sicher werden diese demokratischen Rechte ihren Charakter ändern, wenn wir die Gesellschaft sozialistisch organisiert haben. Heute sind sie für das Proletariat unentbehrliche Kampfmittel. Unter dem Sozialismus werden sie nur noch Mittel gesellschaftlicher Selbstverwaltung sein. Das wird der Unterschied zwischen der heutigen Demokratie und der in der sozialistischen Gesellschaft sein. Nicht aber der zwischen „wirklicher“ und „formaler“ Demokratie.

Mancher wird mir entgegenhalten, daß Sowjet-Rußland bezeuge, meine Auffassung der Rolle der Demokratie sei eine irtümliche. Dort habe eine proletarische Minderheit durch Gewalt eine Macht erlangt, die sie auf dem Wege der Demokratie nie hätte gewinnen können.

Man vergißt, daß der Zarismus nicht durch eine bolschewistische Minderheit im Kampf gegen die Mehrheit des Volkes gestürzt wurde. Er fiel, weil sein Machtmittel, die Armee, durch die Waffen des deutschen Militarismus völlig aufgelöst worden war, teils auseinanderfiel, teils sich gegen den Zaren wandte. Und die ganze Bevölkerung ging mit den rebellischen Soldaten. Leider gab es in Rußland keine Klasse, die eine Schule der Selbstverwaltung durchgemacht hätte. Daher verfiel das Reich völliger Anarchie. In dieser Anarchie hat sich der Bolschewismus durchgesetzt durch den Aufbau einer neuen Armee und Bürokratie.

Etwas derartiges wird sich nicht wiederholen. Es ist ein ganz abnormer Staat, der auf diese Weise geschaffen wurde. Daß seine arbeitenden Klassen durch ihn beglückt werden, behauptet niemand, der sich mit den russischen Verhältnissen unbefangen beschäftigt hat. Auf keinen Fall beweist sein Bestehen etwas gegen die Rolle der Demokratie in einem modernen Staat.

Noch ein Bedenken gegen die Demokratie wäre zu erledigen: Die Auffassung, die Demokratie bedeute notwendigerweise ein schwächliches Regime. Energie vermöge nur eine Diktatur aufzubringen. Und mit den großen Monopolisten der Banken, der Schwerindustrie, des Großgrundbesitzes könne man nur unter Aufgebot der äußersten Rücksichtslosigkeit fertig werden.

Dieser letzte Satz ist wohl richtig. Die kapitalistischen Herrschaften werden immer gewalttätiger. Sie werden kein Mittel unversucht lassen, sich zu behaupten, wenn es ihrer Ausbeutung an den Kragen geht. Indeß müssen diese Mittel nicht notwendig militärischer Art sein, die Aufbietung einer dem Kapital ergebenen Privatarmee. Nur in einer politisch unentwickelten Bevölkerung bietet den großen Ausbeutern der Faschismus eine aussichtsreiche Waffe. In den demokratischen Staaten Westeuropas und der angelsächsischen Welt greifen die Kapitalisten viel eher zu ökonomischen als zu militärischen Machtmitteln – sowie auch das Proletariat der letzten Jahrzehnte große politische Entscheidungskämpfe eher mit ökonomischen als mit militärischen Waffen ausgekämpft hat. Die Methode der Durchsetzung ist bei den Kapitalisten im Grunde die gleiche, wie bei den Lohnarbeitern: Der Streik, die Hemmung der Funktionen des Produktionsprozesses. Die Arbeiter kämpfen durch Einstellung der Arbeit, die Kapitalisten durch Einstellung der Zirkulation des Kapitals. Dadurch haben sie schon manche Regierung zur Kapitulation gebracht, von der sie sich bedroht fühlten.

Gegen diesen Widerstand der Monopolisten kann nur ein Regime aufkommen, das von keiner abergläubischen Verehrung des Privateigentums beherrscht wird; das sich nicht scheut, jeden Betrieb zu beschlagnahmen und als staatlichen weiterzuführen, der passive Resistenz übt.

Manche Genossen verlangen jetzt, erbittert über das Wüten der Nationalsozialisten und ihrer Geldgeber, wir sollten uns heute schon verpflichten, wenn Hitler überwunden sei, alle kapitalistischen Betriebe zu konfiszieren. Dazu solle eine Diktatur helfen.

Wir wissen nicht, unter welchen Umständen wir mit Hitler fertig werden und wie groß die Macht der Sozialdemokratie im Staate nach der Überwindung der Braunhemden sein wird. Allerdings ist zu erwarten, daß wir dann über weit mehr Kraft verfügen werden, als im November 1918. Es ist zu hoffen, daß die Arbeiterbewegung bis dahin den Gegensatz von Sozialdemokraten und Kommunisten überwunden haben wird. Auf der anderen Seite sind heute die „Marxisten“, die sozialistischen Arbeiterparteien die einzigen, die noch den Kampf gegen Hitler führen. Die bürgerlichen parlamentarischen Parteien haben sich alle ohne Ausnahme unterworfen, sie haben aufgehört zu existieren. Sollten manche von ihnen im Fortgang des Erstarkens der Opposition gegen Hitler wieder erwachen, so werden sie doch weit hinter der Arbeiteropposition zurückstehen. Dieser wird die ganze Last des Kampfes zufallen, aber sie wird reif genug sein, über die Früchte, die sie gewinnt, selbst zu verfügen.

Wäre es auch voreilig, zu versprechen, daß die ganze politische Macht im Deutschen Reich nach Hitlers Fall den Arbeitern zufallen wird, so haben wir doch die besten Aussichten dazu. Das gäbe uns sicher politische Macht, die gesamte Kapitalistenklasse mit einem Schlage zu enteignen. Was dagegen spricht, sind erhebliche ökonomische Bedenken, auf die ich schon vor mehr als dreißig Jahren in meiner Schrift über die „soziale Revolution“ aufmerksam machte.

Es ist einfach ökonomisch unmöglich, die Gesamtheit der kapitalistischen Betriebe mit einem Schlage in sozialistische umzuwandeln. Bei vielen wird es notwendig sein, sie bis auf weiteres kapitalistisch weiter funktionieren zu lassen. Das ungestörte Funktionieren solcher Betriebe liegt auch im Interesse des Arbeiterstaates. Die Besitzer dieser Betriebe werden aber für deren Fortführung nur dann tätig sein, wenn sie gegen Konfiskation ihrer Unternehmen gesichert werden und wenn wir jenen von ihnen, deren Betriebe später zu verstaatlichen sind, eine ausreichende Entschädigung zuerkennen.

Aber diese Aussicht auf Entschädigung soll eben bewirken, daß die Kapitalisten auf jeden Versuch einer passiven Resistenz, einer ökonomischen Hemmung und Schädigung des neuen Regimes verzichten. Gegenüber Kapitalisten, die solche böswillige Versuche trotzdem unternehmen, besteht kein Grund, ihr Eigentum an den Produktionsmitteln zu respektieren. Die Drohung mit der Konfiskation, wird das wirksamste Mittel sein, sie zu veranlassen, sich mit der sozialistischen Regierung und Wirtschaft abzufinden.

Ökonomische wie politische Rücksichten werden beides notwendig machen: Sowohl die Sicherung der gutwilligen Kapitalisten gegen einfache Konfiskation ihres Besitzes, als auch die Entschlossenheit, jedes Unternehmen rücksichtslos ohne jede Entschädigung zu konfiszieren, das sich der neuen Wirtschaft feindselig entgegenstellt, sich nicht in sie einfügen will.

Aber nichts irrtümlicher, als zu vermeinen, nur eine Diktatur würde diese Entschlossenheit aufbringen können. Allerdings, die bisherigen Regierungen von Sozialisten und erst recht die Koalitionsregierungen, waren nicht in der Lage, so rücksichtslos vorzugehen. Jedoch nicht die Demokratie hemmte sie dabei, sondern der Umstand, daß sie nicht über eine geschlossene sozialistische Mehrheit verfügten.

Nur eine solche wird nicht bloß den Mut und den Willen, sondern auch die Kraft haben, den kapitalistischen Widerstand rücksichtslos zu brechen. Eine dazu ausreichende Mehrheit aber gewinnen wir, wie schon hervorgehoben, am ehesten in einer Demokratie. Wir bedürfen in einem modernem Staat einer viel größeren Mehrheit, um eine sozialistische Diktatur als um eine sozialistische Regierung in der Demokratie zu gewinnen. Also in jeder Beziehung wird die Sache der Befreiung der arbeitenden Klassen durch die Demokratie nicht gehemmt, sondern gefördert.


Zuletzt aktualisiert am:31. März 2018