Aus dem Stenogramm der Zusammenkunft von Teilnehmerinnen am I. Gesamtrussischen Arbeiterinnenkongress, die am 5. September 1946 im Lenin-Museum stattfand.
Zum ersten Mal veröffentlicht in dem Sammelband Wladimir Iljitsch Lenin. Erinnerungen. 1900–1922, Moskau 1963, russ.
Der vorliegende Abdruck erfolgte nach dem Text des Sammelbandes.
Nach Ich habe viele Leben gelebt, Berlin 1980, S. 480–485.
Kopiert mit Dank von der Webseite Sozialistische Klassiker 2.0.
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Die Einbeziehung der Massen der Frauen in Stadt und Land in den Aufbau des sozialistischen Staates ging von Wladimir Iljitsch aus.
Die Sowjetunion nimmt auf diesem Gebiet einen außergewöhnlichen Platz in der Welt ein. In anderen Staaten gibt es nichts dergleichen.
In allen Ländern der Welt kämpften und kämpfen die Frauen von sich aus für ihre Rechte, wobei sie auf heftigen Widerstand und entschiedene Abwehr seitens der bürgerlichen Regierung ihres Landes stoßen. In vielen Ländern haben die Frauen heldenhaft für ihre Rechte gekämpft, dennoch konnten sie nirgends in der Welt das erreichen, was jeder Frau in allen Sowjetrepubliken als ganz natürliches Recht zusteht.
Das Besondere in der Sowjetunion ist, dass die Frauen das Recht auf Arbeit, auf Bildung und auf Schutz der Mutterschaft nicht erst von der Regierung fordern müssen, sondern dass die Regierung sie von sich aus in all die Bereiche der Arbeit einbezieht, zu denen die Frauen in den meisten bürgerlichen Ländern keinerlei Zutritt haben, und überdies auch die Interessen der Frau als Mutter schützt. Diese Grundsätze sind in der sowjetischen Verfassung verankert. Das ist einmalig in der Welt.
Der erste Arbeiterinnenkongress [1] legte den Grundstein zu der immensen Arbeit der Partei unter den Millionen und aber Millionen Frauen der UdSSR. Wladimir Iljitsch war auf diesem Kongress anwesend.
Die Sowjetmacht gewährte den Frauen mit der Oktoberrevolution sämtliche Rechte, doch noch nicht alle verstanden es, diese Rechte in Anspruch zu nehmen. Es gab auch Frauen, die auf Grund mangelnden Bewusstseins den Gegnern der Sowjetmacht auf den Leim gingen.
Wladimir Iljitsch sagte einmal (und ich habe mir seine Worte gut eingeprägt):
„Wenn der standhafteste und tapferste Kämpfer von der Bürgerkriegsfront nach Hause kommt und sich Tag für Tag das Murren und Klagen seiner Frau anhören muss, wenn er in ihrer Person dauernd einen Gegner des weiteren Kampfes für die Sowjetmacht vor sich hat, weil es ihr an politischem Bewusstsein mangelt, dann kann auch der Wille eines kampfgestählten, entschlossenen Kämpfers geschwächt werden, und jemand, der der Konterrevolution standgehalten hat, kann vor seiner Frau kapitulieren und ihrem schädlichen Einfluss unterliegen.
Darum müssen wir aus der Masse der werktätigen Frauen eine feste Stütze für die Sowjetmacht, gegen die Konterrevolution schmieden. Jede Frau muss begreifen, dass sie, wenn sie für die Sowjetmacht eintritt, für ihre Rechte und ihre Kinder kämpft.”
Im Herbst 1918 schickte die Partei eine Gruppe aktiver Bolschewiki an verschiedene Orte, wo sie unter den Frauen arbeiten sollten. Mich hatte Swerdlow nach Orechowo-Sujewo, Kineschma, Iwanowo und in andere Orte entsandt. Ich weiß noch, wie mich die Textilarbeiterin Anutschkina zu sich nach Hause einlud. Sie bewirtete mich mit Tee; Brot hatte sie keines, Zucker auch nicht, dafür aber großen Elan. Während des Gesprächs äußerte Genossin Anutschkina den Gedanken, dass eben jetzt die rechte Zeit wäre, einen Kongress der Arbeiterinnen und Bäuerinnen einzuberufen. Diese Idee gefiel mir gut, und ich äußerte sie nach meiner Rückkehr im Zentralkomitee der Partei.
Wladimir Iljitsch hieß diesen Gedanken gut und unterstützte ihn.
„Es sollten jetzt keine gesonderten Frauenorganisationen entstehen", meinte er. „Doch in der Partei brauchen wir einen entsprechenden Apparat, der die Verantwortung dafür trägt, dass das Selbstbewusstsein der Massen der Frauen gehoben wird und die Frauen lernen, ihre Rechte für den Aufbau des Sowjetstaates, das heißt einer besseren Zukunft, zu nutzen. In Stadt und Land müssen die Frauen in die örtlichen Sowjets einbezogen werden, müssen sie praktische Aufgaben übertragen und dementsprechend Wissen vermittelt bekommen. Besondere Beachtung ist der Entwicklung von Einrichtungen zu schenken, die den Frauen, die in den Sowjets und in den Betrieben aktive Arbeit für den Staat leisten, auch die Aufgaben erleichtern, welche sie als Mütter zu bewältigen haben.”
Diese Gedanken und Aufgabenstellungen Wladimir Iljitschs lagen der Arbeit zugrunde, die auf dem I. Arbeiterinnenkongress vom 16. bis 21. November 1918 geleistet wurde.
Eine Initiativgruppe der Bolschewistinnen, der Nadeschda Konstantinowna Krupskaja, Ines Armand, ich und noch ein paar andere Genossinnen angehörten – insgesamt waren wir etwa 20 bis 25 Personen –, bereitete Referate und Resolutionen zu verschiedenen Fragen vor.
Mir fiel die Aufgabe zu, ein Referat und eine Resolution zu den Methoden der Arbeit unter den Frauen und zum Aufbau eines entsprechenden Apparates in der Partei, das heißt zur Bildung von Frauenabteilungen, auszuarbeiten. Die diesbezügliche Resolution wurde von unserem Kongress angenommen und lag zehn Jahre lang der Arbeit der Frauenabteilungen in der Partei zugrunde. Auf der II. Internationalen Konferenz der Kommunistinnen im Jahre 1921 [2] wurde sie auch als Richtlinie für die Arbeit aller zur Komintern gehörenden Parteien bestätigt.
Zu dem Zeitpunkt, da der Kongress einberufen wurde, erkannten noch nicht alle, wie wichtig und bedeutsam er war. Ich erinnere mich an den Widerstand, den Rykow, Sinowjew und andere ihm entgegensetzten. Doch Wladimir Iljitsch sagte, der Kongress sei nötig. Er erkundigte sich fortwährend, wie die Dinge bei uns standen und ob die Frauen auf unseren Aufruf reagierten.
Die Vorbereitung unseres ersten Kongresses war keine leichte Sache. Die Post funktionierte schlecht, so dass wir von den Parteikomitees keine Antwort auf unseren Aufruf, Delegierte zu entsenden, erhielten. Wir hatten überschlagen, dass etwa 300 Frauen kommen würden. Dann stellte sich heraus, dass in Wirklichkeit 1.147 Delegierte eingetroffen waren. Zu der Zeit hatte man uns bereits Räumlichkeiten im Haus der Sowjets (Sadowo-Karetnaja-Straße in Moskau) überlassen. Lebensmittel hatten wir allerdings nur für 300 oder 500 Personen beschafft. Nachts riefen mich die Genossinnen Podtschufarowa und Baranowa an und teilten mit:
„Die Delegierten sind angekommen, aber bei uns macht sich Unzufriedenheit breit – es ist kein Brot, kein Zucker und kein Tee da.”
Über den Verlauf des Kongresses berichtete die Zeitschrift Kommunistka, Nr. 11, 1923 (Wie wir den I. Gesamtrussischen Kongress der Arbeiterinnen und Bäuerinnen einberiefen).
Wladimir Iljitsch verfolgte den Verlauf des Kongresses, und Nadeschda Konstantinowna, die im Präsidium war, erstattete ihm jeden Tag Bericht. Sie erzählte Lenin, dass unter den Delegierten eine ganze Menge Bäuerinnen aus der Dorfarmut seien; sie wendeten sich gegen die Kulaken. Viele seien gute Rednerinnen. Wladimir Iljitsch meinte: „Nadja, ich komme mal hin zu euch.”
Wladimir Iljitsch kam dann ganz überraschend während des Referats der Genossin Sobolewa. Wir wollten, dass sie ihr Referat unterbricht, doch Wladimir Iljitsch verlangte, sie solle zu Ende sprechen. Aber natürlich hörte keiner mehr richtig zu.
Am 19. November hielt Wladimir Iljitsch seine historische Rede, die zur Grundlage unserer Arbeit wurde. Für die Arbeitsmethoden, den Schutz von Mutter und Kind und vieles andere wurden Richtlinien festgelegt.
Wladimir Iljitsch vertrat die Ansicht, dass der Frau die Möglichkeit gegeben werden müsse, im Staatsapparat zu arbeiten, gleichzeitig aber auch Mutter zu sein. Die Frau sei eine wertvolle schöpferische Kraft, doch sie habe auch das Recht und die Pflicht, Mutter zu sein. Die Mutterschaft sei eine große gesellschaftliche Verpflichtung.
Unser Sowjetstaat hat diese grundlegenden Gedanken Wladimir Iljitschs voll und ganz verwirklicht.
Nicht nur die Frauen der Sowjetunion, die Frauen der ganzen Welt sollen wissen, dass Wladimir Iljitsch der Initiator der Befreiung der Frau gewesen ist. Dass die Frau juristische Rechte erhält, ist zu wenig. Worauf es ankommt, ist, dass sie auch in der Praxis befreit wird. Diese Befreiung bedeutet, dass ihr die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kinder großzuziehen und zu erziehen und dabei ihre Pflichten als Mutter mit der gesellschaftlichen Arbeit in Einklang zu bringen.
Auf der ganzen Welt hat es in der Menschheitsgeschichte keinen Denker und Staatsmann gegeben, der so viel für die Befreiung der Frau getan hätte wie Wladimir Iljitsch.
1. Der I. Gesamtrussische Arbeiterinnenkongress, der vom Zentralkomitee der KPR(B) einberufen wurde, fand vom 16. bis 21. November 1918 in Moskau statt. Auf dem Kongress waren 1.147 Delegierte aus Fabriken, Werken und aus der armen Bauernschaft anwesend. Am 19. November hielt Lenin auf dem Kongress eine Rede, in der er auf die enorme Bedeutung der werktätigen Frauen in der revolutionären Bewegung und beim Aufbau der neuen Gesellschaft hinwies. (Siehe W. I. Lenin: Werke, Bd. 28, S. 175–177.) Auf dem Kongress sprachen ferner A. I. Uljanowa-Jelisarowa, W. P. Nogin, J. M. Jaroslawski, I. F. Armand, K. N. Samoilowa, L. N. Stal, A. M. Kollontai und andere. Der Kongress rief die werktätigen Frauen zur Verteidigung der Sowjetmacht auf und fasste konkrete Beschlüsse zur Arbeit unter den Frauen. Er legte den Grundstein dafür, dass sich Arbeiterinnen und Bäuerinnen organisierten.
2. Die II. Internationale Konferenz der Kommunistinnen fand vom 9. bis 15. Juni 1921 in Moskau statt. Auf ihr waren Delegierte aus 21 Ländern vertreten. Alexandra Kollontai hielt auf der Konferenz ein Referat zu den Formen und Methoden der Arbeit der kommunistischen Parteien unter den werktätigen Frauen. Die Konferenz erörterte auch Fragen der Teilnahme der Frauen am Kampf für die Errichtung und die Festigung der Diktatur des Proletariats und am Wirtschaftsaufbau sowie Probleme der Festigung der internationalen Beziehungen zwischen den Abteilungen für die Arbeit unter den Frauen.
Zuletzt aktualisiert am 31. Juli 2020