Fritz Keller

 

Paul Lafargue

(Teil 3)

 

Die Manifestationen des 1. Mai 1890 werden „imposanter, als die Sozialisten je zu hoffen gewagt“ [310]. In Paris wird zum Schutz der Kammer und des Senates ein Heer von Polizisten, Infanterie und Kavallerie zusammengezogen. Die Boulevards werden mit Sand bestreut, um Angriffe der Berittenen zu ermöglichen. Die Geschäfte im Zentrum bleiben geschlossen. Viele Bürgerliche haben aus Angst vor Unruhen die Stadt bereits verlassen, als am Nachmittag Hunderttausende Demonstranten am Place de la Concorde aufmarschieren. Auch in der Provinz ist der Erfolg groß. „In manchen Industriezentren“ weigern sich die Arbeiter sogar, „am 2. Mai wieder in ihre Gefängnisse zurückzukehren“ und feiern „mehrere Tage lang“ [311].

Paul verbringt – in seiner Funktion als internationaler Sekretär der Parti Ouvrier – den Tag der Arbeit in London, bei einer von Hunderttausenden besuchten Versammlung im Hyde Park. Für seine im besten Englisch gehaltene Rede mit kleinen Andeutungen vom Traum eines weltweiten Generalstreiks wird er vom Publikum mit mehr Hochrufen als irgendein anderer Redner bedacht [312].

Der Erfolg des 1. Mai bringt Schwung in die Parti Ouvrier. Beim Parteitag im Oktober vertreten 71 Delegierte bereits 97 Städte und Gemeinden sowie 212 Gruppen der Arbeiterpartei und Syndikatskammern (Gewerkschaften). Der Kongreß eröffnet seine Arbeit damit, daß er sich „solidarisch mit allen Männern und Frauen erklärt, welche in französischen und ausländischen Gefängnissen ihre Hingabe an die Sache der Arbeit und der Revolution büßen“ und beendet sie mit einer öffentlichen Versammlung im Hippodrom von Lille, die von Eleanor Marx, Lauras jüngerer Schwester, geleitet wird. Damit wollen die Delegierten deutlich machen, daß sie „keinen Unterschied des Geschlechtes oder der Nationalität anerkennen“. Paul und Guesde werden einstimmig in die siebenköpfige nationale Leitung gewählt, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, „die Agitation für die Manifestationen des [nächsten] 1. Mai spätestens in den ersten Tagen des April durch öffentliche Versammlungen, Lokal- und Regionalkongresse [...] vorzubereiten“ [313].

Entsprechend diesen Beschlüssen reist Paul im Frühjahr 1891 durch die „Städte und Industriezentren des Départements der unteren Seine, unteren Loire, des Pas-de-Calais und des Nord“ [314]. Seine Agitationsreise führt ihn durch Orte, wo noch nie sozialistische Versammlungen abgehalten worden waren. Trotzdem ist der Beifall groß. In Fourmies beschließt die Ortsgruppe der Parti Ouvrier nach Pauls Referat, den Fabrikanten mitzuteilen, daß sie am 1. Mai feiern würden. Die antworten mit einem Anschlag, in dem sie mit sofortiger Entlassung drohen.

Am Tag der Arbeit befindet sich Frankreich wieder im Kriegszustand. Die Polizei hat Befehl erhalten, jede Ansammlung von Menschen zu unterbinden. „In Marseille, Clichy, Lyon, Saint Quentin, Charleville, Bordeaux, Nantes usw. und fast überall, wo die Arbeiter friedlich manifestierend ihr Gesuch um den Achtstundentag und eine Arbeiterschutzgesetzgebung auf die Präfektur oder die Mairie [Bürgermeisterei]“ tragen, werden „sie brutal überfallen [...]“. In Fourmies kommt es vor einer Spinnerei mit Streikbrechern zu Auseinandersetzungen. Die Gendarmerie schreitet ein und nimmt zahlreiche Verhaftungen vor. Als junge Leute, darunter viele Frauen und Kinder, die Freilassung dieser Gefangenen fordern, eröffnen Soldaten des herbeigeholten 145. Regiments ohne Vorwarnung das Feuer. Der Ortspfarrer kann dem Gemetzel Einhalt gebieten. Am Platz liegen jedoch neun Leichen, darunter sechs Kinder und Jugendliche. Ganz Fourmies gibt den Toten das letzte Geleit, doch wird dem Bürgermeister und den Stadträten das Betreten des Friedhofs verweigert [315].

Diesmal ist jedoch die Regierung entschlossen, ein Exempel zu statuieren. Am 10. Mai wird der örtliche Sekretär der Parti Ouvrier verhaftet. Nach einem Monat hat man dann auch einen Grund dafür gefunden – er soll eine Zusammenrottung von Bewaffneten organisiert haben. Unterdessen veröffentlicht die in der Garnisonsstadt des 145. Regiments beheimatete Provinzzeitung angebliche Auszüge aus einer Rede Lafargues. Er soll aufgefordert haben, „die Strohsäcke der Fabrikanten“ zu „durchlöchern“; „die Soldaten sollten auf ihre Offiziere schießen“ [316]. Eine Hetz-Kampagne beginnt. Paul wird verhaftet. Obwohl 210 Bewohner des Ortes, in dem die inkriminierten Äußerungen gefallen sein sollen, bezeugen, daß sie bei dieser Versammlung anwesend waren und die Äußerungen nicht gehört haben, wird Paul, der das Verhör bei Gericht benutzt, um für den Sozialismus zu agitieren, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Den Parteisekretär verdonnern die Geschworenen gar zu sechs Jahren Kerker.

Die Arbeiterschaft des Nordens ist empört und stellt die Beiden bei städtischen und bei Nachwahlen in die Kammer als Kandidaten auf. Die wenigen Tage Freiheit, über die Paul bis zur Bestätigung seines Urteils durch das Berufungsgericht verfügt, nützt er für die Wahl-Kampagne [317]. Er beginnt seine Agitationsreise am Morgen nach der Verurteilung genau in dem Saal, in dem die inkriminierten Äußerungen gefallen sein sollen [318]. Für die Bürgerlichen ist er mittlerweile fast so etwas, wie der Gottseibeiuns: Radikale und Opportunisten drucken seine in der „Egalité“ auf französisch erschienene Satire „Pius IX. im Paradies“ nach und verteilen sie vor den Kirchen von Lille, um die Katholiken von einer Wahlentscheidung für ihn abzuhalten [319]. Vergebliche Liebesmüh’ – mit Unterstützung aller sozialistischen Fraktionen, „wenn auch stellenweise sauersüß“ [320], wählen die Arbeiter den wieder einmal in Saint-Pelagie einsitzenden Paul. Doch seine Freilassung verzögert sich. Die Bürgerlichen starten eine Hetzkampagne gegen den „Ausländer“, „le métèque [den Metöken]“ [321], den „Schwiegersohn des Preußen Marx“ [322]. Sie bestreiten genau jene französische Staatsbürgerschaft [323], auf die sie sich beriefen, als sie seine Auslieferung aus Spanien begehrten. Erst als in der Frage der Anerkennung seines Mandates der Regierung eine Abstimmungsniederlage in der Kammer droht [324], erfüllt sie die Gesetze und läßt Paul frei – was Redakteure sozialistischer Zeitungen insoferne bedauern, als sie „dadurch um manch’ schönen Artikel“ kommen [325]. Er erhält die dreifarbige Schärpe und eine Medaille zum Zeichen, daß er von keinem Beamten verhaftet werden kann, es sei denn, er wird bei einer groben Gesetzesverletzung auf frischer Tat ertappt. Gegen eine Pauschale von 120 Franc kann er frei alle Eisenbahnen benutzen und erhält Jahresdiäten in der Höhe von 9.000 Franc [326], die allerdings gegen eine Entschädigung, die so gering ist, daß Engels weiter angeschnorrt werden muß [327], zur Gänze der Parteikasse abgeführt werden müssen [328]. Als er erschöpft zusammen mit Laura in Lille eintrifft, bereiten ihm seine Wähler eine rauschenden Empfang. Hunderte stürmen ihren Wohnsitz und verlangen nach ihrem Deputierten. An einer Hand einen riesigen Blumenstrauß, an der anderen seine Frau hält er eine Rede, Schweiß rinnt von seinem Gesicht. Die Versammelten revanchieren sich mit „Vive Lafargue!“-Rufen und singen ein populäres Revolutionslied mit neuem Text: „C’est bien vrai ce qu’on a dit; au sortir de Saint-Pelagie, il va sieger a Paris [Es stimmt, wenn man sagt: Wenn er von Saint-Pelagie herauskommt, wird er Abgeordneter in Paris]“ [329].

Nach der Feier beginnt der Ernst des Deputierten-Lebens. Paul bereist „das ganze Land, von Lille bis Toulouse [...] und mit brillantem Erfolg“ [330]. Die mit Hausarbeiten [331], den Übersetzungen der Bücher „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ und „Ludwig Feuerbach“ von Engels, Artikeln über Frauenfragen [332] und – last not least – als Ghost-writerin ihres Paul [333] mehr als ausgelastete Laura sieht ihren Gatten hauptsächlich, wenn er „vorbeiflitzt“ und wenn sie sein mit der Würde seines Amtes völlig unvereinbares „baluchon [Bündel]“ aus- oder einpacken darf [334]. Trotz eines Bandwurmleidens [335] – steigert Paul seine Aktivitäten dermaßen, daß Laura ihn mit dem wandernden „ewigen Juden“ vergleicht [336], und Engels meint, „er wünscht ihn vielleicht durch den ewigen Neger zu verdrängen“ [337]. Nur in seltenen Pausen gestehen sich die beiden gemeinsam „das Recht auf Faulheit“ [338] zu.

Als in Carmaux, einer kleinen Stadt im Departement Tarn, ein 80-tägiger politische Streik von 3.000 Bergarbeitern ausbricht, die damit gegen die Entlassung eines zum Bürgermeister gewählten Genossen der Parti Ouvrier protestieren, trägt der Solidaritätsaufruf selbstverständlich die Unterschrift Lafargues [339] und natürlich ist er zur Stelle und „paukt“ [340].

In der Kammer selbst bringt Paul zuerst einen Antrag auf vollständige Amnestie für alle politischen Vergehen ein [341]. Dann fordert er – in Wiederholung eines Dekrets der Commune – die vollständige Trennung von Kirche und Staat (Abschaffung des Kulturbudgets und Konfiskation des Kirchenvermögens zugunsten von Volksbildung und Fürsorge) [342]. Anfangschwierigkeiten mit der Geschäftsordnung verhindern seine Pläne, als Signal gegen den grassierenden Chauvinismus eine Rede über die Verdienste der SPD „für Erhaltung bzw. Herstellung eines guten Einvernehmens zwischen Deutschland und Frankreich“ [343] zu halten [344]. Die parlamentarische Tätigkeit ist aufreibend. Denn sobald ein Sozialist die Redner-Tribüne nur betritt, beginnen Tumulte und Schrei-Orgien [345].

Attentate der Anarchisten heizen die Stimmung weiter auf: Francois-Claudius Ravachol, ein Grenzgänger zwischen politischem Abenteurertum und gewöhnlicher Kriminalität, vielleicht sogar einer der in anarchistischen Kreisen häufigen Polizeispitzel, der dem Französischen zu einem neuen Verb – ravacholiser: in die Luft sprengen – verhilft, endet auf der Guillotine. Seine „compagnons“ erklären ihn zum Märtyrer und schwören Rache. Einer von ihnen schleudert eine Bombe direkt in die Deputiertenkammer [346]. Es gibt zwar keine Todesopfer, aber die Abgeordneten ergreift „wahnwitzige Furcht“. Ein Ausnahmegesetz wird eingebracht, nach dem nicht mehr die Geschworenen- sondern „Strafkammern [tribunal correctionnel]“ für anarchistische Vergehen zuständig sein sollen. „Die Propaganda durch die Tat“ antwortet Paul als Abgeordneter, „kann und darf Staatsmänner nicht beunruhigen, die dieses Namens würdig sind. [...] Die einzigen gefährlichen Anarchisten sind [...] die Antisemiten, die ehemaligen Boulangisten, [...], die Schlechtgesinnten im Heer, der Marine und der Geistlichkeit [...]“ [347]. Wie er, besteigt ein Sozialist nach dem anderen die Rednertribüne. Erst nach 14 langen Sitzungen, in denen Zusatzanträge um Zusatzanträge eingebracht werden, kann das Ausnahmegesetz für Anarchisten beschlossen werden.

Außerhalb der Kammer geht es unterdessen mit der Parti Ouvrier weiter aufwärts. Bei den Gemeinderatswahlen 1. Mai 1892 werden 736 ihrer Kandidaten gewählt, die Verwaltung wichtiger Städte wie Roubaix, Montluçon, Narbonne gelangt in ihre Hände. Zusammen mit Guesde feiert Paul den 1. Mai im Norden Frankreichs [348]. Von dort reist er nach London weiter, wo er wieder bei der Mai-Kundgebung spricht [349]. Engels „beglückwünscht“ ihn, „daß sich auch in Frankreich _eine reaktionäre und kompakte Masse_[...] zu formieren beginnt, die Koalition aller Parteien gegen die Sozialisten“ [350].

Angesichts dieser Erfolge beschließt die nationale Leitung der Partei, den Jahreskongreß in Nantes zu Erörterung der „sozialen Frage auf dem Lande“ zu verwenden, um im Kammer-Wahlkampf 1893 weitere Wählerschichten zu erschließen. Die „Bauern“ werden „aufgefordert, sich auf dem Kongreß vertreten zu lassen“ [351]. Paul, der sich seit Jahren intensiv mit Problemen der Agrarwirtschaft befaßt hat [352], kommentiert das Programm auf dem Parteitag, wobei er dazu neigt, das bäuerliche Eigentum zu erhalten und zu schützen, sogar das der Pächter und Teilpächter, die Taglöhner beschäftigen [353]. Engels spricht von „Bauernfängerei“ [354]; Paul wäre „drauf und dran, die Zukunft der Partei einem Tageserfolg zu opfern“ [355]. Er veröffentlicht eine kritische Einschätzung des gesamten Agrarprogamms von Nantes in der „Neuen Zeit“, in dem er eine Total-Revision fordert, weil „das, was die Verfasser wirklich sagen, nicht das ist, was sie zu sagen beabsichtigen“, wie er diplomatisch formuliert. „Hauptsache bei alledem“ wäre, „den Bauern begreiflich zu machen, daß wir ihnen ihren Haus- und Feldbesitz nur retten, nur erhalten können durch Verwandlung in genossenschaftlichen Besitz und Betrieb“. Es gäbe dabei eine Parallelität der Bauern- zur Handwerkerfrage. „Diejenigen dieser Handwerkermeister, die sich als solche verewigen wollen, mögen zu den Antisemiten gehen, bis sie sich überzeugt haben, daß ihnen auch dort nicht geholfen wird“ [356]. Die Parti Ouvrier veröffentlicht keine französische Version des Engelschen Artikels. Weder Guesde noch Lafargue denken daran, das einmal beschlossene Programm zu ändern [357]. Im Gegenteil: Die Parti Ouvrier publiziert nochmals Pauls beanstandeten Kommentar [358].

Die Kammer dient vor allem als Agitation-Tribüne für den Wahlkampf. Als Alexandre Millerand, der „erste und einzige Radikale, der den Mörder von Fourmiers ins Gesicht anzugreifen wagte und ihn in einer öffentlichen Versammlung zu Lille [...] gelegentlich der Wahl Lafargues einen Blutsauger nannte“, sein Programm vorlegt, in dem er die Verstaatlichung der Eisenbahnen, Bergwerke und der Bank von Frankreich fordert, wird er deshalb von Paul unterstützt. Gleichzeitig meldet er aber Vorbehalte an: „So lange ihr nicht das Lohnsystem abschafft, werdet ihr den Geldadel nicht treffen und nicht niederwerfen. Der Vorschlag des Herrn Millerand [...] ist ungenügend“, weil „es sich nicht allein darum handelt, die großen Banken zu bekämpfen“ [359].

Knapp vor Ende der Legislaturperiode wird – als Höhepunkt einer Serie von Skandalen – bekannt, daß bürgerliche Minister und 150 Deputierten der Regierungsparteien von jener Panama-Gesellschaft bestochen wurden, deren Direktoren und Verwaltungsräte nur „sechs- bis achthundert Millionen Francs für nützliche Arbeiten“ aufwendeten „und gegen sieben- bis neunhundert Millionen vertrödelt, verspekuliert oder in die eigene Tasche gesteckt“ haben [360]. Die geprellten Aktien- und Obligationenbesitzer sind vor allem kleine Leute. Viele kommen um die Ersparnisse ihres ganzen Lebens. Umso heftiger werden die 91 Kandidaten, die Lafargues Genossen in 31 verschiedenen Departements aufstellen, attackiert. Jene journalistische Meute, deren Käuflichkeit durch Pleitiers ebenfalls gerade enthüllt wird, verleumdet „die Sozialisten als vaterlandslose Internationale, die sich ans Ausland verkauft hätten, um Frankreich zu ruinieren. Als Vorwand zu diesen Schmähungen“ nehmen „sie die 2.500 Francs, welche die marxistische Partei von ihren sozialdemokratischen Brüdern in Deutschland erhalten“ [361] hat. Die 2.500 verwandelten sich flugs in Hunderttausende Francs [362] für jeden einzelnen der „preußischen Kandidaten“ [363]. Und wieder steht Paul im Zentrum aller Schmähungen. Um seine Wiederwahl zu verhindern, vermehrte „die Regierung seinen früheren Wahlbezirk um sechzehn ländliche Distrikte, die seinem klerikalen Gegner die Majorität“ [364] verschaffen sollen. Gegen diesen Trick hilft auch das zu Pauls Unterstützung tätige Frauenkomitee – von seinen Gegner als die „Amazonen des Lafargue“ apostrophiert [365] – wenig. Allerdings erreicht sein klerikaler Gegen-Kandidat erst im zweiten Wahlgang durch die Unterstützung der Republikaner sein Ziel.

Daß die Parti Ouvrier mit 246.000 Stimmen 16 Parlaments-Sitze einnimmt, daß alle sozialistischen Parteien zusammengenommen mehr als 600.000 Stimmen erhalten und 30 Deputierte durchbringen, daß für die Wahlen „die Stimmenanzahl, die die Sozialisten zum erstenmal in [...] ländlichen Bezirken erreichten“ [366], charakteristisch ist, tröstet Paul über seinen persönliche Mißerfolg hinweg. Seine Stärken, das weiß er, liegen ohnehin nicht auf parlamentarischem Gebiet. Und „das allgemeine Stimmrecht“ ist für ihn unter kapitalistischen Bedingungen ohnehin eine „Spiegelfechterei“ [367].

Für viele liefert dieser Wahlerfolg allerdings den Beweis, daß noch mehr erreicht werden könnte, würden sich nicht mittlerweile fünf sozialistische Gruppierungen heftig konkurrieren [368]. Die sozialistische Kammerfraktion, die sich unter dem Namen Union Socialiste gegenüber den die Mandatare aufstellenden Organisationen verselbständigt, macht sich zum Motor dieser Einheitsbestrebungen. Zum Sprecher dieser Union Socialiste werden die von Radikalen zu Sozialisten konvertierten Deputierten Millerand und Jean Jaurès [369].

Nicht daß Pauls Genossen und er keine Einigkeit gewollt hätten. Bei den Wahlen 1885 boten sie den „Possibilisten“ zum Beispiel vergeblich an, alle ihre Kandidaten auf die Listen zu nehmen [370]; aber sie beharrten auf „prinzipiellen Unterschieden“, die sie berechtigen, „ein Verschmelzen schlechthin zu verweigern“ [371]. Und sie beharren auch jetzt. Die Union Socialiste vereinigt für die Parti Ouvrier „neben überzeugten Sozialisten [...] eine erhebliche Minderheit von unklaren Gefühlssozialisten“; sie bemängeln das Fehlen eines „bestimmten Programms“ [372]. Deshalb sollen bei zukünftigen Wahlen nur jene Kandidaten unterstützt werden, die zumindest „für die Abschaffung des Kapitalismus als solchem mittels Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, Ersetzung des Privateigentums durch das soziale Eigentum und für die internationale Gemeinschaft der Arbeiter eintreten“ [373].

Im Ringen um Klarheit mißt sich Paul mit Jaurès, dem Wortführer des linkeren Flügels der Union Socialiste, der an die „reine Idee der Gerechtigkeit“ appelliert. „Die Idee der Gerechtigkeit [...]“, repliziert er in einem öffentlichen Streitgespräch vor Studenten im Quatier Latin, „hat sich erst nach dem Entstehen des Privateigentums in das menschliche Hirn eingeschlichen“. Danach verändert sich diese Idee „nach den Bedürfnissen und Interessen der herrschenden Klasse“, sie „wird der unterdrückten Klasse aufgezwungen, welche sie schließlich annimmt, obgleich sie im Gegensatz zu ihren Bedürfnissen und Interessen steht“ [374]. Denn der „kapitalistische Reichtum [...] stellt ja eine Anhäufung von ebenso gesetzlichen wie gerechten Diebstählen dar“ [375].

Mitten in diesen Auseinandersetzungen verliert Paul seinen wichtigsten Mitstreiter mit internationaler Reputation. Engels wird der Wunsch, „in dem Augenblick zu sterben, da ich nicht mehr zum Kampfe tauge“ [376], erfüllt. Paul hält an seinem Grab eine kurze, tränenerstickte Rede [377]. In „persönlichen Erinnerungen“ hebt er neben den wissenschaftlichen Qualitäten auch die „unbegrenzte Freigiebigkeit“ jenes Mannes hervor [378], der noch angesichts des Todes für die Lafargues vorgesorgt hat: 1888 waren die beiden vom Boulevard de Port-Royal im Zentrum von Paris, wo sie nur über ein „patriarchalisches oder matriarchalisches Bett“ [379] verfügten, in den östlich von Paris gelegenen Vorort Le Perreux übersiedelt, dem „Zufluchtsort des gesamten Pöbels [...], der respektablen Diebe, Schwindler und Gauner“ [380], wo es aber immerhin Platz für Gäste gab und Paul eine Geflügel- und Taubenzucht beginnen konnte [381]. Dank des Nachlasses von Engels [382] können sie sich jetzt den seit den Tagen der Commune gehegten Traum vom Haus am Land verwirklichen – sie übersiedeln nach Draveil, südlich von Paris an der Lyoner Bahn.

Zunächst scheint die Union Socialiste mit ihren Vereinigungsbestrebungen nicht besonders erfolgreich zu sein. Statt der erstrebten Einheit kommt es zu einer weiteren – sechsten – Spaltung [383]. Der Parti Ouvrier gelingt hingegen bei den Kommunalwahlen 1897 einen weiteren Erfolg. 740 Gemeinderäte werden gewählt, 29 Gemeinden sind gänzlich in der Hand der Partei, darunter Großstädte wie Roubaix, Marseille, Montluçon und Narbonne [384].

Wendepunkt ist die Dreyfußaffäre um einen von einem Kriegsgericht auf höchst fragwürdige Weise wegen Spionage für Deutschland verurteilten jüdischen Hauptmann des Generalstabes. Emile Zola veröffentlicht in der Zeitschrift „Aurore“ einen Artikel „J’accuse [Ich klage an]“, wird deshalb verurteilt und aus der Liste der Ritter der Ehrenlegion gestrichen. Die sozialistische Kammerfraktion ist über die Taktik uneinig. Die Gemäßigten um Millerand sagen, aus Angst um ihre Delegierten-Sitze: „Das ist eine gefährliche Sache und wir dürfen uns nicht einmischen“. Da erhebt sich Guesde, öffnet ein Fenster des Saales, in dem die Beratungen stattfinden, als ob er die Atmosphäre nicht mehr ertragen könnte, und ruft: „Zolas Brief ist die revolutionärste Tat des Jahrhunderts!“ [385].

Die Parti Ouvrier ändert jedoch ihre Meinung radikal, sobald deutlich wird, daß Jaurès, der sich an die Spitze der Bewegung für Dreyfuß stellt, diese Kampagne nicht nur zum ideologische Medium der Einheitsbestrebungen machen, sondern auch für eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Radikalen nutzen will [386]. Bereits im Juli 1898 verabschiedet der National-Rat eine Erklärung, in der er aufruft, sich „aus diesen Auseinandersetzungen herauszuhalten“ [387]. Viele, selbst der eigenen Mitglieder [388], können diesen Schwenk zunächst nicht nachvollziehen. Noch hat Jaurès „persönlichen Glanz“ [389].

Eine relative Klärung der Positionen tritt erst ein, als Millerand zur Verteidigung der Republik gegen Verschwörung der Militärs in die bürgerliche Regierung Waldeck-Rousseau als Handelsminister eintritt. „Der sozialistische Minister, wer es auch sei“, entgegnet Paul in einem eilig verfaßten Pamphlet „Le socialisme et la conquete des pouvoirs publics [Der Sozialismus und die Eroberung der politischen Macht]“, „ist für den Sozialismus ein verlorener Mann“; die sozialen Reformen Millerands, die in manchen Arbeiterkreisen so enthusiastisch aufgenommen werden, sind nichts anderes als die Verwirklichung alter Programmpunkte der Radikalen, die auch ohne Regierungsbeteiligung durchsetzbar gewesen wären, wie er an Hand konkreter Beispiele aus der Legislaturperiode von 1893 zeigt. „Der Parlamentarismus“ ist für ihn nach wie vor „eine Regierungsform, die die soziale Diktatur der Kapitalisten-Klasse verdeckt, und der Liberalismus ist die Maske, die diese brutale Herrschaft verbirgt“ [390].

Die wichtigste dieser Reformen, die gesetzliche Alters-Versicherung, nimmt Paul in der Folge noch genauer unter die Lupe. In einer mit dem Artikel „Abgrund – Reform – Gaunerei“ beginnenden Serie von Beiträgen beweist er, daß die Regierung den Arbeitern um 20 Prozent weniger zahlen wird als die kapitalistischen Versicherungsgesellschaften, und erklärt „die Versicherungskasse [...] zur kolossalsten und zynischsten Gaunerei der [...] Epoche“ [391]. Seine Beweisführung fällt auf fruchtbaren Boden. Als die Kammer eine Enquete veranstaltet, sprechen sich „92 Prozent der befragten Arbeiterorganisationen gegen [...] die Grundlagen des Gesetzes aus“ [392].

Auf dem erste Verständigungskongreß zwischen der verfeindeten Gruppen vom 3. bis 8. Dezember 1899 in Paris wehrt Paul sich heftig gegen den Versuch, „der Partei eine neue Taktik auf[zu]zwingen [...]“. Er verweist auf sichtbare Folgen: Streiks werden nicht mehr unterstützt, Kundgebungen verhindert. Am Ende seiner Wortmeldung provoziert er durch ein persönliche Attacke auf den noch immer populären Jaurès einen fürchterlichen Tumult [393].

Die vereinigten Delegierten der Parti Ouvrier und der Blanquisten lehnen mit 818 gegen 634 Stimmen jede Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung strikt ab. Damit ist die Verständigung gescheitert. Die fraktionellen Streitigkeiten werden so heftig, daß Victor Adler anläßlich des Treffens vieler Parteiführer bei Liebknechts Begräbnis in Berlin „einen Verlegung des [für September 1900 in Paris geplanten] internationalen Kongresses“ [394] vorschlägt.

Die Tagung findet trotzdem statt. Doch die Delegierten der Parti Ouvrier und der Blanquisten verlangen sofort die Überprüfung der Mandate der Anhänger Jaurès’. Paul sprengt dann beinahe den ganzen Kongreß, indem er sich weigert, „neben Jaurès im Bureau [zu] sitzen“. Nach diesen Kontroversen verweigern die Delegierten einem von Guesde (und anderen) eingebrachten Antrag, jede Regierungsbeteiligung bedingungslos zu verurteilen, ihre Zustimmung. Sie wollen Millerand nicht so scharf verurteilen, selbst wenn die Regierung, der er angehört, für Gemetzel an Arbeitern in Charlon-sur-Saone und auf der Insel Martinique verantwortlich ist. Angenommen wird hingegen eine von Kautsky eingebrachte Resolution, in der Sozialisten als Minister einer bügerlichen Regierung als „ein vorübergehender und ausnahmsweiser Notbehelf in einer Zwangslage“ [395] gebilligt werden.

Unterdessen können sich sie Streitparteien in Frankreich nicht einmal mehr auf die Delegiertenschlüssel für einen zweiten Verständigungskongreß einigen. Die Delegierten der Parti Ouvrier verlassen wiederum den Saal [396]. Zusammen mit den Anhängern Blanquis gründen sie die Parti Socialiste de France – Union Socialiste Revolutionnaire. Paul postiert sich am linken Flügel dieser neuen Gruppierung [397].

Die Anhänger Jaurès konstituieren sich nach dem Scheitern der Einigung als Parti Socialiste Français. Organisatorisch „steht“ bei ihnen „die Fraktion [...] über der Partei, wie das Ministerium über der Fraktion“. Politisch entwickeln sie sich „in folgerichtiger Konsequenz zu einem Anhängsel [...] der bürgerlichen Demokratie“ [398]. Der Preis für diese Taktik, die „die bürgerlichen Parteien nicht nach links treibt, sondern die Sozialisten nach rechts nötigt“ [399] ist außerhalb das Entstehen eines von breiten, insbesondere jungen Arbeitern getragenen Syndikalismus, der politische Aktionen strikt ablehnt und „revolutionäre Gymnastik“ bis hin zum Generalsstreik fordert [400]. Der Anti-Feminismus, den Proudhon wie einen Virus der frühen Arbeiterbewegung eingeimpft hatte [401], feiert innerhalb der Reihen der Anhänger Jaurès fröhliche Urstände. Auf dem Parteitag in Tours im März 1902 gelingt es den Frauen nicht einmal, offiziell die Anerkennung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchzusetzen [402]. Ebenso entschieden wird die Einrichtung eines feministischen Forums in der Presse verwehrt.

Paul, der die vielversprechenden Aktivitäten von Mink, Michel und Aline Valette [403] immer entschieden förderte [404], versucht auch diesem Trend in der Gesamt-Bewegung gegenzusteuern. In Zusammenfassung einer Fülle von Artikel, die er im Laufe der Jahre zu Frauenfrage verfaßt hat, publiziert er 1904 „La question de la femme“ [405].

Nachdem im selben Jahr nimmt die Internationale bei einem Kongreß in Amsterdam über Antrag der Anhänger Guesdes eine Resolution an, die Regierungsbeteiligung und Reformismus schärfer verurteilt als bisher [406]. Die „freiwillige, loyale Unterwerfung [des rechten, gemäßigten Flügels] unter den Willen und die Beschlüsse der Internationale“ [407] ist Voraussetzung für die Vereinigung, die 1905 tatsächlich erfolgt. Die Frauen sind die ersten, die dabei auf der Strecke bleiben. Es gibt nur einige hundert weibliche Mitglieder, in der zentralen Verwaltungskommission haben sie keine Vertretung, die neu geschaffene Parti Socialiste – Section Français de l’Internationale Ouvriere ist „einen Partei der Männer“ [408]. Wenn die Behauptung des Früh-Sozialisten Charles Fourier zutrifft, wonach „die Erweiterung der Privilegien der Frau die allgemeine Grundlage des Fortschritts ist“ [409], dann bedeutet diese Vereinigung also eigentlich Rückschritt, trotz der folgenden spektakulären Wahlerfolge [1906: 877.800 Stimmen/54 Mandate, 1910: 1.100.000 Stimmen, 76 Mandate].

Das Diktum Jaurès nach der Einigung – „Die sozialistische Partei gleicht einem großartigen Strome, der naturgemäß ein rechtes und ein linkes Ufer besitzt“ [410] – kündigt Paul an, daß mit der formellen Unterwerfung unter internationale Beschlüsse wenig gewonnen ist. Bei den allgemeinen Wahlen 1906 tritt er als Bannerträger der Linken gegen Millerand im 12. Arrondissement von Paris an. Am 6. Mai unterliegt er mit 2.914 Stimmen gegen mehr als 8.000 für den früheren sozialistischen Minister. Auf dem Parteitag in Nancy [August 1907] verteidigte er vehement die anti-militaristischen Thesen des vorangegangenen internationalen Kongresses in Stuttgart („Falls der Krieg [...] ausbrechen sollte, sind sie [die Arbeiter und ihre parlamentarischen Vertreter] verpflichtet, für dessen rasche Beendigung einzutreten, und mit allen Kräften dahin zu streben, um die durch den Krieg herbeigeführte [...] Krise zur [...] Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft auszunutzen“[411]). In Toulouse [Oktober 1908] weist er die Attacken der konsequentesten Reformisten zurück, die „unaufhörlich die Worte im Munde führen: Aktion, Bewegung, Leben, reale Erfolge“, und die Marxisten als „Männer der Negation“ verunglimpfen. Er erinnert an die Thesen von Amsterdam und nimmt an einer Kommission teil, die eine einstimmig angenommene Resolution ausarbeitet, in der es heißt: „Gerade weil sie [die sozialistische Partei] eine Partei der Revolution ist, [...] ist sie die eigentlichste, die tätigste Reformpartei, die einzige, die ihre Aktion bis zur vollständigen Reform fortsetzen kann, [...] die einzige, die jederzeit aus jeder Reform, aus jeder Eroberung den Ausgangs- und Stützpunkt weitergehender Forderungen und kühnerer Eroberungen machen kann“ [412]. Als auf dem Kongreß in Saint Etienne [April 1909] die bisherige flexible Wahltaktik [413] von zwei Seiten in Frage gestellt wird – von Reformisten, die unbedingt ein Bündnis mit der radikalen Partei suchen, und von Syndikalisten, die „eine revolutionäre Aufrechterhaltung der sozialistischen Kandidaturen beim zweiten Wahlgang“ [414] fordern – setzt Paul sich für die Beibehaltung des Status quo ein. Seine Vorschläge werden angenommen und auf dem Kongreß von Nimes [Februar 1909] bestätigt. Am Kongreß von Paris [Juli 1910] polemisiert er gegen die Reformisten, die jetzt die Genossenschaften als „Inkarnation“ des Sozialismus hinstellen [415]. In Saint Quetin [April 1911] tritt er gegen die Doktrin eines kommunalen Sozialismus auf, mit dem die Reformisten ihre Konzepte aufs neue einbringen wollen.

Doch die Reformisten sind ständig in der Offensive, Paul und seine Freunde in der Defensive, ebenso wie die Syndikalisten außerhalb der Partei. Und das, obwohl es während der Streiks der Postbeamten und Eisenbahner, den Winzerrevolten im Süden und in der Champagne sowie den demonstrativen Volksaufläufen gegen die gestiegenen Lebenshaltungskosten manchmal scheint, als entstünde eine neue revolutionäre Bewegung. Die Richtigkeit des in der Polemik gegen Jaurès hingeschleuderten Satzes „Der Mensch denkt und die Produktionsweise lenkt“ [416], wird ihm so auf unerwartete Weise demonstriert. Der Panama-Skandal des Jahres 1892 erweist sich in der Rückschau nicht als Symptom des „bevorstehenden Endes der kapitalistischen Ordnung“ [417]. Im Gegenteil. Nach einer langen Depressions-Periode des Kapitalismus der freien Konkurrenz begann damals vielmehr die Blütezeit des klassischen Imperialismus und des Finanzkapitals [418]. Jahrzehnte kriegerischer französischer Expansionspolitik – von China, Vietnam, Madagaskar, Kongo, Sudan, Guinea, Kamerun über die Sahara bis Algerien [419] – rentierten sich. Diese Prosperität begünstigte langfristig jene politischen Kräfte, die Parlamentarismus und Reformen im Auge hatten, nicht nur in der dritten Republik, sondern in der ganzen Internationale. Und Kautsky definierte mit seinen scheinbar orthodoxen Formeln vom „Hineinwachsen in die Revolution“ und „weder Revolution noch Gesetzlichkeit um jeden Preis“ [420] die gewandelten Intentionen der Weltpartei.

Wie stark dieser Trend ist, zeigt sich auch an Pauls altem Mitstreiter Guesde, der sich trotz seiner revolutionären Phraseologie seit der Dreyfuß-Affäre immer mehr zum Reformismus hin entwickelt [421]. Paul gerät mit seinen „intransigenten“ Ansichten auf der Ebene „praktischer“ Politik mehr und mehr in die Isolation. Aber das ist kein Grund für ihn, sich resignierend ins Privatleben in die erste Etage seines Hauses in Draveil zurückzuziehen. Bei seinem Steckenpferd, der Zucht von Kaninchen und Hühner, findet er vielmehr die Muße, die notwendig ist, um sich auf einer anderen, ideengeschichtlichen Ebene mit seinen reformistischen Widersachern auseinanderzusetzen.

In einer Serie von Studien beschäftigt sich Paul zunächst nochmals ausführlich mit der von Jaurès immer wieder vorgebrachten These, es sei sehr wohl sinnvoll, daß Sozialisten „sich auf die Gerechtigkeit berufen“, weil „in der modernen Gesellschaft das Wort Gerechtigkeit einen immer klareren, umfassenderen Sinn erhält“ [422].

Dann hinterfragt er den Begriff des Guten: „Das soziale Milieu der Barbaren, wie es Krieg und Geschlechtskommunismus hervorbrachten, spannte die edlen Eigenschaften des Menschen [...] aufs äußerste an; das soziale Milieu der Bourgeoisie hingegen, das auf dem persönlichen Eigentum und der Warenproduktion aufgebaut ist, erhebt die schlimmsten Eigenschaften der Menschenseele zu Haupttugenden: Selbstsucht, Heuchelei, Intrige, Raffiniertheit und Spitzbüberei“ [423].

Schließlich attackiert Paul in einer Reihe von Abhandlungen noch all jene, die dem Christentum positive Seiten abzugewinnen geneigt sind: „Das Christentum“, erklärt er unter Verweis auf die Kolonialpolitik, „ist die Syphilis und der Alkoholismus der Zivilisation“ [424]. „Der himmlische Vater der Bourgeoisie“ in den Metropolen ist hingegen „die Lohnarbeiterklasse, Handarbeiter und geistige Arbeiter; sie ist der Gott, der all ihre Bedürfnisse befriedigt“ [425]. Als „sozialistischer Kämpfer“ behauptet er außerdem in einer Studie über „Die christliche Liebestätigkeit“, „besser als ein Gelehrter durch sein Stubenhockerleben für ein richtiges Verständnis der Leidenschaften und Sitten der ersten Christen befähigt“ zu sein und fährt fort: „Die Brüderlichkeit war [...] nicht die Tugend der Heiligen und Gläubigen des Urchristentums [...]. Unter [ihnen] gab es Hurer, Ehebrecher, Buhlknaben, Päderasten, Diebe, Trunkenbolde, Habsüchtige, verleumderische Ehrabschneider, mit einem Wort die schlimmsten Luderjans“. Erst aus Furcht vor Aufständen und Plünderungen entstand „die Wohltätigkeit der Mönche und Bischöfe, die im Verschenken dessen bestand, was sie nicht selbst verzehren, verkaufen oder aufbewahren konnten“. Die Caritas ist daher für Paul „die zynische Vermittlerin, die den Charakter der Armen verdirbt, seine Menschenwürde und sein Selbstgefühl erniedrigt und ihn daran gewöhnt, mit Lammesgeduld ein ungerechtes und klägliches Los zu ertragen“; sie ist „die würdige Vorläuferin der politischen Grundsätze der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit [...]“ [426].

Die auf Zusammenarbeit mit Bürgerlichen erpichten Genossen ärgern sich weniger über den Inhalt, als über seine „unehrerbietige und _extreme_ Art, die ewigen Ideen und Prinzipien bloßzustellen. Gerechtigkeit, Freiheit, Vaterland usw. metaphysische und ethische Dirnen zu nennen [...]“ [427]. Sie verstehen sofort, daß eine solche derbe Sprache alle potentiellen Bündnispartner vergrault.

Neben diesen Studien nimmt Paul aber natürlich nach wie vor an der Parteiarbeit im großen und kleinen teil. Zusammen mit Laura führt er ausgedehnte Korrespondenzen mit Persönlichkeiten der Internationale. „In der Kenntnis des deutschen Sozialismus“ ist Laura „ihrem Gatten sogar überlegen“ [428]. Paul schreibt für die Parteizeitung „Humanité“, sitzt in der Verwaltungskommission der Organisation und fehlt auch selten bei Sitzungen der Ortsgruppe in Draveil. Laura übersetzt weitere Werke ihres Vaters – die „Kritik der politischen Ökonomie“ und die „Heilige Familie“. Als letzte überlebende Marx-Tochter ist sie außerdem die Verwalterin des väterlichen Nachlasses. In dieser Eigenschaft hegt sie „einen gründliche Abneigung gegen alle Versuche, an dem Lebenswerk von Marx und Engels mit grund- und sinnlosem Zweifel herumzunörgeln“ [429]; diese Abneigung bringt sie allerdings dazu, Teile des literarischen Nachlasses zu vernichten [430]. Laura helfen außerdem die theoretischen Artikel ihres Gatten über Frauenemanzipation bei der Bewältigung der praktischen Aufgaben, in dem offenen Haus, das sie führt, wenig. Um nur die prominenten Gäste anzuführen: Kautsky, Liebknecht, Franz Mehring [431], der Ideologe der Volkstümler Pjotr Lawrowitsch Larow und sein Kampfgefährte, der Übersetzer des „Kapitals“ ins Russische, German Alexandrowitsch Lopatin [432] sind bei ihnen zu Gast. 1895 macht Lenin bei seiner Reise durch Westeuropa, die ihn auch zu Plechanow nach Genf und zu Kautsky nach Berlin führt, bei ihnen Station [433]. 1909 radelt Nadesha Krupskaja mit ihrem Mann von Paris nach Draveil, weil Iljitsch sich mit Paul, „dessen Meinung er besonders schätzt“ beraten will, insbesondere über sein Buch „Materialismus und Empirokritizismus“ [434]. Im Frühjahr 1911 „besucht“ Alexandra Kollontai, die in einem Pariser Vorort im Exil lebt, „oft Paul Lafargue und seine Frau Laura Marx. Die Unterhaltung, tagsüber und besonders abends, mit den Lafargues, diesen verstandesbegabten, scharfsinnigen und kenntnisreichen Veteranen [der internationalen Arbeiterbewegung]“ bleiben „in ihrer Erinnerung stark verwurzelt“ [435]. David Rjasanoff, dem späteren Leiter des Marx-Engels-Institutes in Moskau, stellt Laura für seine Studien sogar wochenlang ihr Arbeitszimmer zur Verfügung [436] ...

Bei all dieser Geselligkeit, gekrönt mit manch göttlicher Bouteille Rotwein aus Anjou, fällt niemandem auf, wie sehr sich die Lafargues gemeinsam mit Alter und Tod auseinandersetzten. Selbst Engels nahm nicht sonderlich Notiz von einer hingestreuten Bemerkung Lauras anläßlich ihres 38. Geburtstages: „Ist es nicht skandalös? Ich dachte niemals, daß ich so lange leben werde! – Und niemand gibt mir dafür Kredit ... “ [437]. Pauls Bewunderung für Marx’ Gattin Jenny – „Der Tod hatte keinen Schrecken für sie“ [438] – und seine Verachtung für die Unsterblichkeit – eine „langweilige Idee“ [439] – schienen ebenso bedeutungslos. Wenn er über urgeschichtliche Zustände einmal schrieb: „Man verschmauste einen alten Verwandten, um ihm die Sorge des Alters und die Beschwerden des harten Kampfes ums Dasein zu ersparen, für jeden doppelt mühsalsreich, welcher die Kraft und die Elastizität seiner Glieder eingebüßt hat“ [440] – nahmen’s die Leser als eines seiner geliebten Paradoxa. Krupskaja und Lenin mißverstanden eine 1909 en passant an ihre Gatten gerichtete Bemerkung Lauras – „Bald wird er beweisen müssen, wie aufrichtig seine philosophischen Überzeugung sind“ – zunächst als Bonmot [441] und nicht als ernstzunehmenden Hinweis auf das von Michel de Montaigne ausführlich kommentierte Diktum Ciceros „Philosophieren heißt sterben lernen“ [442]. Ähnlich falsch wurden wohl auch seine in einer Diskussion mit Jaurès gemachten Ausführungen interpetiert, wonach „für geliehenes Geld Zins nehmen“ im Altertum „gleichbedeutend mit Diebstahl war“ und daß „das Leihen gegen Zins“ erst „sakrosankt“ wurde, „sobald die Bourgeoisie die gesellschaftlich herrschende Klasse ward“ [443]. Doch es war Laura und Paul immer ernst, tödlich ernst, wie sich 1900 oder 01 zeigte, als die beiden ein ihnen zugefallenes Vermögen von 160.000 Franc nicht zinstragend verwendeten, sondern es auf die Seite legten und auf die zehn Jahre, die sie noch zu leben gedachten, aufteilten [444].

Auf dem Parteitag im Frühjahr 1911 deutet noch immer „nichts in ihrem Benehmen“ auf diesen „tragischen Entschluß hin“ [445]. Insbesondere Paul „zeigt sich von jugendlicher Munterkeit, in seiner ganzen unverwüstlichen Verve“. Doch alle Vorkehrungen für den gemeinsamen Tod werden bereits getroffen.

Den 25. November 1911, einen Samstag, verbringen Paul und Laura in Paris. Laura sendet noch an Mehring Glückwünsche zur Genesung [446]. Um 1/2 10 Uhr abends kehren beide nach Draveil heim. Noch immer scheinen sie in heiterster Stimmung. Nach einer kleinen Mahlzeit gehen sie schlafen. Gegen 1/2 7 Uhr morgens hört die Köchin noch einmal das Klappern der Fensterläden ihres Zimmers ... .

Laura hinterläßt selbst keinen Abschiedsbrief. In Pauls Botschaft an die Hinterbliebenen heißt es: „Gesund an Körper und Geist gab ich mir den Tod, bevor das unerbitterliche Greisenalter einen Teil des Vergnügens und der Freude des Daseins nimmt und mich der physischen und geistigen Kräfte beraubt, meine Energie lähmt, meine Sinne bricht und mich zur Last für mich selbst und die anderen macht. Seit Jahren habe ich mir das Versprechen gegeben, das 70. Lebensjahr nicht zu überschreiten. Ich habe die Jahreszeit für meinen Abschied aus dem Leben längst bestimmt und die Ausführung meines Entschlusses vorbereitet, nämlich eine Einspritzung von Zyankali. Ich sterbe mit höchster Freude, die mir die Gewißheit bereitet, daß die Sache, der ich 45 Jahre meines Lebens gewidmet habe, in nicht allzuferner Zeit triumphieren wird. Es lebe der Kommunismus. Es lebe der internationale Sozialismus!“ [447].

15.000 ziehen hinter den Särgen zum Friedhof Pere-Lachaise. An der Spitze des Leichenzuges marschiert eine dreihundertköpfige Abordnung von streikenden Taxi-Chaffeuren. An den Gräbern sprechen: Einer der engsten Vertrauten Marx’ und Engels – der Buchhändler Wilhelm Bracke -, Edouard Vaillant, Jean Louis Dubreuilh, Guesde und Jaurès für die Sozialistische Partei Frankreichs, Karl Kautsky für die SPD, Edouard Anseele für die belgische Partei und Keir Hardie für die Labour Party. Die russische Bewegung, mit der Paul und Laura immer besonders verbunden waren [448], wird durch I.A. Rubanowitsch für die Sozialrevolutionäre und Alexandra Kollontai, für die der Freitod „ein persönlicher Schlag“ [449] war, sowie Lenin für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei vertreten [450]. Iljitsch erklärt Lafargue zu „einem der Begabtesten und Gründlichsten unter denen, welche die Ideen des Marxismus verbreiten“ [451].

Die Bürgerlichen kennen selbst den beiden toten Revolutionären gegenüber keine Gnade. Den traurigen Höhepunkt einer Verleumdungswelle liefert die antisemitische „Libre Parole“, die ihren Lesern weismachen will, die Lafargues hätte Millionen an Autorenhonoraren für die Marxschen Schriften gescheffelt [452].

In den schriftlichen Nachrufen der französischen Sozialisten im Parteiorgan „Humanité“ findet sich ein Nachhall der vorangegangenen Fraktionskämpfe: Jaurès lobt Paul vor allem als „leidenschaftliche Stütze der Einheit“. Guesde würdigt ihn für seine Eintretens gegen eine „Konfusion mit den bürgerlichen Parteien“. Vaillant, Wortführer der ehemaligen Blanquisten, hebt seinen Internationalismus und anti-militaristischen Anschauungen hervor. Unisono rügen Jaurès und Guesde den Freitod [453] – ein Vorwurf, in den auch Mehring einstimmt: „Denn mehr als je gilt von dem proletarischen Emanzipationskampf, daß der Dienst der Freiheit ein strenger Dienst ist, der auch dem reich mit Lorbeeren geschmückten Veteranen nicht gestattet, seinen Posten zu verlassen [...]“ [454]. Die anderen SPDler, die Laura und Paul schriftlich gedenken – Bernstein, Adolf Braun und Kautsky -, zeigen mehr Verständnis für ihre Ablehnung des „Strohtodes“ [455]. Zetkin fordert: „Lassen wir doch endlich die Toten ihre Toten begraben und haben wir den Mut zur Umwertung eines Wertes, den uns eine zweitausendjährige Knechtung des Geistes durch den kirchlichen Spiritualismus in die Seele eingehämmert hat“ [456]. Luxemburg vermerkt in einem Brief an ihren Geliebten Kostja Zetkin: „Die Lafargues haben mir imponiert“ [457]. Lenin sagt, als er vom Doppelselbstmord erfährt, zu Krupskaja: „Wenn man nicht mehr für die Partei arbeiten kann, so muß man der Wahrheit ins Gesicht blicken und so sterben wie die Lafargues“ [458].

 

 

Anmerkungen

310. XXIII, S.290.

311. XX, S.261.

312. Engels an Laura Lafargue am 10. Mai 1890; in: G, II, S.376.

313. XX, S.258.

314. XXIII, S.295.

315. Ebenda, S.299ff.

316. XXV, S.604.

317. Vgl. Paul Lafargue: La profession de foi du candidat socialiste; in: Le Socialiste, 10. Oktober 1891 (hier zit. nach J, S.255).

318. XXV, S.607ff..

319. Vgl. Paul Lafargue: Pamphlets socialistes, Paris 1900, S.VI.

320. Engels an August Bebel am 24. Oktober 1891; in: Engels-Bebel (siehe Anm.126), S.197.

321. In den Städten des antiken Griechenland ortsansässiger Fremder ohne politische Rechte.

322. T, S.301.

323. Laura Lafargue an Engels am 3. November 1891; in: G, III, S.122.

324. Vgl. Engels an August Bebel am 9. November 1891; in: Engels-Bebel (siehe Anm.126), S.198.

325. Engels an Karl Kautsky am 2. Dezember 1891; in: Engels-Kautsky (siehe Anm.206), S.318.

326. Vgl. XXXIII, S.645.

327. Vgl. z.B. Engels an Laura Lafargue am 20. Januar 1892; in: MEW, 38, S.251.

328. Nach den Statuten zit. bei Zetkin, Sozialismus (siehe Anm.194), S.34.

329. Laura Lafargue an Engels am 22. November 1891; in: G, III, S.132ff.

330. Engels an Sorge am 5. März 1892; in: MEW, 38, S.289.

331. Vgl. Laura Lafargue an Engels am 10. Juni 1892; in: G, III, S.191.

332. Siehe z.B. Ein Gruß aus Frankreich; in: Arbeiter-Zeitung, 1. Januar 1892 – Nachtarbeit für die Frauen in Frankreich; in: Arbeiter-Zeitung, 15. April 1892.

333. Vgl. Eleanor Marx-Aveling an Laura Lafargue am 22. Juni 1892; in: MEW, 38, S.572.

334. Laura Lafargue an Engels am 6. März 1893; in: G, III, S.265.

335. Vgl. Laura Lafargue an Engels am 10. Februar 1893; in: G, III, S.251.

336. Laura Lafargue an Engels am 28. Dezember 1891; in: G, III, S.152. Im Mittelalter entstand die antisemitische Legende vom „ewigen Juden“ (im englischen Original „wandering jew“) Asver, der Jesus auf seinem Weg nach Golgatha nicht ausruhen ließ und daher bis zum Jüngsten Gericht umherwandern muß (siehe dazu Fußnote 263).

337. Engels an Laura Lafargue am 6. Januar 1892; in: MEW, 38, S.248 (G, III, S.156).

338. Vgl. Laura Lafargue an Engels am 9. Juni 1893; in: G, III, S.281.

339. Siehe XXVII, S.252ff.

340. Engels an August Bebel am 7. Oktober 1892; in: Engels-Bebel (siehe Anm.126), S.252.

341. Le Socialiste, 19. Dezember 1891.

342. Le Socialiste, 26. Dezember 1891. Entsprechend dem Artikel 2 des Parteiprogramms (Guesde/Lafargue, Le programme [siehe Anm.213], S.36ff.).

343. Vgl. Engels an August Bebel am 7. Oktober 1892; in: Engels-Bebel (siehe Anm.124), S.252.

344. Veröffentlicht in der Broschüre La democracia socialiste Allemand devant l’histoire, Lille 1893.

345. XXXIII, S.712.

346. Joll, Anarchisten (siehe Anm.139), S.97ff..

347. Zit. nach XXXIII, S.717.

348. Engels an Laura Lafargue am 19. April 1892; in. MEW, 38, S.323.

349. Engels an Laura Lafargue am 3. Mai 1892; in: MEW, 38, S.332. Der 1. Mai wurde in England zunächst am folgenden Sonntag gefeiert.

350. Engels an Laura Lafargue am 19. Mai 1892; in: MEW, 38, S.332.

351. XXXIII, S.708.

352. Siehe Paul Lafargue: Des solutions a la cherte du bleu; in: La Revue socialiste, 20. Januar 1880 (hier zit. nach J, S.154ff.) – L’agitation agraire en Ireland et ses causes économiques; in: L’Egalité, 21. Januar und 4. Februar 1880 – L’agriculture et le Parti Socialiste; in: La Revue socialiste, 20. Mai 1880, zit. nach J, S.150ff. – Guesde/Lafargue: Le programme (siehe Anm.213) S.90 – I, IV und V.

353. Das bäuerliche Eigentum und die wirtschaftliche Entwicklung; in: Der Sozialdemokrat, 18. Oktober 1894. Schon mit seinen Randnotizen an dem Fragment gebliebenen Manifest du Parti Ouvrier Français Lafargues vom Mai oder Juli 1880 (MEGA, I, 25, S.810ff.) wollte Marx Paul veranlassen „die Vorstellungen der Proudhondisten von der kleinen Warenproduktion als gesellschaftliches Ideal deutlicher als unzutreffend zu kennzeichnen“ (Eva Kratzer: Marx’ Mitarbeit an Paul Lafargues Manifest du Parti Ouvrier Français als Beispiel für dessen Unterstützung der französischen Arbeiterbewegung; in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung, 16 [1984], S.220).

354. Engels an Friedrich Adolph Sorge am 10. November 1894; in: MEW, 39, S.309.

355. Engels an Paul Lafargue am 22. November 1894; in: MEW, 39, S.324.

356. Engels: Die Bauernfrage und Frankreich und Deutschland; in: MEW, 22, S.500 ff. Vgl. dazu auch Kautsky an Adler am 18. April 1896; in: Victor Adler (siehe Anm.240), S.203.

357. Siehe dazu Rosa Luxemburg an Leo Jogiches am 18. März 1895; in: Gesammelte Briefe, Berlin 1982, 1, S.50. Veröffentlicht dann unter dem Titel La question agraire et le socialisme (Mouvement Socialiste, 15. Oktober 1900).

358. Paul Lafargue: La proprieté paysanne et l’évolution économique; in: Programme agricole du Parti Ouvrier Français, Lille 1895. Der Kongreß des Sozialistischen Internationale 1896 nimmt dann unter aktiver Beteiligung Lafargues in der Agrarfrage eine Resolution an, in der die Überführung des Grund und Bodens in Gemeineigentum gefordert und die Organisierung des Landproletariats „in seinem Klassenkampf gegen seine Ausbeuter“ zur „ersten und wichtigsten agrarpolitische Aufgabe jeder Arbeiterpartei“ erklärt wird (Verhandlungen und Beschlüsse des Internationalen Sozialistischen Arbeiter- und Gewerkschaftskongresses zu London vom 27. Juli bis 1. August 1896, Berlin 1896, S.13ff.).

359. XXXI, S.142.

360. XXVIII, S.398.

361. Ebenda, S.146.

362. XXXIII, S.681.

363. XXXI, S.147.

364. Ebenda, S.145.

365. Paul Lafargue an Engels am 23. März 1893; in: G, III, S.274.

366. XXXI, S.145.

367. LII, S.64.

368. Zur Spaltungsgeschichte siehe Hubert Lagredelle: Der französische Sozialismus und der Pariser Kongreß; in: Neue Zeit, XVIII, 1899-1900, S.519ff.

369. Zu den Vorbehalten von Engels gegen Jaurés siehe seine Briefe an Laura vom 14. März 1893 und an Paul Lafargue vom 6. März 1894 (MEW, 39, S.85ff., 214ff.).

370. Zetkin, Sozialismus (siehe Anm.194), S.32.

371. Engels an Paul Lafargue am 4. April 1891; in: MEW, 39, S.75.

372. Arbeiter-Zeitung, 9. Juni 1896 (Artikel K. Paris [Eigenbericht] = Paul Lafargue).

373. Beschluß des XVI. Kongresses der französischen Arbeiterpartei in Lille; zit. nach Arbeiter-Zeitung, 26. Juli 1896.

374. XXXVI, S.578ff.

375. XXXXII, S.786.

376. Engels an den Nationalrat der französischen Arbeiterpartei am 2. Dezember 1889; in: MEW, 22, S.87.

377. Veröffentlicht in: Arbeiter-Zeitung, 16. August 1895.

378. XXXXIV, S.561.

379. Laura Lafargue an Engels am 18. Juli 1888; in: G, II, S.143.

380. Laura Lafargue an Engels am 16. Januar 1888; in: G, II, S.86.

381. Vgl. Laura Lafargue an Engels am 18. Juli 1888; in: G, II, S.143.

382. Siehe Engels Testament vom 29. Juli 1893; in: MEW, 39, S.506.

383. Lagredelle, Pariser Kongreß [siehe Anm.368], S.520.

384. Zahlen nach Charles Rappoport: Jules Guesde und die französische Arbeiterbewegung; in: Neue Zeit, XXVI, 1907-08, S.520.

385. Alle Zitate nach Jean Jaurès/Jules Guesde: Zum Bruderzwist in Frankreich, Dresden o.J. [1900], S.10ff.

386. Vgl. dazu Jean Jaurès Artikel Notwendige Rückschau über die Wahltaktik der Parti Ouvrier (Sozialistische Studien, Berlin-Bonn 1974, S.78ff.).

387. Zit. nach Luxemburg, Werke (siehe Anm.274), I, 1, S.265. Der Parteitag in Montluçon beschäftigt sich ausführlich mit „Antisemitismus und Nationalismus“ (vgl. Arbeiter-Zeitung, 2. August und 22. September 1898).

388. Lagredelle, Pariser Kongreß (siehe Anm.368), S.583 – Hubert Lagredelle: Die gegenwärtige Lage des französischen Sozialismus; in: Neue Zeit, XXII/1, 1903-04, S.298 – Jean Longuet: Die Situation der sozialistischen Bewegung in Frankreich; in: Neue Zeit, XX/1, 1901-02, S.652.

389. Luxemburg: Rezension; in: Werke (siehe Anm.274), I, 1, S.629.

390. Paul Lafargue: Le socialisme et le conquete des pouvoirs publics, Lille 1899, S.9ff.

391. Petit Sous, 20. Mai 1901; zit. nach Ch[arles] Rappoport: Der Kongreß von Nimes; in: Neue Zeit, XXVIII, 1909-10, S.821. Diese Einschätzung stößt tws. auf heftigen Widerspruch – vgl. Adler an Kautsky am 1. Juni 1901; in Victor Adler (siehe Anm.240), S.353.

392. Rappoport, Nimes (siehe Anm.391), S.822.

393. Arbeiter-Zeitung, 9. Dezember 1899.

394. Lafargue an Guesde am 21. August 1900; zit. nach Georges Haupt: Le deuxime Internationale, Paris-Le Haye 1964, S.171.

395. Internationale Sozialisten-Kongreß zu Paris 23.-27.9.1900, Berlin 1900, S.5, 7, 17.

396. Longuet, Situation (siehe Anm.388), S.645.

397. L/II, S.169.

398. B. Kritschewsky: Zur Lage des Sozialismus in Frankreich; in: Neue Zeit, XXI, 1902-03, S.106, 105.

399. August Bebel in einer Polemik gegen Jaures; in: Internationaler Sozialisten-Kongreß Amsterdam 1904, Berlin 1904, S.67.

400. Vgl. dazu Jules Guesde/Hubert Lagredelle/Edouard Vaillant: Le parti socialiste et la confederation du travail, Paris 1908.

401. Vgl. den Abschnitt über Joseph Proudhon in G.H.D.Cole: Socialist thought – The forerunners 1789-1850, London 1953, insbes. S.216.

402. Diese Prinzip war in der Parti Ouvrier bereits seit 1882 verankert (siehe Guesde/Lafargue, Le programme [siehe Anm.213], S.9 und 65.

403. Diese 1893 in den National-Rat der Parti Ouvrier gewählte Feministin ging bei der Erfüllung ihrer Aufgaben an Tuberkulose zugrunde.

404. Vgl. z.B. Paul Lafargue: La femme et le socialisme; in: Le Citoyen, 15. August 1882, zit. nach J, S.171ff. Als Kuriosität sei bemerkt, daß trotz dieser Fakten Patricia Hilden in einer Besprechung von E in: American Historical Review, Nr.3/Juni 1992, S.859ff. Lafargue nicht als Vorkämpfer der Frauen-Emanzipation anerkennen will.

405. Siehe Die Frauenfrage.

406. Sozialisten-Kongreß 1904 (siehe Anm.399), S.77.

407. Rappoport, Nimes (siehe Anm.391), S.820. „Amsterdam war eine treffliche Gelegenheit Jaurès im internationalen Proletariat zu isolieren und dadurch seinen Einfluß auf das Proletariat Frankreich zu mindern“, schreibt Kautsky an Adler am 18. Oktober 1904 (Victor Adler [siehe Anm. 240], S.433).

408. Madeleine Rébérioux: Die sozialistischen Parteien Europas – Frankreich; in: Geschichte des Sozialismus, hrsgg. von Jacques Droz, Frankfurt-Berlin-Wien 1975, S.121.

409. Charles Fourier: Die Theorie der vier Bewegungen, und der allgemeinen Bestimmung, hrsgg. v. Theodor W. Adorno, Frankfurt 1966, S.190.

410. Zit. nach Rappoport, Nimes (siehe Anm.391), S.820.

411. Internationale Sozialisten-Kongreß zu Stuttgart 1907, Berlin 1907, S.102.

412. Ch[arles] Rappoport: Der Kongreß in Toulouse; in: Neue Zeit, XXVII/1, S.260, 262, 267.

413. Festgelegt in einer Resolution des Kongresses von Chalon sur Saone 1906 (abgedruckt in: Neue Zeit, XXIV/1, 1906, S.312).

414. Ch[arles] Rappoport: Der französische Kongreß in St. Etienne; in: Neue Zeit, XXVII/2, S.135.

415. Vgl. dazu Lafargues Wortmeldung auf dem Internationalen Sozialistenkongreß zu Paris 1900 (siehe Anm.395), S.16 und Emile Vandervelde: Neutrale und sozialistische Genossenschaftsbewegung, Stuttgart 1911, insbes. S.149ff.

416. XXXVI, S 625 und Kapp, Eleanor (siehe Anm.55), S.638ff.

417. XXVIII, S.405.

418. Siehe Ernest Mandel: Die langen Wellen im Kapitalismus, Frankfurt 1984, S.98.

419. Paul Louis: Die Kolonialpolitik Frankreichs und der Sozialismus; in: Neue Zeit, XVIII, 1899-1900, S.675.

420. Karl Kautsky: Der Weg zur Macht – Politische Betrachtungen über das Hineinwachsen in die Revolution, Berlin 1909, S.41.

421. L/II, S.169.

422. Jean Jaurès: Der Socialismus und das Leben; in: Studien (siehe Anm.386), S.165. Konkret gemeint sind die Studien XXXIX und XXXX.

423. XXXXI, S.179.

424. Pablo Lafargue: El ideal socialista, Madrid 1906, S.3.

425. XXXXV, S.510. Diese These baute Lafargue zur Satire LXIII aus.

426. XXXXIII, S.84, 81, 125, 76, 75. Vgl. dazu auch Paul Lafargue: Les fondements de l’ideologie bourgeoise a la lumière du marxisme; in: J, S.180ff.

427. XXXXII, S.787.

428. M, S.3.

429. R, S.342. Nach ihrem Tod entbrennt zwischen den Nachlaßverwaltern Bernstein, Kautsky, Mehring und Rjazanoff ein heftiger Streit (vgl. Victor Adler [siehe Anm.240], S.525, 565 – Engels-Kautsky [siehe Anm.206], S.458 – Franz Mehring: Karl Marx, Leipzig 1923, S.Vff. und 542ff.).

430. Vor allem handelt es sich dabei um die Korrespondenz zwischen Marx und seiner Frau. In anderen Quellen [Henry Mayers Hyndman: The record of an adventurous life, London 1911, S.252] wird berichtet, daß Jenny Engels in Gesprächen „Marx’ ‚bösen Geist‘ nannte und wünschte, sie könnte ihre Gatten von jeder Abhängigkeit von diesem begabten aber nicht gerade sympathischen Mitarbeiter befreien“. Vgl. auch Françoise Giroud: Trio Infernale oder Das Leben der Jenny Marx, Berlin 1994, S.14, 67, 164.

431. Mehring, Marx (siehe Anm.429), S.V und O, S.4.

432. B, S.56. Zu den russischen Besuchern zählen außerdem noch N.S. Rusanov und G.P. Sazanov.

433. W.I. Lenin: Unbekannte Briefe, hrsgg. von Leonhard Haas, Zürich-Köln 1967, S.6 – E. Zetkin-Milowidowa: W.I. Lenin – Die Jugendjahre, Berlin 1953, S.91 – B, S.68.

434. Nadesha Krupskaja: Erinnerungen an Lenin, Berlin 1959, S.231.

435. Aleksandra Michajlovna Kollontaj: Iz mooj zizni i raboty [Aus meinem Leben und meiner Arbeit], Moskau 1974, S.119 (Übersetzer Alfred Mansfeld).

436. Siehe Rjazanoff, Marx (siehe Fußnote 70), S.141, Anm.3.

437. Laura Lafargue an Engels am 4. Oktober 1883; in: G, I, S.156.

438. XVII, S.41.

439. LII, S.45.

440. XXXVI, S.625.

441. Krupskaja, Lenin (siehe Anm.434), S.231.

442. [Michel de] Montaigne: Von der Kinderzucht bis zum Sterbenlernen, München o.J., S.186ff. (I, 19).

443. Ebenda, S.585.

444. A, S.21.

445. O, S.5.

446. Mehring, Marx (siehe Anm.429), S.V. Bereits am 11. November 1911 ernannte Laura als Marx’ Nachlaßverwalterin in einem Schreiben an den Verleger Dietz Mehring zu ihrem „Vertrauensmann“ (Victor Adler [siehe Anm.240], S.572).

447. Zit. nach M, S.3. Zur Abwicklung von Pauls Erbe vgl. Bebel an Adler am 22. März 1911 (richtige Datierung 1912); in: Victor Adler (siehe Anm.240), S.527.

448. „Seine Kontakte mit ihr [der russischen Bewegung] reichen schon in das Jahr 1870 zurück, wo er über [das Mitglied der Internationalen Arbeiter-Assoziation] A[nna] W[assiljewna] Korwin-Krukowskaja mit [dem Ideologen der Volkstümler] G[erman] A[lexandrowitsch] Lopatin in Kontakt kam. Zwischen Lafargue und Lopatin entstand ein freundschaftliches Verhältnis [...]. Seit Beginn der 70er Jahre korrespondierte der französische Marxist mit [dem Volkstümler] N[ikolai] I[ssaakowitsch] Utin, der Hauptgestalt bei den Verhandlungen mit der I. Internationale, insbesondere im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Bakunisten. In den Jahren 1881 bis 1890 korrespondierte Lafargue mit dem russischen Ökonomen [und Volkstümler] N[ikolai] F[ranzewitsch]Danielsohn [...]. Gegen Ende der 80er Jahre festigte sich die Beziehung zwischen Lafargue und [dem Gründer der ersten marxistischen Gruppe Befreiung der Arbeit] G[eorgi] W[alentinowitsch] Plechanow [...]. Lafargue pflegte auch freundschaftliche Beziehungen zu dem russischen Marxisten [und späteren Menschwiken] P[aul] Axelrod und V[era] Sassulitsch“ (B, S.56ff. – Übersetzer Alfred Mansfeld). „Er [Lafargue] begrüßte 1883 die Bildung der Gruppe ‚Befreiung der Arbeit‘ ebenso wie die Revolution von 1905 bis 1907 in Rußland und gab Sympathieerklärungen ab“ (U, S.130).

449. Kollontaj, zizni (siehe Anm.435), S.119 (Übersetzer Alfred Mansfeld).

450. L, S.170.

451. W.I. Lenin: Rede im Namen der SDAPR bei der Beisetzung von Paul und Laura Lafargue; in: LW, 20, S.293.

452. Libre Parole, 29. November 1911; zit. nach O, S.4.

453. O, S.5.

454. R, S.337.

455. M, S.3.

456. W, S.85.

457. Rosa Luxemburg an Kostja Zetkin am 29. November 1911; in: Briefe (siehe Anm.357), 4, S.131. – Die Diskussion um den Freitod der Lafargues dauert an – vgl. etwa Louis Aragon: Die Glocken von Basel, Frankfurt 1986, insbes. S.241 – Paul Ghysbrecht: Der Doppelselbstmord, München-Basel, S.100 – F, S.100ff. – K, S.186. Zum Freitod allgemein siehe Jean Amery: Hand an sich legen, Stuttgart 1981, insbes. S.137 und Herbert Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt 1967, S.233.

458. Krupskaja, Lenin (siehe Anm.434), S.255. Tatsächlich verlangte Lenin ab dem Frühjahr 1922 wiederholt Zyankali (vgl. Irina Scherbakowa: Flehentliche Bitte um Zyankali; in: Süddeutsche Zeitung, 16.-17. Oktober 1993).

 


Zuletzt aktualisiert am 16.8.2004