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Sicherlich sieht jetzt schon fast jeder, daß die Bolschewiki die Macht keine 2½ Monate, geschweige denn 2½ Jahre hätten behaupten können ohne die strengste, wahrhaft eiserne Disziplin in unserer Partei, ohne die vollste und grenzenlose Unterstützung der Partei durch die gesamte Masse der Arbeiterklasse, d.h. durch alle denkenden, ehrlichen, selbstlosen, einflußreichen Menschen dieser Klasse, die fähig sind, die rückständigen Schichten zu führen oder mit sich fortzureißen.
Die Diktatur des Proletariats ist der aufopferungsvollste und schonungsloseste Krieg der neuen Klasse gegen einen mächtigeren Feind, gegen die Bourgeoisie, deren Widerstand sich durch ihren Sturz (sei es auch nur in einem Lande) verzehnfacht und deren Macht nicht nur in der Stärke des internationalen Kapitals, in der Stärke und Festigkeit der internationalen Verbindungen der Bourgeoisie besteht, sondern auch in der Macht der Gewohnheit, in der Stärke der Kleinproduktion. Denn Kleinproduktion gibt es auf der Welt leider noch sehr, sehr viel; die Kleinproduktion aber erzeugt unausgesetzt, täglich, stündlich, elementar und im Massenumfang Kapitalismus und Bourgeoisie. Aus allen diesen Gründen ist die Diktatur des Proletariats notwendig, und der Sieg über die Bourgeoisie ist unmöglich ohne einen langen, hartnäckigen, erbitterten Krieg auf Leben und Tod, einen Krieg, der Ausdauer, Disziplin, Festigkeit, Unbeugsamkeit und einheitlichen Willen erfordert.
Ich wiederhole, die Erfahrungen der siegreichen Diktatur des Proletariats in Rußland haben denen, die nicht zu denken verstehen oder nicht in die Lage kamen, über diese Frage nachzudenken, deutlich gezeigt, daß unbedingte Zentralisation und strengste Disziplin des Proletariats eine der Hauptbedingungen für den Sieg über die Bourgeoisie sind.
Davon wird häufig gesprochen. Es wird aber lange nicht genug darüber nachgedacht, was das bedeutet, unter welchen Bedingungen das möglich ist. Sollte man nicht lieber die der Sowjetmacht und den Bolschewiki gezollten Beifallskundgebungen häufiger mit einer sehr ernsten Analyse der Ursachen verknüpfen, die bewirkten, daß die Bolschewiki die für das revolutionäre Proletariat notwendige Disziplin schaffen konnten?
Als Strömung des politischen Denkens und als politische Partei besteht der Bolschewismus seit dem Jahre 1903. Nur die Geschichte des Bolschewismus in der ganzen Zeit seines Bestehens vermag befriedigend zu erklären, warum er imstande war, die für den Sieg des Proletariats notwendige eiserne Disziplin zu schaffen und sie unter den schwierigsten Verhältnissen aufrechtzuerhalten.
Und da taucht vor allem die Frage auf: wodurch wird die Disziplin der revolutionären Partei des Proletariats aufrechterhalten? wodurch wird sie kontrolliert? wodurch gestärkt? Erstens durch das Klassenbewußtsein der proletarischen Avantgarde und ihre Ergebenheit für die Revolution, durch ihre Ausdauer, ihre Selbstaufopferung, ihren Heroismus. Zweitens durch ihre Fähigkeit, sich mit den breitesten Massen der Werktätigen, in erster Linie mit den proletarischen, aber auch mit den nichtproletariscben werktätigen Massen zu verbinden, sich ihnen anzunähern, ja, wenn man will, sich bis zu einem gewissen Grade mit ihnen zu verschmelzen. Drittens durch die Richtigkeit der politischen Führung, die von dieser Avantgarde verwirklicht wird, durch die Richtigkeit ihrer politischen Strategie und Taktik, unter der Bedingung, daß sich die breitesten Massen durch eigene Erfahrung von dieser Richtigkeit überzeugen. Ohne diese Bedingungen kann in einer revolutionären Partei, die wirklich fähig ist, die Partei der fortgeschrittenen Klasse zu sein, deren Aufgabe es ist, die Bourgeoisie zu stürzen und die ganze Gesellschaft umzugestalten, die Disziplin nicht verwirklicht werden. Ohne diese Bedingungen werden die Versuche, eine Disziplin zu schaffen, unweigerlich zu einer Fiktion, zu einer Phrase, zu einer Farce. Diese Bedingungen können aber anderseits nicht auf einmal entstehen. Sie werden nur durch langes Bemühen, durch harte Erfahrung erarbeitet; ihre Erarbeitung wird erleichtert durch die richtige revolutionäre Theorie, die ihrerseits kein Dogma ist, sondern nur in engem Zusammenhang mit der Praxis einer wirklichen Massenbewegung und einer wirklich revolutionären Bewegung endgültige Gestalt annimmt.
Wenn der Bolschewismus in den Jahren 1917-1920 unter unerhört schweren Bedingungen die strengste Zentralisation und eine eiserne Disziplin schaffen und erfolgreich verwirklichen konnte, so liegt die Ursache dafür ganz einfach in einer Reihe historischer Besonderheiten Rußlands.
Einerseits ist der Bolschewismus im Jahre 1903 auf der festen Grundlage der marxistischen Theorie entstanden. Daß aber diese – und nur diese – revolutionäre Theorie richtig ist, haben nicht nur die internationalen Erfahrungen des ganzen 19. Jahrhunderts, sondern insbesondere auch die Erfahrungen mit den Irrungen und Wirrungen, mit den Fehlern und Enttäuschungen des revolutionären Denkens in Rußland bewiesen. Im Laufe ungefähr eines halben Jahrhunderts, etwa von den vierziger und bis zu den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, suchte das fortschrittliche Denken in Rußland, unter dem Joch des unerhört barbarischen und reaktionären Zarismus, begierig nach der richtigen revolutionären Theorie und verfolgte mit erstaunlichem Eifer und Bedacht jedes „letzte Wort“ Europas und Amerikas auf diesem Gebiet. Den Marxismus als die einzig richtige revolutionäre Theorie hat sich Rußland wahrhaft in Leiden errungen, durch ein halbes Jahrhundert unerhörter Qualen und Opfer, beispiellosen revolutionären Heldentums, unglaublicher Energie und hingebungsvollen Suchens, Lernens, praktischen Erprobens, der Enttäuschungen, des Überprüfens, des Vergleichens mit den Erfahrungen Europas. Dank dem vom Zarismus aufgezwungenen Emigrantenleben verfügte das revolutionäre Rußland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über eine solche Fülle von internationalen Verbindungen, aber eine so vortreffliche Kenntnis aller Formen und Theorien der revolutionären Bewegung der Welt wie kein anderes Land auf dem Erdball.
Anderseits hatte der Bolschewismus, der auf dieser granitnen theoretischen Grundlage entstanden war, eine fünfzehnjährige (1903-1917) praktische Geschichte hinter sich, die an Reichtum der Erfahrung nicht ihresgleichen kennt. Denn kein anderes Land hatte in diesen 15 Jahren auch nur annähernd soviel durchgemacht an revolutionärer Erfahrung, an rapidem und mannigfaltigem Wechsel der verschiedenen Formen der Bewegung: der legalen und illegalen, der friedlichen und stürmischen, der unterirdischen und offenen, der Zirkelarbeit und der Massenarbeit, der parlamentarischen und der terroristischen Form der Bewegung. In keinem anderen Lande war in einem so kurzen Zeitraum ein solcher Reichtum an Formen, Schattierungen und Methoden des Kampfes aller Klassen der modernen Gesellschaft konzentriert gewesen, und zwar eines Kampfes, der infolge der Rückständigkeit des Landes und des schweren Jochs des Zarismus besonders schnell heranreifte und sich besonders begierig und erfolgreich das entsprechende „letzte Wort“ der amerikanischen und europäischen politischen Erfahrungen zu eigen machte.
Zuletzt aktualisiert am 9.12.2007