Rosa Luxemburg


Die Akkumulation des Kapitals

Dritter Abschnitt
Die geschichtlichen Bedingungen der Akkumulation


Fünfundzwanzigstes Kapitel
Widersprüche des Schemas der erweiterten Reproduktion

Wir haben im ersten Abschnitt festgestellt, daß das Marxsche Schema der Akkumulation auf die Frage, für wen die erweiterte Reproduktion eigentlich stattfinde, keine Antwort gibt. Nimmt man das Schema wörtlich so, wie es im zweiten Bande am Schluß entwickelt ist, dann erweckt es den Anschein, als ob die kapitalistische Produktion ausschließlich selbst ihren gesamten Mehrwert realisierte und den kapitalisierten Mehrwert für die eigenen Bedürfnisse verwendete. Dies bestätigt Marx durch seine Analyse des Schemas, in der er den wiederholten Versuch macht, die Zirkulation dieses Schemas lediglich mit Geldmitteln, d. h. mit der Nachfrage der Kapitalisten und der Arbeiter zu bestreiten, ein Versuch, der ihn schließlich dazu führt, den Goldproduzenten als Deus ex machina in die Reproduktion einzuführen. Es kommt noch jene hochwichtige Stelle im ersten Band des Kapitals hinzu, die in demselben Sinne gedeutet werden muß:

„Zunächst muß die Jahresproduktion alle die Gegenstände (Gebrauchswerte) liefern, aus denen die im Lauf des Jahres verbrauchten sachlichen Bestandteile des Kapitals zu ersetzen sind. Nach Abzug dieser bleibt das Netto- oder Mehrprodukt, worin der Mehrwert steckt. Und woraus besteht dies Mehrprodukt? Vielleicht in Dingen, bestimmt zur Befriedigung der Bedürfnisse und Gelüste der Kapitalistenklasse, die also in ihren Konsumtionsfonds eingehn? Wäre das alles, so würde der Mehrwert verjubelt bis auf die Hefen, und es fände bloß einfache Reproduktion statt.

Um zu akkumulieren, muß man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwandeln. Aber, ohne Wunder zu tun, kann man nur solche Dinge in Kapital verwandeln, die im Arbeitsprozeß verwendbar sind. d h. Produktionsmittel, und des ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich erhalten kann, d. h. Lebensmittel. Folglich muß ein Teil der jährlichen Mehrarbeit verwandt worden sein zur Herstellung zusätzlicher Produktions- und Lebensmittel, im Überschuß über das Quantum, das zum Ersatz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort: der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält.“ [1*]

Hier werden für die Akkumulation folgende Bedingungen aufgestellt:

  1. Der Mehrwert, der kapitalisiert werden soll, kommt von vornherein in der Naturalgestalt des Kapitals (als zuschüssige Produktionsmittel und zuschüssige Lebensmittel der Arbeiter) zur Welt.
  2. Die Erweiterung der kapitalistischen Produktion wird vollzogen ausschließlich mit eigenen (kapitalistisch produzierten) Produktionsmitteln und Lebensmitteln.
  3. Der Umfang der jeweiligen Produktionserweiterung (Akkumulation) ist von vornherein durch den Umfang des jedesmaligen zu kapitalisierenden) Mehrwerts gegeben; sie kann nicht größer sein, da sie an die Menge Produktions- und Lebensmittel gebunden ist, die das Mehrprodukt darstellen, sie kann aber auch nicht geringer sein, da sonst ein Teil des Mehrprodukts in seiner Naturalgestalt unverwendbar wäre. Diese Abweichungen nach oben und nach unten mögen periodische Schwankungen und Krisen hervorrufen, von denen wir hier abzusehen haben; im Durchschnitt müssen sich zu kapitalisierendes Mehrprodukt und faktische Akkumulation decken.
  4. Da die kapitalistische Produktion selbst ausschließliche Abnehmerin ihres Mehrprodukts ist, so ist für die Kapitalakkumulation keine Schranke zu finden.

Diesen Bedingungen entspricht auch das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion. Hier geht die Akkumulation vonstatten, ohne daß im geringsten ersichtlich wäre, für wen, für welche neuen Konsumenten schließlich die Produktion immer mehr erweitert wird. Das Schema setzt etwa folgenden Gang voraus: Die Kohlenindustrie wird erweitert, um die Eisenindustrie zu erweitern. Diese wird erweitert, um die Maschinenindustrie zu erweitern. Diese wird erweitert, um die Produktion der Konsumtionsmittel zu erweitern. Diese wird ihrerseits erweitert, um die wachsende Armee der Kohlen-, Eisen- und Maschinenarbeiter sowie der eigenen Arbeiter zu erhalten. Und so „ad infinitum“ im Kreise – nach der Theorie Tugan-Baranowskis. Daß das Marxsche Schema, allein betrachtet, in der Tat eine solche Auslegung zuläßt, beweist der bloße Umstand, daß Marx nach seinen eigenen wiederholten und ausdrücklichen Feststellungen überhaupt unternimmt, den Akkumulationsprozeß des Gesamtkapitals in einer Gesellschaft darzustellen, die lediglich aus Kapitalisten und Arbeitern besteht. Die Stellen, die darauf Bezug nehmen, finden sich in jedem Bande des Kapitals.

Im ersten Bande, gerade im Kapitel über die Verwandlung von Mehrwert in Kapital heißt es: „Um den Gegenstand der Untersuchung in seiner Reinheit, frei von störenden Nebenumständen aufzufassen, müssen wir hier die gesamte Handelswelt als eine Nation ansehn und voraussetzen, daß die kapitalistische Produktion sich überall festgesetzt und sich aller Industriezweige bemächtigt hat.“ (S. 544, Fußnote 21a.) [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 607]

Im zweiten Bande kehrt die Voraussetzung mehrmals wieder. So im Kapitel 17 über die Zirkulation des Mehrwerts:

„Nun aber existieren nur zwei Ausgangspunkte: der Kapitalist und der Arbeiter. Alle dritten Personenrubriken müssen entweder für Dienstleistungen Geld von diesen beiden Klassen erhalten, oder soweit sie es ohne Gestenleistung erhalten, sind sie Mitbesitzer des Mehrwerts in der Form von Rente, Zins etc. ...

Die Kapitalistenklasse bleibt also der einzige Ausgangspunkt der Geldzirkulation.“ (S. 307.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 334/335.]

Weiter in demselben Kapitel speziell über die Geldzirkulation unter Voraussetzung der Akkumulation:

„Aber die Schwierigkeit kommt dann, wenn wir nicht partielle, sondern allgemeine Akkumulation von Geldkapital in der Kapitalistenklasse voraussetzen. Außer dieser Klasse gibt es nach unsrer Unterstellung – allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktion – überhaupt keine andre Klasse als die Arbeiterklasse.“ (S. 321.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 348.]

Dasselbe nochmals im 20. Kapitel: „... hier gibt es nur zwei Klassen: die Arbeiterklasse, die nur über ihre Arbeitskraft verfügt; die Kapitalistenklasse, die im Monopolbesitz der gesellschaftlichen Produktionsmittel wie des Geldes ist.“ (S. 396.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 419.]

Im dritten Bande, bei der Darstellung des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion, sagt Marx ganz ausdrücklich:

„Denken wir uns die ganze Gesellschaft bloß aus industriellen Kapitalisten und Lohnarbeitern zusammengesetzt. Sehn wir ferner ab von den Preiswechseln, die große Portionen des Gesamtkapitals hindern, sich in ihren Durchschnittsverhältnissen zu ersetzen, und die, bei dem allgemeinen Zusammenhang des ganzen Reproduktionsprozesses, wie ihn namentlich der Kredit entwickelt, immer zeitweilige allgemeine Stockungen hervorbringen müssen. Sehn wir ab ebenfalls von den Scheingeschäften und spekulativen Umsätzen, die das Kreditwesen fördert. Dann wäre eine Krise nur erklärlich aus Mißverhältnis der Produktion in verschiednen Zweigen und aus einem Mißverhältnis, worin der Konsum der Kapitalisten selbst zu ihrer Akkumulation stände. Wie aber die Dinge liegen, hängt der Ersatz der in der Produktion angelegten Kapitale großenteils ab von der Konsumtionsfähigkeit der nicht produktiven Klassen; während die Konsumtionsfähigkeit der Arbeiter teils durch die Gesetze des Arbeitslohns, teils dadurch beschränkt ist, daß sie nur solange angewandt werden, als sie mit Profit für die Kapitalistenklasse angewandt werden können.“ (2. Teil, S. 21.; [Karl Marx: Das Kapital, Dritter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, S. 500/501.]

Dieses letzte Zitat bezieht sich auf die Frage der Krisen, die für uns nicht in Betracht kommt; es zeigt aber unzweideutig, daß Marx die Bewegung des Gesamtkapitals, „wie die Dinge liegen“, nur von drei Kategorien Konsumenten abhängig macht: Kapitalisten, Arbeitern und „nichtproduktiven Klassen“, d. h. dem Anhang der Kapitalistenklasse („König, Pfaff, Professor, Hure, Kriegsknecht“) [2*], den er im zweiten Bande mit vollem Recht nur als Vertreter abgeleiteter Kaukraft und sofern als Mitverzehrer des Mehrwertes oder des Arbeitslohnes abtut.

Endlich in den Theorien über den Mehrwert, Band II, Teil 2, Seite 263 [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 493.], formuliert Marx die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen er die Akkumulation ins Auge faßt, im Kapitel Akkumulation von Kapital und Krisen wie folgt:

„Wir haben hier bloß die Formen zu betrachten, die das Kapital in seinen verschiednen Fortentwicklungen durchmacht. Es sind also die reellen Verhältnisse nicht entwickelt, innerhalb deren der wirkliche Produktionsprozeß vorgeht. Es wird immer unterstellt, daß die Ware zu ihrem Wert verkauft wird. Die Konkurrenz der Kapitalien wird nicht betrachtet, ebensowenig das Kreditwesen, ebensowenig die wirkliche Konstitution der Gesellschaft, die keineswegs bloß aus den Klassen der Arbeiter und industriellen Kapitalisten besteht, wo also Konsumenten und Produzenten nicht identisch, die erstere Kategorie (deren Revenuen zum Teil sekundäre, vom Profit und Salair abgeleitete, keine primitiven sind) der Konsumenten viel weiter ist als die zweite (die der Produzenten – R. L.), und daher die Art, wie sie ihre Revenue spendet, und der Umfang der letztren sehr große Modifikationen im ökonomischen Haushund speziell im Zirkulations- und Reproduktionsprozesse des Kapitals hervorbringt.“

Also auch hier berücksichtigt Marx, wenn er schon von der „wirklichen Konstitution der Gesellschaft“ spricht, lediglich die Mitesser des Mehrwerts und des Arbeitslohns, also bloß den Anhang der kapitalistischen Grundkategorien der Produktion.

So unterliegt es keinem Zweifel, daß Marx den Prozeß der Akkumulation in einer ausschließlich aus Kapitalisten und Arbeitern bestehenden Gesellschaft darstellen wollte, unter allgemeiner und ausschließlicher Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise. Unter diesen Voraussetzungen läßt aber sein Schema keine andere Deutung zu als die Produktion um der Produktion willen.

Erinnern wir uns an daß zweite Beispiel des Marxschen Schemas der erweiterten Reproduktion.

Erstes Jahr

 I.

5.000 c +

1.000 v +

1.000 m =

  7.000

(Produktionsmittel)

II.

1.430 c +

   285 v +

   285 m =

  2.000

(Konsumtionsmittel)

 

  9.000

 

 
Zweites Jahr

 I.

5.417 c +

1.083 v +

1.083 m =

  7.583

(Produktionsmittel)

II.

1.583 c +

   316 v +

   316 m =

  2.215

(Konsumtionsmittel)

 

  9.798

 

 
Drittes Jahr

 I.

5.869 c +

1.173 v +

1.173 m =

  8.215

(Produktionsmittel)

II.

1.715 c +

   342 v +

   342 m =

  2.399

(Konsumtionsmittel)

 

10.614

 

 
Viertes Jahr

 I.

6.358 c +

1.271 v +

1.271 m =

  8.900

(Produktionsmittel)

II.

1.858 c +

   371 v +

   371 m =

  2.600

(Konsumtionsmittel)

 

11.500

 

Hier geht die Akkumulation von Jahr zu Jahr ununterbrochen in dem Maße fort, daß jeweilig aus dem erzielten Mehrwert die Hälfte von den Kapitalisten konsumiert, die Hälfte kapitalisiert wird. Bei der Kapitalisierung wird fortlaufend für das Zusatzkapital wie für das Originalkapital dieselbe technische Basis, d. h. dieselbe organische Zusammensetzung oder Einteilung in konstantes und variables Kapital und auch dieselbe Ausbeutungsrate (immer = 100 Prozent) beibehalten. Der kapitalisierte Teil des Mehrwerts kommt, der Marxschen Annahme im ersten Bande des Kapitals entsprechend, von vornherein in Gestvon zuschüssigen Produktionsmitteln und Lebensmitteln der Arbeiter zur Welt. Beide dienen dazu, die Produktion in der Abteilung I wie II immer mehr zu steigern. Für wen diese fortschreitende Steigerung der Produktion stattfindet, ist nach den Marxschen Voraussetzungen des Schemas unerfindlich. Freilich steigt gleichzeitig mit der Produktion auch die Konsumtion der Gesellschaft: Es steigt die Konsumtion der Kapitalisten (im ersten Jahr beträgt sie, im Wert dargestellt, 500 + 142, im zweiten 542 + 158, im dritten 586 + 171, im vierten 635 + 185), es steigt auch die Konsumtion der Arbeiter; ihr genauer Anzeiger, im Wert dargestellt, ist das variable Kapital, das von Jahr zu Jahr in beiden Abteilungen wächst. Doch – abgesehen von allem anderen – kann die wachsende Konsumtion der Kapitalistenklasse jedenfalls nicht als Zweck der Akkumulation betrachtet werden; umgekehrt, sofern diese Konsumtion stattfindet und wächst, findet keine Akkumulation statt; die persönliche Konsumtion der Kapitalisten fällt unter die Gesichtspunkte der einfachen Reproduktion. Es fragt sich vielmehr: Für wen produzieren die Kapitalisten, wenn und soweit sie nicht selbst konsumieren, sondern „entsagen“, d. h. akkumulieren? Noch weniger kann die Erhaltung einer immer größeren Armee von Arbeitern der Zweck der ununterbrochenen Kapitalakkumulation sein. Die Konsumtion der Arbeiter ist kapitalistisch eine Folge der Akkumulation, niemals ihr Zweck und ihre Voraussetzung, wenn anders die Grundlagen der kapitalistischen Produktion nicht auf den Kopf gestellt werden sollen. Und jedenfalls können die Arbeiter stets nur den Teil des Produkts konsumieren, der dem variablen Kapital entspricht, kein Jota darüber hinaus. Wer realisiert also den beständig wachsenden Mehrwert. Das Schema antwortet: die Kapitalisten selbst und nur sie. Und was fangen sie mit ihrem wachsenden Mehrwert an? Das Schema antwortet: Sie gebrauchen ihn, um ihre Produktion immer mehr zu erweitern. Diese Kapitalisten sind also Fanatiker der Produktionserweiterung um der Produktionserweiterung willen. Sie lassen immer neue Maschinen bauen, um damit immer wieder neue Maschinen zu bauen. Was wir aber auf diese Weise bekommen, ist nicht eine Kapitalakkumulation, sondern eine wachsende Produktion von Produktionsmitteln ohne jeden Zweck, und es gehört die Tugan-Baranowskische Kühnheit und Freude an Paradoxen dazu, um anzunehmen, dieses unermüdliche Karussell im leeren Luftraum könne ein treues theoretisches Spiegelbild der kapitalistischen Wirklichkeit und eine wirkliche Konsequenz der Marxschen Lehre sein. (1)

Außer dem gleich im Anfang abgebrochenen Entwurf der Analyse der erweiterten Reproduktion, den wir im zweiten Bande des Kapitals vorfinden, hat Marx seine allgemeine Auffassung von dem charakteristischen Gang der kapitalistischen Akkumulation in seinem ganzen Werke, namentlich im dritten Bande, sehr ausführlich und deutlich niedergelegt. Und man braucht sich nur in diese Auffassung hineinzudenken, um das Unzulängliche des Schemas am Schluß des zweiten Bandes ohne Mühe einzusehen.

Prüft man das Schema der erweiterten Reproduktion gerade vom Standpunkte der Marxschen Theorie, so muß man finden, daß es sich mit ihr in mehreren Hinsichten im Widerspruch befindet.

Vor allem berücksichtigt das Schema die fortschreitende Produktivität der Arbeit gar nicht. Es setzt nämlich von Jahr zu Jahr trotz der Akkumulation dieselbe Zusammensetzung des Kapitals, d. h. dieselbe technische Grundlage des Produktionsprozesses voraus. Dieses Verfahren ist an sich, behufs Vereinfachung der Analyse, vollkommen zulässig. Das Absehen von den Verschiebungen der Technik, die dem Prozeß der Kapitalakkumulation parallel laufen und von ihm unzertrennlich sind, muß jedoch wenigstens hinterher in Betracht gezogen, angerechnet werden, wo man die konkreten Bedingungen der Realisierung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts und der Reproduktion untersucht. Zieht man aber die Fortschritte der Produktivität der Arbeit in Betracht, dann folgt daraus, daß die sachliche Masse des gesellschaftlichen Produkts – Produktionsmitte wie Konsumtionsmittel – noch viel rascher wächst als seine Wertmasse, wie das Schema anzeigt. Die andere Seite dieses Anwachsens der Masse der Gebrauchswerte ist aber auch eine Verschiebung der Wertverhältnisse. Nach der zwingenden Beweisführung Marxens, die einen der Ecksteine der Theorie bildet, äußert sich die fortschreitende Entwicklung der Produktivität der Arbeit darin, daß bei zunehmender Kapitalakkumulation die Zusammensetzung des Kapitals sowie die Mehrwertrate nicht konstant bleiben können, wie dies in dem Marxschen Schema unterstellt wird. Im Gegenteil, mit dem Fortgang der Akkumulation muß das c (konstantes Kapital) in beiden Abteilungen nicht bloß absolut, sondern auch relativ zu v + m oder dem gesamten geschaffenen Neuwert wachsen (gesellschaftlicher Ausdruck der Produktivität der Arbeit); gleichzeitig muß das konstante Kapital im Verhältnis zum variablen Kapital und ebenso der Mehrwert im Verhältnis zum variablen Kapital oder die Mehrwertrate wachsen (kapitalistischer Ausdruck der Produktivität der Arbeit). Daß diese Verschiebungen nicht buchstäblich in jedem Jahre eintreten, tut nichts zur Sache, wie auch die Bezeichnungen „erstes, zweites, drittes usw. Jahr“ im Marxschen Schema sich überhaupt nicht notwendig auf das Kalenderjahr beziehen und beliebige Zeitabschnitte bedeuten können. Endlich mögen die Verschiebungen in der Zusammensetzung des Kapitals sowie in der Mehrwertrate beliebig im ersten, dritten, fünften, siebenten usw. Jahr oder im zweiten, sechsten, neunten usw. unterstellt werden. Es kommt nur darauf an, daß sie überhaupt und als eine periodische Erscheinung in Betracht gezogen werden. Ergänzt man dementsprechend das Schema, so wird sich herausstellen, daß sogar bei dieser Akkumulationsmethode mit jedem Jahre ein wachsendes Defizit an Produktionsmitteln und wachsender Überschuß an Konsumtionsmitteln entstehen muß. Tugan-Baranowski freilich, der auf dem Papier aller Schwierigkeiten Herr wird, konstruiert einfach ein Schema mit anderen Proportionen, wobei er das variable Kapital von Jahr zu Jahr um 25 Prozent verringert. Da das Papier auch diese arithmetische Übung geduldig erträgt, ist das für Tugan ein Grund, mit Triumph zu „beweisen“, daß sogar bei absolutem Rückgang der Konsumtion die Akkumulation glatt wie am Schnürchen verläuft. Schließlich muß aber auch Tugan selbst zugehen, daß seine Annahme der absoluten Verringerung des variablen Kapitals mit der Wirklichkeit in schroffem Widerspruch steht. Das variable Kapital wächst im Gegenteil absolut in allen kapitalistischen Ländern, es geht nur relativ zurück im Verhältnis zum noch rascheren Wachstum des konstanten Kapitals. Nehmen wir aber, dem wirklichen Gang der Dinge entsprechend, von Jahr zu Jahr bloß ein rascheres Wachstum des konstanten und ein langsameres des variablen Kapitals sowie eine wachsende Mehrwertrate an, dann tritt ein Mißverhältnis zwischen der sachlichen Zusammensetzung des gesellschaftlichen Produkts und der Wertzusammensetzung des Kapitals in die Erscheinung. Nehmen wir z. B. im Marxschen Schema statt der ständigen Proportion von konstant zu variabel = 5 : 1 die fortschreitend höhere Zusammensetzung für den Zuwachs des Kapitals, im zweiten Jahr 6 : 1, im dritten 7 : 1, im vierten 8 : 1. Nehmen wir ferner, entsprechend der höheren Produktivität der Arbeit, auch eine fortlaufend wachsende Mehrwertrate – sagen wir, statt der stabilen Mehrwertrate von 100 Prozent setzen wir, trotz des relativ abnehmenden variablen Kapitals, den im Marxschen Schema jeweilig angenommenen Mehrwert. Gehen wir endlich von der jedesmaligen Kapitalisierung der Hälfte des angeeigneten Mehrwerts aus (ausgenommen die Abteilung II, die im ersten Jahr nach Marxscher Annahme mehr als die Hälfte, nämlich 184 von 285 m kapitalisiert). Dann erhalten wir das folgende Resultat:

Erstes Jahr

 I.

5.000 c +

1.000 v +

1.000 m =

7.000

(Produktionsmittel)

II.

1.430 c +

   285 v +

   285 m =

2.000

(Konsumtionsmittel)

 
Zweites Jahr

 I.

5.4284/7 c +

1.0713/7 v +

1.083 m =

7.583

II.

1.5875/7 c +

   3112/7 v +

   316 m =

2.215

 
Drittes Jahr

 I.

5.903 c +

1.139 v +

1.173 m =

8.215

II.

1.726 c +

   311 v +

   342 m =

2.399

 
Viertes Jahr

 I.

6.424 c +

1.205 v +

1.271 m =

8.900

II.

1.879 c +

   350 v +

   371 m =

2.600

Sollte die Akkumulation in dieser Weise vor sich gehen, dann ergäbe sich ein Defizit an Produktionsmitteln im zweiten Jahr um 16, im dritten in 45, im vierten um 88 und gleichzeitig ein Überschuß an Konsumtionsmitteln im zweiten Jahr um 16, im dritten um 45, im vierten um 88.

Das Defizit an Produktionsmitteln mag z. T. ein scheinbares sein. Infolge der steigenden Produktivität der Arbeit ist das Wachstum der Masse der Produktionsmittel ein rascheres als das ihrer Wertmasse, oder anders ausgedrückt, es folgt die Verbilligung der Produktionsmittel. Da es bei der Erhöhung der Technik der Produktion vor allem nicht auf den Wert, sondern auf den Gebrauchswert, auf die sachlichen Elemente des Kapitals ankommt, so mag trotz des Wertdefizits bis zu einem gewissen Grade tatsächlich eine ausreichende Menge Produktionsmittel zur fortschreitenden Akkumulation angenommen werden. Es ist dies dieselbe Erscheinung, die u. a. den Fall der Profitrate aufhält und ihn nur zu einem tendenziellen macht. Allerdings wäre aber, wie unser Beispiel zeigt, der Fall der Profitrate nicht aufgehalten, sondern gänzlich aufgehoben. Hingegen weist derselbe Umstand auf einen viel stärkeren Überschuß unabsetzbarer Konsumtionsmittel hin, als dies aus der Wertsumme dieses Überschusses hervorgeht. Es bliebe dann nur übrig, entweder die Kapitalisten der II. Abteilung zu zwingen, diesen Überschuß selbst zu konsumieren, wie Marx sonst mit ihnen verfährt, was für diese Kapitalisten das Gesetz der Akkumulation wieder in der Richtung zur einfachen Reproduktion beugen würde, oder dieser Überschuß muß als unabsetzbar erklärt werden.

Man kann freilich erwidern, daß dem Defizit an Produktionsmitteln, das sich in unserem Beispiel ergab, sehr leicht abzuhelfen wäre: Wir brauchen nur anzunehmen, daß die Kapitalisten der Abteilung I in stärkerem Maße ihren Mehrwert kapitalisieren. In der Tat liegt gar kein zwingender Grund vor, um anzunehmen, daß die Kapitalisten jeweilig nur die Hälfte ihres Mehrwerts zum Kapital schlagen, wie dies Marx in seinem Beispiel voraussetzt. Mag dem Fortschritt in der Produktivität der Arbeit eine fortschreitend wachsende Quote des kapitalisierten Mehrwerts entsprechen. Diese Annahme ist an sich um so zulässiger, als ja eine der Folgen der fortgeschrittenen Technik auch die Verbilligung der Konsumtionsmittel der Kapitalistenklasse ist, so daß sich die relative Wertverminderung ihrer verzehrten Revenue (im Vergleich zum kapitalisierten Teil) in derselben oder selbst steigenden Lebenshaltung für diese Klasse äußern mag. So dürfen wir denn z. B. annehmen, daß das von uns festgestellte Defizit an Produktionsmitteln für die Abteilung I durch die entsprechende Übertragung eines Teils des konsumierten Mehrwerts I (der ja in dieser Abteilung, wie alle Wertteile des Produkts, in der Gestalt von Produktionsmitteln zur Welt kommt) ins konstante Kapital, und zwar im zweiten Jahre im Betrage von 114/7, im dritten von 34, im vierten von 66, gedeckt wird. (2) Die Lösung der einen Schwierigkeit vergrößert indes nur die andere. Es ist ohne weiteres klar: Je mehr die Kapitalisten der Abteilung I ihre Konsumtion relativ einschränken, um die Akkumulation zu ermöglichen, um so mehr erweist sich auf seiten der Abteilung II ein unabsetzbarer Rest an Konsumtionsmitteln und dementsprechend die Unmöglichkeit, das konstante Kapital auch nur auf der bisherigen technischen Grundlage zu vergrößern. Die eine Voraussetzung: fortschreitende relative Einschränkung der Konsumtion bei den Kapitalisten I, müßte durch die andere Voraussetzung ergänzt werden: fortschreitende relative Vergrößerung der Privatkonsumtion der Kapitalisten II, die Beschleunigung der Akkumulation in der ersten Abteilung durch Verlangsamung in der zweiten, der Fortschritt der Technik in der einen durch den Rückschritt in der andern.

Diese Resultate sind kein Zufall. Was durch unsere obigen Versuche mit dem Marxschen Schema lediglich illustriert werden sollte, ist folgendes. Die fortschreitende Technik muß sich nach Marx selbst in dem relativen Wachstum des konstanten Kapitals im Vergleich mit dem variablen äußern. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer fortschreitenden Verschiebung in der Einteilung des kapitalisierten Mehrwerts zwischen c und v. Die Kapitalisten des Marxschen Schemas sind aber gar nicht in der Lage, diese Einteilung beliebig vorzunehmen, denn sie sind bei ihrem Geschäft der Kapitalisierung von vornherein an die Sachgestalt ihres Mehrwerts gebunden. Da nach der Marxschen Annahme die ganze Produktionserweiterung ausschließlich mit den eigenen kapitalistisch hergestellten Produktions- und Konsumtionsmitteln vorgenommen wird – andere Produktionsstätten und -formen existieren hier ebensowenig wie andere Konsumenten als die Kapitalisten und Arbeiter der beiden Abteilungen – und da andererseits Voraussetzung des glatten Fortganges der Akkumulation ist, daß das Gesamtprodukt der beiden Abteilungen in der Zirkulation restlos draufgeht, so ergibt sich das folgende Resultat: Die technische Gestaltung der erweiterten Reproduktion ist hier den Kapitalisten im voraus streng vorgeschrieben durch die Sachgestalt des Mehrprodukts. Mit anderen Worten: Die Erweiterung der Produktion kann und muß bei dem Marxschen Schema jeweilig nur auf einer solchen technischen Grundlage vorgenommen werden, bei der der ganze hergestellte Mehrwert der Abteilung I wie der Abteilung II Verwendung findet, wobei noch im Auge behalten werden muß, daß die beiden Abteilungen zu ihren respektiven Produktionselementen nur durch gegenseitigen Austausch gelangen können. Auf diese Weise ist die jeweilige Verteilung des zu kapitalisierenden Mehrwerts zwischen dem konstanten und variablen Kapital sowie die Verteilung der zuschüssigen Produktionsmittel und Konsumtionsmittel (der Arbeiter) zwischen den Abteilungen I und II im voraus bestimmt und gegeben durch die Sach- und Wertbeziehungen der beiden Abteilungen des Schemas. Diese Sach- und Wertbeziehungen drücken aber selbst schon eine ganz bestimmte technische Gestaltung der Produktion aus. Damit ist gesagt, daß bei Fortsetzung der Akkumulation unter den Voraussetzungen des Marxschen Schemas die jeweilig gegebene Technik der Produktion im voraus auch schon die Technik der folgenden Perioden der erweiterten Reproduktion bestimmt. Das heißt, wenn wir mit dem Marxschen Schema annehmen, daß die kapitalistische Produktionserweiterung stets nur mit dem im voraus in Kapitalgestalt produzierten Mehrwert vorgenommen wird, ferner – was indes nur die andere Seite derselben Annahme ist –, daß die Akkumulation der einen Abteilung der kapitalistischen Produktion in strengster Abhängigkeit von der Akkumulation der anderen Abteilung fortschreiten kann, dann ergibt sich, daß eine Verschiebung in der technischen Grundlage der Produktion (sofern sie sich im Verhältnis von c zu v ausdrückt) unmöglich ist.

Dasselbe läßt sich auch noch anders fassen. Es ist klar, daß die fortschreitend höhere organische Zusammensetzung des Kapitals, d. h. das raschere Wachstum des konstanten Kapitals im Vergleich zum variablen, ihren sachlichen Ausdruck im rascheren Wachstum der Produktion von Produktionsmitteln (Abteilung I) im Vergleich zur Produktion von Konsumtionsmitteln (Abteilung II) finden muß. Eine solche Abweichung im Akkumulationstempo der beiden Abteilungen ist aber durch das Marxsche Schema, das auf ihrer strengen Gleichmäßigkeit beruht, direkt ausgeschlossen. An sich steht nichts der Annahme im Wege, daß mit dem Fortschritt der Akkumulation und ihrer technischen Basis von der Gesellschaft fortlaufend eine größere Portion des zu kapitalisierenden Mehrwerts in der Abteilung der Produktionsmittel statt in derjenigen der Konsumtionsmittel angelegt wird. Da die beiden Abteilungen der Produktion nur Zweige derselben gesellschaftlichen Gesamtproduktion oder, wenn man will, Teilbetriebe des Gesamtkapitalisten darstellen, so ist gegen die Annahme einer solchen fortschreitenden Übertragung eines Teils des akkumulierten Mehrwerts – den technischen Erfordernissen gemäß – aus der einen Abteilung in die andere nichts einzuwenden, sie entspricht auch der tatsächlichen Praxis des Kapitals. Allein diese Annahme ist nur so lange möglich, wie wir den zur Kapitalisierung bestimmten Mehrwert als Wertgröße ins Auge fassen. Durch das Marxsche Schema und seine Zusammenhänge jedoch ist dieser Teil des Mehrwerts an eine bestimmte Sachgestalt gebunden, die direkt zur Kapitalisierung bestimmt ist. So stellt sich der Mehrwert der Abteilung II in Konsumtionsmitteln dar. Und da diese nur durch die Abteilung I realisiert werden können, so scheitert die beabsichtigte Übertragung eines Teils des kapitalisierten Mehrwerts aus der Abteilung II in de Abteilung I erstens an der Sachgestalt dieses Mehrwerts, mit der die Abteilung I offenbar nichts anfangen kann, zweitens aber an den Austauschverhältnissen zwischen beiden Abteilungen, die es mit sich bringen, daß der Übertragung eines Teiles des Mehrwerts in Produkten II in die erste Abteilung eine gleichwertige Übertragung von Produkten I in die zweite Abteilung entsprechen muß. Das raschere Wachstum der Abteilung I im Vergleich zur Abteilung II ist somit innerhalb der Zusammenhänge des Marxschen Schemas schlechterdings nicht zu erreichen.

Wie wir also immer die technische Verschiebung der Produktionsweise im Fortgang der Akkumulation ins Auge fassen, sie kann sich nicht durchsetzen, ohne die grundlegenden Beziehungen des Marxschen Schemas aus den Fugen zu bringen.

Ferner: Nach dem Marxschen Schema geht der jeweilige kapitalisierte Mehrwert in der nächsten Produktionsperiode unmittelbar und restlos in der Produktion auf, hat er doch von vornherein die Naturalgestalt, die seine Verwendung (außer der konsumierbaren Portion) nur in dieser Weise zulässig macht. Eine Bildung und Aufschatzung des Mehrwerts in Geldform, als anlagesuchendes Kapital, ist nach diesem Schema ausgeschlossen. Für das Einzelkapital nimmt Marx selbst als jeweilig freie Geldformen des Kapitals: erstens den allmählichen Geldniederschlag, der dem Verschleiß des fixen Kapitals entspricht und zu seiner späteren Erneuerung bestimmt ist, zweitens die Geldsummen, die den realisierten Mehrwert darstellen, aber noch nicht die zur Anlage erforderliche Minimalgröße erreicht haben. Beide Quellen des freien Kapitals in Geldgestalt kommen jedoch vom Standpunkt des Gesamtkapitals nicht in Betracht. Denn setzen wir nur einen Teil des realisierten gesellschaftlichen Mehrwerts als in Geldform verharrend und anlagesuchend voraus, dann entsteht sofort die Frage: Wer hat denn die Naturalgestalt dieses Teils abgenommen, und wer hat das Geld dafür gegeben? Antwortet man: eben andere Kapitalisten, dann muß bei der Klasse der Kapitalisten, wie sie im Schema durch die zwei Abteilungen dargestellt ist, auch dieser Teil des Mehrwerts als tatsächlich angelegt, in der Produktion verwendet gelten, und wir werden zu der unmittelbaren und restlosen Anlage des Mehrwerts zurückgeführt.

Oder aber bedeutet das Festgerinnen eines Teils des Mehrwerts in den Händen gewisser Kapitalisten in Geldform das Verharren eines entsprechenden Teiles des Mehrprodukts in den Händen anderer Kapitalisten in seiner sachlichen Form, die Aufspeicherung des realisierten Mehrwerts bei den einen – die Unrealisierbarkeit des Mehrwerts bei den anderen, sind doch die Kapitalisten die einzigen Abnehmer des Mehrwerts füreinander. Damit wäre aber der glatte Fortgang der Reproduktion und also auch der Akkumulation, wie ihn das Schema schildert, unterbrochen. Wir hätten eine Krise, aber nicht eine Krise aus Überproduktion, sondern aus bloßer Absicht der Akkumulation, eine Krise, wie sie Sismondi vorschwebte.

An einer Stelle seiner „Theorien“ erklärt Marx ausdrücklich, daß er hier gar nicht auf den Fall eingehe, „daß mehr Kapital akkumuliert ist, als in der Produktion unterzubringen, z. B. in der Form von Geld, {das} brach bei Bankiers liegt. Daher das Ausleihen ins Ausland etc.“ (3) Marx verweist diese Erscheinungen in den Abschnitt von der Konkurrenz. Aber es ist wichtig festzustellen, daß sein Schema die Bildung eines solchen überschüssigen Kapitals direkt ausschließt. Die Konkurrenz, wie weit wir auch den Begriff fassen, kann offenbar nicht erst Werte, also auch Kapital, schaffen, die sich nicht aus dem Reproduktionsprozeß ergeben.

Das Schema schließt auf diese Weise die sprunghafte Erweiterung der Produktion aus. Es läßt nur die stetige Erweiterung zu, die mit Bildung des Mehrwerts genau Schritt hält und auf der Identität zwischen Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts beruht.

Aus demselben Grunde unterstellt das Schema eine Akkumulation, die beide Abteilungen, also sämtliche Zweige der kapitalistischen Produktion, gleichmäßig ergreift. Eine sprungweise Erweiterung des Absatzes erscheint hier ebenso ausgeschlossen wie die einseitige Entwicklung einzelner kapitalistischer Produktionszweige, die anderen weit vorauseilen.

Das Schema setzt also eine Bewegung des Gesamtkapitals voraus, die dem tatsächlichen Gang der kapitalistischen Entwicklung widerspricht. Die Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise wird durch zwei Tatsachen auf den ersten Blick charakterisiert: einerseits periodische sprungweise Expansion des ganzen Produktionsfeldes, andererseits höchst ungleichmäßige Entwicklung verschiedener Produktionszweige. Die Geschichte der englischen Baumwollindustrie, das charakteristischste Kapitel in der Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise seit dem letzten Viertel des 18. bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts, erscheint vom Standpunkte des Marxschen Schemas völlig unerklärlich.

Endlich widerspricht das Schema der Auffassung vom kapitalistischen Gesamtprozeß und seinem Verlauf, wie sie von Marx im dritten Bande des Kapitals niedergelegt ist. Der Grundgedanke dieser Auffassung ist der immanente Widerspruch zwischen der schrankenlosen Expansionsfähigkeit der Produktivkraft und der beschränkten Expansionsfähigkeit der gesellschaftlichen Konsumtion unter kapitalistischen Verteilungsverhältnissen. Hören wir zu, wie Marx ihn im 15. Kapitel Entfaltung der innern Widersprüche des Gesetzes (der fallenden Profitrate) ausführlich schildert:

„Die Schöpfung von Mehrwert findet, die nötigen Produktionsmittel, d. h. hinreichende Akkumulation von Kapital vorausgesetzt, keine andre Schranke als die Arbeiterbevölkerung, wenn die Rate des Mehrwerts, also der Exploitationsgrad der Arbeit, und keine andre Schranke als den Exploitationsgrad der Arbeit, wenn die Arbeiterbevölkerung gegeben ist. Und der kapitalistische Produktionsprozeß besteht wesentlich in der Produktion von Mehrwert, dargestellt in dem Mehrprodukt oder dem aliquoten Teil der produzierten Waren, worin unbezahlte Arbeit vergegenständlicht ist. Man muß es nie vergessen, daß die Produktion dieses Mehrwerts – und die Rückverwandlung eines Teils desselben in Kapital, oder die Akkumulation, bildet einen integrierenden Teil dieser Produktion des Mehrwerts – der unmittelbare Zweck und das bestimmende Motiv der kapitalistischen Produktion ist. Man darf diese daher nie darstellen als das, was sie nicht ist, nämlich als Produktion, die zu ihrem unmittelbaren Zweck den Genuß hat oder die Erzeugung von Genußmitteln für den Kapitalisten (und natürlich noch viel weniger für den Arbeiter – R.L.). Man sieht dabei ganz ab von ihrem spezifischen Charakter, der sich in ihrer ganzen innern Kerngestalt darstellt.

Die Gewinnung dieses Mehrwerts bildet den unmittelbaren Produktionsprozeß, der wie gesagt keine andern Schranken als die oben angegebnen hat. Sobald das auspreßbare Quantum Mehrarbeit in Waren vergegenständlicht ist, ist der Mehrwert produziert. Aber mit dieser Produktion des Mehrwerts ist nur der erste Akt des kapitalistischen Produktionsprozesses, der unmittelbare Produktionsprozeß beendet. Das Kapital hat soundsoviel unbezahlte Arbeit eingesaugt. Mit der Entwicklung des Prozesses, der sich im Fall der Profitrate ausdrückt, schwillt die Masse des so produzierten Mehrwerts ins Ungeheure. Nun kommt der zweite Akt des Prozesses. Die gesamte Warenmasse, das Gesamtprodukt, sowohl der Teil, der das konstante und variable Kapital ersetzt, wie der den Mehrwert darstellt, muß verkauft werden. Geschieht das nicht, oder nur zum Teil, oder nur zu Preisen, die unter den Produktionspreisen stehn, so ist der Arbeiter zwar exploitiert, aber seine Exploitation realisiert sich nicht als solche für den Kapitalisten, kann mit gar keiner oder nur mit teilweiser Realisation des abgepreßten Mehrwerts, ja mit teilweisem oder ganzem Verlust seines Kapitals verbunden sein. Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die andren durch die Proportionalität der verschiednen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft. Diese letztre ist aber bestimmt weder durch die absolute Produktionskraft noch durch die absolute Konsumtionskraft; sondern durch die Konsumtionskraft auf Basis antagonistischer Distributionsverhältnisse, welche die Konsumtion der großen Masse der Gesellschaft auf ein nur innerhalb mehr oder minder enger Grenzen veränderliches Minimum reduziert. Sie ist ferner beschränkt durch den Akkumulationstrieb, den Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwert auf erweiterter Stufenleiter. Dies ist Gesetz für die kapitalistische Produktion, gegeben durch die beständigen Revolutionen in den Produktionsmethoden selbst, die damit beständig verknüpfte Entwertung von vorhandnem Kapital, den allgemeinen Konkurrenzkampf und die Notwendigkeit, die Produktion zu verbessern und ihre Stufenleiter auszudehnen, bloß als Erhaltungsmittel und bei Strafe des Untergangs. Der Markt muß daher beständig ausgedehnt werden, so daß seine Zusammenhänge und die sie regelnden Bedingungen immer mehr die Gesteines von den Produzenten unabhängigen Naturgesetzes annehmen, immer unkontrollierbarer werden. Der innere Widerspruch sucht sich auszugleichen durch Ausdehnung des äußern Feldes der Produktion. Je mehr sich aber die Produktivkraft entwickelt, um so mehr gerät sie in Widerstreit mit der engen Basis, worauf die Konsumtionsverhältnisse beruhen. Es ist auf dieser widerspruchsvollen Basis durchaus kein Widerspruch, daß Übermaß von Kapital verbunden ist mit wachsendem Übermaß von Bevölkerung; denn obgleich, beide zusammengebracht, die Masse des produzierten Mehrwerts sich steigern würde, steigert sich eben damit der Widerspruch zwischen den Bedingungen, worin dieser Mehrwert produziert, und den Bedingungen, worin er realisiert wird.“ (4)

Vergleicht man diese Schilderung mit dem Schema der erweiterten Reproduktion, so stimmen sie durchaus nicht überein. Nach dem Schema besteht zwischen der Produktion des Mehrwerts und seiner Realisierung gar kein immanenter Widerspruch, vielmehr immanente Identität. Der Mehrwert kommt hier von vornherein in einer ausschließlich für die Bedürfnisse der Akkumulation berechneten Naturalgestalt zur Welt. Er kommt als zuschüssiges Kapital schon aus der Produktionsstätte heraus. Damit ist seine Realisierbarkeit gegeben, nämlich in dem Akkumulationstrieb der Kapitalisten selbst. Diese lassen, als Klasse, den von ihnen angeeigneten Mehrwert im voraus ausschließlich in der Sachgestalt produzieren, die seine Verwendung zur weiteren Akkumulation sowohl ermöglicht als bedingt. Die Realisierung des Mehrwerts und seine Akkumulation sind hier nur zwei Seiten eines und desselben Vorgangs, sind begrifflich identisch. Für den Prozeß der Reproduktion, wie er im Schema dargestellt ist, ist die Konsumtionskraft der Gesellschaft deshalb auch keine Schranke der Produktion. Hier schreitet die Erweiterung der Produktion von Jahr zu Jahr automatisch fort, ohne daß die Konsumtionskraft der Gesellschaft über ihre „antagonistischen Distributionsverhältnisse“ hinausgegangen wäre. Dieses automatische Fortschreiten der Erweiterung, der Akkumulation, ist freilich „Gesetz für die kapitalistische Produktion – bei Strafe des Untergangs“. Aber nach der Analyse im dritten Bande „muß der Markt daher beständig ausgedehnt werden“, „der Markt“ offenbar über die Konsumtion der Kapitalisten und der Arbeiter hinaus. Und wenn Tugan-Baranowski den unmittelbar darauffolgenden Satz bei Marx: „Der innere Widerspruch sucht sich auszugleichen durch Ausdehnung des äußern Feldes der Produktion“ so interpretiert, als ob Marx mit dem „äußern Feld der Produktion“ eben die Produktion selbst gemeint habe, so tut er damit nicht bloß dem Sinn der Sprache, sondern auch dem klaren Gedankengang Marxens Gewalt an. Das „äußere Feld der Produktion“ ist hier klar und unzweideutig nicht die Produktion selbst, sondern die Konsumtion, die „beständig ausgedehnt werden muß“. Daß Marx so und nicht anders dachte, dafür zeugt genügend z. B. die folgende Stelle in den Theorien über den Mehrwert: „Ric{ardo} leugnet daher konsequent die Notwendigkeit einer Erweiterung des Markts mit Erweiterung der Produktion und Wachstum des Kapitals. Alles Kapital, das in einem Lande vorhanden ist, kann auch vorteilhaft in diesem Lande verwandt werden. Er polemisiert daher gegen A. Smith, der einerseits seine (Ric{ardos}) Ansicht aufgestellt und mit seinem gewöhnlichen vernünftigen Instinkt ihr auch widersprechen hat.“ (5)

Und noch eine andere Stelle bei Marx zeigt deutlich, daß ihm der Tugan-Baranowskische Einfall einer Produktion um der Produktion willen völlig fremd war: „Außerdem findet, wie wir gesehn haben (Buch II, Abschn. III), eine beständige Zirkulation statt zwischen konstantem Kapital und konstantem Kapital (auch abgesehn von der beschleunigten Akkumulation), die insofern zunächst unabhängig ist von der individuellen Konsumtion, als sie nie in dieselbe eingeht, die aber doch durch sie definitiv begrenzt ist, indem die Produktion von konstantem Kapital nie seiner selbst willen stattfindet, sondern nur, weil mehr davon gebraucht wird in den Produktionssphären, deren Produkte in die individuelle Konsumtion eingehn.“ (6)

Nach dem Schema im zweiten Bande, an das sich Tugan-Baranowski allein klammert, ist freilich der Markt mit der Produktion identisch. Den Markt erweitern heißt hier die Produktion erweitern, denn die Produktion ist sich hier selbst ausschließlicher Markt (die Konsumtion der Arbeiter ist nur ein Moment der Produktion, nämlich Reproduktion des variablen Kapitals). Daher hat Ausdehnung der Produktion und des Marktes eine und dieselbe Schranke: die Größe des gesellschaftlichen Kapitals oder die Stufe der bereits erreichten Akkumulation. Je mehr Mehrwert – in Naturalform des Kapitals – ausgepreßt worden ist, desto mehr kann akkumuliert werden, und je mehr akkumuliert wird, um so mehr kann Mehrwert in Kapitalgestalt, die seine Naturalgestalt ist, untergebracht, realisiert werden. Nach dem Schema existiert also der in der Analyse des dritten Bandes gekennzeichnete Widerspruch nicht. Es liegt hier – im Prozeß, wie er im Schema dargestellt ist – gar keine Notwendigkeit vor, den Markt über die Konsumtion der Kapitalisten und Arbeiter hinaus beständig auszudehnen, und die beschränkte Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ist gar kein Hindernis für einen glatten Fortgang und die unumschränkte Ausdehnungsfähigkeit der Produktion. Das Schema läßt wohl Krisen zu, aber ausschließlich aus Mangel an Proportionalität der Produktion, d. h. aus Mangel an gesellschaftlicher Kontrolle über den Produktionsprozeß. Es schließt dagegen den tiefen fundamentalen Widerstreit zwischen Produktionsfähigkeit und Konsumtionsfähigkeit der kapitalistischen Gesellschaft aus, der sich gerade aus der Kapitalakkumulation ergibt, der sich periodisch in Krisen Luft macht und der das Kapital zur beständigen Markterweiterung antreibt.

Fußnoten von Rosa Luxemburg

1. „Es sind nie die originellen Denker, welche die absurden Konsequenzen ziehn. Sie überlassen das den Says und MacCullochs.“ (Das Kapital, Bd. II, S. 365.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24 S. 389.] und den Tugan-Baranowskis, fügen wir hinzu.

2. Die Zahlen ergeben sich als Differenz zwischen der von uns bei fortschreitender Technik angenommenen Größe des konstanten Kapitals der Abt. I und der im Marxschen Schema (Das Kapital, Bd. II, S. 496) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 514.] bei unveränderter Technik gesetzten Größe.

3. Theorien, Bd. II, Teil 2, S. 252. [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 485.]

4. Das Kapital, Bd. III, Teil 1. S. 224 ff. [Karl Marx: Das Kapital, Dritter Band. In Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, S. 253–255.]

5. Theorien, Bd. II, Teil 2, S. 305. [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 525.]

6. Das Kapital, Bd. III, Teil 1. S. 289. [Karl Marx: Das Kapital, Dritter Band. In Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, S. 316/317.]



Anmerkungen der Redaktion

1*. Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 606/607.

2*. Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 372.


Zuletzt aktualisiert am 14.1.2012