Aus: Der Freidenker (New Ulm), 26. Juni 1932, S. 14.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.
B. Traven Die Baumwollpflücker Roman in Leinen 5,-Mk. (Universitas Deutsche Verlags Aktien Gesellschaft, Berlin W.)
Der Prospekt des Verlags sagt über die „Baumwollpflücker“ folgendes:
„(Es ist)... die einfache Geschichte eines amerikanischen Arbeiters, der in Mexiko von den Farmen zur Stadt, aus den Städten über Land zieht und jede Arbeitsmöglichkeil ergreift, die sich ihm bietet. Er ist Baumwollpflücker, Bäcker, Kellner, Viehtreiber, Vagabund und organisierter Arbeiter zugleich. Diese Abenteuer, ein Niederschlag von Travens eigenem Erleben, sind wieder durchdrungen von seinem sozialen Menschlichkeitsgefühl, getragen von seiner Kenntnis Mexikos; zugleich aber ist dieses Buch ein ungewöhnlich stimmungsvolles, manchmal fast lyrisches Werk; und der eigentümliche Humor Travens, der auch diesen Roman wieder durchleuchtet, macht ihn zu einem hinreißenden Epos der Lebensfreude. Nie noch ist in einer sozialen Dichtung das Glück des Daseins so stark zum Ausdruck gekommen, und gerade dadurch gewinnt dieses prachtvolle Buch seine Überzeugungskraft.“ —
Nachdem sich viele Autoritäten für Traven im Sinne des obigen Prospektausschnittes und noch darüber hinaus ausgesprochen haben und es jetzt fast bald ein jeder weiß was Traven doch für ein Kerl ist, ist es fast unangenehm seine Bücher weniger wichtig und interessant zu finden. Der Erfolg ist auf Travens Seite und ehrlich gesagt, er ist ihm voll zu gönnen, denn in der Belletristik ist ja letzten Endes doch entscheidend, wieviel Freude ein Schriftsteller vermitteln kann. Wir haben heute nur über ein Buch zu sprechen und deshalb ist diese Kritik nicht eine an dem Mann Traven, sondern sie befaßt sich nur mit diesem einen Buch.
In den Baumwollpflückern ist Traven ein mittelmäßiger Schriftsteller ohne jede Überzeugungskraft. Sein Humor ist albern und seine Kenntnisse überzeugen nur in soweit, daß man zugeben kann, daß er „da mal hineingerochen hat“!
Mehr nicht. Das Buch hieß zuerst „Der Wobbly“, aber es hat nichts mit Wobblys zu tun, oder doch hur mit einem, der sich einbildete einer zu sein, schon weil es so gut klingt. Traven ist kein Wobbly, sondern ein Erzähler, er schreibt nicht um eine Ansicht zu vertreten, sondern er arbeitet mit Tricks um Leser in Spannung zu halten. Er schreibt bewußt für den Erfolg, nicht seiner Ideen, denn er hat keine eigenen, sondern um dem Leser zu gefallen.
Nur einige Beispiele: Traven schlägt mit der Faust gegen die Wand eines unbewohnten Hauses im Busch. Etwas „Geheimnisvolles“ fällt herab. Wahrscheinlich eine Leiche, denkt er, aber er geht nicht in das Haus um sich zu überzeugen. Der Leser ist interessiert: ist es eine Leiche? Was ist es? „Der ganze Kerl“ geht nicht in das Haus, trotzdem der Gedanke der Leicheneventualität ihn quält. Ginge er wie ein normaler Mensch ins Haus, die Spannung wäre aufgehoben. Ueberzeugend geschrieben?— Billiges Handwerk. Man gibt dem Leser die notwendige Leiche, aber man will einen spannenden Film drehen, der den Kindern den Atem raubt, so gibt man die Leiche nicht sofort, man spitzt den Leser auf die Leiche, läßt ihn am Zweifel, na rate mal Kleiner, und dann gib es die erlösende Aufklärung.
Das Buch soll ja nur Unterhalten. Stimmt, das tut es auch, streckenweise sehr schlecht, ungekonnt naiv, aber wozu dann all die großen Worte, die Vergleiche mit Balzac usw. Karl May mit einer Prise Klassenkampf und up to date. Traven hat viele Berufe, aber seinen Hauptberuf betätigt er sich doch am Schreibtisch. Er findet doch immer wie- der aus dem Busch zurück. Warum auch nicht aber wozu das Theater. Der Anzahl seiner Bücher nach zu urteilen nimmt der Schreibtisch ihn mehr in Anspruch als der' Busch, denn im Busch schreibt man keine Bücher.
Die Schilderung des Streiks der Baumwollpflücker zeigt uns Traven in einem neuen Licht. Hier ist er ein ausgezeichneter Revue-Direktor. Und wie er das arrangiert: Zur richtigen Sekunde wird gesungen. Die Abstände der Schauspielergruppen werden genau eingehalten, sind genau eingehalten. Der erste Tenor singt, die anderen fallen ein, der Rest der Statisten summt mit und wiegt die Körper im Takt. Der Refrain klappt ausgezeichnet, alle stehen wie blöd umher. Alle wenden sich wie ein Mann. Drei Schritte rechts - wie auf der Bühne. Überzeugend? O, ja, für alle die so was noch nicht gesehen haben. Traven hat keine Ahnung von der Arbeiterbewegung, auch von der im Busch nicht. Traven ist ein Verherrlicher der mexikanischen Arbeiterregierung und hier wirkt er als Märchenerzähler am stärksten. Nebenbei, um es noch unwahrscheinlicher zu machen, widerlegt er sich selbst.
Einmal ist die Polizei folgendes „In allen Ländern der hohen Zivilisation, in England, in Deutschland, in Amerika und erst recht von den anderen Ländern ist es die Polizei die peitscht, und ist es der Arbeiter, der gepeitscht wird.“ Und er beweist dies für Mexiko zugleich in einer Schilderung, die uns einen peitschenden Polizisten und einen für nichts ausgepeitschten Arbeiter zeigt. Etwas später, im Kellnerstreik (in dem gegen alle Logik, aber natürlich Traven zuliebe, ein Streikbrecher trotz aller Gefahr liebenswürdig seinen Kopf genau soweit einem Streiker entgegenstreckt, daß dieser Gelegenheit erhält, ihm mit einem Stück Holz auf den Kopf zu schlagen) fährt ein Polizist im Interesse der Streiker einen Gasthausbesitzer folgendermaßen an: „Die Kellner zahlen auch Steuern, genau so gut wie sie!“ Weiter: „...Es hatten sich Leute angesammelt, die alle auf Seiten der Kellner waren. Und zum Teil waren es deren Ausbrüche der Sympathie, die dem Polizisten, der ja auch Prolet war, das Rückgrat steiften.“ Und weiter: was für Konsule wir in Mexiko haben. Hören wir nur wie er (nach Traven) einen Streikbrecher belehrt: „Ja, lieber Freund, sie sind hier nicht in Deutschland. Streikbrecher sind hier nicht beliebt. Wir haben hier eine Arbeiterregierung, und zwar eine richtige Arbeiterregierung, die zu den Arbeitern hält.“— Wenn der Konsul das sagt, wird es ja stimmen, jedenfalls stimmt es für den ganzen Kerl Traven. Man sollte Traven bitten, einmal Mexiko zu besuchen.
Traven wird oft als Gesinnungsgenosse, als Klassenkämpfer hingestellt, er selbst nennt sich Wobbly, aber wo gab es schon einen Wobbly, der folgendermaßen dachte: „Alles ist Busch. Überall ist Busch. Friß! oder du wirst gefressen! Die Fliege von der Spinne, die Spinne vom Vogel, der Vogel von der Schlange, die Schlange vom Coyote, der Coyote von der Tarantel, die Tarantel vom Vogel, der Vogel vom — immer im Kreise herum. Bis eine Erdkatastrophe kommt oder eine Revolution und der Kreis von neuem beginnt, nur anders herum.“ Aber wenn irgend ein Wobbly auf der Erde nichts weiß, eins, ein Wort, einen Begriff kennen sie alle, eine Weltanschauung eint sie alle und die drückt sich aus in dem einen Wort: SOLIDARITAET.
Also genau das Gegenteil von der Weltanschauung des Wobblys Traven, der da bauernschlau, eine Philosophie aufwärmt, die unsere Großväter mit viel Stolz trugen.
Aber sein Buch wird gerade wegen der Mängel gelesen werden. Denn wirkliche Gedanken unterhalten nicht. Und der Mensch liebt es unterhalten zu werden.
Zuletzt aktualisiert am 7.6.2009