Paul Mattick


Schwarze Amerikaner

(1932)


Aus: Urania, Kulturpolitische Monatshefte über Natur und Gesellschaft, 1932, 9 Jg., Nr. 9, S. 262-5.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



Siebzig Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, der die Sklaverei in diesem Lande offiziell beseitigte und die Neger zu „freien“ Bürgern mit Stimmrecht machte, gibt es in den USA. noch immer eine „Negerfrage“. Und dieses Negerproblem wird nicht eher aufhören, Problem zu sein, bis in der Gesellschaft sozialistische Harmonie Einkehr hält. Die Befreiung der Neger ist erst möglich mit der Befreiung der Arbeit. Außerhalb Amerikas existieren 70 Jahre nach dem Erscheinen des Romans Onkel Toms Hütte, der wie kein anderer die zivilisierte Christenwelt zu Tränen rührte, noch 5 Millionen Sklaven unter ähnlichen und schlechteren Verhältnissen als den darin geschilderten.

Im Jahre 1619 wurden die ersten Negersklaven nach Amerika verkauft. Holländische und englische Unternehmer trieben schon ein Jahrhundert lang schwunghaften Handel mit Negern, die sie an der Küste Afrikas fingen und in den westindischen Kolonien verkauften. Währenddessen herrschte in Nordamerika Mangel an „freien Arbeitern“. Man stahl Kinder in den Straßen Londons, um sie nach der Neuen Welt zu bringen, und leerte die englischen Gefängnisse, um die Sträflinge nach Amerika zu verfrachten und den Hundertprozentigen von 1933 einen Stammbaum zu pflanzen.

Und doch fehlte es weiter an Arbeitermaterial. Jene Armen, die selbständig als eigene Herren ihr Leben verbringen wollten, siedelten sich selbst auf dem reichlich vorhandenen Freiland an, anstatt die Plantagen der Großbesitzer zu bearbeiten. Deshalb wurden Sklaven zur Notwendigkeit. Was notwendig ist, ist nach der Moral der Grundbesitzer auch erlaubt, deren Vorstellungswelt eben der Grundbesitz war. Der Preis für einen Neger betrug anfänglich 300 Dollar und stieg langsam bis auf 4000 Dollar kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges.

Die Statistik deutet an, wie profitabel die Anschaffung der Sklaven gewesen sein muß, wenn 1760 bei einer Bevölkerung von 300 000 mehr als die Hälfte Schwarze waren. Das Anwachsen der Sklaverei ging mit der Entwicklung des Tabakhandels parallel und schlug alle Rekorde bei Beginn der Baumwollherstellung. Mit dem sich steigernden Verbrauch an Tabak und Baumwolle steigerte sich auch der Verbrauch von Negern. Nicht mehr war man, wie anfänglich, daran interessiert, Neger solange wie möglich auszubeuten, sondern man achtete auf ihre eiligste Verwertung. Man schlug — und dies buchstäblich — in kürzester Zeit soviel wie möglich aus ihnen heraus.

Zur Zeit der Baumwollkonjunktur betrug das durchschnittliche Arbeitsleben eines Sklaven sieben Jahre. Seine soziale Stellung war die eines Pferdes oder Hundes, wenn man bedenkt, daß Tierschutzvereine noch unbekannt waren, so daß sich die damalige Lage eines Negers nicht mit der heutigen Lage eines Pferdes vergleichen läßt. Leute mit reicher Phantasie, wie z. B. Mme. Lalaurie von New Orleans, hielten sich Sklaven, um die Langeweile der sonnigen Sonntagnachmittage zu überwinden. Diese Dame ließ ihr lebendes Eigentum an die Wände ihrer im spanischen Stil erbauten Villa schmieden und schnitt den Opfern mit der Schere die Ohren ab oder verbrannte sie stückweise. Wer keine Sklaven hatte, galt nicht als vollberechtigtes Mitglied der Gesellschaft. So war George Washington nicht nur Amerikas größter Held, sondern auch einer der größten Sklavenhalter. Die Sklaverei war jedoch nur solange „natürlich“, wie sie profitabel war. Prinzipiell ist niemand für Sklaverei, abgesehen von Opfern ihrer Leidenschaften wie Mme. Lalaurie. So sagte Ellsworth 1808 in einer Debatte sehr richtig:

„Weshalb über Sklaverei streiten? Wenn die Bevölkerung wächst, werden wir genug arme Arbeiter haben, so daß die Sklaverei ihren Sinn verliert.“

Und Jon Adams stimmte dieser Auffassung mit den Worten zu:

„In manchen Länden nennt man die Arbeiter ‚freie’ Arbeiter, in anderen Sklaven, aber der Unterschied zwischen beiden ist nur ein eingebildeter.“

Der dauernd steigende Preis der Neger kam bald mit den Notwendigkeiten der sich entwickelnden Industrie in Konflikt. 1853 schrieb der Londoner Economist:

„Sklaven sind sehr teure Produktionsinstrumente. Sie steigern die Warenpreise. Sie essen und verbrauchen auch dann, wenn es für sie keine Arbeit gibt. Anders bei der Lohnarbeit. Dort ist die Verantwortung des Unternehmers zu Ende, sobald er den Tagelohn bezahlt hat. Man macht heute höhere Profite bei Verwendung von Lohnarbeit als bei Anwendung von Sklaven, Die Rothschilds und die Astors, die Lohnarbeit benutzen, sind heute die Millionäre, nicht die Plantagenbesitzer des Südens“.

Mit der Entwicklung der Industrie in den Nordstaaten und mit dem größeren Mehrwert, den sie durch die Ausbeutung von Lohnarbeit erzeugte, wurden ihre Kapitalisten zur ökonomisch stärksten Klasse. Die Regierungsgewalt war jedoch noch in den Händen der Südstaaten. die sie zur Verfechtung ihrer eng mit der Sklaverei verknüpften Interessen benutzten. Die aufsteigenden Kapitalisten konstituierten sich zur „Republikanischen Partei“ und machten der den Süden vertretenden „Demokratischen Partei“' den Rang streitig. Als Kapitalisten forderten sie Schutzzölle und Eisenbahnen, Gesetze, die die Vertrustung ermöglichten, und eine Agressivpolitik gegen die Arbeiter, die sich zu regen begannen. Die Demokraten hatten dagegen ganz andere Interessen, nämlich „Freihandel, Sklaverei und mehr Land für die Plantagenbesitzer“. Allein hier lagen die Gründe für den Bürgerkrieg, nicht im Edelmut der Nord- und der Unmenschlichkeit der Südstaaten.

Der Bürgerkrieg von 1861—1865 endete mit dem Sieg der Industriemächte und führte zur kapitalistischen Entfaltung Amerikas, die alles Bisherige in den Schatten stellte. Jetzt gibt es nur noch freie Arbeiter ohne Rücksicht auf die Hautfarbe: man kauft nicht mehr Arbeiter, sondern Arbeitskraft. Der Neger ist vom Hunde zum zweitrangigen Menschen aufgerückt und auf diesem Niveau wird man ihn halten, bis die Niveaufabrikanten abgesetzt sind. Noch heute schreiben „gebildete“ Leute das englische Wort „negro“ klein, während alle ähnlichen Namen wie „Indian“ (Indianer), „German“ (Deutscher), „Italian“ (Italiener) und „Japanese“ (Japaner) große Anfangsbuchstaben haben.

* * *

Die USA hatten 1930 rund 12 Millionen Schwarze, von denen 5 Millionen auf den Farmen leben. In den Industrien und Städten verrichten sie die „niedrigste“ und schwerste Arbeit. Sie sind Kohlentrimmer, Bergleute, Straßenarbeiter, Hotelpersonal und dergleichen. Ihre Löhne sind fast immer niedriger als die Löhne der Weißen. Viele Betriebe beschäftigen grundsätzlich keine Neger, andere wieder ausschließlich. Jedenfalls versucht die Bourgeoisie die Trennung von Schwarz und Weiß mit allen Mitteln aufrechtzuhalten. So gibt es in vielen Staaten Gesetze, die Ehen zwischen Schwarzen und Weißen verbieten. Selbst die reaktionären Arbeiterorganisationen pflegen die Rassenantipathie durch Aufnahmeverweigerung von Negern in die Gewerkschaften. Die meisten der dauernd getretenen Arbeiter sind eben ihrerseits froh, nicht die unterste Stufe der Menschheit darzustellen und so treten sie die „Nigger“ wie Hunde. Ihre Einstellung zu den Negern beruht auf völliger Unkenntnis. Man weicht ihnen aus und will sie nicht kennenlernen und hat sein Urteil trotzdem fertig. Es gibt Leute, die fünfzig Jahre in Amerika gelebt haben, ohne auch nur einen Schwarzen näher kennengelernt zu haben, trotzdem sie stundenlang über die unangenehmen Seiten jener Neger sprechen können.

Der Rassenhaß findet seine höchste Steigerung in den Volksfesten, die man als „Lynchjustiz“ kennt. Der „Lynchinstinkt“ ist ein Produkt der Presse und wird oft zu den primitivsten Geschäften benutzt. Ein Negerarbeiter ging zum Beispiel in das Büro des Arbeitgebers und verlangte seinen, seit Monaten ausstehenden Lohn. Um diesen Lohn zu sparen, verbreitete der kleine Unternehmer, der Neger hätte seine Frau zu vergewaltigen versucht. Noch am selben Abend hing das Opfer an einem Baum. Ein Ausnahmefall? O nein, nur ein sehr klarer Fall. Anlaß zum Lynchen ist mitunter gegeben, wenn ein Neger von seinem Wahlrecht Gebrauch macht oder gegen einen Weißen als Zeuge auftritt oder diesem nur widerspricht. Die beabsichtigte Vergewaltigung einer weißen Frau wird von den Zeitungen im Süden besonders gern nachträglich in die Fälle hineingedichtet, wenn die weißen Uebeltäter gestellt worden sind und sich nun vor Gericht verantworten sollen.

Als die Gefahr der Wirtschaftskämpfe im Süden stieg und eine gemeinsame Streikfront von Weißen und Negern zu befürchten war, mußte man diese Front durch die Schaffung und Aufstachelung einer unsinnigen Rassenfeindschaft zerbrechen. Das Resultat ist der Fall Scottsboro mit acht Negern auf dem elektrischen Stuhl.

Dieses Mordurteil gehört zur „gesetzlichen“ Lynchung, die leider von keiner Statistik erfaßt wird. Aber auch jene ungesetzlichen Fälle reihen sich zu Zahlen zusammen, die jedem Kulturmenschen das Gruseln lehren können. So wurden von 1882—1927 in den zehn rückschrittlichsten Staaten 3071 Neger gelyncht:

Mississippi 517

Georgia 510

Texas 370

Louisiana 347

Alabama 304

Florida 247

Arkansas 244

Tennessee 213

South Carolina 165

Kentucky 154

1931 gab es in den Vereinigten Staaten „nur noch“ 13 ungesetzliche Lynchungen.

* * *

Im Norden läßt der Negerhaß langsam nach. Arbeitslosigkeit und Wohlfahrtsunterstützung wirken gleichmachend. Die Arbeiter erfahren praktisch, daß sie alle arme Teufel sind, welche Hautfarbe sie auch haben mögen. Die radikalen Arbeiterorganisationen werfen sich mit ihrer Propaganda gegen die Rassenvorurteile. Gemeinsame Demonstrationen sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Nur im Süden hat sich nichts geändert. Der Arbeitslose, der dort durch die Anlagen streift und arbeitende Neger sieht, flucht auf die Konkurrenz und pfeift heute nur noch stärker zwischen den Zähnen: „Diese gottverfluchten Nigger!“

Die Befreiung der schwarzen Amerikaner war nichts als eine wirtschaftliche Notmaßnahme. Man gab ihm das „Recht“, seine Arbeitskraft zu verkaufen, und zwang ihn, sie billig zu verkaufen. Die Arbeitskrise der weißen Arbeitskraft erhöht den Konkurrenzhaß gegen die schwarze. Hört aber die Arbeitskraft auf, Ware zu sein, so verschwindet die Konkurrenz und damit der Boden des Rassenvorurteils. Die Negerfrage kann somit nur vom Sozialismus gelöst werden.


Zuletzt aktualisiert am 29.1.2009