Paul Mattick


Karl Marx ‚Capital’ in Lithographs von Hugo Gellert

(1. April 1934)


Aus: Der Freidenker (New Ulm), 1. April 1934, S. 5.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



Karl Marx' ‚Capital’ in Lithographs von Hugo Gellert. (Ray Long & Richard R. Smith – New York– 1934 $3)



So wenig wie es Borchardt glückte, den Gehalt des Marxschen „Kapital“ in seiner gemeinverständlichen Ausgabe zu fassen, so traurig auch Max Eastman’s „gemeinverständlicher Borchardt“ dem Marxschen Original gegenüber wirkt, so verfehlt ist auch dieser neue Versuch Hugo Gellert’s, Marx dem trägen Leser näher zu bringen. Es wird nun doch wohl bald einleuchten müssen, das man wenigstens Marx gelesen haben muß, um zu wissen, was das Wesentliche seines Werkes ausmacht. H. G. weiß es nicht. Das wichtigste des „Kapital“ scheint H.G. die Marxsche Darstellung der ursprünglichen Akkumulation zu sein und er bemüht sich denn auch, dieser progressiven Etappe der menschlichen Entwicklung eine tragische Note“ zu verleihen. (Für H.G. s scheint, wie für den „Sozialismus“ im allgemeinen, das „Kapital“ wesentlich ein „historisches Werk“ zu sein.) Da, wo das „Kapital“ brennendste Aktualität wird, in der Krisen- und Akkumulationstheorie, da wagt er nicht einmal mehr als die allgemeinsten Sätze zu zitieren. Seine Auszüge sind äußerst ungeschickt gewählt und ein Beweis, daß H.G. seiner sich gestellten Aufgabe nicht gewachsen war.

Aber dieses Buch hat ja nicht nur den „Marxisten“ -, sondern auch den Künstler Gellert zum Verfasser. Seine Aufgabe war, mit Hilfe von Zeichnungen das Verständnis des Textes zu erleichtern. Wir wollen nicht auf die Kunst H.G. eingehen, obwohl es auf die Dauer peinlich ist, Arbeitern mit Elefantiasis behaftet zu begegnen. Seltsam, daß die verelendeten, ausgebeuteten verhungerten Arbeiter, trotz allem Körperformen entwickelten, mit denen sich Berge versetzen ließen. Aber wir leben ja nicht umsonst in einer Zeit heroischer Karikaturen. Dieser kindisch-symbolische Optimismus ist gar keinen „Taktik“, auch wenn H.G. sich dies einbildet, sondern nur billige Plakatkunst.

Jedoch, wenn H.G. auch noch die Rockwell-Kent Beine seiner symbolischen Arbeiter zu verzeihen sind, so doch nicht die abgewirtschafteten Motive, wie die aus der Transmission greifende Mörderhand, der Robot als Symbol der kapitalistischen Technik, die Geldsäcke, Oktopoden und das ganze Getier, mit denen schon die spitzbärtigen Sozialdemokraten vor 50 Jahren die Arbeiter erschrecken und belehren wollten.

Gellert hat Recht, wenn er sagt, welch ein Material bietet Marx dem Künstler, aber er selbst wußte es nicht zu verwenden. Er interpretiert nach dem Muster der Bilderbücher für Fünfjährige. Das Wort „Esel“ und daneben ein Bild eines Esels. Einmal beruft sich Marx auf Aristoteles, was tut Gellert; er zeichnet den Mann Aristoteles. Marx spricht von der Entwicklung des Wollhandels und der Umwandlung des Bodens in Weideland zur Schafzucht. Schafe hat Marx gesagt, das muss interpretiert werden, kein Mensch weiß wie Schafe aussehen und Gellert malt ein paar Schafe. Und das soll das Verständnis der Marxschen Lehren erleichtern helfen!

In diesen Spitzenleistungen ist das Niveau zeichnerischen Marxinterpretation Gellert's zu sehen. Das Buch ist tadellos eingebunden. Ein gutes Geburtstagsgeschenk für „Führer der Arbeiterklasse“, die ja in ihrem Beruf manchmal auch auf Marx zu sprechen kommen.


Zuletzt aktualisiert am 29.5.2009