Paul Mattick


Planwirtschaft in Amerika?

(August 1934)


Aus: Die Sammlung. Literarische Monatsschrift, (Amsterdam), Jg. 1, Heft 12, August 1934, S. 628-38.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



I

Es ist kein Zufall, sondern die Folge der am weitesten fortgeschrittenen Monopolisierung, dass die planwirtschaftlichen Tendenzen in Amerika am stärksten auftreten. Die von den Vertretern des laissez-faire-Prinzips erhobenen Einwände gegen alle staatlichen Wirtschaftseingriffe verlieren langsam an Überzeugungskraft, da die, durch die wachsende Monopolisierung sich selbst herausbildenden „staatskapitalistischen Tendenzen“, die teilweise experimentale Anwendung der verschiedenen planwirtschaftlichen Theorien ermöglichen. Mit dem enormen Rückgang der Produktion und dem Verfall der Märkte fällt es immer schwerer, von der Triebkraft des Profitmotivs, der regulierenden Funktion des Marktes und der Aktivisierung durch die Konkurrenz zu sprechen. Dies auch schon deshalb, weil diese Merkmale des klassischen Kapitalismus im heutigen stagnierenden Monopolkapitalismus nicht ihren Gegensatz, sondern ihr Resultat zu sehen haben.

Wenn die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte im Rahmen bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse nicht mehr möglich ist, so müssen letztere, werden sie nicht durch eine revolutionäre Umwälzung radikal verändert, der eintretenden ökonomischen Stagnation angepasst werden. So reduzieren sich die planwirtschaftlichen Experimente in U.S.A. auf den Versuch, „die vorhandenen Kapitalsanlagen auf ihrem jetzigen Niveau zu stabilisieren.“ Ist jede kapitalistische Krise die Folge der Überakkumulation des Kapitals, die sich in einem Überschuss von unangewandtem Kapital und grosser Arbeitslosigkeit illustriert, so wuchsen die Schwierigkeiten der Krisenüberwindung ebenso schnell, wie das Kapital akkumulierte, um endlich jede weitere progressive Entwicklung anszuschliessen. Die kapitalistische Erschliessung der Welt findet ihr Ende lange bevor sie auf ihre geographischen Grenzen stösst. So wird die Hemmung der Produktivkräfte, obwohl sie das nahende Ende anzeigt, zugleich zu einer „Lebensnotwendigkeit“ des Wirtschaftssystems. „Wir leiden an einer dauernden Überproduktion“, schreibt Dr. Rexford G. Tugwell, der wichtige Positionen in der Roosevelt-Administration bekleidet, „die Produktion darf nicht weiter ausgedehnt werden, die Anarchie muss ein Ende nehmen, wenn das bestehende System gerettet werden soll.“

Von welcher Seite auch immer die Planungstheorien kommen mögen, ob von Roosevelt selbst, vom Liberalismus oder von der Socialist Party, sie zirkeln alle um den Satz, in dem John Dewey (Dean Emeritus of Philosophy at Columbia University) die heutigen Aufgaben zusammenfasst: „Wir haben das Produktionsproblem gelöst, das der Distribution ist noch ungelöst, hier gilt es anzufassen!“ Die Mittel und Wege zur Bewältigung dieses „Problems“, von welcher Seite sie auch vorgeschlagen werden, weichen nur in unbedeutenden Details voneinander ab; prinzipiell gehen sie alle von der Überzeugung aus, dass Produktion und Verteilung zwei voneinander unabhängige Dinge sind, dass die kapitalistische Produktionsweise eine „vernünftige“ Verteilung der Produkte nicht ausschliesst. Geld-Kredit-Börsen- und Bankenkontrolle, Markt-Preis- und Profitregulierungen durch die Regierung, bilden die verschiedenen Lösungsvorschläge zur Überwindung der heutigen Schwierigkeiten im Rahmen des kapitalistischen Systems. Im Grunde genommen wiederholen alle, wenn auch nicht mit derselben Konsequenz, den Hilferding’schen Traum vom „Generalkartell“, von der Möglichkeit der kapitalistischen Planwirtschaft bei gleichzeitigem Antagonismus der Verteilung. Die Regierung regelt bewusst die Produktion und Distribution, wenn auch auf antagonistischer Basis. Dieser nicht einmal schöne Traum scheitert jedoch au der nackten Tatsache, dass bei antagonistischer Verteilung auch die Produktion antagonistisch sein muss. Die kapitalistischen Disproportionen können kapitalistisch nicht aufgehoben werden und so beschränkt sich notgedrungen der „praktische“ Erfolg der amerikanischen Planungsversuche denn auch allein auf die Stützung der kapitalistischen Ideologie.

Der wachsende Profitmangel verschärft den Interessenkampf der einzelnen Gesellschaftsschichten untereinander, obwohl dieselbe Unrentabilität zugleich (im Interesse der herrschenden monopolistischen Schicht) die grösstmöglichste gesellschaftliche Stabilität erfordert; und dies nicht nur zur Sicherung der inneren Profitproduktion, die selbst die kleinsten Störungen kaum noch zu ertragen vermag, sondern auch für die zu erwartenden imperialistischen Auseinandersetzungen. Die gesellschaftliche Unruhe wird durch die Stärkung der herrschenden Ideologie zu kompensieren versucht. Neue Hoffnungen und Illusionen müssen geweckt werden, um die immer weiter werdende Kluft zwischen Phrase und Wirklichkeit zu überbrücken. Mit einer „sozialeren“- und zugleich national betonteren Phraseologie wird die Idee der Interessengemeinschaft aller Klassen zu stützen versucht.

Es gelang auch tatsächlich, die Enttäuschung der amerikanischen Bevölkerung, die sich in dem letzten Präsidentschaftswahlen so deutlich manifestierte, in neue Erwartung umzuwandeln. Die Politik der „Professoren-Regierung“ ist auf dem ideologischen Felde, trotz vieler Zwischenfälle, als voller Erfolg anzusprechen, denn trotz der weiteren Vertiefung des Wirtschaftselends sind die revolutionären Tendenzen, die sich in Amerika vor dem Regierungsantritt Roosevelt’s zu äussern begannen, fast vollständig aufgehoben. Wohl haben die Streiks nicht ab sondern zugenommen. Waren jedoch zuvor diese Streiks zum Teil von revolutionärem Geist erfüllt, so werden sie heute im Namen Roosevelts geführt und tragen zur Stützung der kapitalistischen Ideologie der Arbeiter bei. Die Arbeitslosenbewegung, die bereits drohende Formen angenommen hatte, ist fast völlig aufgelöst. Die Rooseveltbegeisterung der amerikanischen Massen ist von einer überraschenden Heftigkeit und äussert sich in fanatischer Hoffnungsfreudigkeit, dem Zerfall der schon bisher kläglichen Arbeiterbewegung und — wenn man will — auch in der Zunahme der Lynchungen. „Seit Lincoln stand keine Regierung den Arbeitern so nahe wie die Roosevelt-Administration“, schreiben die liberalen Blätter und weisen darauf hin, dass das Roosevelt-Programm alle sozialreformerischen Forderungen der amerikanischen Arbeiterbewegung, die sich noch immer im Fahrwasser des Liberalismus bewegt, zu ihren eigenen gemacht hat. Die bürgerliche Regierung vertritt jetzt selbst den Standpunkt ihrer bisherigen Kritiker. Eine Regierung, die sich als über allen Klassen stehend ausgibt, muss auch allen Klassen etwas zu bieten haben. Und Roosevelt wird nicht müde, allen alles zu versprechen, und so wurde er von allen ,akzeptiert’. Den Farmern verspricht er die „Rückkehr zum glücklichen Preisniveau von 1926“, den Arbeitern Löhne, die ihnen den „Rückkauf der von ihnen hergestellten Produkte ermöglicht“, dem kleinen Industriellen und Geschäftsmann wird die Beendung der monopolistischen Erstickungspolitik versprochen, den Monopolen die restlose Vernichtung der kleinen Unternehmer. Den ängstlichen Kleinbürgern ruft der Rooseveltenthusiast Jay Franklin in der „Liberty“ zu: „Nur keine Angst, die Regierungsmassnahmen haben nichts mit Kommunismus zu tun, sie bleiben dem Prinzip ‘schwimme, wer schimmen kann’ durchaus treu.“ Den Arbeitslosen wurde Beschäftigung versprochen und einige Millionen erhielten tatsächlich öffentliche Arbeiten (C.W.A. = Civil Works Administration) zugewiesen. Die Arbeitslosenfront war damit zerbrochen, neue Hoffnungen traten anstelle der Verbitterung. „Sie sind auf dem richtigen Weg, Herr Präsident,“ schreiben die sozialistischen Blätter, „nur nicht halt machen, nur weiter so bis zur völligen Sozialisierung.“ Upton Sinclair verlässt die Socialist Party und tritt der Partei Roosevelts in der Hoffnung bei, später, als Gouverneur von California, im Kleinen dasselbe zu leisten, was Roosevelt für die ganze Nation vollbringt.


II

Wenn die Professoren auch nicht umhin konnten, um überhaupt von Planwirtschaft reden zu dürfen, sich gegen die kapitalistische Konkurrenz auszusprechen, so haben sie doch dabei geflissentlich übersehen, dass die teilweise Ausschaltung der Konkurrenz keine gegen das Monopolkapital gerichtete, sondern eine dessen Interessen entsprechende Forderung ist. Die völlige Ausschaltung der Konkurrenz ist jedoch eine Unmöglichkeit und wird deshalb auch nicht gefordert; aber, selbst würde das Unmögliche möglich, das Kapital würde trotzdem an der Überakkumulation zu Grunde gehen. Ja, die Beseitigung der kapitalistischen „Anarchie“ bedeutet nichts anderes, als die Einschränkung der kapitalistischen Lebensmöglichkeiten. Weiterhin führt die Verminderung der Konkurrenz durch die Monopole nur zur Verschärfung der Konkurrenz der Monopole untereinander. Die „Aufhebung der Konkurrenz“ ist nur ein weiteres Zeichen der dominierenden Stellung des Monopolkapitals dem, nach Roosevelt, die „Massen auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind.“

Hemmt der Kapitalismus heute auch jeden progressiven gesellschaftlichen Fortschritt, ohne dass es notwendig wäre, die Hemmung der Produktivkräfte noch extra zur programmatischen Forderung zu erheben, so ist jedoch der Konzentrationsprozess des Kapitals damit noch nicht abgeschlossen. Er kann auch kein absolutes Ende finden und vollzieht sich heute, im Gegensatz zur bisherigen Entwicklung, nicht mehr durch die fortgesetzte Akkumulation des heutigen Gesamtkapitalismus, sondern nur noch durch die Vernichtung der schwächeren Kapitale, der Verarmung der Zwischenschichten und der allgemeinen und absoluten Verelendung der Arbeiterschaft. Die „planwirtschaftlichen“ und „staatskapitalistischen“ Tendenzen sind so in ihrem ökonomischen Kern nichts anderes, als ein Ausdruck der fortgesetzten Kapitalskonzentration im stagnierenden Monopolkapitalismus. Sie sollen der „Tragödie der Verschwendung“ im Sinne der Profits die grössten Härten nehmen, durch eine bessere Durchorganisierung des Gesamtmechanismus unnötige Gegenströmungen im kapitalistischen Getriebe aufheben und den Kampf des Monopolkapitals gegen alle anderen sich noch wehrenden Interessen erleichtern helfen. Der ökonomische Zentralisierungsprozess erzwingt auch die Konzentration der politischen Kräfte. Selbstverständlich gibt sich jede Gewaltherrschaft als Diktatur der Vernunft und verpflichtet sich Allen gegenüber zu einer mehr geregelten, mehr geplanten, mehr reibungslosen gesellschaftlichen Praxis. Was sie will und was sie kann sind jedoch zwei verschiedene Dinge. Die Forderung des Rooseveltschen „Gehirntrusts“ (Moley, Tugwell etc.) nach einem stationären Kapitalismus ist durchaus konsequent, denn tatsächlich setzt eine kapitalistische Planwirtschaft den stationären Kapitalismus voraus. Tragisch ist für die Planungstheoretiker dabei nur, dass ein stationärer Kapitalismus nur ein anderer Ausdruck für die permanente Krise ist, da das kapitalistische System nur solange prosperieren kann, als es akkumuliert, d.h. solange es sich progressiv entwickelt. Setzt die Akkumulation aus und die „Statik“ ein, so äussert sich dies in der Krise und kann nur überwunden werden mit der Beseitigung der Störung im Akkumulationsprozess. Jedes Einsetzen einer neuen Konjunktur würde sofort alle Planungsmassnahmen über den Haufen werfen. Was den „Ökonomen“ nicht klar zu sein scheint, ist in diesem Falle für die kleinen Unternehmer „common sense“. Für Letztere schreibt z.B. die „Chicago Daily News“ (2.2.34.): „Die Einschränkung der Produktion und die Beschränkung der Konkurrenz und Entwicklungsmöglichkeiten führen zur Vernichtung der kleinen Unternehmer. Die Ideale, die zum Aufbau Amerikas führten, sind solchen Dingen völlig entgegengesetzt. Möglich, dass die Massnahmen der Regierung vielleicht einen temporären Wert besitzen, sie jedoch den Wünschen der Regierungsenthusiasten entsprechend permanent zu machen, ist gänzlich unvorstellbar.“ Diese Wendung gegen die „Planwirtschaft“ ist hoffnungslos. Wenn nicht ein neues Weltgemetzel, oder die rapidere kapitalistische Eröffnung Asiens das Weltbild für eine Zeitlang grundsätzlich verändern, so werden die vom Monopolkapital gesegneten Professoren ohne Zweifel Recht behalten, die Krise wird permanent bleiben und die planmässige Vernichtung der Produktivkräfte im Interesse der Aufrechterhaltung des Systems weiter vor sich gehen. Wohl will Roosevelt die Konkurrenz aufheben, aber eben nur die Schmeissfliegenkonkurrenz der kleinen Kapitale gegen die grossen Konzerne. Deshalb ja auch die Arbeitszeitbestimmungen und die Minimallöhne, die durchaus nicht als permanent gedacht sind, aber bereits doch als Massnahme gegen die sogenannte „Schwitzkastenindustrie“, grosse Wirkung hatte.

Die Regulierung der Preisbewegung, die von den Planungstheoretikern gefordert wird, setzt ebenfalls die Ausschaltung der Konkurrenz voraus. Angebot und Nachfrage müssen sich die Wage halten, um eine feste Regelung der Preise zu erreichen. Bis heute war jedoch weder das eine noch das andere möglich. Diese Theorien können, wenn von der selbständigen Preisregulierung durch die Monopole abgesehen wird, auch nie materialisiert werden. Die Profitnotwendigkeiten der Unternehmer sind stärker als die Beteuerungen der Regierung. Die Preisregulierung durch Geld- und Kreditmanipulationen soll jetzt durch eine bewusstere Zollpolitik unterstützt werden. Zwangskartellierungen stehen ebenfalls auf der Tagesordnung, um die Preisstabilität herzustellen, mit der die gesellschaftliche Stabilität identifiziert, d.h. verwechselt wird. Aber auch diese Manöver sind verurteilt, hilflose Gesten zu bleiben, da sich Zollfragen nicht unabhängig von der Weltwirtschaft lösen lassen. Sie können sich nicht auf die Bedürfnisse des inneren Marktes beschränken, sondern müssen sich auch nach den durch die verschärfte Konkurrenz auf dem Weltmarkt aufkommenden und wechselnden Problemen richten.

Diese Zollpolitik soll auch zugleich das Agrarprogramm der Regierung zum glücklichen Abschluss bringen, da alle bisherigen Massnahmen eingestandenermassen völlig versagt haben. Interessant ist hier, dass das Agrarprogramm zwei sich widersprechende Tendenzen aufweist. Einerseits soll die landwirtschaftliche Produktion eingeschränkt werden, es sollen nach Wallace’ Angaben zwischen 50— 100 000 000 acres unbebaut bleiben, und die dadurch verdrängte landwirtschaftliche Bevölkerung in anderen Industrien untergebracht werden; anderseits besteht nach Roosevelt und seinen Anhängern der Sinn der „neuen amerikanischen Revolution“ gerade in der Rückwanderung der industriellen Arbeiter aufs Land. Einmal wird der Geist der „Pioniertätigkeit“ wieder zu wecken versucht, andrerseits vollzieht sich die Zerstörung der alten Farmwirtschaft immer rapider. Jedoch ist weder das eine noch das andere praktisch durchführbar. Die Idee der Umwandlung der industriellen Arbeiter zu Selbstversorgern entstammt dem „genialen Ideenschatz“ Henry Fords. Der Schrebergartensozialismus und die bolschewistische Kaninchenzucht dienen als Vorbilder dieses wirklich simplen Versuchs zur Verbilligung der Ware Arbeitskraft. Die Verlegung der Industrien in ländliche Bezirke, um den Arbeitern Gelegenheit zu geben, — nach Feierabend — noch einen Teil ihrer Lebensmittel zu erzeugen, würde wohl, wenn auch nur in der Theorie, die Reproduktionskosten der Arbeiter enorm herabsetzen. In Wirklichkeit aber wird durch die Verminderung des Zwanges zur Lohnarbeit die Möglichkeit längerer und erfolgreicherer Streiks gegeben und die Lohnhöhe heraufgeschraubt.

Die Zurückführung der Arbeiter aufs Land ist denn auch bald vergessen worden, um der anderen Seite des Agrarprogramms die ungenutzten Energien zuzuführen. Die Preiserhöhungspolitik blieb jedoch, abgesehen von den durch die Inflation verursachten Schwankungen, ebenfalls völlig erfolglos. Die Schere zwischen den industriellen- und landwirtschaftlichen Warenpreisen schloss sich nicht. Die Vernichtung landwirtschaftlicher Produkte und die Beschränkung der Anbaufläche blieben Manifestationen des herrschenden Irrsinns, sie milderten die chronische Agrarkrise nicht und setzten auch nicht die Produktionskapazität der Landwirtschaft herab. Wohl pflügten die Baumwollpflanzer jede dritte Staudenreihe um, doch kauften sie gleichzeitig mit den von der Regierung dafür erhaltenen Entschädigungen Düngemittel und erhöhten die Fruchtbarkeit der verbliebenen Baumwollstauden dermassen, dass die neue „eingeschränkte“ Produktion reicher als die ungeplante ist. Die Baumwollpflanzer spekulieren auf das ihnen versprochene Anziehen der Preise. Die Regierung warf weiterhin 31 000 000 Dollar für den Ankauf von 5 000 000 Schweinen (darunter 1 000 000 Zuchtsäue) aus, die der Vernichtung anheimfielen. (Man benutzte diese Schweine zum Teil zur Ausfüllung von Erdunebenheiten beim Strassenbau.) Wohl verkauften die Farmer ihre Schweine, jedoch die Zuchtsäue hielten sie zurück. Statt der verlangten Million gelang es nur 220 000 aufzutreiben. Die Farmer, ebenfalls auf das Anziehen der Schweinepreise durch die Regierungsmassnahmen rechnend, pfiffen auf die „Zusammenarbeit“ und gaben sich mehr wie zuvor dem wirklich „idealen Lebenszweck von Borstenvieh und Schweinespeck“ hin. Auf dem Felde der Agrarpolitik hat die „Planung“ der Roosevelt-Regierung eine absolute Niederlage erlitten.


III

Die Hoffnung auf eine wirklich fühlbare Belebung der Wirtschaft, ohne eine den Akkumulationsnotwendigkeiten entsprechende Ausdehnung des Produktionsapparates, erwies sich als unsinnig. Wohl führten die Lohn- und Arbeitszeitfestsetzungen, den Stabilisierungswünschen entgegengesetzt, zur weiteren Rationalisierung und Intensivierung des Arbeitsprozesses, ohne jedoch eine wirkliche Konjunktur zu entfalten. Die Arbeitslosigkeit stieg, weitere Betriebe wurden stillgelegt, die Krise noch mehr vertieft. Die Regierungsmassnahmen haben die Produktionskapazität nicht eingeschränkt, sondern ganz im Gegenteil die warnenden Ausführungen W. W. Hay’s im „Annalist“ vom 3. Juli 1933 bestätigt, dass die N.R.A. nur ein „Antriebsmittel zur weiteren Herabsetzung der Produktionskosten zu Zwecken der Profitvermehrung sei; der Zwang zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität führe zu neuen Kapitalinvestierungen und eventuell zu einer neuen technischen Revolution, die wiederum nur zu einer neuen Überentwicklung führen könne.“

Gegen diese negativen Bemerkungen könnte man einwenden, es müsse doch berücksichtigt werden, dass die Verwaltung für öffentliche Arbeiten (C.W.A. = Civil Works Administration) ein paar Millionen Menschen Beschäftigung gegeben hat, dass in einzelnen Industrien tatsächlich eine Belebung eintrat, dass sich die Lage für verschiedene Arbeitergruppen wirklich besserte. Bei diesen positiven Momenten handelt es sich jedoch nur um künstliche Konjunkturerscheinungen, die durch die Inflationspolitik und der damit verbundenen Nivellierung des Massenelends ermöglicht wurden. Soweit die C.W.A. in Frage kommt, so war sie mehr eine politische Geste zur Verschleierung des Zusammenbruchs der N.R.A., als eine wirklich ernsthafte Massnahme für einen neuen Konjunkturauftrieb. 600 000 000 Dollar wurden für die C.W.A. ausgesetzt, denen später weitere 350 000 000 zugefügt wurden. Sie sollten 4 000 000 Arbeitslosen Beschäftigung geben, eine Ziffer die nie erreicht wurde. Selbst der Regierungsbericht wagt kaum drei Millionen zu nennen. Bereits im Januar 1934, kaum aus dem Vorbereitungsstadium heraus, wurde wieder mit dem Abbau des C.W.A.-Projekts begonnen. Die Arbeitszeit der C.W.A. Arbeiter wurde wöchentlich von 30 Stunden auf 15 herabgesetzt, womit deren Lohn kaum noch die Unterstützungssätze der Wohlfahrtshilfe übersteigt, ja, in manchen Fällen darunter zu liegen kommt. Gleichzeitig gab Federal Relief Administrator Hopkins bekannt, dass vom 15. Februar 1934 ab, wöchentlich 500 000 Mann entlassen werden müssen, damit noch vor dem 1. Mai das ganze C.W.A.-Abenteuer beendet ist.

Ohne Zweifel lassen sich die Massnahmen des Roosevelt-Regimes positiv wie negativ bewerten, je nachdem der Betrachter durch sie betroffen wird. Anders wie der profitierende, wird der benachteiligte Kapitalist zur N.R.A. Stellung nehmen. Der C.W.A.-Arbeiter, soweit er Tariflohn erhält, wird den Regierungsprojekten mehr Sympathien entgegenbringen, als der Arbeiter, dessen Lohn gekürzt wurde. Die freiwillige Zurückstellung aller speziellen, individuellen Interessen als ideologische Voraussetzung des Regierungsprogramms ist nach dem ersten Rausch in den Kinobeiprogrammen stecken geblieben. Die verschiedenen Reformgesetze, die einzelnen arbeiterfreundlichen Gesten und die planwirtschaftlichen Experimente wurden, was als wichtigstes Moment in Betracht gezogen werden muss, nicht durch den ‘Willen’, sondern erst durch die Inflationspolitik der Regierung praktisch ermöglicht. Die temporäre Besserung der Lage eines Teils der Arbeiterschaft ist nur durch die Verschlechterung der Lage der Gesamtarbeiterschaft erreicht worden. Die Rentabilitätsverbesserung einzelner kapitalistischer Gruppen und die Überwindung der Staatsverschuldung mittels der Geldentwertung vollzog sich auf Kosten anderer kapitalistischer Gruppen und vertiefte die Krise vom Standpunkt der Gesamtgesellschaft. Die ganze Planwirtschaft beschränkte sich auf eine mehr planmässige Verteilung des Elends.

In der vollzogenen Dollarentwertung den Anstoss zu einer neuen Konjunktur zu sehen, wagen selbst die Initiatoren der Inflation nicht, wenn sie auch hoffen, das Weitergreifen der Krise für eine geraume Zeit damit aufzuhalten. Die Exportgewinne können nur vorübergehende sein, sie werden durch kompensierende Massnahmen der anderen Nationen wieder ausgeschaltet. Dass die, durch die Inflation herbeigeführte Verbilligung der Produktionskosten und die Expropriation der Zwischenschichten etc. zu einer neuen Prosperität führen können, ist wohl ausgeschlossen, da die Expansion der Produktion sich am Niveau von 1929 zu orientieren hat. So wird die eventuelle Fortsetzung der Inflation das Weltchaos nur vergrössern, die Konkurrenzkämpfe verschärfen und das Kommen des Krieges beschleunigen helfen.

Über die Folgen der Dollarentwertung ist sich Roosevelt durchaus im Klaren. In seiner dieser Frage gewidmeten Adresse, vom 15. Januar 1934, führt er aus: „....ohne Zweifel werden die Warenpreise in die Höhe gehen, doch soll dieser Prozess ein geordneter und kontrollierter sein, damit die Lage der Arbeiter und anderer Schichten mit festgelegtem Einkommen nicht erschwert wird.“ Was Letzteres verhindern soll, verrät er allerdings nicht. Wielange die jetzige Stabilisierung des Dollars aufrechterhalten wird, hängt von dem weiteren Tempo der Krise und den Vorgängen auf dem Weltmarkt ab. Jedenfalls mehren sich die Forderungen nach einer „richtigen“ Inflation und das weitere Abgleiten des Dollars ist ebenso wahrscheinlich, wie die Möglichkeit, ihn für längere Zeit auf dem neuen Niveau zu halten. Aber wie dem auch sei, klar ist, dass durch diese Geldmanöver allein der Totalprofit nicht erhöht werden kann, dass von hier aus die Krise nicht behoben werden wird.

Seit 1929 ist der Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter dauernd herabgedrückt worden. Fiel das amerikanische Totaleinkommen (nach den Zahlen des „Department of Commerce“) von 1929 — 81 Billionen Dollar auf: 1932 — 49 Billionen, also um 40 %, so fiel der Lohnanteil am Gesamteinkommen in der selben Zeit um 60 %. Viel weniger als die reale Situation der Arbeiter hat sich jedoch ihre ideologische Einstellung geändert. Die Maschinenarbeit hat die Geduldsfähigkeit der Arbeiter enorm entwickelt. Wer zehn Stunden am laufenden Band stehen kann, der kann auch sehr lange auf eine Konjunktur warten. Die Tatsache, dass in der Vergangenheit Krisen kamen und überwunden wurden, hält die Hoffnung aufrecht, dass auch die jetzige Krise ihr Ende finden wird. Die politischen Traditionen, die kapitalistische Eroberung Amerikas, der „Zug nach dem Westen“, die für lange Zeit die Entwicklung einer Arbeiterbewegung ausschlossen, verhindern jetzt die schnelle Radikalisierung der Arbeiter. Die radikale amerikanische Arbeiterbewegung steckt noch in den ersten Kinderschuhen, sie schreit wohl, aber man beachtet sie nicht. Die amerikanische Gewerkschaftsbewegung war stets von reaktionärem Geist erfüllt und kann kaum als Arbeiterbewegung angesprochen „werden. Als Organisation der Arbeiteraristokratie zeigt sie eher faschistische, als revolutionäre Tendenzen. Obwohl die Verelendung der amerikanischen Bevölkerung sich in beschleunigtem Tempo vollzieht, hat sie doch noch nicht das europäische Mass erreicht.

Was sich in den letzten Jahren an revolutionären Strömungen herausbildete, hat durch die Rooseveltpropaganda einen schweren Rückschlag erlitten. Im Allgemeinen sind die grossen Massen noch davon überzeugt, dass trotz vielen Zwischenfällen, Roosevelt seine Versprechungen erfüllen wird. Die Ähnlichkeit der Verheissungen Roosevelts mit den Programmen der reformistischen Arbeiterbewegung diente nicht der letzteren, sondern sicherte Roosevelt die breiteste Gefolgschaft. Weshalb auch Arbeiterorganisationen, wenn die Regierung sich selbst für die Arbeiter einsetzt? Wie geschickt die Roosevelt-Regierung den Arbeitern gegenüber zu operieren versteht, zeigt folgende Episode, die sich am 6. Februar 1934 im Büro des Präsidenten zutrug. Eine Delegation von Stahlarbeitern protestierte gegen die gewerkschaftsfeindliche Einstellung verschiedener Stahlmagnaten und drohte, den Generalstreik auszurufen, wenn sich dies nicht ändern würde. „Ausgezeichnet“, antwortete ihnen Roosevelt, „ich bin für den Streik!“ „Es ist dies das erstemal in der Geschichte“, schreibt die „Chicago Daily News“ (6.2.34.) dazu, „dass ein Präsident der Vereinigten Staaten Arbeitern den Streik empfiehlt.“ Jedoch wurde gleichzeitig mit seiner „Empfehlung“ der Streik durch die Regierung unmöglich gemacht. Ein „aufklärendes“ Schreiben machte den Unternehmern ihren Irrtum klar. Wie die Arbeiter, so begreifen auch viele Unternehmer noch nicht, dass der ganze Sinn der „Revolution“, die in Roosevelt ihren Führer fand, nur darin besteht, die Massen langsam an ihren sich dauernd senkenden Lebensstandard zu gewöhnen. Ob dieser Pauperisierungsprozess als Planwirtschaft bezeichnet werden kann, ist eine Frage, die wir nicht einmal zu stellen wagen, auch dann nicht, wenn sie von den heutigen „Planwirtschaftlern“ selbst mit Ja beantwortet wird.


Zuletzt aktualisiert am 26.1.2009