Paul Mattick


[Rezension von S. Hook „Towards the Understanding of Karl Marx“]

(1934)


Aus: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 3, 1934/35, S. 101f.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



Hook, Sidney, Towards the Understanding of Karl Marx; a revolutionary Interpretation. John Day Co. New York 1933. (347 S. ; $ 2.50)



H.s Buch ist für die Entwicklung des Marxismus in Amerika ohne Zweifel von grossem Wert. In starker Anlehnung an die Arbeiten Georg Lukacs’ und Karl Korschs bemüht sich H., das Moment der Wechselwirkung in der materialistischen Dialektik, das die menschlich-aktive Rolle in der Geschichte deutlicher hervortreten lässt, gegen mechanistische, fatalistische und idealistische Auffassungen hervorzuheben. Nach Marx — so führt H. aus — gilt es nicht allein die Klassenverhältnisse zu erklären, sondern sie zu verändern. Als Instrument des Klassenkampfes kann die Theorie gewiss nur insoweit funktionieren, als sie objektiv richtig ist, aber als objektive Wahrheit kann sie sich doch nur im Rahmen der subjektiven Klassenziele des Proletariats erfüllen. Wohl hängen die subjektiven Momente von den durch die ökonomische Umwelt gegebenen Klassennotwendigkeiten ab, jedoch wird die aktive Auslösung der subjektiven Faktoren vom Willen und vom Bewusstsein der Arbeiterklasse bestimmt. Folglich muss auf die aktiv-menschliche Seite in der Geschichte ebensoviel Wert gelegt werden wie auf die objektiven Verhältnisse.

Die gesellschaftlichen Veränderungen sind nach Marx das Resultat eines steten Auseinandersetzungsprozesses zwischen Natur, Gesellschaft und menschlichem Bewusstsein. Aus den natürlichen und gesellschaftlichen, den objektiven Verhältnissen (These) entstehen menschliche Notwendigkeiten und Ziele (Anti-These), die im Rahmen der objektiven Möglichkeiten zum aktiven Eingriff der Menschen führen (Synthese). Menschliche Notwendigkeiten und Bedürfnisse bestimmen alle gesellschaftliche Aktivität. Aber unter ihnen ist mehr zu verstehen als nur rein biologische Triebrichtungen; sie sind gesellschaftlich und deshalb historisch. Der Produktionsprozess bestimmt ihren Charakter. Die strenge Unterscheidung zwischen der ursprünglichen Natur des Menschen, die biologisch und konstant ist, und der realen Existenz, die gesellschaftlich und variabel ist, ist dem Marxismus fremd. Was auch immer die Triebe konstituieren mag, die Menschennatur ist gesellschaftlich bestimmt, und hier ist die biologische Seite nur eine des Gesamtprozesses; die menschliche Natur ist selbst eine historische Erscheinung. Im Arbeitsprozess, der die äusseren Werte verändert, verändern die Menschen ihre eigene Natur. Greift der Mensch aktiv in die Geschichte ein und ist diese Aktivität von Ideen geleitet, dann ist das menschliche Bewusstsein selbst eine historische Kraft. Da der Mensch eine lange historische Entwicklung hinter sich hat, kann sein Bewusstsein nicht biologisch und individuell, sondern nur gesellschaftlich erklärt werden.

Sind die Hauptprinzipien Marxens auch historisch bestimmt, so doch nicht die Dialektik. Der historische Materialismus, die Mehrwert- und die Klassenkampftheorie sind im Kommunismus aufgehoben ; die materialistische Dialektik jedoch wird auch weiterhin der Rhythmus der Bewegung bleiben. Sind auch die ökonomischen Gegensätze beseitigt, die Welt bleibt unvollendet. Die Aufhebung der gesellschaftlich-ökonomischen Konflikte bedeutet nicht die Aufhebung aller Gegensätze, die Entwicklung der Menschheit ist endlos.

Trotz vieler wertvoller Details ist die Arbeit H.s doch als verfehlt zu betrachten. Sein Angriff gegen die Marxsche Werttheorie trifft nicht, seine Bemerkungen gegen Engels sind unberechtigt. Die Darstellung der ökonomischen Theorien Marxens zeugt von mangelndem Verständnis. In der Interpretation der Marxschen Dialektik bleibt H. hinter seinen Vorgängern, über die er hinaus gehen wollte, zurück. Doch ist trotz aller Mängel und vieler Widersprüche die Arbeit H.s deshalb bemerkenswert, weil sie ohne Zweifel in Amerika eine Diskussion auslösen wird.


Zuletzt aktualisiert am 19.1.2009