Arbeitslosigkeit in U.S.A., Sozialistische Warte, Paris, 12. Jahrgang, April 1937, Heft 8, S. 186-90 & Heft 9 S. 214-6.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.
Die Vernachlässigung des Arbeitslosenproblems in den USA wird schon sichtbar, wenn man sich nur um die Feststellung ihrer zahlenmäßigen Größe bemüht. Es gibt keine verlässliche Arbeitslosenstatistik; erst seit 1935 beschäftigt man sich, wenn auch bisher resultatlos, ernsthaft mit dem Gedanken, einen Arbeitslosenzensus aufzustellen. Die Opposition gegen die Arbeitslosenzählung scheint auf nichts anderem zu beruhen, als auf der in konservativen Kreisen herrschenden instinktiven Abneigung gegen jegliche Reform, im Interesse der Pflege des traditionellen, ökonomisch längst überholten Prinzips des „rugged individualism“. Das Ausmaß und der Dauer-Charakter der Arbeitslosigkeit wird jedoch trotz aller Opposition über kurz oder lang zur Arbeitslosenzählung führen im Interesse einer rationelleren Handhabung der mit der Arbeitslosigkeit verbundenen praktischen Probleme.
Die ganze amerikanische industrielle Entwicklung war von (Arbeitslosigkeit begleitet. Wohl hatte die Pioniertätigkeit die Arbeitslosigkeit um etwas gemildert; jedoch waren es wesentlich landwirtschaftliche Elemente, die sich daran beteiligten. Trotz schlechter Lebensbedingungen sind die Industriearbeiter nur recht selten nach dem Westen gegangen. Ein Blick auf die verschiedenen Ermittlungen zeigt, dass im Durchschnitt zumindest 1,5 Millionen Industriearbeiter in Amerika stets arbeitslos waren, dass der Durchschnittsarbeiter rund zehn Prozent seiner Arbeitszeit aus Mangel an Gelegenheit verlor. Für die Periode von 1920 bis 1927 hat das National Bureau of Economic Research durchschnittliche Mindestarbeitslosenzahlen ermittelt, die mit 1 401 000 im Jahre 1920 am niedrigsten, mit 4 270 000 im darauf folgenden Jahre am höchsten standen. Die Berechnungen der American Federation of Labor (A. F. of L.) illustrierten die Entwicklung der Arbeitslosigkeit von 1920 bis 1936 mit Zahlen, deren niedrigste 1,5 Millionen, deren höchste mehr als 12 Millionen beträgt. Das Internationale Arbeitsamt gab, gestützt auf die Zahlen der A. F. of L., die als die besten gelten, die amerikanische Arbeitslosigkeit im Februar 1936 mit 12 626 000 an. Diese Summe ist um drei Millionen größer als die Gesamtarbeitslosenzahl Europas. Der Zensus von 1930 wie auch andere Untersuchungen zeigten an, dass die Arbeitslosigkeit in den städtischen Bezirken größer war als in den ländlichen, dass sie Neger und Eingewanderte stärker in Mitleidenschaft zog als die weißen Eingeborenen. Seit 1929 sind, im Gegensatz zu früheren Depressionen, auch die Angestellten und freien Berufe tief in die Arbeitslosigkeit hineingerissen. Im Frühling 1933 waren fast 35 % aller Angestellten arbeitslos, gegenüber 45 % aller Arbeiter.
Fast allgemein, in der populären wie in der akademischen Auffassung, wird die Arbeitslosigkeit als Vergeudung betrachtet, die allerdings auch unvermeidlich sei. Ihre Ursachen sieht man in natürlichen Katastrophen, organisatorisch-technischer Rückständigkeit oder der Disproportionalität der kapitalistischen Entwicklung. Auch in der Arbeiterbewegung Amerikas wird die Arbeitslosigkeit als Vergeudung betrachtet und zum Teil auf überwindliche Unfertigkeiten des heutigen Wirtschaftssystems zurückgeführt, die eventuell auf sozialreformerischen Wegen entweder ganz oder teilweise behoben werden könnten. Andere Strömungen in der Arbeiterbewegung vertreten die Auffassung, dass die Arbeitslosigkeit die Tendenz hat, dauernd zu wachsen und dass sie ohne grundlegende gesellschaftliche Änderungen nicht beseitigt werden kann.
Die um die Arbeitslosigkeit geführten Polemiken drehen sich fast ausschließlich um die Frage, ob die Maschine die Arbeiter frei setzt oder nicht. Behauptet die eine Seite, dass die Maschine die Expansion alter und die Schaffung neuer Industrien ermöglichte, was für Millionen neue Arbeitsgelegenheiten schuf, so die andere, dass die Maschine und alles was mit ihr in Verbindung steht, wachsende Arbeitslosigkeit herbeiführt. Die Länge der heutigen Depression hat dieser Polemik großen Aufschwung verliehen und eine ganze Literatur über technologische Arbeitslosigkeit mit sich gebracht. Der Bericht der Hoover-Kommission über Recent Social Trends vermittelte aufregende Daten über die Zunahme der Produktivität der Arbeit, auf die sich, in Verbindung mit der bekannten Propaganda der Technokraten, die Auffassung stützt, dass die dauernd wachsende und permanent werdende Arbeitslosigkeit auf die überschnelle technische Entwicklung zurückzuführen sei. Dieser Auffassung wird entgegengesetzt, dass die bisherige schnelle technische Entfaltung Prosperitäten nicht im Wege gestanden hätte, sondern letztere direkt auf sie zurückzuführen seien, und dass Ursachen der Krise und Arbeitslosigkeit also auf anderen als dem Gebiet der Technologie zu suchen seien. Die Polemik, ob sie nun die Entwicklung der Technik als arbeitsbeschaffend preist, oder von dieser Technik in Verbindung mit den heutigen Distributionsverhältnissen die Arbeitslosigkeit ableitet, ist in großem Masse zur Fruchtlosigkeit verurteilt, da sie die Entwicklung der Technik als etwas Selbständiges aus den allgemeinen kapitalistischen Akkumulationsgesetzen herauslöst. Durch die Akkumulation jedoch nimmt in der kapitalistischen Aufschwungsperiode die Arbeiterzahl zu, obwohl die Maschine die Arbeiter freisetzt.
Nach Marx ist das Wachstum der Anzahl der Fabrikarbeiter bedingt durch ein proportionell viel rascheres Wachstum des in den Fabriken angelegten Gesamtkapitals. Wächst die Produktion nicht schneller als die Entwicklung der Technik vor sich geht, d. h. geht die Akkumulation nicht in beschleunigter Weise vonstatten, dann muss sich die Arbeiterzahl vermindern. Wohl nahm die Arbeiterzahl in Amerika bis um 1920 dauernd zu, jedoch im Verhältnis zum Wachsen des Kapitals nahm sie fortwährend ab. Das Akkumulationstempo, das sich im wachsenden gesellschaftlichen Reichtum ausdrückt, war ein schnelleres als das, in dem die Arbeiterzahl stieg. Gleichzeitig wuchs die Zahl der unproduktiven schneller als die der produktiven Arbeiter. Wie in allen anderen Ländern fluktuierte die Größe der Arbeitslosigkeit mit der Konjunkturbewegung. Mit der relativen Stagnation der Wirtschaft nahm die Arbeitslosigkeit absolut zu. Die mangelnde Kapitalverwertung verlangsamte „das Akkumulationstempo. Bei einer Betrachtung der Profitraten überrascht die Feststellung, dass sie in Amerika zwischen 1922 und 1929 keine wesentlich anhaltenden Aufwärtsbewegungen machten. Damit wuchsen die neuangelegten Kapitalsummen nicht mehr progressiv. Die zunehmende „normale“ Arbeitslosigkeit zwischen 1920-29 resultierte aus/dem schnelleren Wachsen der Produktivität der Arbeit als dem der Produktion. Die bisher relative Freisetzung der Arbeiter wurde zur absoluten.
Entspricht die Mehrwerterzeugung, als ausschließliches Motiv der heutigen Produktionsweise, nicht den Ansprüchen einer progressiven Kapitalakkumulation, so muss sich letztere verlangsamen, oder vorübergehend ganz aussetzen, bis auf einer Reihe von Wegen die notwendige Profitabilität wieder hergestellt ist, die erneut eine beschleunigte Akkumulation ermöglicht. In der Zwischenzeit erscheint in der Depression die riesige Arbeitslosigkeit als Resultat der Warenüberproduktion, die durch ein Zuviel an Produktionsmitteln und ein Zuwenig an Massenkaufkraft herbeigeführt wurde. Wohl ist die Warenüberproduktion mit einem Ausdruck der Überproduktion des Kapitals, jedoch nach Marx
„werden nicht zuviel Produktionsmittel produziert, um den arbeitsfähigen Teil der Bevölkerung zu beschäftigen, sondern umgekehrt. Es wird erstens ein zu großer Teil der Bevölkerung produziert, der tatsächlich nicht arbeitsfähig, der durch seine Umstände auf Ausbeutung der Arbeit anderer angewiesen ist, oder auf Arbeiten, die nur innerhalb einer miserablen Produktionsweise als solche gelten können. Es werden zweitens nicht genug Produktionsmittel produziert, damit die ganze arbeitsfähige Bevölkerung unter den produktivsten Umständen arbeiten kann, also ihre absolute Arbeitszeit verkürzt würde durch die Masse und Effektivität des während der Arbeitszeit angewandten Kapitals.“
Eine Reihe von Untersuchungen über Produktions- und Konsumtionskapazität in Amerika führten denn auch zu der Erkenntnis, dass die Produktionskapazität, trotz der populären gegenteiligen Meinung, nicht groß genug ist, den notwendigen Bedürfnissen der gesamten Bevölkerung gerecht zu werden. In der Tat war der 1920 existierende Produktionsapparat nur zu 20 % unausgenutzt. Das Home Economics Bureau of the United States Department of Agriculture hält ein 75 prozentiges Wachsen der Produktion gegenüber dem Stande von 1929 für nötig, um einen angemessenen Lebensstandard für jede amerikanische Familie zu ermöglichen. Nur in einzelnen Industrien, auf keinen Fall für die Gesellschaft als Ganzes, war und ist die Produktionskapazität groß genug, die gesamten Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Die Kauf- und damit Konsumkraft der großen Bevölkerungsmassen war um 1929 sehr weit von einem Lebensstandard entfernt, der nach heutigen Massen als angemessen bezeichnet werden könnte, so dass selbst die volle Ausnutzung der Produktionsmaschinerie nicht viel verändert hätte. Nicht in einem einzigen Jahre der sogenannten Prosperitätsperiode erreichten die Arbeitereinkommen die errechneten Grenzen des Existenzminimums. Vom Standpunkt einer vernünftigen Gesellschaft, die mit Gebrauchswerten rechnet, existiert also kein Zuviel an Produktionsmitteln und Arbeitern, sondern unzweifelhaft ein Zuwenig.
Unausgenutzte Produktionsmöglichkeiten und Arbeitslosigkeit sind nicht auf die Entwicklung der Technik zurückzuführen, sondern auf die Bestimmung und Behinderung dieser Technik durch die kapitalistischen Verwertungsgesetze. Damit wird auch klar, dass alle Versuche zur Lösung des Arbeitslosenproblems und zur Krisenüberwindung durch Reformen des Distributionsmechanismus allein erfolglos bleiben müssen, da nur eine Änderung der Produktionsweise Abhilfe schaffen kann.
Die Unmöglichkeit einer kapitalistischen Lösung des Arbeitslosenproblems hat neben den Planungsideen, die größtenteils von/der Unmöglichkeit eines stationär gedachten Kapitalismus ausgehen, und durch Kredit-, Geld- und Preispolitik ein gesellschaftssicherndes Gleichgewicht zwischen Produktion, Konsumtion und Profit herbeizuführen für möglich halten und praktisch doch immer nur die Konzentration des Kapitals fördern und damit Krise und Arbeitslosigkeit im selben Masse verschärfen, wie sie dagegen wirken wollen, auch noch neben der oft zu hörenden konsequenten Forderung nach einem kompletten Staatskapitalismus, der allerdings eine völlige Revolutionierung der Eigentumsverhältnisse voraussetzt, weiter eine Bewegung mit sich gebracht, die unter dem Namen Agrarianism besonders im Süden Amerikas vertreten wird.
Der Agrarianism gilt in der Auffassung seiner Vertreter als Antithese des Industriekapitalismus. Der sich außerhalb der Marktgesetzlichkeit stellende, selbstversorgende Farmer gilt hier als erstrebenswertes Vorbild nicht nur für den Grossteil der heutigen landwirtschaftlichen Bevölkerung, sondern auch für die städtischen Arbeitslosen. Trotz der jahrzehntelangen, misslichen, landwirtschaftlichen Verhältnisse war nach Angaben des United States Bureau of Agricultural Economics die landwirtschaftliche Bevölkerung 1933 größer als je zuvor. Im Gegensatz zur Industrie und auch zu den großen nach industriellem Muster betriebenen landwirtschaftlichen Riesenbetrieben, hat die Mehrzahl der relativ unabhängigen Farmer es unter allen Umständen verstanden, sich über Wasser zu halten. Nicht nur erlaubte die relativ große Selbstversorgungsmöglichkeit, abgesehen von der der Landwirtschaft zuteil gewordenen Regierungshilfe und der zum Teil uneingelöst verbliebenen finanziellen Verpflichtungen, den Farmern trotz aller Marktkalamitäten, ihr Leben, wenn auch mit zusätzlicher Arbeit, Einschränkungen und Umstellungen zu fristen, sondern auch ein Teil der Arbeitslosen zog aufs Land zurück. Angenommen wird, dass zwischen 1930 und 1933 ungefähr zwei Millionen Arbeitsloser aus den Städten aufs Land zurückgingen.
Der Zustand der Selbstgenügsamkeit ist jedoch, ob erwünscht oder unerwünscht, nur als Ausnahme von der gesellschaftlichen Regel möglich. Die große Mehrzahl der Farmer kann durch die bereits erreichte Spezialisierung nicht in diese primitiven Zustände zurückfallen. Der in die Primitivität gezwungene Teil der Farmer kann seinen Zustand nur als temporären Rückschlag ansehen, aus dem es sich mit allen Mitteln wieder zu befreien gilt. Die aus den Städten in die Landwirtschaft zurückgeströmten Elemente sind entweder Angehörige der Farmbevölkerung oder Menschen mit Ersparnissen, die, durch die Krise veranlasst, ihr Vermögen in Farmbesitz investieren, in der Hoffnung, damit imstande zu sein, einen ruhigen Lebensabend auf bescheidene Art verbringen zu können. Selbst die sich neu versuchenden Pächter müssen genügend Kapital haben, um überhaupt den Wechsel von der Stadt aufs Land möglich zu machen. Die Pachtverpflichtungen schließen für diese Leute jede Einstellung auf Selbstgenügsamkeit aus; sie sind vielmehr, um bestehen zu können, zum schärfsten Konkurrenzkampf gezwungen.
Alle bisherige Entwicklung der amerikanischen Landwirtschaft spricht gegen die Möglichkeit der Idee des Agrarianism, sie spricht auch gegen die in diesem Programm eingeschlossene angebliche Lösung des Arbeitslosenproblems durch neue Ansiedelung. Bereits um 1890 war die Pioniertätigkeit zum Abschluss gekommen; es gab kein anbauwertes freies Land mehr. Mit dem Einsetzen der technischen Revolution in der Landwirtschaft senkte sich die Zahl der in ihr beschäftigten Arbeiter. Allein in der Zeit von 1925 bis 1928 machten technische Veränderungen es den Farmern möglich, mit weniger Arbeitern die Produktion gegenüber der Zeit von 1919-1922 um 16 % zu steigern. Vor dem Kriege war diese Entwicklung eine so graduelle, dass die Bewegung der überflüssigen Farmbevölkerung nach den Städten sich ohne ernste Komplikationen vollziehen konnte. Der allgemeine kapitalistische Aufschwung, die Ausdehnung des Welthandels gaben Amerika wachsende Marktmöglichkeiten, die die Bewegung der Freisetzung landwirtschaftlicher Elemente mehr oder weniger verdeckten. Mit dem Abflauen der industriellen Entfaltung und der Zunahme der städtischen Arbeitslosigkeit entstand die Permanenz einer Situation, wo sich die Überbevölkerung auf dem Lande mit der Überproduktion landwirtschaftlicher Waren verband. Dass die landwirtschaftliche Produktion und die Anzahl der Wirtschaften sich trotzdem zuerst nicht verringerten, hängt mit dem Zwang zur Massenproduktion auf Grund der bisher erreichten Kapitalisierung der Landwirtschaft zusammen. Zum anderen Teil mit der relativ geringen Möglichkeit monopolistischer Praxis und zum Teil auch schon mit der erwähnten Selbstversorgungsmöglichkeit der Farmer; denn in Krisenjahren mit allgemeiner Arbeitslosigkeit sind sie nicht geneigt, ihre auch noch so erbärmliche Existenz auf dem Lande mit der Unsicherheit in den Städten, wo Arbeitslosigkeit völlige Existenzunmöglichkeit bedeutet, einzutauschen. Diese Bevölkerungsstauung auf dem Lande, zusammen mit der Flucht vor der Krise aus den städtischen Bezirken, ist eine durch die Not erzwungene Situation, die mit Notwendigkeit von der weiteren Entwicklung der Agrikultur wieder aufgehoben werden muss.
Da mit entscheidender Markterweiterung nicht zu rechnen ist, weder durch eine Umkehr der jetzigen niedergehenden Kurve des Bevölkerungszuwachses, noch durch die Ausdehnung der Exportproduktion, liegt die weitere Erfolgsmöglichkeit des Farmers nur in seiner Konkurrenzfähigkeit auf den gegebenen Märkten. Dieser Konkurrenzkampf ist an das den einzelnen Farmern zur Verfügung stehende Kapital gebunden. Wie scharf er sein muss, kann man daraus ersehen, dass, nach Berechnungen des Department of Agriculture, schon heute 85 % aller landwirtschaftlichen Produkte, die den Markt erreichen, von der Hälfte der heutigen Farmer produziert wird. Die Vertreter der „Zurück aufs Land Bewegung“ übersehen den Unterschied zwischen entwickelten und unentwickelten Ländern. Die Idee des Agrarianism, die sich als kleineres Übel gegen die Missstände des Kapitalismus und die Unwahrscheinlichkeiten des Sozialismus ausgibt, ist nur einer der vielen Ausdrücke kleinbürgerlicher Hilflosigkeit, die ihre Verlegenheit hinter einem falschen Schein von Romantik zu verbergen sucht. Die vorübergehende Möglichkeit, einen kleinen Teil der Arbeitslosen unter den elendesten Bedingungen auf dem Lande durchzuschleppen, ist praktisch nichts anderes, als eine Entlastung des Kapitals von den Kosten der industriellen Reservearmee.
Nicht nur vom Standpunkt einer in Gebrauchswerten denkenden Planwirtschaft, auch von dem der heutigen Produktionsweise lässt sich kein anderer Ausweg aus Krise und Arbeitslosigkeit finden, als durch die weitere Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Jeder wirkliche Lösungsversuch der Krise liegt in der Richtung der Befreiung gebundener Produktivkräfte, wie sehr diese Losung auch zugleich den zuletzt tödlichen Gegensatz- zwischen Produktivkräften und Verhältnissen fördert. Die Unmöglichkeit einer wirklichen Planung der kapitalistischen Aktivität schließt eine Zurückhaltung der Produktivkräfte, aus der Erkenntnis der daraus erwachsenden Konsequenzen, und auch das Gegenteil, ihre bewusst geregelte Förderung, aus. Die Krise ist die erzwungene Eindämmung der Produktivkräfte, sie zwingt zugleich zu Schritten, die ein größeres Überfluten der Produktivkräfte im zu engen Bett der Produktivverhältnisse mit sich bringen.
Jede Theorie eines bewussten Einschränkens der Produktion bei gleichzeitiger Hebung des Massenkonsums zur Lösung heutiger Widersprüche bleibt Theorie und Propagandastück zur Verschleierung der tatsächlichen Situation. Sind die Möglichkeiten neuer Kapitalanlagen gegeben, so werden sie auch ergriffen, ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Folgen, da jeder kapitalistische Konzern nur von seinen individuellen Bedürfnissen ausgehen kann. Krise und Arbeitslosigkeit können kapitalistisch, wie überhaupt, nur durch wachsende Produktion überwunden werden, Dies im Rahmen des Kapitalismus möglich zu machen, gelten alle kapitalistischen Anstrengungen. Es gibt hunderttausende von Projekten für Landwirtschaft und Industrie, märchenhafte Möglichkeiten der Produktionsausweitung, von der die wissenschaftliche und die belletristische Literatur schwärmt, deren Verwirklichung jedoch an deren Profitabilität gebunden ist. Alle Anstrengungen des Kapitals sind deshalb. auf die Wiederherstellung der Verwertung gerichtet, also der Aneignung von einer größeren Masse von Mehrarbeit. Von diesem Gesichtspunkt aus wird die Verkürzung des Arbeitstages, der Arbeitszeit, als Losung des Arbeitslosenproblems von kapitalistischer Seite aus verworfen.
Die bekannte Forderung der Roosevelt Administration nach Beschneidung der Produkte wurde auch nur so lange erhoben, als die aktuelle Stagnation auch die gegenteilige Forderung belanglos gemacht hätte. Diese Forderung entsprach dem Kartellisierungs- und Konzentrationsprozess des monopolistischen Kapitals während der Krisenvertiefung. Sie half, die Stagnation der großen Kapitale zur gesellschaftlichen zu machen, und verhinderte damit zum Teil die Realisierung von Extraprofiten kleinerer Kapitale, die paradoxalerweise vorübergehend Akkumulationsmöglichkeiten in Zeiten haben, die diese für die großen Kapitale ausschließen. Mit dem Aufschwung der Wirtschaft seit 1934 jedoch ließ man das Produktionsbeschränkungsprogramm wieder fallen, ja man wandte sich nun dagegen, da es untragbare künstliche und hemmende Preisskalen mit sieh brachte. Dem Geschäft mehr Spielraum zu gewähren, wurde wieder zur dominierenden Parole.
Das Kapital kann auf keinen Fall den Zustand der Krise oder Stagnation als Normalzustand hinnehmen. Das Gefrieren des Status quo ist nur dir Philosophie der Krise, die „Produktion um der Produktion willen“ bleibt weiter Notwendigkeit. Noch in der Krise bei den niedrigsten Profitraten besteht der Wille zu neuen Kapitalinvestionen, da die Erträgnisse in den einzelnen Industrien weitestgehend variieren und die Kapitalisierung verhältnismäßig verbilligt ist. Gerade bei sich allgemein verschlechterndem Geschäftsgang erhoffen einzelne Unternehmer, durch die Ausdehnung ihres Kapitals, einen größeren Anteil am Gesamtgeschäft zu erzielen. Sind Möglichkeiten vorhanden, sich durch Vergrößerung durchzusetzen, so werden sie auch ergriffen. Mit der in der Krise sich verschärfenden Konkurrenz setzt die nach Verbilligung gerichtete Expansion, Rationalisierung und allgemeine Erhöhung der Produktivität mit doppelter Wucht ein. Die in diesem Konkurrenzkampf untergehenden Kapitale reinigen das Feld für die weitere Aktivität der Siegenden. Der Mangel an Bankerotten durch die bereits erreichte Monopolisierung, die immer schwieriger werdende Destruktion alter Kapitale durch ihren großen Umfang und andere Momente erschweren den Übergang zu neuen Konjunkturen, ändern jedoch nichts an den immer mächtigeren Versuchen, mit wirtschafts-politischen Mitteln dem Zustand der Depression zu entrinnen.
Mehr unbezahlte Mehrarbeit, weniger bezahlte Arbeit, ist das letzte Geheimnis der Wiederherstellung der Verwertung, und dies setzt die Ausdehnung des Produktionsfeldes und die Erhöhung der Produktivität voraus. Wer mehr Arbeiter ausbeuten will, muss eine gegebene Menge Arbeiter intensiver ausbeuten. Wer überhaupt ausbeuten will, muss diese Ausbeutung dauernd steigern. Dieses Gesetz braucht man den Kapitalisten nicht ins Bewusstsein zu rücken; ihre nächsten Notwendigkeiten zwingen sie zu Handlungen, und zu keinen anderen. als wenn ihnen dieses Gesetz dauernd bewusst wäre. Die bei weitem nicht erschöpften Ausbeutungsmöglichkeiten der Welt vor Augen, unfähig, ihre Aktivität den Verwertungsgrenzen harmonisch anzupassen, selbst wenn sie diese Grenzen kennen würden, muss, wie jeder einzelne Kapitalist, auch die Gesamtbewegung des Kapitals stets auf weitere sprunghafte Entfaltungen eingestellt sein. Die Schwierigkeiten, denen das Kapital bei den Versuchen der Wiederherstellung der Verwertung und der damit verbundenen progressiven Kapitalakkumulation gegenübersteht, bringen trotz allem Optimismus zugleich eine große Angst vor Störungen dieses Prozesses durch die Reaktionen der Gesellschaft auf die verschärfte Ausbeulung mit sich. Eine große Arbeitslosenarmee hat den Arbeitslohn in Grenzen zu halten, um die zarte Blüte der rehabilitierten Verwertung nicht frühzeitig zu knicken. Sie muss gleichzeitig mächtig genug sein, die erwartete zunehmende Beschäftigung bei relativer Freisetzung der Arbeiter überhaupt zu ermöglichen, ohne deshalb den Ausbeutungsgrad wesentlich zu vermindern. Ein Mangel an Arbeitslosigkeit stellt kapitalistische Erfolge in Frage, Wie sehr auch einerseits die Arbeitslosigkeit als Belastung angesehen wird, genau so sehr ist sie mich eine Garantie für die Stabilität der heutigen Gesellschaft. Besonders der internationale Konkurrenzkampf und die imperialistische Politik um Rohstoffe, Kapital- und Warenexporte, der zugleich der der Warenwirtschaft entsprechende Reorganisationsprozess im Rahmen der Weltwirtschaft ist und seine Spitze im Kriege finde!, erfordert einen Überfluss an Bevölkerung und macht die Bevölkerung zum, wenn auch grausamen, so doch gewaltigen Mittel kapitalistischer Entfaltung der Produktivkräfte, die stets zugleich Kräfte der Destruktion sind.
„Daß der natürliche Zuwachs der Arbeitermasse die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals nicht sättigt und sie dennoch zugleich überschreitet, ist ein Widerspruch seiner Bewegung selbst.“ (Marx)
So haben wir auf der einen Seite die Furcht vor der Arbeitslosigkeit und auf der anderen die Furcht vor dem Verlust der Arbeitslosigkeit, die sich besonders in den immer lauter werdenden Klagen über die Gefahren der sinkenden Geburtenziffern für die Menschheit überhaupt und der Bevölkerungsabnahme für die weiteren Schicksale des Kapitals ausdrückt. In Amerika fiel die Geburtsrate während der letzten hundert Jahre ununterbrochen. Die große Einwanderung schuf den notwendigen Ausgleich. Mit dem Rückgang der Einwanderung sank die Rate der Bevölkerungszunahme. Bis zum Kriege betrug der jährliche Bevölkerungszuwachs ungefähr 1 800 000, heute nur noch 800 000. Die langsame Zerstörung der heutigen Familienform, die Verschärfung des individuell zu meisternden Existenzkampfes, die Anhäufung des Elends und die Unmöglichkeit der Anpassung des allgemeinen gesellschaftlichen Lebens an die entfesselten und zugleich gehemmten Produktivkräfte, weist für die weitere Zukunft nicht auf die Tendenz des nach heutigen Begriffen dauernden gesunden Wachsens der Menschheit, sondern auf Zerrüttung und Niedergang. Diese Situation erlaubt nicht die bewusste Reduzierung der Arbeiter und Arbeitslosen. Unbegreiflich erscheint denjenigen, denen die kapitalistischen Bewegungsgesetze fremd sind, dass der durch die Verelendung sogar zweifelhaften Reproduktion von Arbeitskräften keine Schranke gesetzt wird. Jedoch entspricht die Geburtenkontrolle nicht den Interessen des Kapitals.
Nach allen bisherigen Krisen war, mit der Wiederherstellung der Kapitalverwertung, d. h. mit der Sicherung der Profitabilität auf einem neuen niedrigeren Preis- und Wertniveau, die Zunahme der absoluten Arbeiterzahl verbunden. Auch heute kann auf einen neuen Aufschwung nicht gerechnet werden, es sei denn, dass es gelänge, mit der Ausdehnung des Produktionsapparates auch eine Vermehrung der ausbeutungsfähigen Arbeiter zu verbinden. Die Akkumulation muss so mächtig sein, dass sie neue Arbeitsgelegenheiten ergibt. Nicht hängt der Erfolg von der Mehrbeschäftigung von Arbeitern ab, jedoch ein Erfolg ist nur möglich, wenn der Aufschwung so groß ist, dass er mehr Arbeiter in die Produktion einbezieht. Die Verlangsamung der Akkumulation, wodurch sich die marschierende Krise ankündigt, die wachsende Überproduktion von Kapital waren in Amerika von einer sinkenden Arbeiterzahl begleitet. Der umgekehrte Prozess muss einsetzen: die Arbeiterzahl muss trotz der wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals mit der Akkumulation steigen, damit die Profitmasse schneller zunehmen kann als die Profitrate fällt und damit von Prosperität die Rede sein kann. Wenn diesem Prozess zuletzt auch objektive Schranken gesetzt sind, so schließt er doch jedes eigenwillige Beharren auf einer erreichten Akkumulationsstufe aus. Der Verzicht auf die Ausweitung der kapitalistischen Widersprüche käme einem Verzicht auf den Kapitalismus gleich. So muss für denjenigen, der trotz aller Arbeitslosigkeit und trotz aller ruhenden Produktionsmittel einen weiteren Fortschritt des Kapitalismus erwartender heutige Produktionsapparat und die heutige Arbeiterzahl unzureichend sein. Der äußere Zwang, der die Kapitalbewegung bestimmt, ist stärker als alle Einsicht der in ihr operierenden Kapitalisten. Der Akkumulationsdrang. d. h. der Selbsterhaltungstrieb der heutigen Gesellschaft lässt nicht zu, dass Arbeitslosigkeit als solche begriffen wird. Die gesellschaftliche Aktivität muss in einer solchen Weise fortgeführt werden, als wenn ein aktueller Mangel an Arbeitern vorhanden wäre.
Dieser Zwang wird beim Eintreten einer Geschäftsbelebung sofort sichtbar, wirkt aber, wenn auch weniger beachtet, noch heftiger in der Krise. Die Zunahme der Produktivität der Arbeit seit 1929 betrug in den Vereinigten Staaten nach allen vorhandenen Berechnungen rund 33 Prozent. Man hat festgestellt, und diese Feststellung wurde durch die Wirklichkeit bestätigt, dass hei Wiedererlangung des Produktionsniveaus von 1929 infolge der gestiegenen Produktivität noch immer 8 bis 10 Millionen Arbeitslose existieren würden. In einer Rede im April 1936 bedauerte Präsident Roosevelt,
„dass trotz der Annäherung der Gesamtproduktion an das Niveau von 1929 nur 80 Prozent der damals beschäftigten Arbeiter engagiert seien, doch gäbe es dagegen kein Gesetz, da man sich nicht gegen bessere Arbeitsmittel und -methoden wenden könne, noch wenden wolle.“
Die Tatsache, dass, während die Produktion von Produktionsmitteln vom Oktober 1934 bis zum selben Monat des nächsten Jahres um 92 Prozent stieg, die der Konsumtionsmittel jedoch nur um 7 Prozent, wirft weiteres Licht auf den Charakter der wirtschaftlichen Belebung. Sie war ein Ausdruck der gesteigerten Rationalisierung und darum außerstande, die Arbeitslosenzahl wesentlich zu vermindern, da sie fast ausschließlich nur dem Ersatz des fixen Kapitals in den existierenden Betrieben diente. Wesentliche Neuanlagen von Kapital, abgesehen von den Rüstungsausgaben, wurden nicht getätigt. Gelang es auch im Laufe der Depression, die Rentabilität der Unternehmen zu verbessern, so ist es doch mehr als fraglich, ob diese Verbesserung noch Formen annehmen kann, die eine neue allgemeine Aufschwungsperiode erlauben und das jetzt so brennende Arbeitslosenproblem wieder vorübergehend in den Hintergrund drängen werden. Neben den überschwänglichen Hoffnungen, die jedes Anziehen des Geschäftsganges auslöst, mehren sich die Stimmen der Wirtschaftspolitiker, die sich die nächste und fernere Zukunft ohne eine permanente Riesenarbeitslosigkeit überhaupt nicht mehr vorstellen können.
Zuletzt aktualisiert am 19.1.2009