Aus: „Links“ Offenbach/M, Nr 28, Dezember 1971. Übersetzt von Fritz Katz
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.
Das Kapital ist international. Die Tatsache, daß seine historische Entwicklung parallel zu der des Nationalstaats verlief, verhinderte nicht die Etablierung des kapitalistischen Wettmarktes. Infolge politischer Interventionen zur Verteidigung der jeweiligen nationalen Bourgeoisien gegen konkurrierende Nationen war und ist jedoch die Kapitalkonzentration schwerer im internationalen als im nationalen Maßstab zu erreichen. Sogar kapitalistische Krisen, die eine weltumfassende Beschleunigung des Konzentrationsprozesses bewirkten, erforderten zusätzlich imperialistische Kriege, um den nationalen Konzentrationsprozeß auf die internationale Szene auszudehnen. Die kapitalistische Organisation der Weltwirtschaft ist ein widerspruchsvoller Prozeß. Sie führt nicht zur schließlichen Vollendung einer einheitlich kapitalistischen Welt, sondern zu kapitalistischen Formierungen, die immer zerstörerischer um die Kontrolle immer größerer Anteile an der Weltwirtschaft wetteifern.
Dieser Prozeß wohnt der Kapitalakkumulation inne, welche die grundlegenden kapitalistischen Widersprüche in stets größerem Maßstab reproduziert. Mit der Akkumulation des Kapitals, als dem immer noch entscheidenden Faktor der sozialen Entwicklung, erleben wir extensiver und intensiver aufs Neue die Erfahrungen der Vergangenheit im Hinblick auf den Konkurrenzkampf und auf die Internationalisierung des Kapitals. Die Welt als prädestiniertes Feld privater Ausbeutung zu betrachten, darauf lauft der Kapitalismus hinaus.
Wenn es sich anfänglich vornehmlich darum handelte, Waren zu exportieren und billige Rohstoffe zu importieren, so führte dies bald zum Kapitalexport zur direkten Ausbeutung der Arbeitskraft anderer Nationen und damit zur Kolonisierung, um die neuen Profitquellen zu monopolisieren. Das Ende des Kolonialsystems beseitigte nicht das zweifache kapitalistische Bedürfnis nach internationaler Expansion und nach Konzentration der hierbei erzielten Profite in den Händen der herrschenden nationalen Kapitalgruppen. Weil Kapitalismus sowohl national als auch international ist, ist er seiner wahren Natur nach imperialistisch. Imperialismus dient als Instrumentarium dazu, angesichts drängender internationaler Bedürfnisse über nationale Begrenzungen hinwegzukommen. Darum Ist es töricht, die Möglichkeit eines nicht imperialistischen Kapitalismus anzunehmen. Natürlich gibt es kleine kapitalistische Nationen, die auch ohne direkte imperialistische Aktionen gedeihen. Aber da solche Nationen im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes operieren, nehmen sie, obschon indirekt, nichtsdestoweniger an dem imperialistischen Ausbeutertum der größeren kapitalistischen Nationen teil, geradeso wie auf dem Binnenmarkt viele kleine Zulieferanten bei dem Geschäft profitieren, das ihnen von den Hauptproduzenten für die Kriegswirtschaft wird. Nicht alle kapitalistischen Länder können imperialistisch expandieren. Sie befinden sich mehr oder weniger unter der Kontrolle jener Nationen, die hierzu Gelegenheil haben, selbst wenn die Kontrolle sich auf die ökonomische Sphäre beschränkt. Aus diesem Grunde erblicken einige europäische Beobachter in der jüngsten Expansion des amerikanischen Kapitalismus nach Europa eine Art Neo-Kolonialismus, andere drängen auf ein stärker integriertes Europa, das imstande wäre, als „dritte Kraft“ in einer von imperialistischen Mächten beherrschten Welt zu wirken.
Der Widerspruch zwischen der nationalen Form des Kapitals und seinem Bedürfnis nach Expansion, die keine Grenzen anerkennt, ist mit dem Widerspruch zwischen seiner Konkurrenznatur und seinem Drang nach Monopolisierung verflochten. Theoretisch betrachtet, gedeiht eine Wettbewerbswirtschaft am besten auf einem freien Weltmarkt. Tatsächlich aber führt Wettbewerb zur Monopolwirtschaft und zu monopolistischem Wettstreit, und der freie Weltmarkt führt zu protektionierten Markt . die mit politischen Mitteln monopolisiert werden. Monopolistische Konkurrenz schließt Imperialistische Kämpfe ein, um bestehende Monopole zugunsten neuer monopolistischer Konstellationen zu brechen. Die ökonomische Wettbewerbsform nimmt politische Ausdrucksweise und somit ideologische Formen an, die sodann die ökonomischen Zwänge ihres Ursprungs überschatten.
Diese Transformation ökonomischer in politisch-ideologische Positionen geriet noch mehr in Verwirrung durch die Veränderungen der Kapitalbildung, die auf dem Wege sozialer Revolutionen herbeigeführt wurden. Die Planwirtschaften Rußlands, Chinas und ihrer Satelliten störten nicht nur den monopolistisch kontrollierten Weltmarkt, sondern führten dazu, weitere Expansion unter privatkapitalistischem Vorzeichen zu verhindern. Natürlich gab es nicht viel Kapitalbildung In den unterentwickelten Weltgebieten. Internationale Kapitalkonzentration hatte die rasche Vergrößerung bestehenden Kapitals auf Kosten potentieller Kapitalbildung in unterjochten Ländern zum Ergebnis. Lukrative Märkte, billige Nahrungsmittel und Rohstoffe erhöhten die Profitraten der Industrienationen und beschleunigten damit deren Kapitalakkumulation. Darüber hinaus jedoch erwartete man, daß eine Zeit kommen würde, In der eine weitere Kapitalexpansion auch zu einem verstärkten Kapitalfluß in die unterentwickelten Weltregionen führen würde.
Kapital ist nicht an sich an der fortdauernden Existenz industriell unterentwickelter Nationen interessiert. Es ist nur insoweit interessiert, wie dieser Zustand sich als am meisten profitabel erweist. Wenn eine weitere Entwicklung rückständiger Länder mehr oder ebenso profitabel wie Investionen in fortgeschrittenen Nationen sein sollte, dann werden die Kapitalisten nicht zögern, deren kapitalistische Entwicklung genau so zu fördern, wie sie jene in ihren eigenen Ländern beschleunigt haben. Ob sie jemals unter den Bedingungen privater Kapitalbildung Realität werden kann oder nicht, ist eine Frage, die Kapitalisten nicht stellen können, denn ihr eigenes Fortbestehen ist klar mit der Kapitalbildung in den unterentwickelten Nationen verbunden. Sie können daher nicht umhin, in der Bildung und Expansion staatlich kontrollierter Systeme eine Einschränkung ihrer eigenen Expansionsmöglichkeilen und eine Bedrohung ihrer Kontrolle des Weltmarktes zu erblicken. Für sie bedeutet „Kommunismus“ die Bildung von Super-Monopolen, mit denen man nicht auf dem Wege monopolistischen Wettbewerbs verkehren kann und die vielmehr mit politisch-ideologischen Mitteln und, sofern es opportun ist, mit militärischen Maßnahmen bekämpft werden müssen.
In ihrem Widerstand gegen den „Kommunismus“ wenden sich die Kapitalisten nicht nur gegen ein anderes ökonomisches System, sie verdammen ihn auch aus politischen und ideologischen Gründen. Und dies um so mehr, weil sie die Möglichkeit anderer sozialer Formationen nicht zugestehen können, da sie überzeugt sind, daß die ökonomischen Prinzipien des Kapitalismus universelle Grundsätze wirtschaftlichen Verhaltens sind, deren Verletzung einer Vergewaltigung der menschlichen Natur selbst gleichkommt. Sie können es sich nicht leisten — und tun es auch nicht —, die Dynamik ihrer eigenen Gesellschaft zu begreifen. Wie sie es sehen, liegen die Gründe für ihre Schwierigkeiten nicht im System selber, sondern in außerhalb gelegenen Ursachen. Bei solcher Sicht, ist es natürlich der irrige und verderbte Glaube an den Kommunismus, der die Gesellschaft untergräbt und sie der Möglichkeit beraubt, sich aus ihren wachsenden Schwierigkeiten herauszuarbeiten. Es ist somit nicht notwendig, daß die Kapitalisten, ihre Verteidiger und alle Anhänger der kapitalistischen Ideologie, sich der Tatsache bewußt sind, daß das gewöhnliche Geschäft des Profitmachens die nationale und internationale kapitalistische Politik bestimmt. Es genügt, daß sie sich mit der vorherrschenden kapitalistischen Ideologie indentifizieren. Dia Verteidigung des Kapitalismus erfordert kein eigentliches Verständnis des Systems; es verlangt nur Aktionen, die den Status quo stützen. Marxistische Rationalität, die eine Kritik bestehender Bedingungen bedeutet, nimmt oft an, daß alles kapitalistische Handeln direkt durch die kapitalistische Rationalität, d. h. durch das unmittelbare Bedürfnis, Profit zu machen und Kapital anzuhäufen, bestimmt sei. Die Marxisten suchen nach direkt beobachtbaren ökonomischen Motiven hinter den politischen Aktionen kapitalistischer Staaten, insbesondere im internationalen Bereich. Wenn nicht direkt wahrnehmbar sind, geraten sie etwas in Verlegenheit solche offensichtlichen Gründe die „Vernunft“ imperialistischer Aggressionen zu erklären. Im Falle Indochinas z. B. ist das scheinbare Fehlen wichtiger Antriebe der amerikanischen Intervention für marxistische Kritiker des Krieges eine lästige Tatsache gewesen. Das wurde anscheinend nur durch die jüngste Entdeckung von küstennahen Ölvorkommen gemildert, die vermutlich, wenigstens teilweise, das weiterhin bestehende Interesse des Big Business an einem siegreichen Abschluß des Krieges verständlich machten. Es ist jedoch klar, daß der Indochinakrieg ohne diese Entdeckung kam und gekommen wäre, und daß andere Erklärungen als nur einige spezifische und isolierte kapitalistische Interessen gefunden werden müssen.
Die Verteidiger des Kapitalismus benutzen diese Situation um darzulegen, daß nicht das kapitalistische System als solches zum Imperialismus führt, sondern irgendeine Verirrung, die ihm von Kräften außerhalb aufgedrängt wird. Sie sprechen von einem „militärisch-industriellen Komplex“, der eine Verschwörung innerhalb des Systems bildet, um seinen Sonderinteressen zu Lasten der ganzen Gesellschaft zu dienen. Nach ihrer Ansicht ist es eine Institution der Gesellschaft, durch Usurpation der Entscheidungsgewalt der Regierung, die für den Krieg verantwortlich ist, nicht aber der Kapitalismus selber. Während der Krieg — weit davon entfernt, wogen laufenden oder erwarteten Profiten geführt zu werden —eine enorme Ausgabe für die amerikanischen Steuerzahler und darum sinnlos ist, besitzt er Sinn für die Sondergruppe der Kriegsgewinnler, die die Regierung beherrschen. Bestimmte Leute, nicht das System, sind zu tadeln. Aus diesem Grunde ist alles, was zur Beendigung der Abirrung nötig ist, ein Wechsel der Regierung und eine Entmachtung des „militärisch-industriellen Komplexes“.
Natürlich steckt in beiden Erklärungen ein Stück Wahrheit — dies, daß Imperialismus wirtschaftlich vom Krieg besonders begünstigten begründet ist und daß er durch Gruppen verfochten wird. Aber indem man versäumt, diese Erklärungen in Beziehung zu den fundamentalen Widersprüchen der Kapitalbildung zu setzen, wird man der Kompliziertheit des Kriegs- und Imperialismusproblems nicht gerecht. Weder die Bildung noch die Akkumulation von Kapital ist ein bewußt gesteuerter gesellschaftlicher Prozeß. Jede kapitalistische Einheit, sei es der Unternehmer, der Konzern oder das multinationale Unternehmen, beschränkt notwendigerweise ihre Tätigkeit auf die Vergrößerung ihres Kapitals ohne Rücksicht, oder sogar ohne die Möglichkeit einer Rücksichtnahme, auf soziale Bedürfnisse und die gesellschaftliche Entwicklung. Sie sind blind gegenüber den nationalen und internationalen Folgen ihres ruhelosen Dranges, ihr Kapital zu vergrößern. Er bestimmt die Richtung ihrer Expansion. Ihr enormes Gewicht innerhalb der Gesellschaft bestimmt die gesellschaftliche und damit die Politik der Regierung. Das bedeutet jedoch, daß Regierung und Gesellschaft in ihrer Entwicklung so blindlings handeln wie jede einzelne kapitalistische Gruppe dies im Blick auf ihre Profitinteressen tut. Sie wissen, was sie tun, aber nicht, wohin dies führt; sie können die Folgen ihrer Tätigkeit nicht begreifen.
Diese Folgen können Krieg einschließen, und Krieg kann begonnen werden nicht wegen bestimmter wirtschaftlicher Ziele, wie etwa Besitz besonderer Rohstoffe, Zugang zu neuen Märkten oder Kapitalexport, sondern wegen einer vorherigen Wirtschaftspolitik, deren Folgen nicht voraussehbar waren. Dies ist natürlich völlig klar im Falle imperialistischer Interventionen zur Verteidigung von Kapitaleigentum, das Gefahr läuft, enteignet zu werden, oder das in Ländern enteignet wurde, die ein gewisses Maß an Unabhängigkeit in wirtschaftlicher wie auch in politischer Beziehung zu gewinnen oder wiederzugewinnen suchen. Das erklärt die Interventionen in Guatemala, Kuba, der Dominikanischen Republik, im Kongo usw. Die Verhältnisse sind jedoch nicht so klar in Bezug auf die Intervention in Indochina, wo die wirtschaftlichen Interessen der USA minimal waren und ihr möglicher Verlust ohne Konsequenz für ihre Ökonomie geblieben wäre. Doch auch diese Intervention war das unvorhergesehene Ergebnis vorheriger ökonomischer Entwicklungen, selbst wenn sie nicht auf irgendein unmittelbares und spezifisches wirtschaftliches Bedürfnis des amerikanischen Kapitalismus bezogen werden kann.
Es gibt nur einen Weg zur Sicherung der kapitalistischen Wirtschaft, und zwar durch beständige Kapitalexpansion. Gerade diese Expansion ist das Geheimnis günstigen Konjunkturverlaufes, genauso wie ein Expansionsmangel Depressionen zum Ergebnis hat Kapitalistische Entwicklung ist ein Wechsel zwischen Prosperität und Depression, dem sogenannten Konjunktur-Zyklus. Für das amerikanische Kapital führte jedoch die letzte schwere Depression von 1929 nicht zu einer neuen Periode der Prosperität, sondern zu einer Ära relativer Stagnation und des Niedergangs, die nur überwunden wurde durch Umwandlung der Ökonomie in eine Kriegswirtschaft; das bedeutete Wachstum der Produktion nicht auf dem Wege der Kapitalakkumulation, sondern durch Anwachsen der nationalen Schuld und Produktion für „öffentliche Konsumtion“, wie sie durch Krieg und Kriegsvorbereitung erforderlich wird. Aber geradeso wie schon die große Depression führte der Krieg nicht zur Wiederherstellung einer Kapitalexpansionsrate, welche ausreichte, um die volle Nutzung der Produktionsstätten und der verfügbaren Arbeitskraft sicherzustellen. Die Regierung sah sich gezwungen, ihre Stützung der Wirtschaft durch öffentliche Ausgaben auf dem Wege des „deficit-spending“ fortzusetzen, infolge der Natur des kapitalistischen Systems zwangsläufig Ausgaben, die nicht mit dem Privatkapital konkurieren und daher weithin Rüstungsausgaben sind. Der „Kalte Krieg“ im Kielwasser des tatsächlichen Krieges lieferte die Begründung dieser Art kompensatorischer Produktion.
Natürlich setzte das Privatkapital seine heimische und internationale Expansion fort, aber nicht in einem Ausmaß, das eine bedeutsame Kürzung nicht profitabler, von der Regierung veranlaßter Produktion gestattet hätte. Trotz beider Typen dieser Produktion, für den Markt und für „öffentliche Konsumtion“, konnte Vollbeschäftigung und volle Nutzung der Produktionsanlagen nicht erreicht werden. Trotz der mit dem Krieg in Indochina verbundenen großen Ausgaben, zählte Amerika Ende 1970 sechs Millionen Arbeitslose und eine nur 80%ige Ausnutzung der Produktionskapazität. Rüstungsausgaben ergeben sich natürlich aus dem Nationaleinkommen und können weder verwertet noch im üblichen Sinne konsumiert werden. Eine ständige Steigerung von Rüstungsausgaben ist nur auf Kosten der Kapitalakkumulation und des Lebensstandards möglich. Sie ist daher keine Lösung für die Probleme, die durch eine ungenügende Kapitalexpansionsrate bedingt sind; vielmehr macht gesteigerte Rüstung eine Lösung nur schwieriger. Kapitalistisch gedacht, hat Krieg nur „Sinn“, wenn er als Instrument zur Schaffung von Bedingungen dient, die eine weitere Kapitalexpansion und -ausweitung begünstigen. Aber zugleich würde unter den vorherrschenden Bedingungen ein Ende des Indochinakrieges nur die Zahl der Arbeitslosen vermehren und den ungenutzten Teil der Produktionskapazität vergrößern.
Krieg oder Nichtkrieg - mangels beschleunigter privater Kapitalexpansionsrate besteht nur die Wahl zwischen einer vertieften Depression und ihrem Umgehen durch weitere Ausdehnung nicht profitabler „öffentlicher Ausgaben“. Doch während der Krieg eventuell die Vorbedingungen für ein amerikanisches Eindringen in Ostasien einbringen könnte, und seine gegenwärtigen Kosten durch zukünftige Profite belohnt würden, haben öffentliche Ausgaben für andere Zwecke nicht solche Auswirkungen. Die Erfahrung zeigt, daß Krieg Möglichkeiten für weitere Kapitalexpansion eröffnet. Von einem konsequenten kapitalistischen Standpunkt aus, ist ein erfolgreich durchgeführter Krieg „vernünftiger“ als beständiger Niedergang des Kapitalismus, wie er sich in einer Zunahme regierungsabhängiger Produktion gegenüber privater Kapitalexpansion zeigt.
Selbst wenn die „gemischte Wirtschaft“ als wahrscheinlich unvermeidbare Modifikation des kapitalistischen Systems hingenommen wurde, so sollen doch die Eingriffe der Regierung in die Wirtschaft nur solche sein, die für das Privatkapital vorteilhaft sind. Um dies zu sichern, müssen Eingriffe in Marktverhältnisse sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene eingeschränkt werden. Ebenso wie innenpolitisch eine allgemeine Expansion regierungsabhängiger Produktion das sichere Ende kapitalistischer Eigentumsverhältnisse bedeuten würde, weist die Ausbreitung eines staatlich bestimmten gesellschaftlichen Produktionssystems innerhalb der Weltwirtschaft auf eine Schrumpfung der freien Unternehmerwirtschaft hin. Darum ist es lebenswichtig, die Ausbreitung des „Kommunismus“, d. h. eines staatlich kontrollierten Produktionssystems einzudämmen, so wie es innerhalb jeder privatkapitalistischen Nation gilt, die Regierungseingriffe in die Wirtschaft einzuschränken. Beide Notwendigkeiten sind voneinander abhängig. Wenn mehr Nationen die staatlich beherrschte Form der Kapitalbildung annehmen und dadurch die Expansion des privaten Kapitals beschränken, so fordert ungenügende Expansion des letzteren intensivere Regierungseingriffe in den eigenen Ländern heraus. Um den Trend in Richtung Staatskapitalismus in den Marktwirtschaften aufzuhalten, ist die Eindämmung und möglichst ein „roll-back“ der bereits etablierten staatskapitalistischen Systeme erforderlich. Doch während die Kapitalisten ihre eigenen Regierungen kontrollieren und so Art und Grad der wirtschaftlichen Eingriffe bestimmen, können sie die gefürchtete Transformation international nur aufhalten, indem sie entweder die Kontrolle über die Regierungen anderer Nationen besitzen oder mit imperialistischen Interventionen eingreifen.
Es gibt also keinen speziellen Grund für Amerikas Intervention in Indochina, neben seiner allgemeinen Politik, überall in der Welt zu Intervenieren, um politische und soziale Veränderungen zu verhindern, die für die „freie Weil“ und insbesondere für seine Vormacht abträglich wären. Wie’ eine Riesenkrake streckt Amerika seine Saugnäpfe nach allen unterentwickelten Ländern aus, die sich noch unter dem Einfluß kapitalistischer Eigentumsverhältnisse befinden, um deren weiteres Festhalten am Prinzip der ‚freien’ Wirtschaft oder wenigstens an den alten Weltmarktverhältnissen zu sichern, die sie zu Anhängseln des westlichen Kapitalismus gemacht haben. Es versucht, alle pro-kapitalistischen Kräfte in verschiedenen regionalen Bündnissen zu sammeln, bewaffnet und finanziert die reaktionärsten Regimes, dringt in Regierungen ein und bietet Hilfe an - all das, um jede soziale Bewegung aufzuhalten, die nach dem Ziel politischer und wirtschaftlicher Selbstbestimmung streben könnte. Weil Selbstbestimmung keine reale Möglichkeit sei, betrachten die USA Versuche, sie zu erreichen, lediglich als Verlassen des kapitalistischen Weges, die in den Machtbereich der Ostmächte führen müßten. Mit der Bekämpfung der Selbstbestimmung und der nationalen Befreiung, setzt Amerika einfach seinen Krieg gegen die russischen und chinesischen Widersacher fort. Obwohl das kein „Kalter Krieg“ mehr ist, werden bisher die wirklichen Probleme aber nur am Rande berührt.
Dabei gefährdete keine der kleinen Nationen, die eine amerikanische Intervention erlitten, nennenswert die Hegemonie der USA In Weltangelegenheiten. Wenn sie trotzdem gehindert wurden, sich von Fremdherrschaft und ihren kollaborierenden herrschenden Klassen zu befreien, so geschah dies in Erkenntnis der Tatsache, daß ihre revolutionäre Aktivität nicht ein zufälliges Phänomen ist, sondern mannigfacher Ausdruck eines Trends — zwar jetzt noch schwach, aber weltweit- zur Herausforderung der kapitalistischen Macht- und Ausbeutungsmonopole. Darum muß revolutionäre Aktivität unterdrückt werden, wo auch immer sie entsteht, und es muß ihr Wiederaufleben ungeachtet aller unmittelbaren Profitrücksichten verhindert werden. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Gegenwart von der Vergangenheit dadurch, daß imperialistische Interventionen in der Vergangenheit stattfanden, um Weltreiche zu schaffen oder um andere Nationen der Vorherrschaft expandierenden auswärtigen Kapitals zu unterwerfen, während gegenwärtig solche Interventionen der Verteidigung des Kapitalismus selbst dienen. Amerikas Intervention in Indochina ist in Hunderten von Büchern und Tausenden von Artikeln gut dokumentiert werden. Es dürfte genügen, auf ihren engen Zusammenhang mit den neuen imperialistischen Rivalitäten hinzuweisen, die durch den 2. Weltkrieg hervorgerufen sind. Die Ausdehnung russischer Kontrolle und Einflusses in Europa ließ ähnliche russische Schritte in Asien erwarten, ein vermutlich durch den „kommunistischen“ Erfolg in China und die Entstehung anti-westlicher Staaten und Bewegungen in Südostasien unterstützter Prozeß. Die amerikanische Reaktion auf diese — ob nun reale oder nur eingebildete - Bedrohung, geschah automatisch. Das bedeutete die Anwendung aller verfügbaren Mittel, um die russische und chinesische Herrschaft über die asiatische Entwicklung zu verhindern.
Amerikas Gewinne in Asien waren durchaus eindrucksvoll. Es gewann nicht nur die Philippinen zurück und zerstörte Japans „Co-Prosperitäts-Sphäre“, sondern fand Eingang in Nationen, die nur wenige Jahre zuvor Monopole europäischer Mächte gewesen waren. Mit Unterstützung eines wiederhergestellten und mit den USA verbündeten Japan, erschien es relativ leicht, China aus Südostasien herauszuhalten und dieser Teil des Globus für die „freie Welt“ im allgemeinen und die USA im besonderen abzusichern. Aber der „kommunistische“ Feind fand sich nicht nur in China, sondern in größerem oder geringerem Ausmaß in allen Ländern Südostasiens, um vielleicht durch Subversion das zu erzielen, was offensichtlich nicht länger durch direktes Vorgehen erreiche werden konnte. Die Sicherung der neugewonnenen Position Amerikas in Südostasien erforderte demnach die Zerstörung der einheimischen nationalen Kräfte, die sich auch als „kommunistische“ Bewegungen betrachteten und lieber dem russischen und chinesischen Beispiel nachzueifern wünschten, als sich dem Kurs des westlichen Kapitalismus anzupassen.
Wie alle Länder waren die neu entstandenen Staaten in Südostasien durch verschiedene Klasseninteressen gespalten, deren Anhänger mit Hilfe des nationalen Befreiungskampfes und in ihm für ihre spezifischen Ziele kämpfen. Damit ist der Befreiungskrieg zugleich ein Bürgerkrieg. Seine Ergebnisse mußten entscheiden, ob die befreiten Nationen den Kapitalismus verlassen oder darin bleiben würden. Auswärtiger Eingriff in den Bürgerkrieg war nötig, um auf sein Ergebnis einzuwirken. Wie auch immer die Ergebnisse der Befreiungsbewegungen sein mochten, für die USA war es wesentlich, daß sie nicht zu neuen „kommunistischen“ Regimen führten, die für den chinesischen Gegner Partei ergreifen würden. Ungeachtet des übersteigertsten Nationalismus, der einer neuen chinesischen Herrschaft ebenso entgegentreten würde wie er die alten Kolonialmächte bekämpft hatte, argwöhnten Amerikas Politiker mit Recht, daß China allein schon durch sein Gewicht die kleineren Nationen an seinen Grenzen beherrschen würde, obwohl diese Herrschaft durch ideologische Tarnung verschleiert sein mochte. Die Woge des Nationalismus mußte als „Anti-Kommunismus“ kanalisiert werden, was die Stützung oder Schaffung von Regierungen bedeutete, die den USA und dem westlichen Kapitalismus freundlich gesinnt waren.
Die die Entscheidung treffenden Männer in den USA, die sich zum Eintritt in die indochinesischen oder in andere Konflikte entschlossen, konnten auf die Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung rechnen, eine Zustimmung, die keineswegs rein ideologischer Natur war. Gewiß würden die Rüstungsproduzenten nichts gegen kriegsbedingte Extraprofite haben. Noch würden die Arbeiter dagegen sein, wenn ihnen dies sichere Arbeit und ständiges Einkommen verschafft, was unter anderen Umständen weniger gewiß wäre. Die Militärs würden den Krieg als einen Segen für ihren Beruf betrachten; Krieg ist ihr Geschäft, und sie würden die Geschäftswelt ermutigen, Krieg zu führen. Weil die gemischte Wirtschaft eine Kriegswirtschaft geworden ist, sind viele Berufe entstanden, die nur unter Kriegsbedingungen oder bei der Vorbereitung solcher Bedingungen ausgefüllt werden können. Eine wachsende Regierungsbürokratie baut ihre Existenz auf Verewigung der Kriegsmaschinerie und imperialistischer Aktivität auf. Weitverbreitete Interessen am Krieg und Imperialismus verbünden sich mit den besonderen der Großkonzerne und ihrer Abhängigkeit von Ausbeutung im Ausland.. Während so für manche Krieg und Imperialismus den Tod bedeuten, stellen sie für sehr viel mehr eine Lebensform dar, und zwar nicht eine Ausnahmesituation sondern Dauerzustand. Ihre Existenz gründet sich auf eine Art von Kannibalismus, der gleichermaßen das Leben von Freund und Feind kostet. Doch wenn erst einmal dieser Sachverhalt besteht, pflegt er sich zu reproduzieren, und es wird zunehmend schwieriger, zu dem „normalen“ Zustand kapitalistischer Produktion zurückzukehren.
Die USA haben Nordvietnam bis jetzt nicht den Krieg erklärt. Angeblich verteidigen sie noch immer nichts weiter als die gefährdete Selbstbestimmung Südvietnams. Der Koreakrieg zeigte, daß bereits etablierte „Kommunistische“ Regimes nicht ohne das Risiko eines neuen Weltkrieges von ihren Beschützerstaaten Rußland und China losgelöst werden konnten. In anderen Staaten jedoch war die Situation noch im Fluß. Abgesehen von Nordvietnam waren andere südostasiatische Nationen entweder „anti-kommunistisch“ oder erklärten sich als „neutral“ oder „blockfrei“, was bedeutete, daß ihre Bürgerkriege, die heimlich oder offen geführt wurden, noch unentschieden waren. Im Falle Laos führte das zu einem von den Großmächten gedeichselten dreigeteilten Arrangement mit „Neutralisten“ zwischen den „kommunistischen“ und den „westlich orientierten“ Kräften, die das Land unter sich aufteilten. Kambodscha behauptete eine prekäre „Unabhängigkeit“, indem es beiden Seiten des überlagernden Großmachtkonflikts diente. Nur in Thailand, wo Amerika anstelle Englands den größten ausländischen Einfluß hatte, war die Bindung an den Westen nahezu vollkommen. Thailand wurde die wichtigste amerikanische. Luftwaffenbasis für den vietnamesischen Krieg.
Wegen der Unsicherheit der Situation erschien es den USA wesentlich, jede weitere Änderung In Südostasien zu stoppen, indem sie alle „anti-kommunistischen“ Kräfte in diesem Gebiet unterstützten. Das ist eine durchgehende Politik gewesen, von der keine der aufeinanderfolgenden Regierungen abgewichen ist. Entgegen dem Genfer Abkommen von 1954, weigerte sich das von Amerika eingesetzte südvietnamesische Regime, die vorgeschlagenen Wahlen in Betracht zu ziehen, welche über die Vereinigung von Süd- und Nordvietnam entscheiden sollten. Um das Fortbestehen Südvietnams zu sichern, pumpten die USA ihr Geld und ihre Truppen in das Land. Der wiederaufgenommene Bürgerkrieg im Süden wurde von Nordvietnam unterstützt und verwandelte die amerikanische Intervention in einen Krieg sowohl gegen die nationalen Befreiungskräfte im Süden auch gegen die nordvietnamesische Regierung. Diese Intervention ist oft als ungerechtfertigt empfunden worden, weil sie sich auf einen Bürgerkrieg richtete, statt, wie vorgegeben, auf die nationale Unabhängigkeit Südvietnams. Doch kann im indochinesischen Zusammenhang kein Unterschied zwischen Krieg und Bürgerkrieg gemacht werden, weil hier alle nationalen Befreiungskriege zugleich Bürgerkriege zur sozialen Veränderung sind. Gerade wegen des Bürgerkriegscharakters der nationalen Befreiungsbewegungen stiegen die USA in den Kampf ein.
Die amerikanische Entschlossenheit, um jeden Preis ihren Einfluß in Indochina zu wahren, hemmte eine mögliche weitete Ausdehnung sozialer Veränderung, wie sie in Nordvietnam und einem Teil von Laos, eingetreten waren. Dagegen waren weder Rußland noch China bereit, einen Krieg mit den USA zu riskieren, um sie aus Südostasien zu vertreiben, doch suchten sie die Konsolidierung amerikanischer Macht in dieser Region zu verhindern, indem sie den Vietnamesen halfen, den Krieg fortzuführen. Die von Rußland und China den Vietnamesen gegebene Militärhilfe konnte nicht zur Niederlage der Amerikaner führen, versprach jedoch einen verlängerten Krieg, der die Amerikaner um einen schnellen Sieg bringen würde.
Es erscheint völlig klar, daß die Amerikaner weniger Widerstand gegen ihre Intervention erwarteten. Der unerwartet wirksame Widerstand führte zu einer ständigen Eskalation der Kriegsanstrengungen und einer zunehmenden Diskrepanz zwischen dem begrenzten Ziel und den Kosten. Die unmittelbaren und wachsenden Kriegsausgaben gewannen immer größere Bedeutung im Vergleich zu ihren möglichen „positiven“ Ergebnissen, die immer unsicherer wurden. Während es die Bevölkerung Indochinas verbluten läßt, blutet Amerikaselbst immer stärker und scheint das Zutrauen in seine Fähigkeit zu verlieren, den Krieg zu seinen Bedingungen zu beenden. Sicherlich erwies sich die amerikanische Intervention darin als erfolgreich, daß sie nicht nur die Vereinigung von Süd- und Nordvietnam verhinderte, sondern auch westlichen Einfluß in Südostasien behauptete. Vertrauen in die Fähigkeit, diese Situation aufrechtzuerhalten, spiegelte sich in neuen ausgedehnten und vorwiegend privaten amerikanischen und japanischen Direkt Investitionen in Öl-, Holz- und Mineralvorkommen in Taiwan, Indonesien, Thailand und sogar Südvietnam.
Sicher wird der Krieg solange weitergehen, wie die Nordvietnamesen dem amerikanischen Willen trotzen. Sie werden dazu imstande sein, solange sie von Rußland, China oder beiden genügend Hilfe bekommen. In diesem Sinne ist der Krieg noch ein Krieg zwischen diesen asiatischen Mächten und den USA, obwohl nur letztere ihre Militärmacht wegen der Schwäche ihrer indochinesischen Verbündeten einbezogen haben, die den im Kampf eingesetzten national-revolutionären Kräften nicht gewachsen waren. Der Riß zwischen Rußland und China hat diese Lage nicht geändert, weil jede dieser Nationen ihre unabhängigen Gründe zur Bekämpfung des amerikanischen Vordringens In Asien hat. Zusammenfassend muß gesagt werden, daß der Indochinakrieg nicht als ein isolierter Konflikt zwischen Amerika und Nordvietnam zu betrachten ist, sondern als Aspekt eines sich weiter entfaltenden Kampfes, der ganz Asien und seine weitere Entwicklung betrifft. Darüber hinaus ist es ein Spezialfall eines allgemeiner, in vielen Teilen der Welt vor sich gehenden Kampfes gegen die imperialistischen Formen der privatkapitalistischen Produktion. Objektiv und subjektiv kann dieser Kampf bis jetzt keine andere Form annehmen als die der nationalen Befreiung, obwohl dies keine wirkliche Lösung für die sozialen und wirtschaftlichen Probleme darstellt, welche jene Länder bedrängen, die dem doppelten Joch heimischer und ausländischer Ausbeutung unterworfen sind. Doch ist dieser Kampf selbst ein Anzeichen für die fortschreitende Auflösung der kapitalistischen Produktionsweise, der rechtzeitig seine Unterstützung in Klassenkämpfen finden muß, die in den imperialistischen Nationen selbst zu führen sind.
Zuletzt aktualisiert am 16.1.2009