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„Gegen den Umsturz“, das war die gemeinsame Wahlparole des Hottentottenblocks. Wir empören uns darüber nicht, weil wir wissen, dass es nicht anders sein kann. Die Revolution, der „gewaltsame“ Umsturz, wie unsere Gegner das immer so verständnisvoll auszudrücken pflegen, bildet die Grenzscheide zwischen uns und den anderen Parteien. Oft hört man Mitglieder gegnerischer Parteien erklären, dass sie auch den Kapitalismus tüchtig angreifen und seine Missstände verbessern wollen, dass sie überhaupt den sozialistischen Gedanken und Idealen nahe ständen. Aber den gewaltsamen Umsturz wollen sie nicht; die Katastrophentheorie halten sie für unrichtig, das Hinarbeiten auf eine Revolution für verwerflich, weil sich alles auf dem Wege der friedlichen Reformarbeit viel besser machen lasse.
Nun gibt es für die Sozialdemokraten kaum ein schöneres Thema als über den Umsturz zu reden, weil fast nirgends entweder die plumpe Unwahrhaftigkeit oder die törichte Beschränktheit unserer Gegner schärfer gekennzeichnet werden kann. Denn es lässt sich beweisen, dass es sich gerade umgekehrt verhält: die Sozialdemokratie tut ihr möglichstes, um den Weg des friedlichen reformatorischen Übergangs zum Sozialismus vorzubereiten, während ihre Gegner ihr möglichstes tun, um eine gewaltsame Revolution heraufzubeschwören.
Dass es unser Wunsch ist, unsere Ziele auf dem friedlichen Wege der Reformarbeit zu erreichen, braucht man uns nicht als bloße Versicherung zu glauben; wir haben es gezeigt durch die Augenblicksforderungen unseres Programms. Wenn diese politischen und sozialen Forderungen durchgeführt und streng innegehalten werden, so wird der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus sich allmählich, auf gesetzlichem Wege, ohne Katastrophen vollziehen können. Wenn das Wahlrecht und alle politischen Einrichtungen völlig demokratisch aufgebaut werden, wenn durch guten Arbeiterschutz, durch Verbesserung der Erziehung und der Lebensverhältnisse, durch Förderung der Organisation den verstumpfenden, herabdrückenden Tendenzen des Kapitalismus wirksam entgegengetreten wird, so ist dadurch die Möglichkeit geschaffen, durch weitere regelmäßige Reformarbeit unsere Ideale immer mehr zu verwirklichen. Dieses Programm bieten wir den Arbeitern, damit sie sehen, wie es sich machen ließe, wenn die herrschenden Klassen nur wollten; dieses Programm bieten wir auch den besitzenden Klassen, damit sie offen zeigen können, was ihnen lieber ist, der gesetzliche Fortschritt oder die Aufrechterhaltung ihrer Ausbeutung um jeden Preis.
Die Praxis hat aber schon längst erwiesen, dass wir uns in dieser Hinsicht keine Illusionen machen dürfen. Wir haben den Weg angegeben, auf dem man die Übelstände des Kapitalismus beseitigen könnte, aber uns fehlt bisher die Macht dazu. Die besitzende Klasse hat die Macht, aber ihr fehlt der Wille; sie denkt nicht daran, diesen Weg zu gehen. Nach einigen kleinen, im Verhältnis zur Größe des Übels lächerlich-unbedeutenden Anläufen, die eingestandenermaßen nur die Arbeiterklasse ködern und vom Sozialismus trennen sollen, haben sie nichts mehr getan. Und wo sie die Möglichkeit in der Ferne heranrücken sehen, dass wir, trotz der Mängel des allgemeinen Wahlrechts, die parlamentarische Mehrheit erobern könnten, reden sie jetzt schon von dem Staatsstreich, der der Möglichkeit dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben soll.
An diesen Tatsachen, die jeder kennt, ist zu erkennen, dass wir nach Möglichkeit auf einen friedlichen, gesetzlichen, und unsre Gegner auf einen gewaltsamen Ausgang des Klassenkampfs hinarbeiten. Wir haben jedoch keine Ursache, ihnen dies zum besonderen Vorwurf zu machen, da wir die Ursache ihrer Haltung verstehen; unsre Ausführungen beabsichtigen nur, die Haltlosigkeit des Geredes darzutun, als müssten wir durch unser Hinarbeiten auf den gewaltsamen Umsturz den Abscheu aller friedfertigen Biedermänner verdienen.
Die Ursache dieser gegnerischen Taktik ist in der Natur des Klassengegensatzes zu finden. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass unser Klassenkampf nicht bloß ein Interessenkampf ist von zwei Gruppen, die um ihren Anteil an dem gesellschaftlichen Produkt streiten, sondern ein Kampf um die Grundlage der Gesellschaftsordnung, um die Ausbeutung. Wo zwei Parteien streiten um die Verteilung eines gemeinsam erworbenen Gutes, da stehen ihre Interessen wohl einander gegenüber, aber sie sind nicht völlige Gegensätze. Da wird es von der relativen Macht der beiden Parteien abhängen, wieviel jeder bekommt. Je nachdem die eine oder die andre Partei stärker ist, wird sie ein größeres Stück beanspruchen können; weil der Kampf sich um das Mehr oder Weniger dreht, ist der Ausgang auch ein Mehr oder Weniger, und nicht ein Alles oder Nichts. In diesem Verhältnis stehen im Allgemeinen zwei Klassen, die ein gemeinsam erworbenes Produkt verteilen müssen. So steht es z. B. mit den Kapitalisten und den Grundbesitzern, die den gemeinsam aus der Arbeiterklasse geholten Mehrwert zu verteilen haben. Je nachdem die eine die andre, oder die andre die eine Klasse mehr braucht und weniger gegen sie ausrichten kann, wird die Verteilung anders sein. Aber eben deshalb, weil sie sich als Kumpane gegenüberstehen, wird keine von beiden alles nehmen können, um der andern nichts zu lassen.
Ganz anders liegt das Verhältnis bei dem Kampf zwischen einer beherrschten, ausgebeuteten und einer herrschenden, ausbeutenden Klasse. Hier geht es nicht um die Verteilung eines gemeinsam erworbenen Produkts, denn im Worte Ausbeutung liegt schon eingeschlossen, dass es das Produkt der einen Klasse ist, von dem die andre ein Stück wegnimmt. Der Kampf geht deshalb nicht um etwas mehr oder weniger Ausbeutung, sondern um die Ausbeutung selbst. Deshalb kann hier keine Rede davon sein, dass die beherrschte Klasse in dem Maße dieses Verhältnis abzuändern vermag, als sie an politischer Macht zunimmt. Solange sie Minderheit ist, solange ihre politische Macht geringer ist als die Macht der Ausbeuter, solange bleibt die Ausbeutung bestehen; und sobald sie die größere Macht besitzt und dem Gegner gerade etwas überlegen ist, hebt sie die Ausbeutung nicht zu etwas mehr als der Hälfte, sondern ganz und gar auf.
Es kann daher keine Rede davon sein, die relative Macht der beiden Gegner zahlenmäßig abzuschätzen und daraus eine verschiedene Herrschaftsverteilung abzuleiten. Wo sich die Interessen so völlig gegensätzlich gegenüberstehen, gilt es entweder alles, oder nichts; entweder die volle Herrschaft an der einen, oder an der andern Seite. Dies will selbstverständlich nicht sagen, dass die ausgebeutete Klasse solange ganz einflusslos ist; durch die Furcht, welche ihr Auftreten einflößt, bestimmt sie die Handlungen der Herrscher. Dies ist jedoch keine Teilung der Herrschaft; die herrschende Klasse geht ganz nach ihrem eignen Willen und Interesse vor, wenn auch dieser Willen durch das Auftreten der unterdrückten Klasse beeinflusst wird. Das Verhältnis ist also ganz anders, als die Teilung der Herrschaft zwischen zwei Klassen, die eine gemeinsame Beute zu teilen haben.
Dies ist der Grund der geschichtlichen Tatsache, die wir immer beobachten, wo eine unterdrückte, ausgebeutete Klasse um ihre Befreiung, d. h. um ihre Herrschaft kämpft. Der Satz: Alles oder nichts, ist kein Ausdruck sozialdemokratischer Unversöhnlichkeit – praktisch ist er kein Leitsatz bei uns – sondern der Ausdruck einer geschichtlichen Tatsache, die wir beobachten und in ihrem Ursprung verstehen.
Dieses Verhältnis ist auch die Ursache der ablehnenden Haltung, welche die Kapitalisten jeder Arbeiterforderung gegenüber einnehmen. Jede solche Schmälerung ihres Profits erscheint ihnen im Prinzip als ein Anschlag auf die Ausbeutung überhaupt, oder, um in ihrem schönen Kauderwelsch zu reden: hinter jeder Augenblicksforderung sehen sie die Hydra der Revolution lauern. Erst durch gewaltige Anstrengung gelingt es den Arbeitern, wenigstens das Allernotwendigste zu erringen; und der Widerstand wächst mit der Organisation der Arbeiterklasse, eben weil diese den Kapitalisten größere Furcht für die weiteren Konsequenzen dieser Forderungen einflößt, und ihnen deutlicher das Memento mori zuruft: dein Ausbeutertum wird sein Ende finden.
Die Entwicklung der Gesellschaft geht deshalb durch Abwechslung von ruhigen, stetigen Evolutionsperioden und plötzlichen Revolutionen vor sich, weil völlig gegensätzliche Interessen einer herrschenden und einer beherrschten, sich erhebenden Klasse miteinander ringen, wobei kein Kompromiss möglich ist. Das alte Regime und die alte Ausbeutung bleiben solange bestehen, bis die neue Klasse durch die vorhergehende Evolution stark genug geworden ist, die Herrschaft zu erobern. ES kommt dabei dann noch in der Regel hinzu, dass die herrschende Klasse, auch wenn sie schon nicht mehr die stärkste ist, sich weigert, nachzugehen, weil sie sich selbst noch immer die stärkste dünkt. Sie verfügt über die Regierungsgewalt, ihre Machtmittel sind handgreiflich, sichtbar. Die Machtmittel der beherrschten, emporkommenden Klasse sind meist ganz andrer Art; sie liegen in moralischen und geistigen Eigenschaften und wenig sichtbaren Verhältnissen: in ihrer Einsicht, ihrer Entschlossenheit, ihrem Zusammenhalt und in ihrer bedeutenden gesellschaftlichen Funktion. Diese sind alle Imponderabilien, nicht messbare, abschätzbare oder handgreifliche Größen; deshalb sieht die herrschende Klasse sie nicht, oder glaubt nicht an ihre Kraft. Sie stützt sich auf ihre eignen, scheinbar viel größeren Machtmittel und widersetzt sich solange, bis sie tatsächlich in dem revolutionären Kampf über den Hausen geworfen wird. Diese Verblendung ist immer das historische Erbteil einer untergehenden Klasse gewesen; und diese Verblendung trägt nicht am wenigsten dazu bei, den Klassenkampf auf den gewaltsamen Weg der Revolution zu treiben.
Wir können daran nichts ändern; die gegenwärtige Ausbeuterklasse von dieser Verblendung zu befreien, geht über unsre Macht. Wir können nur immer aufs neue der ausgebeuteten Volksmasse die Wahrheit vor Augen führen, dass wir den friedlichen Weg der Reformen vorziehen, um die Entwicklung zum Sozialismus durchzuführen, dass aber die Kapitalistenklasse den Kampf auf die Spitze treibt, weil sie gerade so gut wie wir weiß, dass es sich um das Prinzip des heutigen Kapitalismus, um die Ausbeutung selbst handelt.
Zuletzt aktualisiert am 5.7.2008