Karl Radek


Die Lehren eines Putschversuchs

Die Krise in der deutsch-österreichischen Kommunistischen Partei

(1921)


Karl Radek, Anhang aus Wider den Putschismus von Paul Levi, Berlin 1921, S.50-56.
Kopiert mit Dank von der nicht mehr existierenden Webseite Marxistische Bibliothek.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


1. Die „Enthüllung“ Bettelheims

Seit Monaten war es jedem Beobachter der kommunistischen Bewegung in Deutsch-Österreich (auch wenn er sie nur in der Presse verfolgen konnte) klar, dass sie eine tiefe Krise erlebe. Seit dem ersten Tage der ungarischen proletarischen Revolution sah man in Wien Kräfte am Werke, die auf einen Putsch hinarbeiteten, in dem Irrwahn, dadurch der ungarischen Räterepublik helfen zu können, und die, um zu ihrem Ziel zu gelangen, die österreichische kommunistische Bewegung durch Herumschmeißen von Geld direkt zersetzten. Diese Politik musste zur Folge haben, dass alle Genossen, die unter keinen Umständen für die Zersetzung der Partei mit verantwortlich sein wollten, es jedoch angesichts der Schwierigkeit der Lage der ungarischen Räterepublik für unmöglich hielten, gegen ihre Agenten öffentlich vorzugehen, sich von der Bewegung zurückzogen. Das Resultat war, dass nach dem Zusammenbruch der ungarischen Räterepublik in der deutsch-österreichischen Bewegung eine Atmosphäre der gegenseitigen politischen und persönlichen Anklagen entstand, die weitere Genossen zum Rücktritt veranlasste und die Arbeitskraft der übrigen lähmte. Durch Eingreifen führender Genossen aus anderen Teilen der Kommunistischen Internationale ließ sich die Lage soweit klären, dass auf ein gemeinsames Wirken der verschiedenen Richtungen in der Österreichischen Partei zu hoffen ist. Die Schwierigkeit bestand aber weiter darin, dass die in intimen Kreisen erreichte Klärung nicht ohne weiteres zum Gegenstand einer öffentlichen Aussprache gemacht werden konnte, da auf ungarische Genossen, wie Dr. Bettelheim, die in der Krise eine ausschlaggebende Rolle gespielt hatten und in Wien verhaftet waren, Rücksicht genommen werden musste. Diese Schwierigkeiten sind jetzt aus der Welt geschafft. Dr. Friedrich Adler veröffentlicht im Wiener Kampf vom 4. Oktober eine bei Bettelheim beschlagnahmte Darstellung der Ereignisse, um „in den Sumpf, der sich kommunistische Partei nennt“, hineinzuleuchten. Man kann Fritz Adler für seine Veröffentlichungen nur dankbar sein, obwohl es seine, des früheren Anklägers der Lumperei und Korruption in der österreichischen Sozialdemokratie (man lese seine Anklagerede, sogar in der von ihm retouchierten Berliner Ausgabe seines Prozessprotokolls), Aufgabe wäre, in den Sumpf hineinzuleuchten, den die Österreichische Sozialdemokratie nach ihrer Koalition mit den Antisemiten ganz gewiss jetzt in noch höherem Masse darstellt als 1916. Aber wie gesagt, man kann Bettelhelm und Adler nur dankbar sein, dass sie die Möglichkeit der offenen Aussprache verschafft haben. Wir wollen sie ausnutzen.
 

2. Die Entstehung der Deutsch-Österreichischen Kommunistischen Partei

Um die Krise der Monate Mai bis August zu verstehen, muss man bedenken, dass die Deutsch-Österreichische Kommunistische Partei viel schwächer als die deutsche ist. In Deutschland bestand schon vor dem Kriege die linksradikale Richtung in der Sozialdemokratie, die im Kampfe gegen den offenen und maskierten Opportunismus (Richtung Kautsky-Haase) die geistigen Grundlagen für die zukünftige Kommunistische Partei Deutschlands schuf. Im Kriege vertiefte diese Richtung ihre selbständige Ideologie, sie schulte trotz aller Hindernisse unter den größten Opfern Kaders von Anhängern und bildete illegale Organisationen, die nach dem Ausbruch der Revolution legal wurden und bald große Massen umfassten. Die Spaltung der deutschen Sozialdemokratie im Jahre 1917 erleichterte diese Arbeit. Die Gründung der selbständigen Kommunistischen Partei Deutschlands im Dezember 1918 war das Resultat der achtjährigen geistigen und vierjährigen organisatorischen Tätigkeit von Hunderten erprobter Genossen. In Deutsch-Österreich bestand vor dem Kriege überhaupt keine marxistische Opposition in der Sozialdemokratie. Mit Ausnahme des Reichenberger Redakteurs Joseph Strasser hielten die österreichischen Marxisten mit Otto Bauer und Fritz Adler an der Spitze nicht den Kampf gegen den Opportunismus für ihre Aufgabe, sondern seine Erklärung. Die Tatsache, dass die deutsch-österreichische Partei gar nicht in die Lage kam, die Kredite zu bewilligen, weil das österreichische Parlament gar nicht einberufen wurde, erlaubte den Führern der Sozialdemokratie, die in Österreich in der Person Viktor Adlers eine große und verdiente moralische Autorität, in der Person Renners eine politisch mit allen Wassern gewaschene Leitung besaß, die Gegensätze zu vertuschen und zu verwischen. Wie schwach sich die im Kriege entstandene gemäßigte Opposition in der österreichischen Partei fühlte, beweist am besten das Attentat Fritz Adlers, der zum Revolver griff, weil er keine Massen hinter sich hatte und sich zu einer politischen Aktion nicht fähig fühlte. Die im Kriege entstandene linksradikale Opposition, die sich um den Genossen Franz Koritschoner gruppierte, zählte nur sehr wenige Anhänger.

Als die Revolution ausbrach, bestanden die Elemente, die sich bald zur Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs zusammenschlossen, aus einer sehr kleinen Gruppe sehr junger Intellektueller, die der Krieg aufgerüttelt und mit dem Willen zur revolutionären, proletarischen Politik erfüllt hatte, die aber jeder politischen Erfahrung bar waren; ihnen gesellten sich aus Russland zurückgekehrte Kriegsgefangene zu, die den deutsch-österreichischen Zuständen naturgemäß entfremdet waren. Dass eine so zusammengesetzte Partei, die nicht organisch entstanden war, nur langsam zum Zentrum der revolutionären Bestrebungen werden konnte, die im Proletariat entstanden, als die deutsch-österreichische Sozialdemokratie unter Führung von Renner und Seitz und mit Hilfe von Fritz Adler (er entpuppte sich in der Revolution als zahmer Kleinbürger, der nur im Jahre 1916 unter den Eindrücken des Krieges wild geworden war) das Bündnis mit der Bourgeoisie schloss, ist klar. Die junge deutsch-österreichische Partei musste viele Fehler machen, bis sie den sicheren Weg des Kampfes finden konnte. Die kommunistische Politik ist keine Anwendung in Moskau erfundener und patentierter Grundsätze, sie besteht in der Führung des revolutionären Massenkampfes, für den die Bedingungen in jedem Lande in vielem verschieden sind. Nur dadurch, dass die Arbeitermassen in ihrem spontanen Kampfe Erfahrungen sammeln und sie verstehen lernen, bahnen sie sich den Weg zum Kommunismus. Je gebildeter und erfahrener die Vorkämpfer des Proletariats sind, desto schneller sehen sie die Lehren des Kampfes ein und helfen dem Proletariat, sich zu orientieren. Bei der Jugend und bei der Zusammensetzung der deutsch-österreichischen kommunistischen Führerschaft konnte die Kommunistische Partei in den ersten Monaten ihrer Existenz nur die ersten Schritte auf dem Wege der Agitation und Organisation machen. Wie weit der Weg zum Ziel sei, wie viele Wendungen er noch haben werde, konnte sie schwer ahnen. Der stürmische Charakter der deutschen Bewegung in der Zeit vom Januar bis April, die Streiks in England, alles dies schien Ihr auf den baldigen Sieg der Weltrevolution hinzudeuten. In die durch diese Hoffnungen erzeugte Stimmung fiel die Proklamierung der ungarischen und bald darauf der Münchener Räterepublik.
 

3. Die ungarische Putschtaktik in Wien

Die revolutionären Arbeiter Wiens waren durch die Ereignisse elektrisiert. Nicht nur die kommunistischen, sondern auch die der sozialdemokratischen Partei. Die kommunistischen Führer hielten sich für verpflichtet, mit aller Kraft für die Proklamierung der Räterepublik zu agitieren. Sie hatten vollkommen recht, wenn sie den Sozialdemokraten entgegenhielten, dass die Errichtung der Räterepublik in Wien das Kampffeld ausbreiten und dadurch auch die Möglichkeit schaffen werde, die sehr großen Lebensmittelschwierigkeiten zu überwinden, die die Adlers als Hauptargument gegen die Errichtung der Räterepublik in Deutsch-Österreich ins Feld führten. Die Errichtung der Deutsch-Österreichischen Republik bedeutete nicht nur die Notwendigkeit, so und so viele Menschen zu ernähren, was die Sozialdemokraten für unmöglich hielten, sondern sie bedeutete, dass sie dem stürmischen ungarischen Proletariat Hunderttausende organisatorisch geschulter deutsch-österreichischer Arbeiter würde zugesellen können, was den verbündeten Räterepubliken eine ganz andere militärische Kraft und dadurch die Möglichkeit geben würde, die kornreichen Territorien Ungarns zu besetzen. Der aufrüttelnde Einfluss des Sieges des deutschen und ungarischen Proletariats Österreichs auf die technischen Arbeiter und die Einschüchterung der Entente wäre dabei ganz anders ins Gewicht gefallen, als bei der Isolierung von Budapest. Deshalb erfüllten die deutsch-österreichischen Kommunisten nur ihre Pflicht, wenn sie das Proletariat Deutsch-Österreichs mit aller Kraft für die Diktatur der Räte zu gewinnen suchten.

Die „Realisten“ um Fritz Adler und Bauer, die mit allen Kräften das Proletariat vor dem „Experiment“ warnten, verrieten praktisch das Proletariat. Sie halfen den Renner und Ellenbogen, das Proletariat an die Bourgeoisie auszuliefern, und es ist nur das Resultat ihrer jeden Kampf vermeidenden Taktik, wenn sie jetzt von den Renner und Ellenbogen an die Bourgeoisie verkauft werden. Ihre Schicksale bilden die Wiederholung der Geschicke der Haase und Dittmann, deren Brüder sie sind. Aber die Agitation für die Rätediktatur scheint einem Teil der ungarischen Genossen keine genügende Hilfe seitens der deutsch-österreichischen zu sein. Es muss bemerkt werden, dass auch in Ungarn die kommunistische Partei über sehr wenige erfahrene, gebildete Führer verfügte, und dass sie nach ihrem leichten Sieg viele wichtige Posten mit vollkommen unerfahrenen Genossen besetzen musste, ganz davon zu schweigen, dass sich an sie, die Siegerin, abenteuerliche, auf eigenen Nutzen ausgehende Elemente herandrängten. Es ist schwer, von der Ferne zu unterscheiden, in welchem Grade in der ausländischen Propaganda der ungarischen Räterepublik die Unerfahrenen, die Abenteurer und Hyänen des Schlachtfeldes beteiligt waren. Tatsache ist, dass diese Elemente in Wien die junge kommunistische Partei zum Putsch zu treiben begannen. Mitte Mai kam als ungarischer Emissär Dr. Bettelheim nach Wien. Er spielte sich auf als Bevollmächtigter der III. Internationale, die ihm den Auftrag gegeben haben sollte, die Räterepublik möglichst schnell auszurufen. In Wirklichkeit wusste die Exekutive der Kommunistischen Internationale von Dr. Bettelheim, einem in der Bewegung vollkommen neuen Kerlchen, so viel wie Dr. Bettelheim von der Kommunistischen Internationale, d.h. nichts. Wir wissen nicht, ob Dr. Bettelheim sich selbst das Mandat zusammenphantasiert hat, um die unerfahrenen Wiener Genossen um so leichter zu Putschen treiben zu können, oder ob ihm irgendwelche Propagandastelle der ungarischen Räterepublik diesen Bären aufgebunden hat, um ihm mehr Courage zu seiner Messiasrolle zu geben. Tatsache aber ist, dass die „Moskauer Mandate“ Dr. Bettelheims ein Produkt der Phantasie eines jungen Genossen sind, der keine Ahnung vom Kommunismus hat, oder ein Schwindelmanöver eines Abenteurers. Niemals hat die Kommunistische Partei Russlands weder vor der Gründung der Kommunistischen Internationale, noch nach ihr, irgendeinem Genossen Mandate gegeben, in ein bestimmtes Land zu gehen und dort zu bestimmter Zeit die Räterepublik auszurufen. Wenn russische Genossen, die lange in bestimmten Ländern gearbeitet haben, oder Genossen aus diesen Ländern, die als Kriegsgefangene in Rußland lebten, von Russland weggingen, um in Österreich, Deutschland, Frankreich oder in irgendeinem anderen Lande zu wirken, so half die Kommunistische Partei Rußlands ihnen materiell – die Hilfe war gewöhnlich sehr bescheiden – ebenso half sie sozialistischen Gruppen und Parteien des Auslandes, die sich an sie wandten. Die einzige selbstverständliche Gegenleistung bestand in der Verbreitung der Lehren des Kommunismus und der Nachrichten über die proletarische Revolution. Niemals bildete sich die Kommunistische Partei Russlands und den die in ihren Händen liegende Exekutive der Kommunistischen Internationale ein, sie könne von Moskau aus die konkrete Politik der kommunistischen Parteien im Auslande, das Tempo der ausländischen Bewegung bestimmen. Wie der Schreiber dieser Zeilen, der doch die Auslandspropaganda der Bolschewiki bis zum Dezember 1918 leitete, in seinem im Februar 1919 geschriebenen und im November 1919 aus Anlass der Parlamentarismusdebatten von der Kommunistischen Rätekorrespondenz veröffentlichten Briefe mitteilt, hat er in seiner Rücksprache mit den im Oktober 1918 illegal nach Osterreich-Ungarn reisenden deutschen, ungarischen, tschechischen und südslawischen Kommunisten im Namen der Kommunistischen Partei Russlands direkt gewarnt, die Resultate der russischen Revolution in dem Anfangsstadium der österreichisch-ungarischen Revolution zu kopieren zu suchen. Selbst die Stellungnahme zur Nationalversammlung riet er an Ort und Stelle zu entscheiden, je nach dem Grade der Gegensätze und der schon erreichten Stufe der Bewegung.

Die Exekutive der Kommunistischen Internationale, die in den Händen so vorsichtiger Taktiker wie Sinowjew und Worowski liegt, gebildeter Marxisten, die wie Worowski 25, Sinowjew 17 Jahre in der Bewegung stehen, führt selbstverständlich keine andere Politik. Die Kommunistische Partei Russlands weiss, dass die russische Revolution nur dann endgültig siegen kann, wenn die Weltrevolution siegt. Aber die Weltrevolution kann sich nur entwickeln als Bewegung, die vom Proletariat jedes Landes, nicht von „Emissären“ gemacht wird. Setzt sich die proletarische Revolution in den anderen Ländern in absehbarer Zeit nicht so weit durch, um den Ententeimperialismus zu lähmen, so droht der russischen Sowjetrepublik das Geschick, dass sie verblutet; denn der Abwehrkrieg gegen die Entente lähmt alle auf die wirtschaftliche Reorganisation gerichteten Kräfte. Diesem Geschick ist Räteungarn mit seiner schmalen Basis erlegen. Aber das Bewusstsein dieser Gefahr darf nicht die Erkenntnis aus der Welt schaffen, daß den bedrohten Räterepubliken nur durch die Entwicklung der proletarischen Revolution, nicht durch die künstliche Erzeugung von Putschen geholfen wird, die nur zur Schwächung der Bewegung in anderen Ländern führen, also auch Sowjetrussland und jedes andere revolutionäre Zentrum schädigen, ganz abgesehen davon, dass sie die Idee des Kommunismus überhaupt kompromittieren. Würde in Deutsch-Österreich das Proletariat in seiner Mehrheit die Idee der Rätediktatur aufgenommen und durchgesetzt haben, so würde das die ungarische Räterepublik gestärkt haben. Würde aber die Kommunistische Partei Deutsch-Österreichs durch einen Putsch die „Macht“ an sich gerissen haben – was bei der Schwäche der deutsch-österreichischen Regierung möglich war –, ohne die Mehrheit des Proletariats hinter sich zu haben, so würde dieser „Sieg“ die ungarische Räterepublik nur geschwächt haben. Die deutsch-österreichische Bettelheim-Räterepublik wäre doch gar keine Räterepublik gewesen. Die Räte waren doch gegen ihre Ausrufung. Die Gewerkschaften waren gegen sie, auf wen würde sie sich haben stützen können? Auf geworbene Rote Garden, die genötigt gewesen wären, Gewalt gegen die Mehrheit der Arbeiterklassen auszuüben. Woher hätte sie den Überschuss an Kräften genommen, um der ungarischen Bruderrepublik zu helfen? Diese einfache Überlegung hätte den Bettelheims den Wahnsinn der putschistischen Taktik zeigen müssen, wenn sie von der Räterepublik mehr als den Namen gekannt hätten. Aber das ist eben die Sache, der Messias des Budapester Propagandabureaus hatte nicht eine blasse Ahnung vom Kommunismus. Das beweist jedes Wort seiner Anklage gegen die deutsch-österreichische kommunistische Partei.
 

4. Der Putsch vom 15. Juni

Was berichtet Bettelheim über die Stärke der kommunistischen Partei Mitte Mai, als er mit seinem phantastischen Mandat in der Tasche In Wien eintraf? „Die Parteileitung“ konnte dem delegierten Genossen nicht eine einzige nennenswerte Tat (wir werden sehen, was der gute Mann ‚Tat‘ nennt) und nicht einen nennenswerten Erfolg namhaft machen. Sie konnte keine Zusammenstellung der Betriebe aufweisen, nicht die Zahl der in den einzelnen Betrieben beschäftigten Genossen angeben und konnte nicht die in den Betrieben beschäftigten Vertrauensmänner ausfindig machen. Es gab keine organisierten Agitatoren und keine regelmäßigen Beiträge. Die riesige Menge der Arbeitslosen war ohne jede Organisation. Die Verbindung mit dem flachen Lande war vollständig vernachlässigt.

Wenn die Lage so war, so war der einzig mögliche Schluss, denn jeder nicht hirnverbrannte Mensch ziehen konnte, einfach: It is a long way to Tipperary. Es steht noch die ganze Arbeit bevor: es gilt, die Partei zu organisieren, in die Betriebe einzudringen, die Betriebe zu organisieren und mit dem flachen Lande Verbindung zu schaffen, eine Agitation einzuleiten, jeden Anlass, den die sozialpolitische Lage gibt, zu Aktionen auszunutzen, die Arbeiterklasse mobilisieren, organisieren und allmählich auf das Kampffeld führen. Aber ein Messias fährt keinen Dung, bearbeitet kein Feld, gräbt nicht Brunnen. Er hat eine Wunderrute und zaubert. Dr. Bettelheim, der ein falscher Messias war, konnte aber nur falschen Zauber treiben. Statt die Partei zu organisieren, desorganisiert er sie, dadurch, dass er die Parteileitung sprengt und ein „Direktorium“ einsetzt. Und da er, wie jeder Wundertäter, ernten will, ohne gesät zu haben, so beschließt er am 15. Juni, also einen Monat nach Beginn seines segensreichen Aufenthalts in Wien, das Proletariat vom kapitalistischen Joch zu befreien und die Räterepublik auszurufen. Billiger konnte er es nicht machen, denn „unter Aktion verstehe ich die Ausrufung der Räterepublik“, schreibt er wörtlich in seinem unübertrefflichen Elaborat. Wie konnte das Wunder geschehen? Einstweilen bat Dr. Bettelheim nur eins zustande gebracht; Josef Strasser, den geistig zuverlässigsten Österreichischen Kommunisten, aus der Parteileitung herausgedrängt und das „Direktorium“ ernannt. Das genügte. Von Woche zu Woche ging es vorwärts. In den Betrieben war die Organisation wahrzunehmen. In den Kasernen waren starke Bewegungen, die Arbeitslosen, die Mobilisierten, die Invaliden demonstrierten. Die Kraft der Proletarierrevolution zeigte sich, wie durch einen Zauber hervorgerufen, in Wien und auf dem Lande. In einem solchen Masse, dass man für den 15. Juni mit der Ausrufung der Räterepublik rechnen konnte. Wie groß die Kraft der „Proletarierrevolution“ war, werden wir bald sehen. Das Wunder, dass Dr. Bettelheim den Termin der Revolution voraussehen konnte, ist leicht erklärlich. Schreibt er doch weiter, daß sie auf diesen Tag festgesetzt war, ja es waren sogar „alle Details der geplanten Revolution“ festgesetzt. Kurz gesagt, am 16. Juni sollte ein ordinärer Putsch stattfinden. Somit ist auch der Zauber, dank dem die Organisatonen „wahrnehmbar“ wurden wie Zeichen am Himmel, sowie die starken Bewegungen vor dem Datum der „Aktion“ jeder Hexerei bar. Dr. Bettelheim ließ auf Wien eine Kohorte von Agitatoren los, die Tausendkronenscheine nur so herumwarfen und den Putsch regelrecht organisierten. Es sollte am 15. losgehen, aber am 14. wurde das Direktorium verhaftet. Bettelheim behauptet ohne jeden Beweis, dass es auf eigene Bitte verhaftet wurde.

Die zusammengetrommelten Arbeitslosen und Demobilisierten demonstrierten und suchten die Führer zu befreien. Es gibt Tote. Warum siegt die „Proletarierrevolution nicht? „Das Proletariat befreite seine Führer und forderte, daß die Führer nun tatsächlich die Revolution verwirklichen.“ Also die „wie durch Zauber“ hervorgerufene „Proletarierrevolution“ erklärt den Führern: „Ihr habt mich gemacht, ihr sollt mich nun auch verwirklichen.“ Die Proletariertevolution muss durch Tomann und Koritschoner verwirklicht werden. Anders geht es nicht. Die alte Einsicht, daß die Arbeiterklasse sich nur selbst befreien kann, wird von neugebackenen „Kommunisten“ in die Lehre verwandelt: das Proletariat kann nur durch seine Führer befreit und gerettet werden. Hier zeigt sich, wie nahe die Bettelheim ihren Antipoden, den Renner, verwandt sind; die Renner „retten“ das Proletariat dadurch, dass sie um Brot für die Hungrigen betteln, die Bettelheim retten es durch die „Ausrufung“ der Republik. Im ersten Fall sollen die Proletarier ruhig bleiben, im zweiten sollen sie Scheiben einschlagen, In beiden aber sind sie Statisten. Die Retter sind die Führer. Aber – hier beginnt die Operette – die von Bettelheim zur Rettung des Proletariats bestimmten Führer versagten. „Die Führer versprachen, nie Revolution zu verwirklichen, aber verstellten sich von neuem und getrauten sich nicht, vor der Masse zu erscheinen. Es fiel ihnen gar nicht ein, das Proletariat zu befreien.“ Wirklich abscheuliche Kerle, sie konnten das Proletariat befreien, und es fiel ihnen nicht ein. In Wien lebte aber am 15. der Dr. Bettelhelm, der nach eigener Behauptung von der Internationale nach Wien gesandt worden war, um die Herrschaft des Proletariats in die Wege zu leiten. Weshalb führte er sein „Mandat“ nicht aus und befreite das Proletariat nicht? Dass er sich dies nicht getraute, wird niemand annehmen können, der sieht, was für Blödsinn sich der tapfere Mann alles getraut hat! Er hat sich wohl „von der Befreiung des Proletariats zurückgehalten“, aus Angst, die Wiener Revolution, die nicht wusste, dass er sie „durch Zauber“ hervorgerufen hat, könnte ihm sagen: „Entschuldigen Sie, Herr Bettelheim, Sie kennen wir nicht, von Ihnen können wir nicht befreit werden, das muss schon eigenhändig der Tomann oder der Koritschoner machen.“ Man könnte bei der Lektüre dieses „Berichts“ Tränen lachen, wenn die Geschichte nicht Tote gekostet hätte. Der arme Tropf Bettelheim hat zum Teil seine Sünde gebüßt, dadurch, dass er seinen unbezahlbaren Bericht geschrieben hat und so ungewollt den Kretinismus der Putschtaktik jedem gesund denkenden Arbeiter zeigt. Dass er aber selbst nach der Erfahrung vom 15. Juni diesen Kretinismus seines Vorgehens nicht erkannt hat, dass er neuradikale Führer wählen ließ, von denen er behaupet, dass sie jedoch „am ersten Tage nach der Wahl vor der Revolution zurückschreckten“, zeigt, dass wir es hier mit einem unheilbar kranken Rinaldo Rinaldino zu tun haben. Aber die kommunistischen Arbeiter sind nicht krank am Geiste, sie werden durch den Bericht Bettelheims mit tiefstem Misstrauen zu dem faulen putschistischen Zauber erfüllt werden. Die Vorderreihen des deutsch-österreichischen Proletariats, die Kommunisten, haben in den Junitagen die Putschtaktik der Bettelheims durchkreuzt. Sie haben sich nicht in das Abenteuer der „Ausrufung“ der Räterepublik ohne Räte gestürzt. Ihre Aufgabe besteht jetzt darin, nicht nur die Schädlichkeit der Putschtaktik restlos verstehen zu lernen, sondern die Putschtendenz praktisch zu überwinden.
 

5. Der Weg des Kommunismus und der sozialdemokratische Kampf

Es ist aber klar, dass Krisen einer Bewegung nicht durch historische Untersuchungen überwunden werden, wie fruchtbar diese sonst sein mögen, sondern durch proletarische Aktion. Natürlich handelt es sich nicht um Bettelheimsche „Ausrufungen“, sondern im Gegenteil um emsige organisatorische Arbeit und Aufbau entsprechender Organisationen und um täglichen Massenkampf gegen die wachsende Not, um die vergeudete schlafende Kraft des deutsch-österreichischen Proletariats zu entfalten, bis der Tag kommt, wo die Ausrufung der Räterepublik kein Putsch, sondern nur das Aussprechen dessen sein wird, was die Wirklichkeit, das Leben geboren hat. Der brave Adler, der im Vogelbauer von Renner zappelt, weiß sehr gut, weshalb er heute gegen den „Sumpf“ der kommunistischen Partei loszieht. Er steht nach einem Jahr der Revolution vor den Scherben seiner Politik, die doch nicht die seine, sondern die seiner Freunde war, aber für die er doch mit verantwortlich ist. Die Demokratie, d.h. „Volksherrschaft“, hat sich entpuppt als restlose Herrschaft des Ententekapitals. Die gesetzliche „Sozialisierung“ hat geendet mit dem Aufkauf der Alpinen Montangesellschaft durch das italienische Kapital, worauf Herr Bauer den Staub des Sozialisierungsamtes von seinen Pantoffeln schüttelt, die in das Archiv der Zweiten Internationale wandern, wo sie unter der Aufschrift hängen werden: „Die demokratische Sozialisierung des deutsch-österreichischen Volksreichtums in den Besitz der Entente.“ Den Arbeiterräten, in deren Namen Fritz Adler der Nationalversammlung stolze Warnungen zugehen ließ, über deren Bedeutung Max Adler Heldenlieder sang, wird ein schmerzloser Tod bereitet. Und woher alles das? Die große Not, die die Herren als unabweisliche Folge der Rätediktatur prophezeiten, die sie durch Koalition der Bourgeoisie vermeiden wollten, sie ist da, als Resultat ihrer feigen Flucht vor jedem Kampfe. Aber die Arbeitermasse kann nicht flüchten. Sie ist da, sie leidet Hunger und Kälte, und sie wird fragen: „Soll ich sterben ohne Kampf?“ Sie wird unseren Weg marschieren. Das weiß der gefangene Adler, und da er angeschossen ist und aus seinem Sumpfe nicht heraus kann, so zieht er über den kommunistischen Sumpf los. Nun, die kommunistische Partei hat nichts zu verhüllen und wird nichts verhüllen. Sie konnte politisch irren, weil sie jung ist und ihren Weg suchen muss. Es konnte sie auf ihrem Irrweg mit Kot bespritzen. Sie wird ihn jedoch abwaschen, aber ihr gehört die Zukunft, weil sie den Weg des historischen Kampfes zeigt, und weil sie ihn gehen wird. Der Sumpf ist das stehende Wasser. Wir aber werden vorwärts gehen mit dem stürmischen Strom der proletarischen Revolution. Dr. Adler hat seine Gasbombe geworfen. Es riecht nicht gut, und mancher wird niesen. Wir werden schnell über diese Gestankwolke zur Attacke schreiten an der Spitze der Massen. Bei Philippi sehen wir uns wieder.

Karl Radek


Zuletzt aktualiziert am 8.8.2008