Leo Trotzki

Das Zwillingsgestirn Hitler-Stalin

4. Dezember 1939


Zuerst veröffentlicht in englischer Sprache in Liberty, 27. Januar 1940. Laut der untengenannten Homepage erschien der Artikel zuerst im Bjulletin Opposizii.
Dieser deutsche Text mit Dank von der Seite „Sozialistische Klassiker“ entnommen, die von Oliver Fleig betrieben wurde.
Der Text beruht auf die Version in Leo Trotzki: Schriften 1 (Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur), Bd.  1.2 (1936–1940), Rasch u. Röhring Verlag, Hamburg 1988.
Transkription: Lüko Willms.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Als Hitler blitzartig von Westen her in Polen einfiel, schlich sich Stalin vorsichtig von Osten nach Polen hinein. Als Hitler vorschlug, den „sinnlosen“ Krieg zu beenden, nachdem er 23 Millionen Polen unterjocht hatte, ließ Stalin durch seine Diplomatie und seine Komintern die Vorzüge des Friedens preisen. [1] Als Stalin strategische Positionen im Baltikum besetzte, zog Hitler prompt seine Deutschen von dort ab. [2] Als Stalin in Finnland einfiel [3], erklärte sich in der ganzen Welt nur die Presse Hitlers mit Stalin vollkommen solidarisch. [4] Die Bahnen Stalins und Hitlers sind durch geheime Kraft miteinander verbunden. Welcher Art ist diese Kraft? Wie lange wird sie anhalten?

Zwillingsgestirne sind „optische“, d. h. scheinbare, oder „physische“, d. h. wirkliche Paare, bei denen sich ein Stern um den anderen dreht. Sind Hitler und Stalin an dem blutroten Himmel der heutigen Weltpolitik wirkliche oder nur ein scheinbares Zwillingsgestirn? Und wenn sie ein wirkliches Zwillingsgestirn sind, wer dreht sich dann um wen?

Hitler selbst spricht vorsichtig von einem festen, „realistischen“ Pakt [5], Stalin zieht es vor, schweigend an seiner Pfeife zu ziehen. Politiker und Journalisten des gegnerischen Lagers, die Unstimmigkeit zwischen Freunden säen wollen, stellen Stalin als den Hauptstern und Hitler seinen Trabanten dar. Wir wollen versuchen, diese keineswegs einfache Frage zu beantworten; dabei vergessen wir nicht, daß die Wege der Weltpolitik nicht so exakt bestimmt werden können wie die Umlaufbahnen der Gestirne.

Das kapitalistische Deutschland, weil später angetreten als seine westlichen Nachbarn, hat zwar die am weitesten entwickelte und dynamischste Industrie auf dem europäischen Kontinent geschaffen, aber es kam zu spät, um noch an der bereits vollzogenen Aufteilung der Welt teilnehmen zu können. „Wir werden die Welt neu aufteilen“, verkündeten 1914 die deutschen Imperialisten. [6] Sie irrten sich. Die Aristokratie der Welt verbündete sich gegen den deutschen Imperialismus und besiegte ihn. Heute versucht Hitler das Experiment von 1914 in einem ins Grandiose gesteigerten Ausmaß zu wiederholen. Er muß es einfach tun. Der deutsche Kapitalismus erstickt in seinen alten Grenzen. Dennoch wird Hitler sein Problem nicht lösen. Selbst wenn er den Krieg gewinnt, kann er die Welt nicht zum Vorteil Deutschlands neu verteilen. Deutschland ist zu spät gekommen. Der Kapitalismus in allen Ländern ist bedroht. Kolonien wollen nicht länger Kolonien sein. Der neue Weltkrieg wird der Unabhängigkeitsbewegung der unterdrückten Völker ungeheure Impulse geben. Deutschland ist zu spät gekommen.

Hitler wechselt seine „Freunde“, ändert seine Einschätzung von Nationen und Staaten, bricht Verträge und Verpflichtungen, betrügt Feinde und Freunde, doch all das dient nur dem einzigen Zweck: die Welt neu zu verteilen. „Deutschland ist gegenwärtig keine Weltmacht“, sagt Hitler in seinem Buch, aber „Deutschland wird wieder Weltmacht werden, oder es wird aufhören zu existieren“. Das vereinigte Deutschland in eine Basis für die Herrschaft in Europa und das so vereinigte Europa in eine Basis für den Kampf um die Weltherrschaft umzuwandeln mit dem Ziel, Amerika zurückzudrängen, zu schwächen und zu unterwerfen – dies bleibt unverändert Hitlers Aufgabe. Das ist seine Rechtfertigung für das totalitäre Regime, das mit stählernem Ring die auseinanderstrebenden Klassen in der deutschen Nation zusammenhält.

Die UdSSR ist durch gänzlich andere Züge charakterisiert. Das Erbe des zaristischen Rußland war Elend und Rückständigkeit. Das Sowjetregime will nicht neue Räume für ihre Produktivkräfte erschließen, sondern die Produktivkräfte in den alten Gebieten entwickeln. Die ökonomischen Aufgaben der UdSSR erfordern keine Ausdehnung des Staatsgebietes. Der Stand der Produktivkräfte gestattet keinen großen Krieg. Die Offensivstärke der UdSSR ist nicht groß. Ihre Verteidigungskraft liegt wie früher in der Größe des Landes.

Seit den letzten „Erfolgen“ des Kreml ist es Mode geworden, die aktuelle Politik Moskaus mit der traditionellen Politik Großbritanniens zu vergleichen, das, bei Wahrung der eigenen Neutralität, ein Kräftegleichgewicht in Europa favorisierte und dabei den Schlüssel zu diesem Kräftegleichgewicht fest in den Händen behielt. [7] Analog dazu hat sich der Kreml nun auf die Seite Deutschlands als der schwächeren Macht gestellt, um im Falle allzu großer Erfolge Deutschlands dann ins feindliche Lager überzuwechseln. In dieser Analogie ist alles auf den Kopf gestellt. Die traditionelle Politik Londons war nur möglich, weil Großbritannien ein enormes wirtschaftliches Übergewicht über die anderen Länder Europas besaß. Die Sowjetunion hingegen ist in wirtschaftlicher Hinsicht die schwächste aller Großmächte. Nach Jahren unglaublicher offizieller Prahlerei stellte Stalin auf dem Parteitag im März dieses Jahres erstmals die Arbeitsproduktivität im Westen und in der UdSSR vergleichend nebeneinander. [8] Ziel dieses Ausflugs in die internationale Statistik war es, die Armut zu rechtfertigen, in der die Völker der UdSSR heute noch leben. Um Deutschland in der Pro-Kopf-Produktion an Roheisen einzuholen, müßte die UdSSR anstatt wie heute 15 Millionen 45 Millionen Tonnen produzieren. Um die Vereinigten Staaten einzuholen, müßte die Jahresproduktion auf etwa 60 Millionen Tonnen Roheisen, d. h. auf das Vierfache gesteigert werden. Ähnlich – teilweise sogar noch schlechter – steht es mit den übrigen Wirtschaftszweigen. Stalin äußerte allerdings die Erwartung, daß die Sowjetunion die führenden kapitalistischen Länder in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren einholen werde. [9] Natürlich ist dieser Zeitpunkt reine Vermutung! Vor Ablauf dieser Frist wäre eine Beteiligung der Sowjetunion an einem großem Krieg aber auf jeden Fall ein Kampf mit ungleichen Waffen.

Der moralische Faktor, der nicht weniger wichtig ist als der materielle, hat sich in den letzten Jahren sehr zum Schlechteren verändert. Das von der Revolution proklamierte Ideal der sozialistischen Gleichheit ist verleumdet und zertreten worden. Die Hoffnungen der Massen wurden betrogen. In der UdSSR leben 12-15 Millionen Privilegierte, die etwa über die Hälfte des Nationaleinkommens verfügen und die dieses Regime als „Sozialismus“ bezeichnen. Daneben gibt es aber im Land noch etwa 160 Millionen andere, die von der Bürokratie unterdrückt werden und deren Armut erschreckend ist.

Hitlers und Stalins Einstellung zum Krieg ist völlig gegensätzlich. Das totalitäre Regime Hitlers entstand aus der Furcht der herrschenden Klassen Deutschlands vor der sozialistischen Revolution. Hitler erhielt von den Kapitalisten den Auftrag, ihr Eigentum um jeden Preis vor der bolschewistischen Gefahr zu retten und ihnen einen Weg in die Weltarena zu öffnen. Das totalitäre Regime Stalins entstand aus der Furcht der neuen Kaste von Emporkömmlingen vor dem von ihr unterdrückten revolutionären Volk.

Krieg ist für beide gefährlich. Doch Hitler kann seine historische Mission nur auf diesem Weg erfüllen. Ein siegreicher Angriffskrieg gewährleistet die wirtschaftliche Zukunft des deutschen Kapitalismus und damit auch die nationalsozialistische Herrschaft.

Anders liegen die Dinge bei Stalin. Er kann einen Angriffskrieg nicht mit Aussicht auf Erfolg führen, und er braucht das auch nicht. Falls die UdSSR sich in den Krieg mit all seinen unermeßlichen Opfern und Entbehrungen hineinziehen läßt, wird das Volk, das in diesem Jahrhundert bereits dreimal Revolutionen gemacht hatte, dem offiziellen System all die Beleidigungen, Gewalttaten und die ganze Verlogenheit heimzahlen! Niemand weiß das besser als Stalin. Die Grundidee seiner Außenpolitik ist daher Vermeidung eines großen Krieges.

Zur Verwunderung der diplomatischen Routiniers und der pazifistischen Einfaltspinsel verbündete sich Stalin mit Hitler, weil die Gefahr eines großen Krieges nur von Hitler ausging und weil Deutschland, so die Einschätzung des Kreml, stärker ist als seine augenblicklichen Gegner. Die langwierigen Moskauer Verhandlungen mit den Militärdelegationen Englands und Frankreichs dienten nicht nur der Tarnung der Verhandlungen mit Hitler, sondern auch unmittelbar der militärischen Aufklärung. Der Moskauer Generalstab überzeugte sich offenbar davon, daß die Alliierten auf einen großen Krieg nicht vorbereitet waren. Im Gegensatz dazu ist das durchmilitarisierte Deutschland ein schrecklicher Feind. Ein Wohlverhalten konnte man nur durch Mitwirkung an seinen Plänen erkaufen. Diese Überlegung hat Stalins Entscheidung bestimmt.

Ein Bündnis mit Hitler wandte nicht nur die unmittelbar drohende Gefahr ab, daß die Sowjetunion in den großen Krieg hineingezogen wurde, sondern eröffnete auch Aussicht auf unmittelbare strategische Vorteile.

Während Stalin im Fernen Osten jahrelang Schritt um Schritt zurückgewichen ist, um Krieg zu vermeiden, sind an der westlichen Grenze die Verhältnisse so kompliziert, daß er einem Krieg nur durch die Flucht nach vorn entgehen konnte, d. h. nicht durch Aufgabe alter Positionen, sondern durch Eroberung neuer. Die Presse der Alliierten stellt die Sache so dar, als sei Hitler von Stalin abhängig, und unterstreicht die ungeheuren Gewinne, die Moskau auf Kosten Deutschlands gemacht hat: die Hälfte Polens (der Bevölkerung nach nur ein Drittel) plus die Kontrolle über die Ostküste der Ostsee plus ein offenes Tor zum Balkan usw. Der Gewinn, den Moskau gemacht hat, ist zweifellos bedeutend. Doch die Schlußbilanz ist noch offen. Hitler hat einen Weltkrieg angezettelt. Aus diesem Krieg wird Deutschland entweder als Herr über Europa und alle europäischen Kolonien hervorgehen, oder es wird zerschlagen. Die Sicherung seiner Ostflanke ist für Hitler in diesem Krieg eine Frage von Leben und Tod. Er hat den Kreml dafür mit Teilen des ehemaligen Zarenreiches bezahlt. [10] Ist dieser Preis zu hoch?

Die Behauptung, Stalin habe Hitler übertölpelt, als er in Polen einmarschierte und Besitz vom Baltikum ergriff, ist völliger Unsinn. Es ist viel wahrscheinlicher, daß Hitler selbst Stalin auf den Gedanken brachte, sich Ostpolens zu bemächtigen und die baltischen Staaten zu besetzen. Da der Nationalsozialismus durch Propagierung des Kriegs gegen die Sowjetunion stark geworden ist [11], konnte Stalin verständlicherweise dem Ehrenwort Hitlers nicht trauen. Die Verhandlungen wurden „sachlich“ geführt. [12] „Du fürchtest Dich vor mir?“ fragte Hitler Stalin, „Du willst Garantien? Nimm sie Dir selbst.“ Und Stalin griff zu.

Wer die Sache so hinstellt, als versperre die neue Westgrenze der UdSSR Hitler auf immer den Weg nach Osten, hat das Augenmaß verloren. Hitler verfolgt seine Ziele in Etappen. Zur Zeit ist die Unterwerfung Großbritanniens an der Reihe. Für dieses Ziel kann man schon einige Zugeständnisse machen. Die Wendung nach Osten bedeutet einen neuen großen Krieg – zwischen Deutschland und der UdSSR. Wenn es dann soweit ist, ist die Frage, auf welchem Längengrad die militärischen Auseinandersetzungen beginnen, von zweitrangiger Bedeutung.

Der Angriff auf Finnland steht scheinbar in Widerspruch zu Stalins Furcht vor Krieg. Tatsächlich ist dem nicht so. Neben Planung wirkt auch die objektive Logik der Situation. Um dem Krieg zu entgehen, schloß Stalin ein Bündnis mit Hitler. Um sich selbst gegen Hitler abzusichern, besetzte er eine Reihe von Stützpunkten an der Ostseeküste. [13] Doch der Widerstand Finnlands drohte alle diese strategischen Vorteile zunichte zu machen, ja sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Wenn nicht einmal Helsingfors [Helsinki] Moskaus Forderungen nachgibt, wer dann? Nachdem Stalin A gesagt hat, muß er auch B sagen. Erst dann folgen die anderen Buchstaben des Alphabets. Wenn Stalin dem Krieg ausweichen will, so heißt das noch lange nicht, daß der Krieg Stalin ausweicht. Offensichtlich hat Berlin Moskau zum Vorgehen gegen Finnland gedrängt. [14] Jeder neue Schritt Moskaus nach Westen bringt die Sowjetunion dem Kriegseintritt näher. Wenn dieser Zeitpunkt kommt, wird das die Weltlage erheblich verändern. Naher und Mittlerer Osten werden dann zum Kriegsschauplatz. Die indische Frage wird erneut gestellt. Hitler kann erleichtert aufatmen und bei einer ungünstigen Entwicklung auf Kosten der Sowjetunion Frieden schließen. In Moskau hat man die freundschaftlichen Artikel der deutschen Presse über den Angriff der Roten Armee auf Finnland zweifellos zähneknirschend gelesen. Aber Zähneknirschen ist kein Mittel politischer Veränderung. Der Pakt behält seine volle Gültigkeit. Und Stalin bleibt Hitlers Satellit.

Die unmittelbaren Vorteile des Pakts für Moskau sind eindeutig. Solange Deutschland an der Westfront beschäftigt ist, kann sich die Sowjetunion im Fernen Osten viel freier fühlen. Das heißt nicht, daß sie dort offensive Operationen vorbereitet. Gewiß ist die japanische Oligarchie noch weniger als die Moskauer Oligarchie in der Lage, einen großen Krieg zu führen. Doch Moskau, das gezwungenermaßen mit Front zum Westen steht, hat nicht den geringsten Grund, in Asien weiter vorzudringen. Japan seinerseits muß mit ernsthafter, wenn nicht sogar vernichtender Gegenwehr seitens der UdSSR rechnen. Unter diesen Bedingungen muß Tokio eher dem Programm folgen, das Marinekreise vertreten, d. h. nicht nach Westen, sondern nach Süden vorgehen, in Richtung auf die Philippinen, Holländisch-Indien, Borneo, Französisch-Indochina, Britisch-Burma ... Eine Übereinkunft zwischen Moskau und Tokio auf dieser Grundlage würde den Pakt zwischen Moskau und Berlin symmetrisch ergänzen. Die Frage, welche Auswirkungen das für die Vereinigten Staaten hätte, können wir hier nicht erörtern.

Die Weltpresse wird nicht müde, darauf hinzuweisen, daß Stalins Wirtschaftshilfe für Hitler nur unbedeutend sein könne, da es der UdSSR an Rohstoffen mangele. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Die UdSSR leidet nicht an absolutem, sondern nur an relativem Rohstoffmangel; die Bürokratie setzt überhöhte industrielle Wachstumsraten fest und vernachlässigt dabei die Proportion zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen. Würde man die Wachstumsrate in bestimmten Industriezweigen für ein, zwei Jahre von 15 auf 10 oder 5 Prozent senken oder gar die industrielle Produktion auf dem Vorjahresstand belassen, wären sofort bedeutende Rohstoffüberschüsse vorhanden. Andererseits werden als Folge der totalen Blockade des deutschen Außenhandels über See bedeutende Mengen deutscher Waren im Austausch für sowjetische Rohstoffe nach Rußland fließen. [15]

Auch darf man nicht vergessen, daß die UdSSR für Verteidigungszwecke ungeheure Rohstoff- und Lebensmittelreserven angelegt hat und noch weiter ergänzt. Ein gewisser Teil dieser Vorräte kann zur Versorgung Deutschlands dienen. Ferner kann Moskau Hitler Gold liefern, das ungeachtet aller Autarkiebestrebungen das Lebensblut des Krieges ist. Schließlich erleichtert die freundschaftliche „Neutralität“ Moskaus Deutschlands die Ausbeutung der Rohstoffe im Baltikum, in Skandinavien und auf dem Balkan außerordentlich. „Gemeinsam mit Sowjetrußland“, schrieb am 2. November der Völkische Beobachter, das Organ Hitlers, nicht ohne Grund, „beherrschen wir die Rohstoff- und Nahrungsreichtümer des ganzes Ostens.“ [16]

Noch wenige Monate vor Abschluß des Pakts zwischen Moskau und Berlin schätzte London die Bedeutung der Wirtschaftshilfe, die die UdSSR Hitler leisten könnte, bedeutend nüchterner ein als heute. Eine halboffizielle Untersuchung des Königlichen Instituts für internationale Angelegenheiten, den „politischen und strategischen Interessen des Vereinigten Königreiches“ gewidmet, äußert sich zu einer deutsch-sowjetischen Annäherung folgendermaßen (das Vorwort datiert vom März 1939): „Eine solche Kombination kann für Großbritannien äußerst gefährlich werden. Man muß sich fragen“, fährt der Kollektiv-Autor fort, „wieweit Großbritannien in einem Krieg mit Deutschland auf einen entscheidenden Sieg hoffen kann, wenn die deutsche Ostgrenze zu Lande nicht blockiert werden kann ...“ [17] Diese Einschätzung verdient größte Beachtung. Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet, daß die Blockade Deutschlands durch das Bündnis mit der UdSSR mindestens 25 %, vielleicht auch beträchtlich mehr von ihrer Wirkung verliert.

Zur materiellen Unterstützung muß man noch die moralische – wenn dieses Wort hier angebracht ist – hinzurechnen. Bis Ende August noch forderte die Komintern die Befreiung Österreichs, der Tschechoslowakei, Albaniens und Abessiniens, verlor aber kein Wort über die britischen Kolonien. Jetzt verliert die Komintern kein Wort über die Tschechei, rechtfertigt die Teilung Polens, fordert dafür aber die Befreiung Indiens. Die Moskauer Prawda greift die Einschränkung der Freiheit in Kanada an [18], schweigt aber zu den blutigen Gewaltakten Hitlers gegen die Tschechen und zu den verbrecherischen Mißhandlungen polnischer Juden. All das deutet darauf hin, daß der Kreml die Stärke Hitlers sehr hoch einschätzt.

Und der Kreml irrt nicht. Gewiß kann Deutschland Großbritannien und Frankreich nicht in einem „Blitzkrieg“ vernichten; an eine solche Möglichkeit hat auch kein ernsthafter Mensch je geglaubt. Von großer Leichtfertigkeit aber zeugt jene internationale Propaganda, die Hitler als einen Wahnsinnigen darzustellen sucht, der sich in eine Sackgasse verrannt hat. Hitler ist noch lange nicht soweit. Noch gibt es in Deutschland eine dynamische Industrie, technisches Ingenium und feste Disziplin; die ungeheuerliche deutsche Kriegsmaschine funktioniert immer noch. Das Schicksal von Land und Regime stehen auf dem Spiel. Die polnische Regierung und die tschechoslowakische Pseudoregierung sind jetzt in Frankreich. [19] Wer weiß, ob die französische Regierung nicht demnächst gemeinsam mit der belgischen, holländischen, polnischen und tschechoslowakischen in Großbritannien Schutz suchen muß? [20] Wie bereits ausgeführt, glaube ich nicht einen Augenblick daran, daß Hitler seinen Plan einer „Pax Germanica“ [21] – also der Weltherrschaft – verwirklichen kann. Neue Staaten stehen ihm im Weg – nicht nur in Europa. Der deutsche Imperialismus ist zu spät auf den Plan getreten, seine militärische Raserei wird mit einer riesigen Katastrophe enden. Doch bevor seine Stunde schlägt, wird in Europa noch vieles hinweggefegt werden. Stalin möchte nicht dazu gehören. Deshalb ist er sehr darauf bedacht, mit Hitler nicht zu früh zu brechen.

Die alliierte Presse sucht gierig nach Symptomen der „Abkühlung“ zwischen den neuen Freunden und prophezeit tagaus tagein das Zerbrechen des Bündnisses. Man kann natürlich nicht leugnen, daß sich Molotow in der Umarmung Ribbentrops nicht gerade wohl fühlt. Viele Jahre hindurch wurden in der UdSSR die Oppositionellen als Naziagenten verleumdet, verfolgt und ermordet. Nachdem Stalin diese Arbeit erledigt hatte, schloß er dann ein enges Bündnis mit Hitler. Im ganzen Land leben Millionen Menschen, die enge Verwandte derjenigen sind, die wegen angeblichen Verbindungen zu den Nazis erschossen und in Konzentrationslager eingesperrt wurden; diese Millionen sind heute vorsichtige, aber äußerst wirksame Agitatoren gegen Stalin. Dazu kommen die geheimen Klagen der Komintern: die ausländischen Agenten des Kreml fühlen sich nicht wohl. Stalin versucht zweifellos, auch den anderen Weg offenzuhalten. Litwinow tauchte am 7. November wider Erwarten auf der Tribüne des Lenin-Mausoleums auf; in der Parade wurden Porträts des Kominternsekretärs Dimitroff und des Führers der deutschen Kommunisten, Thälmann, getragen. [22]

All das hat jedoch nur dekorativen Charakter und berührt nicht das Wesen der Politik. Litwinow und die Porträts sollten vor allem die sowjetischen Arbeiter und die Komintern beschwichtigen. Nur indirekt gibt Stalin damit den Alliierten zu verstehen, daß er unter Umständen auch auf ein anderes Pferd setzen kann. Aber nur Phantasten können annehmen, daß ein außenpolitischer Kurswechsel des Kreml unmittelbar bevorsteht. Solange Hitler mächtig ist – und er ist sehr mächtig –, bleibt Stalin ein Satellit Hitlers.

Das mag ja alles richtig sein, könnte ein aufmerksamer Leser meinen, doch wie steht es mit der Revolution? Rechnet der Kreml wirklich nicht mit ihrer Möglichkeit – ihrer Wahrscheinlichkeit – ihrer Unvermeidbarkeit? Spiegelt sich in Stalins Außenpolitik nicht seine Furcht vor Revolution wider? Der Einwurf ist berechtigt. Gerade in Moskau wird am wenigsten daran gezweifelt, daß ein großer Krieg eine Revolution hervorrufen kann. Doch die Revolution steht nicht am Beginn des Krieges, sondern an seinem Ende. Bevor 1918 die Revolution in Deutschland ausbrach, versetzte die deutsche Armee dem Zarismus noch tödliche Schläge. Genauso kann der gegenwärtige Krieg zum Sturz der Kremlbürokratie führen, lange bevor die Revolution in irgendeinem der kapitalistischen Länder ausbricht. Unsere Einschätzung der Kreml- Außenpolitik behält deshalb unabhängig von der revolutionären Perspektive ihre Gültigkeit.

Um jedoch die künftigen Manöver Moskaus und die Entwicklung seiner Beziehungen zu Berlin richtig einschätzen zu können, muß man die Frage beantworten: Beabsichtigt der Kreml den Krieg für die Weltrevolution auszunützen, und wenn ja, in welcher Weise? Am 9. November [1939] hielt es Stalin für nötig, in äußerst scharfer Form die Vermutung zurückzuweisen, er wünsche, daß „der Krieg möglichst lange dauern müsse, um die kriegführenden Staaten zu erschöpfen“. [23] Da hat Stalin die Wahrheit gesagt. Aus zwei Gründen kann er einen langen Krieg gar nicht wollen: Erstens würde dieser mit Sicherheit die UdSSR in seinen Strudel reißen, und zweitens würde er mit Sicherheit die europäische Revolution auslösen. Der Kreml aber fürchtet sehr zu Recht beides.

„Die innere Entwicklung Rußlands“, heißt es in der schon zitierten Untersuchung des Königlichen Instituts in London, „tendiert zur Schaffung einer ‚Bourgeoisie‚ von Managern und Beamten, die ausreichende Privilegien genießen, um mit dem Status quo vollkommen zufrieden zu sein ... Die verschiedenen Säuberungen können als Teil eines Prozesses betrachtet werden, mit dessen Hilfe alle jene ausgerottet werden, die für eine Veränderung des gegenwärtigen Zustands eintreten. Eine solche Interpretation läßt den Schluß zu, daß die revolutionäre Periode in Rußland beendet ist, und die heutigen Herrscher nur danach streben, jene Vorteile, die ihnen die Revolution gebracht hat, zu bewahren.“ [24] Das ist treffend formuliert! Vor mehr als zwei Jahren schrieb ich in dieser Zeitschrift:

„Hitler kämpft gegen das französisch-sowjetische Bündnis nicht aus prinzipieller Feindschaft gegen den Kommunismus – kein ernstzunehmender Mensch glaubt noch an die revolutionäre Rolle Stalins! –, sondern weil er freie Hand für ein Abkommen mit Moskau gegen Paris haben will ...“ [25] Damals hielt man diese Worte für eine Folge von Voreingenommenheit. Die Ereignisse haben sie dann bestätigt.

Moskau ist sich darüber im klaren, daß ein größerer Krieg eine Ära politischer und sozialer Erschütterungen einleitet. Wenn Stalin ernsthaft hoffen könnte, die revolutionäre Bewegung zu beherrschen und sich dienstbar zu machen, würde er sie natürlich begrüßen. Doch versteht er, daß die Revolution Antithese der Bürokratie ist und mit dem privilegierten konservativen Apparat unbarmherzig aufräumen würde. Welch erbärmliche Niederlagen erlitt die bürokratische Kreml-Clique in der chinesischen Revolution von 1925-1927 und in der spanischen Revolution von 1931-1939! Auf den Wogen einer neuen Revolution würde unweigerlich eine neue internationale Organisation entstehen, die die Komintern hinwegfegen und der Autorität der Sowjetbürokratie in der UdSSR einen tödlichen Schlag versetzen würde.

Die stalinistische Fraktion ist im Kampf gegen den sogenannten „Trotzkismus“ zur Macht gelangt. Seitdem wurden alle Säuberungen, Schauprozesse und Erschießungen im Zeichen des Kampfes gegen den „Trotzkismus“ durchgeführt. Im Grunde genommen bringt Moskau mit diesem Etikett die Furcht der neuen Oligarchie vor den Massen auf den Begriff. Der Terminus „Trotzkismus“ ist trotz allen Problemen, die ihm innewohnen, bereits international gebräuchlich geworden. Ich muß hier drei Vorfälle aus der jüngsten Zeit anführen, weil sie für jene politischen Prozesse sehr typisch sind, die den Krieg vorbereiten, und weil sie zugleich zeigen, warum der Kreml die Revolution fürchtet.

In dem französischen Gelbbuch wird ein Gespräch zwischen dem französischen Botschafter Coulondre und Hitler vom 25. August wiedergegeben, d. h. neun Tage vor dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. [26] Hitler geifert und prahlt dabei mit dem Pakt, den er mit Stalin abgeschlossen hat:

„... eine Vereinbarung..., die nicht theoretisch, sondern positiv ist, möchte ich sagen. Ich glaube, ich werde siegen, Sie glauben, Sie werden siegen; eines aber ist gewiß: vor allem wird deutsches und französisches Blut ... fließen“, usw. Der französische Botschafter antwortet: „Wenn ich auch in der Tat von unserem Sieg überzeugt bin ..., so befürchte ich auch, daß es bei Kriegsende nur einen wahren Sieger geben werde, nämlich Herrn Trotzki.“ Hitler unterbricht den Botschafter: „Warum hat man dann Polen einen Blankoscheck gegeben?“ Mein Name ist hier natürlich von untergeordneter Bedeutung. Aber es ist kein Zufall, daß sowohl der demokratische Diplomat, als auch der totalitäre Diktator das Gespenst der Revolution mit dem Namen einer Person belegen, die der Kreml als seinen Feind Nr. 1 betrachtet. Beide Gesprächspartner stimmen wie selbstverständlich darin überein, daß die Revolution unter einem Banner stattfindet, das dem Kreml feindlich ist.

Der ehemalige Berliner Korrespondent des französischen halbamtlichen Organs Temps, der heute aus Kopenhagen berichtet, teilt in einer Meldung vom 24. September mit, daß revolutionäre Elemente die Verdunkelung der Straßen Berlins ausgenützt und im Arbeiterviertel Plakate mit der Losung angebracht haben: „Nieder mit Stalin und Hitler! Es lebe Trotzki!“ [27] So bekunden die mutigsten Arbeiter Berlins ihre Einstellung zum Pakt. Und die Revolution wird von den Mutigen und nicht von den Feiglingen durchgeführt. Glücklicherweise braucht Stalin die Straßen Moskaus nicht verdunkeln zu lassen, sonst würden dort nicht weniger eindeutige Parolen auftauchen.

Am Vorabend des Jahrestags der tschechischen Unabhängigkeit warnten der Reichsprotektor Freiherr von Neurath [28] und die tschechische Regierung [29] die Anstifter von Demonstrationen in aller Schärfe: „Die Agitation unter den Arbeitern in Prag, besonders im Zusammenhang mit Streikdrohungen, wird offiziell als ein Werk ‚trotzkistischer Kommunisten‚ gebrandmarkt.“ (New York Times vom 28. Oktober) [30] Ich neige keineswegs dazu, die Rolle der „Trotzkisten“ bei den Prager Demonstrationen überzubewerten. Doch schon die offizielle Überbewertung ihrer Rolle erklärt, warum der Herr des Kreml die Revolution nicht weniger fürchtet als Coulondre, Hitler und Freiherr von Neurath.

Aber sind die Sowjetisierung der westlichen Ukraine und Weißrußlands (Ostpolen) wie auch der gegenwärtige Versuch, Finnland zu sowjetisieren, denn keine Akte sozialer Revolution? Ja und nein. Eher nein als ja. Wenn die Rote Armee ein neues Territorium besetzt, setzt die Moskauer Bürokratie ein Regime ein, das ihre Vorherrschaft garantiert. Die Bevölkerung hat keine andere Wahl, als den durchgeführten Reformen in einem totalitären Plebiszit zuzustimmen. Eine solche Art von „Revolution“ kann nur in einem militärisch besetzten Gebiet mit einer verstreuten oder rückständigen Bevölkerung durchgeführt werden. Der neue Chef der „Sowjetregierung“ Finnlands, Otto Kuusinen, ist kein Führer revolutionärer Massen, sondern ein alter stalinistischer Funktionär, ein Komintemsekretär, ein Mann mit starrem Hirn und schwachem Rückgrat. Eine solche „Revolution“ ist für den Kreml natürlich annehmbar, und Hitler fürchtet sie auch nicht.

Der Kominternapparat, der durchweg aus Leuten vom Schlage Kuusinen und Browder [31] besteht, d. h. aus karrieresüchtigen Funktionären, ist zur Führung einer revolutionären Massenbewegung vollkommen ungeeignet. Dafür ist er aber zur Vernebelung des Stalin-Hitler-Paktes mit revolutionären Phrasen nützlich, zur Irreführung der Arbeiter in der UdSSR und im Ausland. Und später kann er als ein nützliches Instrument zur Erpressung der imperialistischen Demokratien dienen.

Es ist frappierend, wie wenig man aus den spanischen Ereignissen gelernt hat! Während Stalin sich gegen Hitler und Mussolini zur Wehr setzte, die den spanischen Krieg zur Schaffung eines Viermächteblocks gegen den Bolschewismus auszunützen suchten, machte er es sich zur Aufgabe, London und Paris zu beweisen, daß er weit besser als Franco und seine Beschützer in Spanien und Europa die proletarische Revolution austilgen könne. Niemand hat die sozialistische Bewegung in Spanien rücksichtsloser unterdrückt als Stalin, der in jenen Tagen als Erzengel der reinen Demokratie auftrat. Alle Mittel wurden eingesetzt: wahnwitzige Lügen- und Verleumdungskampagnen, Justizfarcen im Geiste der Moskauer Prozesse und die systematische Ermordung revolutionärer Führer. Und der Kampf gegen Land- und Fabrikbesetzungen durch Bauern und Arbeiter wurde natürlich unter dem Banner des Kampfes gegen den „Trotzkismus“ geführt.

Der Bürgerkrieg in Spanien verdient höchste Aufmerksamkeit, denn er war in vielerlei Hinsicht eine Generalprobe für den bevorstehenden Weltkrieg. Stalin jedenfalls ist gern bereit, seinen spanischen Auftritt im Weltmaßstab zu wiederholen; er hofft dieses Mal sogar auf mehr, er will sich das Wohlgefallen der künftigen Sieger erkaufen, da er bereits bewiesen hat, daß niemand besser als er mit dem roten Gespenst fertigwerden kann, das der terminologischen Bequemlichkeit wegen wieder „Trotzkismus“ genannt wird.

Fünf Jahre lang führte der Kreml eine Kampagne für das Bündnis der Demokratien, um dann Hitler im letzten Moment seine Liebe für „kollektive Sicherheit und Frieden“ zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen. Die Bürokraten der Komintern erhielten das Kommando „Linksum kehrt!“ – und kramten unverzüglich die alten Formeln über die sozialistische Revolution aus den Archiven hervor. Der neue „revolutionäre“ Zickzack wird wahrscheinlich nicht solange dauern wie der „demokratische“, weil der Krieg den Ablauf der Ereignisse außerordentlich beschleunigt. [32] Doch die taktische Methode Stalins bleibt immer die gleiche: Er droht seinen Gegnern von morgen mit einer revolutionären Komintern, um sie dann im entscheidenden Moment für eine vorteilhafte diplomatische Kombination zu verkaufen. Widerstand seitens der Funktionäre vom Schlage Browders hat er nicht zu befürchten: Diese Tiger sind gut dressiert, fürchten die Peitsche und sind gewohnt, zur bestimmten Stunde gefüttert zu werden.

Durch gefügige Korrespondenten läßt der Kreml durchsickern, Rußland werde im Falle einer Annäherung Italiens oder Japans an England oder Frankreich auf der Seite Hitlers in den Krieg eintreten, dabei aber gleichzeitig die Sowjetisierung Deutschlands anstreben (siehe zum Beispiel den Moskauer Bericht der New York Times vom 12. November). [33] Welch ein erstaunliches Bekenntnis! Mit den Ketten seiner „Eroberungen“ ist der Kreml schon jetzt so vor den Karren des deutschen Imperialismus gespannt, daß die möglichen Feinde Hitlers auch die Feinde Stalins sein werden. Seinen wahrscheinlichen Kriegseintritt auf der Seite des Dritten Reiches rechtfertigt Stalin im voraus damit, daß er Deutschland „sowjetisieren“ wolle. Nach dem Beispiel Galiziens? Dazu müßte die Rote Armee zuerst Deutschland besetzen. Durch einen Aufstand der deutschen Arbeiter? Aber wenn der Kreml diese Chance hat, warum dann auf den Kriegseintritt Italiens und Japans warten? Die Absicht dieser gesteuerten Berichte ist allzu klar: Italien und Japan einerseits und England und Frankreich andererseits einzuschüchtern und dadurch einem Krieg zu entgehen. „Reizt mich nicht zum Äußersten“, droht Stalin, „sonst werde ich furchtbar sein.“ Das ist wenigstens fünfundneunzig Prozent Bluff und vielleicht fünf Prozent vage Hoffnung darauf, daß im Falle tödlicher Gefahr die Revolution Rettung bringt.

Stalins Idee von einer Sowjetisierung Deutschlands ist ebenso absurd wie die Hoffnung Chamberlains auf eine Restauration einer friedlich konservativen Monarchie in Deutschland. Die militärische Macht Deutschlands darf ebensowenig unterschätzt werden wie die Widerstandskraft des Naziregimes! Die deutsche Armee kann nur von einer neuen internationalen Koalition in einem Krieg beispiellosen Ausmaßes geschlagen werden. Das totalitäre Regime kann nur durch einen machtvollen Angriff der deutschen Arbeiter gestürzt werden. Die werden ihre Revolution gewiß nicht machen, um Hitler durch einen Hohenzollern oder durch Stalin zu ersetzen.

Der Sieg der Volksmassen über die Nazi-Tyrannei wird eine der größten Erschütterungen der Weltgeschichte sein und das Antlitz Europas mit einem Schlage verändern. Die Welle der Empörung, der Hoffnung und des Enthusiasmus wird vor den hermetisch verschlossenen Grenzen der Sowjetunion nicht haltmachen. Die Volksmassen der Sowjetunion hassen die gierige und grausame Herrscherkaste. Ihr Haß wird nur durch das Wissen gebändigt, daß draußen der Imperialismus sprungbereit lauert. Die Revolution im Westen wird der Kreml-Oligarchie die einzige Rechtfertigung für ihre politische Existenz rauben. Wenn Stalin seinen Verbündeten Hitler überleben sollte, dann nicht für lange. Das Zwillingsgestirn wird hinter dem Horizont versinken.

 

 

Anmerkungen

1. In einer Ansprache vor dem Reichstag am 6.10.1939 machte Hitler den Westmächten ein „Friedensangebot“. Diese Rede wurde in sowjetischen Zeitungen abgedruckt und zustimmend kommentiert. (Vgl. Pietrow, Stalinismus, S. 145 f.)

2. Am 16.11.1939 wurde eine deutsch-sowjetische Vereinbarung unterzeichnet, wonach die deutschstämmige Bevölkerung aus der sowjetischen „Interessenzone“ und die ukrainische und weißrussische Bevölkerung aus den von Deutschland besetzten Gebieten umgesiedelt werden sollten. Daraufhin erfolgte eine Umsiedlungsaktion von Deutschen vor allem aus dem Baltikum und Wolhynien (Westukraine) in polnische Gebiete, aus denen die polnischen Einwohner vertrieben wurden. Das Baltikum wurde durch die deutsch-sowjetischen Verträge zur sowjetischen Einflußsphäre. Ende September/Anfang Oktober mußten die drei baltischen Staaten mit der UdSSR Verträge über die Stationierung sowjetischer Truppen abschließen.

3. Finnland war durch das geheime Zusatzprotokoll des deutsch-sowjetischen Vertrages vom 23.8.1939 der sowjetischen „Einflußsphäre“ zugeschlagen worden. Daraufhin stellte die UdSSR Finnland am 5. Oktober Forderungen (u.a. Gebietsabtretungen an der karelischen Landenge, wo Finnland bis auf 32 km an Leningrad heranreichte, und die Überlassung von Militärstützpunkten auf finnischem Territorium). Es kam zu ergebnislosen Verhandlungen. Am 2. November brach die UdSSR die diplomatischen Beziehungen ab. Der sowjetische Angriff auf die finnische Festungslinie auf der karelischen Landenge kam jedoch schnell ins Stocken. Die sowjetischen Truppen waren mangelhaft ausgerüstet, infolge der „Säuberungen“ in der Roten Armee fehlte es auch an erfahrenen Offizieren. Durch Bildung einer finnischen „Volksregierung“ unter Kuusinen im sowjetischen Exil versuchte die Stalin-Führung vergeblich, das Land zu revolutionieren. Erst im Februar gelang es durch massive Konzentration frisch herangeführter Truppen, die finnischen Befestigungen zu durchbrechen. Finnland lehnte ein französisch-britisches Angebot zur Entsendung eines HiIfskorps ab und schloß einen Friedensvertrag, in dem es die sowjetischen Forderungen akzeptierte. Die sowjetischen Truppen sollen etwa 200.000, die Finnen 25.000 Mann verloren haben. Der finnische „Winterkrieg“ machte die Schwäche der Roten Armee deutlich und trug dazu bei, bei Hitler und der Führung der deutschen Wehrmacht die Vorstellung eines möglichen raschen Sieges über die UdSSR zu festigen. (Vgl. Heller-Nekrich, Geschichte der Sowjetunion, Bd. 2, S. 32–35; Richard Condon, Winterkrieg Rußland-Finnland, München [Moewig] 1980)

4. Als die UdSSR Ende November 1939 dann mit militärischen Mitteln versuchte, der finnischen Regierung ihre Forderungen aufzuzwingen, stand Deutschland politisch auf der Seite seines Partners und vermied jede Einmischung, verzichtete auf Waffenlieferungen an Finnland, untersagte den Transport von Kriegsmaterial, das für Finnland bestimmt war, durch das Reichsgebiet und richtete seine Vermittlertätigkeit an sowjetischen Interessen aus. (Vgl. Pietrow, Stalinismus, S. 143)

5. In seiner Reichstagsrede vom 6. Oktober. Vgl. Pietrow, Stalinismus, S. 145 f.

6. Vgl. Fritz Fischer, Der Griff nach der Weltmacht, Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf [Droste] 1961.

7. Großbritannien hielt sich am Ende des vorigen Jahrhunderts von den beiden europäischen Machtblöcken Frankreich-Rußland und Deutschland-Österreich fern. Ziel seiner Außenpolitik war, die Hegemonie irgendeines europäischen Landes zu verhindern. Als dann der deutsche Imperialismus unter Wilhelm II. aus der Situation des „Zuspätgekommenen“ heraus durch eine gigantische Aufrüstung, vor allem durch Flottenbau, das europäische Gleichgewicht in Frage stellte und die beherrschende Position Großbritanniens bedrohte, orientierte sich die britische Politik an Frankreich und Rußland, was zur Kriegskoalition im Ersten Weltkrieg führte.

8. „Es ergibt sich also, daß wir in der Produktionstechnik und im Wachstumstempo unserer Industrie die wichtigsten Länder schon eingeholt und überholt haben. Worin bleiben wir noch zurück? Wir bleiben noch in ökonomischer Hinsicht, d. h. in den Ausmaßen unserer Industrieproduktion pro Kopf der Bevölkerung zurück ... Die ökonomische Leistungsfähigkeit der Industrie drückt sich nicht im Umfang der Industrieproduktion überhaupt, ohne Bezug zur Bevölkerung des Landes aus, sondern im Umfang der Industrieproduktion, in ihrer direkten Verbindung mit der Höhe des Verbrauchs dieser Produktion pro Kopf der Bevölkerung.“ [J. Stalin, Rechenschaftsbericht über die Arbeit des ZK der KPdSU(B)], in: Rundschau, Nr.17, 25.3.1939, S. 453–471, hier S. 458.)

9. „Die Aufgaben der Partei auf dem Gebiet der Innenpolitik sind ..., den Aufschwung unserer Industrie, das Wachstum der Arbeitsproduktivität, die Vervollkommnung der Produktionstechnik weiter zu entfalten, um die wichtigsten kapitalistischen Länder, nachdem wir sie auf dem Gebiet der Produktionstechnik und des Wachstumstempos der Industrie überholt haben, in den nächsten 10 bis 15 Jahren auch ökonomisch zu überholen.“ (J. Stalin, Rechenschaftsbericht ... [Anm. 8], S. 463)

10. Finnland, das Baltikum, ein Großteil Polens und Bessarabien hatten bis zum Ersten Weltkrieg zum russischen Reich gehört. Allerdings waren nicht alle der 1939/40 von der UdSSR okkupierten Gebiete vorher russisch gewesen. Es gab zwei Ausnahmen: das (ost-)galizische Gebiet der Westukraine, das bis zum Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn gehört hatte und (da überwiegend ukrainisch besiedelt) von Nazi-Deutschland bereits durch den Pakt vom 23. August der UdSSR überlassen worden war. Auch die damals zu Rumänien gehörende Bukowina war vor 1918 österreichisch-ungarisch gewesen. Als die sowjetische Regierung im Juni 1940 Berlin ihre Annexionsabsicht mitteilte, wurde von deutscher Seite Einspruch erhoben. Schließlich wurde nur die überwiegend ukrainische Nord-Bukowina (neben Bessarabien) von sowjetischen Truppen besetzt. (Vgl. Pietrow, Stalinismus, S. 192)

11. Die von Hitler proklamierte „antibolschewistische“ Stoßrichtung seiner Politik bewog vor allem Großbritannien dazu, die deutsche Aufrüstung zu dulden („Appeasement-Politik“).

12. Zur Atmosphäre bei Ribbentrops Besuchen in Moskau im August und September 1939 vgl. Pietrow, Stalinismus, S. 135 f. u. S. 144.

13. Die den baltischen Staaten Ende September/Anfang Oktober 1939 aufgezwungenen Verträge sahen die Errichtung von sowjetischen Stützpunkten vor (vgl. Anm. 2).

14. Eine direkte deutsche Einflußnahme auf die sowjetische Regierung ist nicht belegt. Allerdings unterstützte Deutschland die Sowjetunion, während es zeitweise so aussah, als werde Finnland Hilfe von Frankreich und Großbritannien erhalten.

15. Zum deutsch-sowjetischen Handel zwischen 1939 und 1941 vgl. Pietrow, Stalinismus, S. 172–178; deutsche Maschinen und Rüstungsgüter wurden gegen sowjetische Rohstoffe (Erdöl, bestimmte Metalle, Lebensmittel) getauscht. Ferner diente die UdSSR als Durchgangsland für Warenlieferungen aus Asien, für die der Schifffsweg wegen der britischen Kontrolle über die meisten Seewege nicht mehr in Frage kam.

16. Dr. Theodor Seibert, So steht der Krieg, in: Völkischer Beobachter, 2.11.1939, S. 1 f. Der Völkische Beobachter erschien seit 1918 als rechtsradikales Kampfblatt in München (hervorgegangen aus dem 1887 gegründeten Münchner Beobachter). 1920 wurde er von der NSDAP gekauft und zu ihrem Zentralorgan umgewandelt (seit 1923 Tageszeitung; 1924/25 verboten; erschien zum letzten Mal am 27. April 1945).

17. Political and Strategic Interests of the United Kingdom, An Outline, By a Study Group of the Royal Institute of International Affairs, London u. a., Oxford University Press] 1939, S. 98.

18. Am 20.11.1939 wurde die Zeitung der kanadischen KP, The Clarion, von der Regierung verboten; am 4.6.1940 folgte das Verbot der Partei und ihrer Massenorganisationen; mehrere ihrer Führer wurden interniert.

19. Die polnische Regierung war über Rumänien nach Frankreich geflohen und siedelte von dort im Sommer 1940 nach Großbritannien über. Nach dem Münchner Diktat von 1938 war der tschechoslowakische Präsident Benes zurückgetreten und ins Exil gegangen. Nachdem am 15. März 1939 durch den Einmarsch deutscher Truppen die Tschechoslowakei zerschlagen wurde, bildeten Exilpolitiker im Herbst 1939 in London einen Nationalausschuß unter Leitung von Benes, der am 23. Juli 1940 von den Alliierten als Exilregierung anerkannt wurde.

20. Ein halbes Jahr später, im Mai-Juni 1940 besetzten deutsche Truppen die Benelux-Staaten und Frankreich. Die französische Regierung unter Pétain kollaborierte mit den Nazis, so daß sich im Exil eine neue Regierung unter General de Gaulle bildete, die offiziell aber erst im Juni 1944 proklamiert wurde.

21. „Deutscher Friede“ (lat.) d. h. Befriedung der Welt unter deutscher Herrschaft.

22. Das berichtete z. B. der New-York-Times-Korrespondent G.E.R. Gedye in seinem Artikel Soviet Foreign Policy: Where Is lt Heading? (12.11.1939, S. 5).

23. Die Komintern-Zeitschrift Die Welt schrieb dazu (Nr. 14, 7.12.1939, S. 267, Interview mit Stalin über den Krieg): „Ein Redakteur der Prawda wandte sich an Stalin mit der Frage: ‚Wie verhält sich Stalin zu der Meldung der Havas-Agentur über die „Rede Stalins“, die er angeblich am 19. August im Politbüro hielt, und in der angeblich der Gedanke ausgeführt wurde, daß „der Krieg möglichst lange dauern müsse, um die kriegführenden Seiten zu erschöpfen?“‘ Stalin sandte folgende Antwort: ‚Diese Meldung der Havas-Agentur, wie auch viele andere ihrer Meldungen, ist eine Lüge. Ich kann natürlich nicht sagen, in welchem Tingeltangel diese Lüge fabriziert wurde. Aber wie immer die Herren aus der Havas-Agentur lügen mögen, sie können nicht leugnen, daß: 1. Nicht Deutschland hat Frankreich und England überfallen, sondern Frankreich und England überfielen Deutschland, indem sie die Verantwortung für den jetzigen Krieg übernehmen; 2. nach der Eröffnung der Kriegshandlungen wandte sich Deutschland mit Friedensvorschlägen an Frankreich und England, während die Sowjetunion offen die Friedensvorschläge Deutschlands unterstützte, da sie der Meinung war und weiterhin ist, daß die rascheste Beendigung des Krieges die Lage aller Länder und Völker von Grund auf erleichtern würde; 3. die herrschenden Kreise Englands und Frankreichs lehnten schroff sowohl die Friedensvorschläge Deutschlands als auch die Versuche der Sowjetunion ab, die rascheste Beendigung des Krieges zu erzielen. Das sind die Tatsachen. Was können die Tingeltangelpolitiker aus der Havas-Agentur diesen Tatsachen entgegenstellen.‘“

24. Political and Strategic Interests ... (Anm. 17), S. 95.

25. Vgl. Trotzkis Artikel „Vor einem neuen Weltkrieg“ (9.8.1937), frz. Trotsky, Oeuvres, Bd. 14, S. 231–251, hier S. 232. Trotzkis Artikel erschien (ebenso wie der vorliegende) zuerst in russischer Sprache im Bulletin der Opposition.

26. Nach Einbandfarben wurden von den Außenministerien herausgegebene amtliche Dokumentensammlungen zur internationalen Diplomatie benannt. Die verschiedenen Länder bedienten sich spezifischen Farben; Frankreich gab Gelbbücher heraus, Deutschland Weißbücher.

Das Gelbbuch der Französischen Regierung Diplomatische Urkunden 1938–1939 enthielt, so der Untertitel, Akten über die Ereignisse und Verhandlungen, die zum Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Deutschland einerseits und Polen, Großbritannien und Frankreich andererseits führten (autorisierte deutsche Ausgabe: Basel [Birkhäuser] 1940). Als Dokument Nr. 242 war dort auf S. 327–329 (die Zitate auf S. 328) der „amtliche“ Bericht Coulondres über seine Unterredung mit Hitler abgedruckt, aus dem Trotzki schon nach einem (nur minimal abweichenden) Zeitungsbericht zitiert hatte (vgl. Text 62) und der auch in der russischen Fassung des vorliegenden Artikels als Quelle angegeben wurde.

27. In der vom 24.9. datierten Meldung unter der Überschrift Berlin bei Nacht (Le Temps, 26.9.1939) hieß es: „Nach Berichten verschiedenen Ursprungs muß die deutsche Polizei gegen zahlreiche Attentate und Sabotageakte vorgehen. Sie organisiert in Berlin und anderen großen Städten nächtliche Patrouillen aus der SS und aus Freiwilligen, die gegen die im Schutze der Dunkelheit begangenen Taten vorgehen. In einer der letzten Nächte entdeckte eine Patrouille im ehemaligen kommunistischen Stadtteil Berlins eine Unmasse von Flugblättern mit dem Rotfront-Zeichen und den Worten: ‚Nieder mit Hitler und Stalin! Es lebe Trotzki!‘“

28. Konstantin Freiherr von Neurath (1873–1956), deutscher Diplomat, seit 1932 Außenminister unter Papen und Hitler – bis zu seiner Ablösung durch Ribbentrop im Jahre 1938. Trat 1937 in die NSDAP ein. Seit 1938 Minister ohne Geschäftsbereich, wurde Neurath nach der Besetzung der Tschechei durch deutsche Truppen am 15. März 1939 in Prag als „Reichsprotektor“ (vgl. Anm. 29) eingesetzt. 1941 wurde er abgelöst (offiziell nur beurlaubt, trat er 1943 zurück). Neurath wurde im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß zu 15 Jahren Haft verurteilt und 1954 aus dem Gefängnis entlassen.

29. Am 15. März 1939 besetzten deutsche Truppen die „Rest-Tschechei“, die zum „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ proklamiert wurde. Gestützt auf die deutsche Wehrmacht, übte ein „Reichsprotektor“ (Neurath) die oberste Gewalt aus. Formell bestand zwar auch weiterhin eine tschechische Regierung, die aber nur noch über beschränkte Kompetenzen verfügte und eine Marionette in den Händen der Besatzungsmacht war.

30. Czechs Warned on Their Holiday, in: New York Times, 28.10.1939.

31. Earl Russell Browder (1891–1973) wurde 1907 Mitglied der Sozialistischen Partei der USA, schloß sich aber 1912 der – von seinem späteren langjährigen Rivalen an der Spitze der amerikanischen KP, William Foster, geführten syndikalistischen Liga an. Im Gefängnis, wo er wegen seiner Opposition gegen die Beteiligung der USA am Ersten Weltkrieg einsaß, schloß er sich 1919 der damals gegründeten KP an. 1921 war er Delegierter beim Gründungskongreß der Roten Gewerkschaftsinternationale und stieg nach seiner Rückkehr in das Politbüro der amerikanischen KP auf. Später arbeitete Browder in der KI und in der RGI; u.a. leitete er 1927/28 das Pan-Pazifische Sekretariat der RGI in China. Nach seiner Rückkehr in die USA wurde er 1930 überraschend Generalsekretär der KP der USA, aus der soeben die „Rechten“ um Lovestone ausgeschlossen worden waren. Bis dahin in der Führungsgruppe der Partei nur von untergeordneter Bedeutung, hatte er sich durch bürokratische Effizienz und Gehorsam gegenüber der KI-Führung ausgezeichnet. Browders Name war nach 1934 eng mit der Wendung zur Volksfront verknüpft. Unter seiner Ägide unterstützte die Kommunistische Partei Roosevelt, was – nach einer zeitweiligen Unterbrechung während der deutsch-sowjetischen Allianz zu Beginn des Zweiten Weltkrieges – 1944 sogar dazu führte, daß auf Browders Antrag die Partei aufgelöst und in eine „Kommunistische Politische Assoziation“ umgewandelt wurde. Er trat offen für die „Beendigung“ des Klassenkampfes und eine Fortsetzung der „antifaschistischen Allianz“ über den Krieg hinaus ein. Als sich 1945 erste Differenzen zwischen den Siegermächten andeuteten, wurde er von der Sowjetunion fallengelassen und für die „opportunistischen Fehler“ verantwortlich gemacht. Im Februar 1946 wurde er aus der inzwischen neugebildeten KP ausgeschlossen. Mehrere Versuche zur Wiederaufnahme (u. a. eine Reise 1946 in die UdSSR, wo man ihn mit der Vertretung sowjetischer Geschäftsinteressen in den USA beauftragte) scheiterten. In der McCarthy-Ära zu Beginn der fünfziger Jahre vorübergehend verfolgt, widmete er sich später nur noch literarischer und Vortragstätigkeit.

32. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges proklamierte die Komintern zunächst eine „defätistische“ Linie, die sich aber nur auf die von der Sowjetunion als Kriegsverursacher gebrandmarkten Länder Großbritannien und Frankreich bezog. Diese Politik bedeutete keine Rückkehr zum „revolutionären Defätismus“, wie er im Ersten Weltkrieg von der Linken vertreten wurde, um den imperialistischen Krieg durch Revolution zu beenden, vielmehr sollte das Bündnis Stalins mit Hitler gefestigt werden. Die Komintern propagierte einen Frieden Englands und Frankreichs mit Nazi-Deutschland zu Hitlers Bedingungen. Pierre Frank charakterisierte diese Linie als „nicht-revolutionären Defätismus“. Die Komintern änderte ihre Politik schlagartig nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941; die kommunistischen Parteien stellten nun in den mit der UdSSR verbündeten Ländern jede Art von Klassenkampf-Propaganda zugunsten der „gemeinsamen“ Kriegführung der Alliierten gegen Hitler-Deutschland ein. (Vgl. Frank, Geschichte der Kommunistischen Internationale, Bd. 2, S. 709–729; Pietrow, Stalinismus, S. 270–295.)

33. Darin hieß es: „Rußland wünscht offenkundig, die Neutralität beizubehalten und die tatsächliche Teilnahme am Kampf zu vermeiden, aber es gibt Umstände – zum Beispiel die Gewißheit, daß eine oder beide Antikominternmächte, Italien und Japan, sich der Seite Britanniens oder Frankreichs anschließen –, die Rußland verlassen würden, an der Seite Deutschlands, das Rußland gleichzeitig zu sowjetisieren versuchen würde, in den Krieg einzutreten.“. (G.E.R. Gedye, Soviet Foreign Policy ... [Anm. 22]. Vgl. zu diesem Artikel auch den Leserbrief, den Trotzki an die New York Times richtete, engl. in Trotsky, Writings 1939–40, S. 106 f.)

 


Zuletzt aktualisiert am 8. Februar 2017