Clara Zetkin

Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart

* * *

I. Die Umwälzung in der wirtschaftlichen Stellung der Frau

[Die bisherige Abhängigkeit und Geringschätzung der Frau
als Folge der wirtschaftlichen Verhältnisse]

Von den Perioden der Völker abgesehen, wo der Frau das „Mutterrecht“ soziale Machtstellung einräumte, war die Lage des weiblichen Geschlechts stets die von Unterdrückten, von Menschen zweiten Grades, Wesen einer untergeordneten Gattung. Die Selbstsucht des Mannes, die brutale Gewalt der Stärkeren hielten die Frau und die Entwicklung ihres sozialen Einflusses in eiserne Ketten geschlagen, über welche die landläufige Heuchelei durch gefühlvoll poetische Firlefanzereien und durch leeres Phrasengebimmel von der „Würde der Hausfrau“ und dem Reichtum ihres inneren Lebens zu täuschen suchen.

Die Lage der Frau befand sich stets in Übereinstimmung mit der Lage der produktiv tätigen Masse des Volkes, wie diese war sie eine abhängige und rechtlose. Pflichten und Rechte der römischen „Matrone“ entsprachen im Wesentlichen denen der antiken Haussklaven. Die Stellung der mittelalterlichen „minniglichen Herrin“, der züchtigen Hausfrau, unterschied sich in Nichts von der ihrer leibeigenen Mägde. Die moderne Frau ist in Nichts besser, in vielem schlechter daran als der moderne Lohnarbeiter. Wie dieser ist sie ausgebeutet und rechtlos, ja in den meisten Fällen doppelt ausgebeutet und doppelt rechtlos.

Es kann dies nicht anders sein, denn die Stellung der Frau entspringt nicht aus gewissen ewig gültigen Ideen, aus einer unabänderlichen Bestimmung für den von sentimentaler Sehnsucht erfundenen „natürlichen Beruf des ewig Weiblichen“, sondern sie ist eine Folge der gesellschaftlichen, auf den Produktionsverhältnissen fußenden Zustände einer gegebenen Zeit. Diese Zustände, welche der Frau in den verschiedenen Geschichtsperioden aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten eine gewisse Stellung anweisen, ziehen dann ihrerseits zugleich gewisse Ideen groß über die gesellschaftliche Rolle des weiblichen Geschlechts, Ideen, die einfach den Zweck haben, das tatsächlich Bestehende zu beschönigen, als ewig notwendig zu erweisen und zum Nutzen derer, denen die herrschenden Verhältnisse zu Gute kommen, aufrecht zu erhalten.

Die gesellschaftlich untergeordnete Stellung der Frau stammt aus der Zeit, wo der erobernde Krieger das geraubte Weib zu seinem ersten Privateigentum, zu seinem vorzüglichsten Arbeitsinstrument, seiner vornehmsten Produktivkraft machte, wo er es – unter dem Vorwande des Schutzes während der Schwangerschafts- und Stillungsperiode – übernahm, die Sorgen für die gemeinsame Existenz, die Beziehungen zu der Umgebung allein zu tragen. Der Mann legte damit den Grund zu der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abhängigkeit der Frau, den Grund auch zu der sich vollziehenden widersprüchlichen Teilung der Arbeit in eine (erobernd-)erwerbend-verteidigende und eine produktiv-erhaltende Tätigkeit, von denen erstere dem Manne, letztere der Frau zufiel. Es war dies der Keim zu dem eigentlich längst überlebten, aber festgewurzelten Vorurteile, dass „die Welt das Haus des Mannes, das Haus die Welt der Frau sein solle.“

Sitte und Religion zögerten nicht, das, was die Gewalt geschaffen, durch den Schein eines ewigen Rechts zu heiligen. Die Schwäche und Rückständigkeit der Frau ward im Laufe der Jahrhunderte zu einem gesellschaftlichen Dogma, zu einer unumstößlichen Grundanschauung erhoben, auf der sich ein ganzes System der körperlichen, geistigen und moralischen Unterdrückung aufbaute. Sehr viel hat auch das Christentum zur Verkrüppelung und Knechtung des weiblichen Geschlechts beigetragen. Von dem Märchen des Sündenfalles durch Evas Schuld, von der Lehre der Askese (der sinnlichen Enthaltsamkeit), welche die Frau als das sündhafte, teuflische Prinzip, als das mächtigste Hindernis auf dem Wege der Gottseligkeit erschienen ließ, wurde die Unwürdigkeit, der geringere Wert des Weibes hergeleitet, damit zugleich die Pflicht von deren Gehorsam dem Manne gegenüber.

Wie die teleologische Weltauffassung den Ochsen zu dem Zwecke vom Schöpfer hatte erfinden lassen, dass der Mensch Beefsteaks essen und rindslederne Stiefel tragen konnte, so kannten die weisen Philosophen und Gesetzgeber für die Entwicklung und Rolle der Frau keinen anderen Zweck als zur Annehmlichkeit des Menschen par excellence, d. h. des Mannes da zu sein, die Rolle fortzupflanzen und Haussklavendienste zu leisten.

Die gesamte Entwicklung der Frau strebte einseitig und ausschließlich auf das eine Ziel zu: die unter dem Schutz und der Verantwortung des Mannes geübte Tätigkeit in und zu Gunsten der Familie.

Innerhalb dieser eng begrenzten Sphäre war die Frau die vornehmste Produktivkraft des gemeinsamen Haushalts, sie war mit Aufgaben überlastet, welche auf das Gedeihen und die Entwicklung der Familie hinzielen; sie erhielt jedoch nur die Pflichten ihrer Stellung zuerteilt, nicht deren Rechte. Der Mann war sozusagen der verantwortliche Familien-Unternehmer, welcher die Arbeitskraft des Weibes um den Preis von dessen lebenslänglicher Erhaltung ausbeutete.

So lange die Produktion nun auf die alten, unvollkommenen Arbeitsmittel angewiesen war, konnte die Frau den Kreis ihrer Tätigkeit nicht erweitern. Sie war durch die primitive Teilung der Arbeit an das Haus gefesselt worden, sie blieb durch die Art und Weise der Produktion an dasselbe gefesselt. Die alte Produktion war so mühevoll, zeitraubend und wenig ausgiebig, dass Zeit und Kraft der Frau von der Herstellung der meisten für den Familienunterhalt notwendigen Gebrauchsartikel voll und ganz in Anspruch genommen ward. Das Ansehen, welches der alten Hausfrau trotz ihrer öffentlich rechtlosen Stellung gezollt ward, erklärte sich darum auch aus wirtschaftlichen Gründen und war durchaus gerechtfertigt; es galt nicht der Frau als solcher, sondern der hervorragenden, unentbehrlichen Arbeitskraft in der Familie, welche Güter erzeugte, die von anderen Kräften damals nicht erzeugt werden konnten.

In den letzterwähnten Verhältnissen liegt der tief greifende, wesentliche Unterschied zwischen der Rolle der Hausfrau von ehemals und von heute. Die bescheidene Rolle der ersteren ward durch das Vorhandensein der alten wirtschaftlichen Lebensbedingungen gerechtfertigt, die Rolle der letzteren ist längst schon zu einem wirtschaftlichen Anachronismus geworden, dem jede Berechtigung fehlt, da mit der Veränderung der Produktionsweise dem Manne und der Frau ganz andere Rollen draußen im Wirtschaftsleben und drinnen in der Familie zufallen.

Die unentbehrliche Erzeugung von Konsumartikeln durch die weibliche Produktionskraft innerhalb der Familie ist auch die Ursache, weshalb es früher keine Frauenfrage gab und keine geben konnte, so lange die alten Produktionsbedingungen in Kraft standen. Es konnte früher wohl von einer gradweisen Hebung der Lage der Frau in dem oder jenem Sinne die Rede sein, aber nicht von einer Frauenfrage im modernen Sinne des Wortes, von einer Erschütterung der ganzen Grundlage ihrer Stellung, da mit derselben das ganze damalige Leben, die ganze damalige „Kultur“ bis ins Innerste erschüttert worden wäre. Die Frauenfrage ist vielmehr wie die moderne Arbeiterfrage ein Kind der durch die Anwendung von mechanischen Werkzeugen, von Dampfkraft und Elektrizität revolutionierten Industrie, der Großproduktion. Sie ist weder eine politische noch sittliche Frage (obgleich sie politische und moralische Elemente in sich schließt), sondern eine ökonomische Frage.

Die Frau musste als Haussklavin an ihren alten Kreis gefesselt bleiben; der Gedanke an ihre Emanzipation konnte nicht aufkommen, bis nicht die Maschine als Heiland auftrat und mit dem Dröhnen und Stampfen ihres Räderwerks das Evangelium von der Menschwerdung, der wirtschaftlichen Verselbständigung der Frau verkündete. In dem Maße, als sich die moderne Industrie entwickelte, als sie durch Dampf und Mechanik die Produktion leichter, schneller und ausgiebiger, die Produkte billiger machte, musste der Frau ein Zweig ihrer alten produktiven Tätigkeit im Hause nach dem anderen entzogen werden.
 

[Die Großindustrie und die Umwälzungen in der wirtschaftlichen Stellung der Frau,
ihre wachsende Loslösung von der Familientätigkeit]

Schritt für Schritt mit der Haus- und Kleinindustrie musste auch die Familienindustrie der Frau zu Grunde gehen. Die Großproduktion lieferte alle Bedarfsartikel des Haushaltes zu so billigen Preisen, dass sich deren Erzeugung innerhalb der Familie mittels der unvollkommenen Werkzeuge der Zwergwirtschaft, als eine Vergeudung von Zeit und Kraft herausstellte. Die Rolle der Hausfrau aus der guten alten, großmütterlich-idyllischen Zeit verlor damit ihre wirtschaftliche Bedeutung und Berechtigung. Ohne jede „Wühlerei Dritter“ ist die für den Hausbedarf Werte erzeugende „gute alte Hausfrau“, welche ihre Seife kocht, ihre Lichte zieht, ihren Essig aus Fruchtabfällen gewinnt, welche spinnt, webt, färbt, schneidert, strickt, häkelt, stickt, bäckt und schlachtet, immer mehr zu einer kulturgeschichtlichen Merkwürdigkeit zu einer wirtschaftlichen Versteinerung geworden. Textilindustrie und Konfektionsgeschäfte sorgen für alle Bekleidungsgegenstände, große Konsumgeschäfte entheben die Frau der Vorbereitung und vielfach auch der Zubereitung von Mundvorräten, des Einmachens der Früchte und Gemüse, des Einsalzens des Fleisches etc., Die moderne Industrie liefert dank der Großproduktion alle Gebrauchsgegenstände zu einem Preise, der oft hinter demjenigen zurücksteht, mit dem die Frau das Rohmaterial zahlt, dem sie dann ihre Kraft und Zeit zur Herstellung noch zusetzen müsste. Das Waschen und Plätten der Wäsche in der Hand von Spezialistinnen ist zu einer, mehr oder weniger im Großen und mittels Maschinen betriebenen Industrie geworden, und die wirtschaftliche Fortentwicklung arbeitet darauf hin, selbst die Herstellung und Fertigstellung der Nahrungsmittel aus der Familie in die Gesellschaft zu verlegen.

Viele vor hundert Jahren noch unbekannte Industriezweigen, eine Anzahl mechanischer Werkzeuge haben der Frau bereits einen großen Teil der Küchenarbeit abgenommen, und die Errichtung großer gemeinsamer Dampfküchen, die Einführung von Zentralheizung und Zentralbeleuchtung wird die angebahnte Emanzipation vom Kochtopfe zu Ende führen.

Die Entwicklung der Produktionsmittel zerstörte also die ökonomische Basis für das Wirken der Frau innerhalb der Familie, zugleich schuf sie aber auch die Bedingungen für die Tätigkeit der Frau in der Gesellschaft, draußen auf dem „Markt des Lebens“.

Die Frau der Bourgeoisie verwendete, als der „Haushalt“ nicht mehr den reichen Inhalt hatte wie früher, ihre freigewordene Zeit nach und nach ausschließlich auf Vergnügungen und Genüsse, ausnahmsweise auch auf ernste geistige Beschäftigungen, auf Aneignung einer gründlichen Bildung, auf Übung des Wohltätigkeitssports. Im Allgemeinen spielt sie im gesellschaftlichen Leben seit der großen Umwälzung der ökonomischen Bedingungen die Rolle eines Luxusartikels, eines Lusttiers.

Die Frauen und Mädchen des Mittelstandes wurden durch den Zusammenbruch ihrer alten Existenzbedingungen auf den Erwerb hingewiesen; sie wandten sich, wenn irgend möglich, den so genannten liberalen Berufen (der Lehrtätigkeit, der Krankenpflege usf.) und den Industrien zu, welche an die Kunst streifen. Es war nicht der Wissensdrang, nicht die plötzlich den blinden Augen aufgegangene Erkenntnis von der geistigen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, welche die Bildungsbewegung der Frauen erzeugte; es waren im Wesentlichen die umgewandelten ökonomischen Verhältnisse, die Frage nach dem Stück Brot, das für den Fall gesichert werden musste, wo sich nicht in der Gestalt eines Mannes ein Ernährer fand. Die Bildungsbewegung der Frauen hat sich Schritt für Schritt und parallel mit dem Untergange des Mittelstandes entwickelt.

Für die Masse der Frauen, für die Frauen der besitzlosen Kreise, führten die nämlichen ökonomischen Verhältnisse, welche die bisherige Sphäre ihrer Tätigkeit zerstörten, zu einem neuen Wirkungsfelde in der Industrie.

Damit ward die Tätigkeit der Frau endgültig aus dem Hause in die Gesellschaft verlegt.

* * *

Anfangs war es die Aussicht auf den verhältnismäßig höhern Verdienst, auf die leichtere Tätigkeit, welche die Frau in die Fabrik zog, bald wurde sie aber von der eisernen Notwendigkeit mitten in das industrielle Leben hineingeschleudert und darin festgehalten.
 

[Die Frau erhält zum ersten Male die Fähigkeit
eines vollständig selbstständigen Lebens]

Jede neue Erfindung, jede der Technik und Wissenschaft verdankte Verbesserung der industriellen Arbeitsweise erleichterte es, auch schwache Frauen zu beschäftigen, und machte andererseits menschliche Arbeitskraft überflüssig, schuf die industrielle Reservearmee der Arbeitslosen und drückte dadurch die Löhne stetig tiefer herunter. Der Lohn des Mannes reichte nicht mehr aus, den Unterhalt der Familie zu sichern, er deckte oft kaum den notwendigen Bedarf des ledigen Mannes. Der Unterhalt der Familie forderte sehr bald, dass der Erwerb der Frau zum Verdienst des Mannes ergänzend hinzutrat, Die Tätigkeit der Frau ward von einer ersparenden zu einer erwerbenden, die Frau selbst erhielt damit aber die Fähigkeit auch ohne den Mann zu leben, sie gab der Frau zum ersten Male die Fähigkeit eines vollständig selbständigen Lebens.

Die neuen Produktionsverhältnisse hatten also nicht bloß die wirtschaftliche Grundlage der bisherigen weiblichen Tätigkeit (in der Familie) zerstört, sie zersetzten zugleich damit auch die gesellschaftliche, die öffentliche Stellung, welche der Frau früher zukam, sie wälzten die alte, auf die Vorherrschaft des männlichen Oberhauptes begründete Familie um. Das vom häuslichen Herd umschlossene Wirken der Frau hatte bisher die Familie zusammen gehalten, die in die Fabrik verlegte Tätigkeit der Frau vernichtete das übliche Familienleben, legte aber auch den ersten Grundstein zu der ökonomischen Unabhängigkeit, damit überhaupt zu der Emanzipation des weiblichen Geschlechts.

Wie stets, so hinken auch in diesem Falle die gesellschaftlichen Einrichtungen, die Ideen der Menschen weit hinter den neuen ökonomischen Tatsachen her. Die Revolution, welche sich in der wirtschaftlichen Rolle und Stellung der Frau bewerkstelligt hat, ist vollzogene Tatsache, die Revolution in der politischen und rechtlichen Stellung der Frau lässt noch auf sich warten. Die durch die Produktionsverhältnisse ökonomisch unabhängig vom Manne gemachte Frau steht politisch und gesellschaftlich noch unter dessen Vormundschaft und rechtlos da.

Die fernere Entwicklung der Industrie arbeitete in der eingeschlagenen Richtung weiter. Jede Vervollkommnung der Produktionsmittel entriss Tausende von Frauen dem häuslichen Herde und führte sie der Industrie zu. Die Frau produzierte nicht mehr für den Gebrauch ihrer Familie, sondern für den gesellschaftlichen Markt.
 

[Die Frau als billige Arbeitskraft]

Die industrielle Frauenarbeit ward bald zu einer mächtigen ökonomischen Kraft, mit welcher der Kapitalist gern rechnete. Schon durch das bloße neu hinzukommende Angebot der weiblichen Arbeitskraft musste ein Überwiegen des Angebots über die Nachfrage geschaffen, mussten die Löhne heruntergedrückt werden. Doppelt und dreifach müssten dieselben aber in Folge der weiblichen Konkurrenz sinken, da die weibliche Arbeitskraft meist von vornherein zu bedeutend niedrigeren Preisen feil war. Ursache davon war das geringe Ansehen, in welchem die bisherige, nichtverdienende Tätigkeit der Frau stand und stehen musste, seitdem deren Produkte im Verhältnis zu den mechanisch produzierten Erzeugnissen der Großindustrie nur ein geringes Quantum gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit repräsentierten und damit den Trugschluss auf die geringe Leistungsfähigkeit der weiblichen Arbeitskraft zuließen. Ursachen waren ferner die größere Bedürfnislosigkeit der Frau, der Umstand, dass die Frau öfters durch ihren Erwerb nicht die gesamten, sondern nur einen Teil ihrer Unterhaltskonten zu decken brauchte, die Aussicht auf die nebenher weiter geübte häusliche Arbeit.

Last not least erwies sich die Frau nicht nur als eine billige, sondern in Folge ihrer geringen Einsicht in die Verhältnisse, des mangelnden Solidaritätsgefühls, des geringen Selbstgefühls, der bisher erduldeten Knechtschaft als eine bequeme und gefügige Arbeitskraft. Für viele Industriezweige oder Verrichtungen war die Frau außerdem geschickter und brauchbarer als der Mann.

So war es nicht zu verwundern, dass die bis dahin übersehene und nebensächlich behandelte Frau dem Manne auf industriellem Gebiete als Konkurrentin gegenüber trat, als eine Konkurrentin, die um so mehr zu fürchten war und ist, je entbehrlicher die Maschine die robuste Arbeitskraft macht. Überall wo die Frauenarbeit in der Industrie auftritt, unterliegt sie dem Fluche, die Löhne des Mannes zu drücken, den Mann womöglich ganz aus dem betreffenden Gewerbszweige zu vertreiben. Die Frauenarbeit erfährt dann wiederum ihrerseits die Konkurrenz der Kinderarbeit, und alle menschliche Arbeit zusammen hat gegen die Maschinenarbeit einen furchtbaren Kampf auszuhalten. Die Produktionsverhältnisse müssen unbarmherzig diese Wirkung haben, solange die Produktion nicht zum Zwecke der Befriedigung der Bedürfnisse der Arbeiter selber, sondern zum Herausschlagen von Mehrwert, von Profit für einzelne Unternehmer, nicht für den Gebrauch, sondern für den Verkauf geschieht, so lange es sich für sie nur darum handelt, so billig als möglich zu produzieren und so teuer als möglich zu verkaufen. Die moderne, unter der Herrschaft des Privateigentums geschehende Produktion muss die Frauenarbeit gegen die Männerarbeit ausspielen, um den Preis der letzteren und der Arbeit überhaupt herabzudrücken – zum größeren Nutzen der maßgebenden Privateigentumsbesitzer.
 

[Die reaktionäre Forderung der Abschaffung der Frauenarbeit]

Aus diesem Grunde sich der industriellen Frauenarbeit widersetzen, die Frau ans Haus zurückfesseln zu wollen, das heißt gerade so töricht und vergebens handeln wie jene englischen Arbeiter, welche die Konkurrenz der Maschinen durch Zerstörung von Maschinerie und Fabriken für immer zu beseitigen gedachten. Die Abschaffung oder auch nur eine Beschränkung der Frauenarbeit (gewisse für Gesundheit der Frau und der Nachkommenschaft schädliche Fälle ausgenommen) auf bestimmte Berufszweige anzustreben, das heißt das Rad unserer Entwicklung zurück drehen und eine grenzenlose Verständnislosigkeit der ökonomischen Verhältnisse an den Tag legen. Die ökonomischen Tatsachen kümmern sich den Teufel um das, was wir wünschen, sie fragen nicht danach, ob Hinz oder Kunz in sentimentaler Verzopftheit die Frau ans Haus gebunden, ökonomisch von sich abhängig, politisch und rechtlich geknechtet wissen will. Die Produktionsbedingungen kennen keine sentimentalen, persönlichen Rücksichten, sie kennen nur ökonomische Notwendigkeiten, die unabwendbar wie Naturgesetze sind. Und diesen Notwendigkeiten entsprechend, muss die Frau trotz aller spießbürgerlichen Heulmeierei industriell tätig bleiben, ja der Kreis ihrer industriellen Tätigkeit muss sich täglich weiter ausbreiten und befestigen. Kraft der ökonomischen Bedingungen kann der Kapitalist ebenso wenig wie der Mann auf die industrielle Frauenarbeit verzichten. Je mehr der Erstere durch die Konkurrenz auf dem Weltmarkte, bei Strafe seines Ruins, zur möglichst billigen Produktion gezwungen ist, je mehr die Löhne im Allgemeinen sinken, um so weniger ist auch der Mann im Stande, allein für die Existenz der Frau und der Kinder aufzukommen, um so mehr wird die erwerbende Tätigkeit der Frau zur unabänderlichen Notwendigkeit.

Übrigens wohnt der Frauenarbeit so wenig wie der Maschinenarbeit von Natur aus die Tendenz inne, die Löhne zu vermindern. Die – wenn man so sagen will – „natürliche“ Tendenz beider ökonomischen Kräfte läuft vielmehr darauf hinaus, für jedes Individuum den Aufwand gesellschaftlich notwendiger Arbeit zu vermindern.

Das Sinken der Löhne entspringt nicht aus dem Wesen der Frauen- und Maschinenarbeit, es ist lediglich eine Folge der gegenwärtig bestehenden Aufrechterhaltung des Privateigentums. Lediglich die kapitalistische Ausnutzung hat zwei ökonomische Kräfte für die Gegenwart zu einem Fluch, zu einem Mittel der Verschlimmerung der Arbeiterlage gemacht, die für die Zukunft ein Segen sein werden, welche die Elemente bilden, aus denen eine neue und bessere Ordnung der Dinge gezeugt wird.

Wie die Maschine den Menschen dadurch befreit, dass sie durch die leichtere und zeitersparende Arbeit, durch Vervielfältigung der Produkte eine höhere Gesellschaftsordnung möglich macht, so schafft die Frauenarbeit das wirtschaftliche Fundament, ohne welches die Befreiung und Gleichstellung des weiblichen Geschlechts ein Ding der Unmöglichkeit ist. Die Frau, die sich gesellschaftlich-produktiv dem Manne ebenbürtig weiß, die sich ökonomisch ganz auf eigene Füße stellen kann, muss auch politisch und rechtlich demselben gleichgestellt werden. Es handelt sich bei Stellung der Frau nicht darum, die gegenwärtigen ökonomischen Zustände den herrschenden öffentlichen Einrichtungen und Ideen anzupassen, welche noch auf den ökonomischen Verhältnissen der Vergangenheit fußen; es kommt vielmehr darauf an, die Gesellschaftsformen den neuen ökonomischen Zuständen anzupassen. Sowie dies durch die Vergesellschaftung des Eigentums, durch die genossenschaftliche Produktion geschehen ist, hat die Frauenfrage wie die Arbeiterfrage ihre Lösung gefunden, der Konflikt zwischen Menschen- und Maschinen-, zwischen Frauen- und Männerarbeit hört dann mit einem Schlage auf, weil der Konflikt zwischen Produktionsweise und Aneignungsform ein Ende gefunden hat. Maschinen- und Frauenarbeit gehorchen dann nur ihrer natürlichen Tendenz, die gesellschaftlich notwendige Arbeit zu erleichtern und für jedes Individuum auf ein mit dem Wohle der Allgemeinheit verträgliches Minimum zu beschränken.

Die Frauenarbeit abschaffen oder auch nur beschränken wollen, das läuft darauf hinaus, die Frau zu dauernder ökonomischer Abhängigkeit, zur gesellschaftlichen Knechtung und Ächtung, zur Prostitution in- und außerhalb der Ehe zu verurteilen, es läuft aber auch darauf hinaus, den Mann mit dem doppelten Arbeitsquantum zu belasten und ihn dadurch ebenfalls einer größeren Abhängigkeit als notwendig preiszugeben.

Geradezu unbegreiflich ist es, wenn noch, allerdings bereits seltener, von sozialistischer Seite die Abschaffung und Beschränkung der Frauenarbeit gefordert wird. Das Verlangen ist um kein Jota weniger reaktionär als die Bestrebungen zur Rettung des Handwerks, der Kleinindustrie, des Mittelstandes, für Wiederherstellung der Zünfte.

Will man den üblen, verhängnisvollen Folgen vorbeugen – oder dieselben wenigsten mildern – von denen die Frauenarbeit in der Gegenwart wie das Licht vom Schatten begleitet ist, so darf man die Interessen der männlichen und weiblichen Arbeit einander nicht feindselig gegenüberstellen, sondern man muss beide mit einander vereinigen und in geschlossener Masse, als Arbeiterinteressen überhaupt, den kapitalistischen Interessen gegenüberstellen.

Von dem Tage an, wo die Frau das Joch der ökonomischen Abhängigkeit vom Manne abwarf, geriet sie unter die ökonomische Botmäßigkeit des Kapitalisten. Sie befindet sich also ökonomisch genau in derselben Lage wie jeder männliche Lohnarbeiter, sie leidet unter den gleichen Missständen wie er, sie teilt seine Interessen, seine Forderungen. Es liegt z. B. durchaus nicht in ihrem Interesse, dass sie zu dem denkbar niedrigsten Lohn arbeitet und dadurch den Preis der Männerarbeit drückt. Auch ihren Interessen ist durch den höchstmöglichen Lohn gedient. Um die lohndrückende Konkurrenz der Frauenarbeit zu vermeiden oder wenigstens zu beschränken, braucht nicht die Abschaffung der Frauenarbeit gefordert zu werden.

Soll sich aber die Industrialisierung der Frau nicht in einem feindseligen Gegensatze zu den Interessen des männlichen Proletariats durchsetzen, so ist es von der höchsten Wichtigkeit, dass die Industriearbeiterin organisiert, ökonomisch und politisch aufgeklärt wird, damit sie sich in klarer Erkenntnis der Verhältnisse an das aufstrebende und ringende sozialistische Proletariat anschließt. Die Bedeutung, ja die Notwendigkeit dieses Vorgehens ist bis in die letzte Zeit vielfach übersehen worden.

Die Organisation und Aufklärung der Arbeiterinnen, der Kampf für ihre ökonomische und politische Gleichberechtigung ist nicht nur wünschenswert für die sozialistische Bewegung, sie ist und wird immer mehr zu einer Lebensfrage für dieselbe, je mehr die Fortentwicklung der Industrie den Mann aus der Produktion verdrängt, je riesiger das Heer des weiblichen Proletariats anschwillt. Eine sozialistische Bewegung, die nicht nur von dem männlichen Proletariat, sondern von den Millionen der Industriearbeiterinnen getragen wird, muss doppelt schnell zum Sieg, zur politischen und wirtschaftlichen Befreiung der gesamten Arbeiterklasse führen.

 


Zulatzt aktualisiert am 2 August 2024