Clara Zetkin

Keinen Kahn und keinen Groschen

(31. März 1897)


Quelle: Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Stuttgart, Nr. 7, 31. März 1897.
Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 112–117.
Kopiert mit Dank von der Webseite Sozialistische Klassiker 2.0.
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Die seit langem die Luft der Politik durchschwirrenden Gerüchte von den „uferlosen Flottenplänen“ haben sich nun zu bestimmten Forderungen der Regierung verdichtet. Was diese für den Ausbau der Kriegsmarine heischt, das würde für die Jahre 1897 bis 1901 allein schon eine Ausgabe von 328 Millionen Mark verursachen. Und hinter dieser Summe marschieren andere Hunderte und aber Hunderte von Millionen Mark für weitere Panzerschiffe, Kreuzer, Torpedos usw. heran. Was kümmert mich das? ruft vielleicht die eine oder andere Frau aus, die noch den herkömmlichen „echt weiblichen“ Abscheu vor der Politik bewahrt hat und „zarten Gemüts“ die öffentlichen Angelegenheiten als Dinge erachtet, die ihr durchaus fern liegen. Gemach, gemach, Proletarierin! Ein wenig Geduld, und du wirst einsehen, dass Panzerschiffe und Kanonenboote Dinge sind, welche dich sogar ungemein viel kümmern. Denn auch aus deinem mageren Beutelchen wird Groschen auf Groschen genommen, auf dass die Hunderte von Millionen zusammenkommen, die, für die Kriegsflotte verausgabt, ehrgeizig-phantastische Träume von Deutschlands „Weltherrschaft“ verwirklichen sollen. In den stahlgepanzerten Schiffsungetümen, welche des Deutschen Reiches Überlegenheit anderen Nationen mit Kanonenkugeln schwersten Kalibers zum Bewusstsein zu bringen bestimmt sind, steckt ein Stück deiner Arbeit, deiner Sorgen, deiner Entbehrungen. Die Torpedos vollkommenster, das heißt zerstörungs- und mordkräftigster Konstruktion werden gebaut auf Kosten des Brotes und der Bildung deiner Kinder, auf Kosten der Überanstrengung deines Mannes. Die Herren, die von Deutschlands Weltmachtstellung zur See schwärmen, die in Gestalt einer höchstentwickelten Flotte des Mittels begehren, sich in die politischen Händel an den entferntesten Punkten der Erdkugel einzumischen, sie zahlen die Panzerkolosse, Avisos usw. nicht aus ihrer Tasche, obgleich diese recht groß und recht gut gefüllt ist. Auch der flotten- und schlachtfrohe Staatssekretär von Hollmann holt nicht aus seinem Säckel einen ansehnlichen Beitrag zu den geforderten Millionen heraus. Dass bei den marinebegeisterten Herren von Kardorff [Freikonservative], Hammacher [Nationalliberale] und ihren Parteifreunden die Erkenntnis der „patriotischen Pflicht“ stets sich nur auf das Bewilligen von Regierungsforderungen erstreckt und nie auf das Begleichen der Rechnung dafür ausdehnt, „ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu“.

Wer also ist es, der für die geforderten 328 Millionen aufkommen muss, in naher Zukunft für weitere 166 Millionen, die hundert Millionen nicht gerechnet, welche schon jetzt die Kriegsmarine jährlich Deutschland kostet? Das ist in der Hauptsache die breite Masse des werktätigen Volkes, Proletarierin; das ist auch dein Mann, der so angestrengt schanzt und so wenig erwirbt; das bist du, die du so schwer schaffst und noch schwerer sorgst; das sind deine Kinder, die jung arbeiten und von Geburt an entbehren müssen. Die Tausende von Millionen, die das Deutsche Reich für Heer und Flotte verausgabt, werden nicht aufgebracht durch Steuern vom Vermögen, vom Einkommen. Nicht im Verhältnis zu dem Umfange ihres Geldsacks, zu dem Inhalt ihres diebs- und feuersicheren Kassaschranks tragen die Mark- und Talermillionäre zu ihnen bei. Diese Riesensummen fließen zum überwiegenden Teil aus dem Ertrag der indirekten Steuern und Zölle zusammen. Diese belasten die unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse, deren auch der Habenichts nicht entraten kann, und verteuern sie künstlich.

Dank der indirekten Steuer muss die Hausfrau das Pfund Salz mit sechs Pfennig teurer bezahlen, der Zoll steigert den Preis des Pfundes Kaffee um zwanzig Pfennig; Mehl, Brot, Zucker, Schmalz, Petroleum, Seife, Zwirn, Stoffe, Nadeln, kurz alles, was die proletarische Hausfrau für die Wirtschaft, die Arbeiterin für ihren Unterhalt bedarf, was ihr Arbeitsmittel ist: es ist verzollt und versteuert und deshalb teurer. So greift der Staat in die Taschen der Armen und Ärmsten und zwingt sie, für die „Großmachtstellung des Reiches“ nicht bloß zu zahlen, sondern den Löwenanteil zu zahlen.

Merkst du nun, Proletarierin, welches Interesse du daran hast, dass für den Bau weiterer Panzerschiffe, die Anschaffung neuer Schiffskanonen und anderer im Seekriege dienender Mordwerkzeuge der vervollkommnetsten Art nicht weitere Hunderte und Hunderte von Millionen im buchstäblichsten Sinne des Wortes ins Wasser geworfen und verpulvert werden? Oder hättest du vergessen, wie ärmlich deine Lage ist, welch düstere Schatten tagtägliche Sorgen auf dein Leben werfen? Das kannst du nicht, denn welcher der Tag, denn welche die Stunde, wo du die Bitternisse deines Loses nicht empfändest?

Du bist sparsam, wirtschaftende Hausfrau, die Not zwingt dich, es zu sein. Schmal bemessen ist das Wirtschaftsgeld, das der Mann dir jede Woche oder alle vierzehn Tage in die hartgearbeitete Rechte drückt. Und die Familie ist zahlreich, vielerlei sind die Bedürfnisse, die du decken musst. Du darbst dir den Bissen am Munde ab, damit die Kleinen nicht hungern. Auch ohne die berühmten Kochrezepte bürgerlicher „Wohltäter“ verstehst du die Kunst, aus Knochen und Abfällen „Kraftbrühe“, aus Resten ein neues Gericht zu bereiten. Du bist Meisterin, wenn es gilt, aus dem abgelegten Rocke des Vaters ein Jäckchen für den Knaben zusammenzuschneidern; auch dem Schuhmacher pfuschst du gelegentlich ins Handwerk. Und trotz alledem wälzt sich Sorge auf Sorge an dich heran, trotz alledem bist du blutenden Herzens Zeuge, wie viel die Deinen entbehren müssen, und nicht etwa das Überflüssige, nein, das Nötige.

Seufzend gedenkst du des Töchterchens, das mit durchlöcherten Schuhen zur Schule geht, und die Witterung ist nicht barmherzig: Regen und Schnee fällt ohne Rücksicht auf proletarischer Kleinen zerrissenes Schuhwerk. Wie brennend schmerzt es dich, dass du außerstande bist, dem blassen, hohlwangigen Mann die vom Arzte verordnete kräftige Kost reichen, ab und zu für ihn ein gutes Beefsteak, ein Glas stärkenden Weins auf den Tisch bringen zu können! Winzig sind die Fleischportionen, die du aufträgst, und es fehlt nicht an Mahlzeiten, wo ein Stück „Hottehü“ oder ein paar Heringe den „Braten“ ersetzen. „Es geht nicht, dass wir besser leben, dass wir kräftig und genug essen, dass wir uns gut kleiden, dass wir gesund und gemütlich wohnen“, klagst du. „Es ist alles so teuer.“ Jawohl, alles, was das Leben gesund, angenehm, schön, bequem, inhaltsreich zu gestalten vermag, es ist zu teuer für deine Armut, und das Unentbehrlichste verteuert dir der Staat noch künstlich durch Abgaben.

Du bist Arbeiterin. Nach langen Stunden schwerer Fron erhältst du deinen sauer verdienten Lohn ausgezahlt. Er ist gar karg, und doch muss er dir ausreichen, deine gesamte Existenz zu bestreiten. Und im Verhältnis zu den paar Pfennigen, die du für deines Lebens Notdurft verausgaben darfst, ist alles so teuer! Von der Zichorienbrühe an, die dir die Vermieterin der Schlafstelle des Morgens kredenzt, bis zur Schmalzstulle, die oft dein ganzes Abendbrot bildet. Und der Staat hat dir alles, alles durch Zölle und Steuern noch mehr verteuert.

Die Folge davon, Proletarierin? Magst du wirtschaftende Hausfrau oder erwerbstätige Arbeiterin sein, diese künstliche Verteuerung zwingt dich, zwingt die Deinen zu darben. Je mehr der Staat durch seine Zölle und Steuern die Preise in die Höhe treibt, um so winziger ist die Kaufkraft deines schwindsüchtigen Portemonnaies, um so dürftiger musst du leben, um so härterer Mangel tritt an die Deinen heran, um so schwieriger gestaltet sich der Kampf für eure Existenz. Und da sollte es dich nicht kümmern, wenn die Regierung mehr Panzerschiffe, mehr Torpedos, mehr Kanonen fordert? Was denn bedeutet diese Forderung? Dass diese kunstreichen, glänzenden Dinger bezahlt werden müssen vom Volke, dass die Steuerlasten wachsen, dass die Welt der Arbeit den Schmachtriemen fester anzuziehen gezwungen ist. Und du, Proletarierin, hättest dein gerüttelt und geschüttelt Maß der neuen Lasten in Gestalt vermehrter Sorgen und ärmlicherer Lebenshaltung zu tragen.

Und warum? Etwa weil im Interesse „der Größe und Würde des Vaterlandes“ der Staat dafür sorgt, dass es nicht mehr Greise und Greisinnen im Lande gibt, deren einzige Zuflucht am Lebensabend das Spittel oder das Armenhaus ist, wenn nicht gar der Straßengraben? Dass nicht mehr Kinder zu Tausenden und Hunderttausenden heranwachsen, deren reiche Fähigkeiten verkümmern, weil die Armut der Eltern ihre Entfaltung mit eisernem Druck darnieder hält? Dass nicht mehr Familien existieren, die in den ungesündesten Löchern in drangvoll fürchterlicher Enge zusammengepfercht hausen? Dass die Masse in wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, die ihr nicht bloß das Brot verbürgen, vielmehr auch eine hohe Entwicklung der geistig-sittlichen Persönlichkeit, der Freiheit?

Mitnichten, Proletarierin. Man sinnt dir an, unter dornenreicheren Sorgen zu schaffen, eine kümmerlichere Existenz mit deiner Familie zu fristen, damit sich der Militarismus auch auf dem Gebiete der Marine zum alles verzehrenden Ungeheuer auswachsen kann.

Wie erklärte doch der Staatssekretär von Hollmann vor der Reichstagskommission? „Die Marine soll nicht im Hafen liegen und sich verkriechen, sondern sich schlagen.“ Das Schlagen, die Schlachten, das ist des Pudels Kern.

Über alle Tagesinteressen hinaus hast du, Proletarierin, gerade deshalb einen dauernden zwingenden Grund, gegen die erhobene Forderung mit aller Schärfe zu protestieren. Denn der Militarismus, der von den Besitzenden und Gewalthabern auf Kosten des Volkswohls großgezogen wird, er ist bekanntlich der Heiland, von dem die bürgerliche Gesellschaft die Rettung vor dem „inneren Feind“ erhofft. Der „innere Feind“ aber, Proletarierin, du weißt es wohl, das ist dein Mann, das sind deine Kinder, deine Brüder und Schwestern, das bist du selbst, dafern ihr alle, die ihr säet, ohne zu ernten, für euer Recht in Gegenwart und Zukunft kämpft. Nicht nur die Rücksicht auf deine Armut, der Hinblick auf deine Befreiung, auf die Befreiung deiner Klasse macht dir deshalb zur heiligen Pflicht, auf die Forderung der Flottenschwärmer mit der Sozialdemokratie zusammen zu antworten: „Für diese Marine keinen Kahn und keinen Groschen.“


Zuletzt aktualisiert am 13. August 2024