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Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Nr. 8, 13. April 1898.
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Die vom Zentrum eingebrachte lex Heinze hat über die Sittlichkeit und ihre Hebung im Parlament und in der Presse wieder einmal Erörterungen ausgelöst, in denen uns auf bürgerlicher Seite recht vielfach Ehrlichkeit gepaart mit Beschränktheit entgegentritt, Heuchelei in Bundesbruderschaft mit dem reaktionären Hass gegen die Freiheit von Wissenschaft und Kunst und einem kindischen Aberglauben an die versittlichende Macht des Büttelstockes.
Unter anderen Äußerungen der Einsichtslosigkeit und Hilflosigkeit der bürgerlichen Welt gegen schweren Nöten wurde wiederholt auch die Behauptung aufgestellt, dass die steigende Zahl der Ehescheidungen ein Nachweis für die wachsende Unsittlichkeit sie, und dass die Ehescheidung ihrerseits zur weiteren Entsittlichung des Volkslebens wesentlich beitrage. Der Behauptung liegt jene beschränkte und niedere Wertung der Ehe zu Grunde, die gelegentlich der Beratungen des neuen bürgerlichen Gesetzbuches eine Erschwerung der Ehescheidung zur Folge hatte, dies sehr zum Schaden wahrer Sittlichkeit. Die Statistik der Ehescheidungen muss allerdings Leute erschrecken, die sich an die ungemein rohe Ansicht klammern, dass der Ehe sittliche Kraft durch irgend eine äußere Formel auf dem Zwangswege geschaffen werden kann. Sie muss Leute erschrecken, die blind dafür sind, dass diese sittliche Kraft allein aus der Wahlverwandtschaft der Persönlichkeiten erwächst, aus einer Summe feinster unfassbarer Berührungs- und Verknüpfungspunkte zwischen den physischen und geistig-sittlichen Individualitäten von Mann und Frau. Und diesen Berührungs- und Verknüpfungspunkten kann weder ein Wort aus Priester- oder Beamtenmunde das „Werde“ zurufen, noch vermag sie ein Gesetzesparagraph lebendig zu erhalten.
Die Statistik meldet ein Anschwellen der Zahl der Ehescheidungen in allen Länder, die im Bereich der modernen Kultur stehen. Im Deutschen Reiche wurde von 100.000 Ehen im Jahrfünft 1881/85 69,1 Ehen geschieden; im Jahrfünft 1886/90 dagegen 77,6. Auf 100.000 bestehende Ehen kamen in Preußen und Waldeck im Jahrfünft 1881/85 jährlich 67,2 Ehescheidungen, im Jahrfünft 1886/90 aber 80,55; im Jahrfünft 1891/95 gar 86,77; und im Jahre 1896 stieg ihre Zahl auf 101,97. Binnen 16 Jahren hat sich in Preußen und Waldeck die Zahl der Ehescheidungen mehr als verdoppelt, denn 1881 wurden von 100.000 Ehen 50,19 gelöst. Noch weit häufiger als im Durchschnitt für das ganze Land kommen Ehescheidungen in den großen Städten vor. In Berlin wurden im Jahrfünft 1886/90 von 100.000 Ehen pro Jahr durchschnittlich 302,4 geschieden; in dem Jahrfünft 1891/95 aber 333,0. Auf 100.000 Ehen entfielen in Hamburg von 1881/85 jährlich 242,4 Scheidungen; von 1886/90 jedoch jährlich 304,2. Wie in Deutschland, so weist auch in andren europäischen Staaten die Statistik ein Steigen der Zahl der Ehescheidungen nach, zeigt sich auch hier, dass die einschlägigen Verhältnisse auf dem platten Lande anders liegen, als in den großen Städten. Überall kommen in den Großstädten weit häufiger Ehescheidungen vor, als im Durchschnitt eines ganzen Landes.
Mit plastischer Schärfe lässt die Statistik eine Tatsache beantworten: nicht ein zufälliges soziales Phänomen zeichnen die vorliegenden Zahlen, vielmehr einen Vorgang, der wesentlich mit der geschichtlichen Entwicklung verknüpft ist, der als unausbleibliche Begleiterscheinung der modernen Gesellschaftsverhältnisse auftritt.
Die Anhänger des alten, starren Sittlichkeitsbegriffs von den Beziehungen der Geschlechter und dem Wesen der Ehe setzen nur eine Frage an Stelle eine anderen, an Stelle einer Erklärung, wenn sie die oben angeführten Tatsachen lediglich aus der laxeren moralischen Auffassung, aus dem „Schwinden wahrer Sittlichkeit und religiöser Überzeugung“ herleiten. Taucht doch gegenüber ihrem Standpunkt sofort die uralte, ewigjunge Frage auf, welche die geschichtliche Bedingtheit jedes sittlichen Wertes kennzeichnet: was ist wahre Sittlichkeit? Und mit ihr die andere Frage nach dem Warum, dem laxeren oder richtiger veränderten Sittlichkeitsbegriff von den Beziehungen der Geschlechter und dem Wesen der Ehe und ihrer Lösbarkeit. Außerdem: gerade der Hinweis auf die geringere Zahl der Ehescheidungen auf dem Lande, wo noch „gute alte Sitte und die Kirchenlehre ihre Kraft bewahrt haben‘“, beleuchtet merkwürdig die angezogene Ansicht. Neben der geringen Zahl der Ehescheidungen finden wir gerade au dem Lande betreffs des Verkehrs der Geschlechter vor der Ehe, betreffs des Ehebruchs Gepflogenheiten, die im schroffsten Widerspruch du den Sittlichkeitsbegriffen der bürgerlichen Welt stehen.
Aber auch die Ansicht schießt unserer Ansicht nach daneben, welche die steigende Zahl der Ehescheidungen einzig und allein daraus erklärt, dass die meisten Ehebündnisse nicht Taten der Liebe sind, vielmehr ekle Schachergeschäfte, die in mehr oder minder feiner oder roher Form zu Stande kommen. Waren denn nicht in der vorkapitalistischen Zeit ganz vorherrschend wirtschaftlich Gründe für die Eheschließung maßgebend, und trug nicht damals die Ehe noch ausschließlicher als heute den Charakter einer wirtschaftlichen Einheit? Da haben wir den jungen Gesellen, der die alte Meisterswitwe freit, um mit ihrer Hand die Meisterwürde und die mit ihr verbundene Vorteile zu erlangen. Da wird berichtet von Kindern zartesten Alters, die mit Rücksicht auf Besitzstand und gesellschaftliche Stellung von den Eltern miteinander verlobt wurden, und kaum flügge geworden, den Bund fürs Leben schließen mussten. Wer und unter welchen Bedingungen gefreit wurde, das bestimmte meist bei den Besitzenden der von den sehr materiellen Erwägungen geleitete elterliche Wille. Neben ihm war die gegenseitige Zuneigung der jungen Leute ein Luxus, der unter Umständen geduldet werden durfte oder unterdrückt werden musste, der vorhanden sein konnte, aber keineswegs vorhanden sein musste. „Die Liebe kam mit der Ehe.“ Und ist auf dem Lande der Ehe nicht ganz vorwiegend der Charakter eines nüchternen Handels aufgeprägt? Der Abschluss hängt weit mehr von der Antwort auf die Frage ab: wie viel Kühe und Schweine bekommt „Er“ oder „Sie“ mit, als von der Rücksicht auf die Persönlichkeit des „Er“ oder „Sie und ihre wechselseitigen Gefühle.
Und doch ist auf dem Lande die Zahl der Ehescheidungen eine verhältnismäßig geringe, und doch waren früher die Ehen von festerem Bestand als heutigentags. Die Tatsachen zeigen also klar, dass die häufiger werdenden Ehescheidungen nicht allein durch den Handelscharakter der meisten Ehen bedingt werden. Gewiss wäre es eitel Torheit zu leugnen, welch gewaltigen Einfluss es auf die Zerrüttung und die Auflösung der Ehe ausübt, dass so vielfach wirtschaftliche Gründe für die Eheschließung ausschlaggebend sind. Aber noch ein Anderes muss dazu treten, um die zersetzenden Wirkungen der wirtschaftlichen Momente auf die Ehe auszulösen. Dieses Andere ist die Entwicklung der modernen Persönlichkeit mit ihrem revolutionierten Liebesgefühl und ihren revolutionierten Ansprüchen an die Ehe.
Der moderne Mensch ist im Gegensatz zu seinen Altvorderen ein äußerst komplizierter und veränderlicher geistig-sittlicher Organismus. Die einzelnen Persönlichkeiten sind reich differenziert und unterscheiden sich nicht nur in den großen Linien ihrer Individualität, sondern mehr noch in einer bunten Fülle kleiner und feinster Charakterzüge. Der moderne Mensch findet nicht die ruhigen stetigen Verhältnisse der „guten alten Zeit“ vor, die im Laufe langer Jahre kaum tief greifende Veränderungen unterworfen waren. Er wächst nicht mehr in ein gesellschaftliches Milieu gleichsam wie in eine feste Form hinein, welche der Entfaltung seines Wesens nur bescheidenen Spielraum lässt. Er lebt und webt vielmehr inmitten von sozialen Zuständen, die im steten Wechsel, in unaufhaltsamen Fluss begriffen sind. Im raschen Vergehen und Werden lösen sie einander ab, und von ihnen getragen und vorwärts geschoben und wandeln sich die Begriffe, modeln sich die Anschauungen. Wie in einem Hexenkessel brodeln die Dinge und sittlichen Werte durcheinander und weisen die vielgestaltigsten Verbindungen auf, bald wechselseitig ihren Einfluss verstärkend, bald ihn durchkreuzend und vernichtend. Da bewegt sich die Entwicklung des Einzelnen nur in den seltensten Fällen in einer geraden, von vornherein zu überschauenden Linie vorwärts. Die kompliziertesten Verhältnisse spielen beeinflussend in den Entfaltungsprozess der Persönlichkeit hinein. Sie wecken schlummernde Eigenschaften, deren Vorhandensein Niemand geahnt, sie lassen hervortretende Charakterzüge verkümmern, sie lenken Anlagen in verschiedene Richtungen, kurz sie modeln verständig die Individualität und ihre Anschauungen. Charakter, deren geistig-sittliche Eigenart, deren Lebensinhalt durchsichtig wie Kristall und von erzener Fertigkeit schien, „mausern“ sich unter dem Einfluss veränderter Verhältnisse und stehen eines Tages als Neue, Andere vor uns.
Die Geschlechtsliebe der modernen Menschen aber unterscheidet sich wesentlich von der Geschlechtsliebe in früheren Zeiten. Engels hat mit lichtvoller Schärfe darauf hingewiesen, welche tiefe Umwandlung der Charakter der Liebe erfahren hat. Sie ist von einem mehr generellen Gefühl zur modernen individuelle Geschlechtsliebe geworden. Immer wesentlicher und ausschlaggebender ist deshalb für volles Liebesglück die geistig-sittliche Eigenart von Frau und Mann. In den alten Zeiten war die Ehe in der Hauptsache eine wirtschaftliche Einheit. Nicht der Befriedigung des Liebesbedürfnisses sollte sie an erster Stelle dienen, vielmehr bestimmten wirtschaftlichen Zwecken, denen die Persönlichkeiten der Gatten untergeordnet waren. Die moderne wirtschaftliche Entwicklung schlägt dagegen die Ehe als wirtschaftliches ganzes in Trümmer, und die moderne Persönlichkeit scheut sich darnach, die Ehe zu einer sittlichen Einheit zu gestalten. Sie leidet darunter, dass die individuelle Liebe vielfach nur neben der Ehe und im Gegensatz zu ihr besteht, sie beansprucht, dass Ehe und Liebe zusammenfallen.
Die reichere geistig-sittliche Differenzierung der Persönlichkeiten und ihre Wandelbarkeit unter dem Drucke sich wandelnder Verhältnisse bewirken aber unsres Erachtens eins. Sie schaffen für den modernen Menschen, der in der Ehe nach individueller Liebe verlangt, der in ihr eine Ergänzung, Ausgleichung oder Verstärkung seines Ichs sucht, eine Fülle feinster, unwägbarer und unsagbarer Momente, die die eheliche Gemeinschaft, je nachdem zu einer Quelle tiefsten, edelsten Glückes oder auch zu einer unerträglichen Hölle gestalten können. Nun erst sind in den summarisch angedeuteten Umständen die Vorbedingungen dafür vorhanden, dass die wirtschaftlichen Rücksichten, welche auch in unseren Tagen vielfach über die Eheschließung entscheiden, zum Verfall und zur Auflösung des Bundes führen.
Selbstverständlich vollzieht sich die Entwicklung der modernen Persönlichkeit, des modernen Liebesgefühls und Ehebegriffs ebenso wenig wie die wirtschaftliche Entwicklung über Nacht und in gerader Linie. In diesem Umstand ist wohl einer der wesentlichen Gründe dafür zu suchen, dass die Häufigkeit der Ehescheidungen in den verschiedenen Schichten der Bevölkerung, in Stadt und Land eine verschiedene ist. Die selteneren Ehescheidungen unter der bäuerlichen Bevölkerung sind unserer Ansicht nach keineswegs der Ausdruck einer höheren, gefestigteren Sittlichkeit. Sie künden nur die Tatsache, dass auf dem Lande die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse und die Entwicklung der modernen Persönlichkeiten noch nicht soweit fortgeschritten ist, wie in den Großstädten. Für Glück und Bestand der Ehe sind hier noch in erster Linie wirtschaftliche und nicht moderne menschliche Beziehungen bestimmend. Die Persönlichkeit widerstrebt nicht dem wirtschaftlichen Charakter der Ehe, sondern passt sich ihm an. Sitte und religiöses Dogma bewahren deshalb auf dem Lande bezüglich der Auffassung von Ehe und Ehescheidung einen großen Teil ihrer alten Kraft, die moderne Persönlichkeit ist noch nicht groß und stark genug, sich ihrem bindenden Einfluss zu widersetzen. Es scheint für unsere Auffassung zu sprechen, dass nach einer Statistik der Ehescheidungen aus den fünfziger Jahren und für das Königreich Sachsen (in von Oettingers Moralstatistik) der höchste Prozentsatz von Ehescheidungsanträgen auf die Kreise der Künstler und Gelehrten kam. Auf je 100.000 Ehen von Künstlern und Wissenschaftlern entfielen nämlich 445 Anträge auf Scheidung oder je eine Klage auf 206 Ehen. Auf je 100.000 Ehen von Dienstboten dagegen nur 289 Scheidungsanträge oder je eine Klage auf 346 Fälle. Wir übersehen nicht, welch mancherlei Umstände gerade in den betreffenden Kreisen dazu betragen, dass die Zahl der Ehescheidungen verhältnismäßig so groß ist. Es ist von Einfluss darauf die leichtere, manchmal leichtsinnige Eingehung der Ehe, die häufigere wirtschaftliche Selbständigkeit der Frau; das Leben in größeren Städten, wo die einzelne Persönlichkeit leichter in der Allgemeinheit untertaucht und weniger unter dem Odium leidet, das in kleineren Orten den Geschiedenen anhaftet; die kritische freie Bewertung und Nichtachtung von Satzungen der Konvention, der landläufigen Moral und der kirchlichen Dogmas. Schon diese freie Bewertung aber ist ein Kennzeichen des modernen Menschen, der in Sachen der Liebe und Ehe gegenüber dem Herkommen, der Philistermoral und einem vorgeblich göttlichen Gebot das Recht und die Freiheit der Persönlichkeit, ihren Anspruch auf Glück betont und erkämpfen will. Und für die der Ehescheidung selbst vorausgegangene innere Zerrüttung der Ehe ist sicher gerade die reich differenzierte empfindliche, leicht vibrierende Individualität des Gelehrten und Künstlers von wesentlichem Einfluss. Sie stellt vielseitigere, tiefere, feinere Ansprüche betreffs des geistig-sittlichen Gehalts der Ehe, sie wird leichter in ihre Eigenart verletzt, und sie leidet schmerzlicher und nachhaltiger unter jedem Misston, jeder Enttäuschung.
Angesichts der gekennzeichneten Umstände erscheint als ungemein roh und engherzig die Auffassung, welche in der steigenden Zahl der Ehescheidungen nichts sieht als den Ausdruck wachsender Unsittlichkeit. Die Ehescheidung ist vielmehr der stärkste Ausdruck für die höchst sittliche Rebellion der modernen Persönlichkeit gegen die Unterordnung ihres lebendigen Menschentums unter tote Sachbeziehungen, gegen ungesunde, zerrüttete und zerrüttende Verhältnisse in der Ehe, gegen ihre Begleiterscheinungen, das Hetären- und das Hahnreitum.
Auch den Unbefangenen erschreckt die Statistik der Ehescheidungen, aber keineswegs weil ihm die vorliegenden Zahlen zu hoch, sondern wies sie ihm viel zu niedrig dünken. In der Tat viel zu niedrig, wen man des Umfangs, des grauenhaften Charakters und der traurigen Folgen der Ehemisere gedenkt. Der zahlreichen Ehen, die lediglich unter dem Drucke wirtschaftlicher Rücksichten geschlossen und durch den zwang wirtschaftlicher Rücksichten zusammengehalten werden, und in denen die Beziehungen der Gatten sich in den drei Worten erschöpfen: Prostitution, Brutalität und Heuchelei. Der viel zu vielen beklagenswerten Männer und Frauen, die in der Langeweile gewohnheitsmäßig nebeneinander dahinleben, deren geistig-sittliche Eigenart in Folge der unbefriedigenden ehelichen Verhältnisse verkümmert und welkt, in falsche ´, enge und niedrige Entwicklungsbahnen gelenkt wird, sich nicht zu der von Veranlagung und Sehnsucht gezeigten Höhe zu entfalten vermag. Denn unserer Auffassung nach beginnt die unglückliche Ehe nicht erst dort, wo eine jener groben Verschuldungen vorliegt, welche das Gesetz als Scheidungsgrund zulässt. Vielmehr schon da, wo die eheliche Gemeinschaft nicht zu einem steten gemeinsamen Vorwärts und Aufwärts der Gatten führt, zu einer Vertiefung und Verfeinerung ihrer Individualitäten, zu einem immer innigeren Miteinanderwachsen und Zusammenwachsen derselben. Wo dies nicht der Fall ist, da gilt ja nur zu allgemein von der Wechselwirkung von Persönlichkeit und Ehe der erschreckend wahre Ausspruch, mit dem der geistvollste Philosoph des Spießbürgertums das Weib Zarathustra antworten lässt: „Wohl brach ich die Ehe, aber erst brach die Ehe mich.“ Wo dies nicht der Fall ist, da sprosst sie üppig empor jene vom Nazarener trefflich gekennzeichnete ehebrecherische Gedankengänge des Begehrens nach einem anderen Mann, einer anderen Frau, das unter Umständen vergiftender wirken kann als die in einer leidenschaftlichen Aufwallung des Bluts begangene grobsinnliche Tatsünde des Ehebruchs.
Das Recht der modernen Persönlichkeit heischt daher leichtere Lösbarkeit der Ehe. Dass diese auch im höheren Interesse der Kinder liegt, werden wir gelegentlich nachweisen. Nicht Erschwerung der Ehescheidung muss deshalb die Losung Derer lauten, welche die Beziehungen der Geschlechter in der Ehe und außerhalb der Ehe versittlichen und gesünder gestalten wollen. Vielmehr Erleichterung der Ehescheidung, und dies im Interesse der Sittlichkeit. Durch Beseitigung der gesetzlichen Bestimmungen, welche heutigentags die Ehescheidung nur im Falle groben Verschuldens zulassen, würden sich die Gesetzgeber verdienter um das Emporblühen einer gesunden Sittlichkeit machen, als durch das Ausklügeln und Votieren der meisten Paragraphen der lex Heinze.
Last updated 15 August 2023