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Quelle: Die Kommunistische Internationale, X. Jahrgang, Heft 9/10/11, 13. März 1929, S. 590–608.
Transkription und HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Der Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale Anfang März 1919 in Moskau proklamierte vor dem Weltproletariat die geschichtliche Rolle der Proletarierinnen als einer revolutionären Kraft, ohne deren zielgerichtete Beteiligung am Klassenkampf in enger Gemeinschaft mit den Proletariern der Kapitalismus nicht gestürzt, der Kommunismus nicht verwirklicht werden kann. Er erklärte dieses:
„Der Kongreß der Kommunistischen Internationale stellt fest, daß sowohl der Erfolg aller von ihm aufgestellten Aufgaben, wie auch der endgültige Sieg des Weltproletariats und die vollständige Abschaffung der kapitalistischen Ordnung nur durch den engverbundenen gemeinsamen Kampf der Frauen und Männer der Arbeiterklasse gesichert werden kann. Die Diktatur des Proletariats kann nur unter regem und aktivem Anteil der Frauen der Arbeiterklasse verwirklicht und behauptet werden.“
Die Erklärung begreift in sich die Anerkennung der vollen Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne und die Verpflichtung aller nationalen Sektionen der Kommunistischen Internationale, die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen in die Klassenfront des kämpfenden Proletariats einzugliedern und für dessen große geschichtliche Auseinandersetzung mit der Bourgeoisie zu schulen. Sie erfolgte auf die Initiative der russischen Genossinnen, die am Kongreß teilnahmen. Angesichts der damals bestehenden ungeheueren Schwierigkeiten einer Reise nach dem isolierten Sowjetstaat war die Zahl der Delegierten klein, und es befanden sich keine Genossinnen aus dem Westen darunter. Davon abgesehen war es kein Zufall, daß die russischen Genossinnen die grundsätzliche Stellung des Gründungskongresses veranlaßten.
Die im Anfang von Plechanow und Axelrod geführte russische Sozialdemokratie stand in der Frauenfrage auf dem Boden des revolutionären Marxismus. Sie unterstützte die Bestrebungen, die Parteien und Organisationen der Zweiten Internationale zu bestimmen, dieser grundsätzlichen Auffassung getreu zu handeln, die Proletarierinnen in ideologischer und organisatorischer Gemeinschaft mit den Arbeitern in den Klassenkampf zu führen, prinzipiell klar und aktiv Stellung zu nehmen zu Problemen und Aufgaben der Frauenemanzipation, die für die Arbeiterbewegung von Bedeutung waren. Die russische Sozialdemokratie ließ sich durch die Hindernisse und Gefahren, die das Henkerregime des Zarismus für ihre Betätigung schul, nicht fesseln, das grundsätzliche Bekenntnis in Tat umzusetzen. Sie bemühte sich aufopfernd und nicht ohne Erfolg dafür — Streiks beweisen das —, die werktätigen Frauen, namentlich die Arbeiterinnen in den Fabriken, propagandistisch zu erfassen und zu organisierten, geschulten Mitträgerinnen der Bewegung zu machen. Ganz besonders galt dies für Lenin und die sich um ihn gruppierenden Ideengenossen. Es ist bezeichnend, daß die erste Broschüre in russischer Sprache für die Arbeiterinnen von Genossin Krupskaja in Sibirien geschrieben wurde, als sie Lenins Verbannung teilte. Die Broschüre Die Frau und Arbeiterin erschien anonym im Februar 1901 und fand so gute Verbreitung durch die illegalen Organisationen, daß sie schon im August in zweiter Auflage herausgegeben werden konnte.
Nach der reinlichen Scheidung der Bolschewiki von den Menschewiki setzte die bolschewistische Partei das Wirken zur Revolutionierung und Organisierung der Arbeiterinnen, der werktätigen Frauen mit aller Energie fort. Es geschah — dank Lenin — in sehr genauer Beobachtung der in Betracht kommenden Vorgänge und der Entwicklung in der Zweiten Internationale, wie in den kapitalistischen Ländern überhaupt, und erzog die sich sammelnden russischen Arbeiterinnen im Geiste internationaler Solidarität. Ein Beispiel dafür. Im Gegensatz zu den Menschewiki führte die bolschewistische Partei den von der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zu Kopenhagen 1910 beschlossenen Internationalen Frauentag als gemeinschaftliche Demonstration von Frauen und Männern durch. Die Bolschewiki förderten das Zustandekommen der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zu Bern, Ende März 1915, der ersten internationalen Aktion gegen den imperialistischen Krieg und für die Erzwingung des Friedens durch den unerbittlichen internationalen Klassenkampf des Proletariats, der auf sein Endziel gerichtet bleiben mußte: den Sturz des Kapitalismus.
Wie in den Vorkriegsjahren, so suchten die bolschewistischen Parteiorganisationen in Rußland während des Krieges bei ihrer konspirativen Tätigkeit auch die Arbeiterinnen ihren Kampfreihen einzugliedern. Sie steigerten ihre Bemühungen zu diesem Ziel auf das höchste in den Monaten nach der Februar-März-Revolution, als Lenin nach Rußland zurückgekehrt war und in steter eingehender Ueberprüfung der gegebenen Realitäten des Lebens die Aktivität der Partei bewußt und mit eiserner Energie auf die revolutionäre Erhebung des Proletariats, auf die Eroberung der Staatsmacht einstellte. Lenin war so tief als leidenschaftlich davon überzeugt, daß der Klassenkampf des Proletariats nur unter der Bedingung siegreich sein kann, daß seine Schlachten von den Frauen und Männern gemeinsam geschlagen werden. Für ihn gehörte die Bereitschaft der revolutionären Arbeiterinnen von Petrograd für den Aufstand zu den Anzeichen, daß der Kampf mit bewaffneter Hand für die Aufrichtung der proletarischen Diktatur gewagt werden konnte, ja unter den gegebenen Verhältnissen gewagt werden mußte. Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß die Proletarierinnen, die Revolutionärinnen Rußlands, Lenins Wertung der bedeutsamen geschichtlichen Rolle der Frauen glänzend gerechtfertigt haben. Ihre heldenhafte Betätigung in den sturmgepeitschten Wochen des Roten Oktober wie in den Zeiten des opfer- und entbehrungsreichen Ringens des jungen Sowjetstaats mit den einheimischen und ausländischen Gegenrevolutionären ist ein unverwelkliches Ruhmesblatt in der Geschichte der Revolutionen aller Zeiten und in der Geschichte ihres Geschlechts in allen Ländern. Sie hatten verdient, erobert, was ihnen die Sowjetmacht gemäß der Grundsätze ihrer bolschewistischen Schöpfer brachte: die gesetzliche Anerkennung ihrer vollen Freiheit und Gleichberechtigung.
Die angezogenen bekannten Tatsachen werfen ein helles Streiflicht auf hervorstehende und bestimmende Wesenszüge der Kommunistischen Internationale als Vorkämpferin für die volle Frauenbefreiung, Wesenszüge, die sie auch in dieser ihrer Einstellung und Betätigung scharf von der Zweiten Internationale unterscheiden. Im Kampfe für die volle Befreiung des weiblichen Geschlechts durch die Revolution schreitet die Kommunistische Internationale vorwärts. Sie ist geleitet von dem erkenntnisklaren Willen, die kommunistische Frauenbewegung aller Länder in einer international einheitlichen Ideologie und in international einheitlicher Organisierung zusammenzulassen. Die Zusammenfassung darf nicht Absonderung vom Ringen des Proletariats für seinen Sieg durch die allein befreiende Revolution bedeuten, vielmehr festeste Eingliederung der Frauen als Gleichberechtigter und Gleichverpflichteter in die Schlachtreihen. In der Einstellung der Zweiten Internationale zur Frauenfrage, in ihrem Eintreten für Frauenrechte und Fraueninteressen zeigt sich eine rückläufige Entwicklung. Nach dem ersten Anlauf und Jahren einer verheißungsvollen Entfaltung desKampfes das Rückwärts vom Ziele der sozialen Revolution auf den Reformismus, der den Erweiterung ihrer Rechte und Linderung ihrer Nöte heischenden Frauen Steine statt Brot reicht. In der Vertretung der Frauenansprüche national und international Grundsatzlosigkeit, Uneinheitlichkeit, Wirrnis, das feige Niederducken vor der Macht der Bourgeoisie, die Bundesgenossenschaft mit ihr zur Erhaltung und Befestigung der bürgerlichen Ordnung, in der das weibliche Geschlecht so wenig wie das Proletariat in voller sozialer Freiheit zu voll erblühtem Menschentum aufzusteigen vermag.
Wie auf dem Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale zu Moskau 1919, so wurde auch auf dem Gründungskongreß der Zweiten Internationale 1889 zu Paris die Notwendigkeit proklamiert, die Proletarierinnen als Gleichberechtigte in den Befreiungskampf ihrer Klasse einzugliedern. Es geschah von einer der beiden weiblichen Delegierten in der Vertretung der deutschen Sozialdemokratie und nach einer lebhaften Vorbesprechung im Auftrag dieser Vertretung. Die Stellungnahme ging also von jener Partei der sich sammelnden Zweiten Internationale aus, die damals im schärfsten Kampf gegen die bürgerliche Ordnung, den bürgerlichen Staat des noch nicht entdeckten kapitalistischen „Vaterlandes“ stand. Dieser Kampf hatte der deutschen Sozialdemokratie mit unerbittlicher Logik die marxistische Erkenntnis der Bedeutung eingepaukt, die der überzeugten Beteiligung der Frauen an dem proletarischen Klassenringen zukommt. Die Erklärung des Gründlingskongresses der sich bildenden Kommunistischen Internationale ging ebenfalls von einer Partei aus, die die Ehre und Schwere als Vorhut des revolutionären Weltproletariats trug, von der Partei der Bolschewiki. Doch welch ein Unterschied im Wesen und Objekt des Kampfes 1889 und 1919, welcher Unterschied in seiner geschichtlichen Tragweite!
Als Preisfechter der internationalen Arbeiterklasse befand sich 1889 die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend ihres Sieges über das Sozialistengesetz. Der Kampf tobte um den Aufmarsch, die Bewegungs- und Aktionsfreiheit des Proletariats als Klasse. Als Preisfechter des Weltproletariats hatte die bolschewistische Partei 1917 den ersten gewaltigen Sieg der proletarischen Weltrevolution errungen, hatte im größten Staat Europas den Kapitalismus gefesselt zu Boden geworfen und die Klassendiktatur der Arbeiter aufgerichtet. Unserem leidenschaftlichen, ungeduldigen Herzschlag will es oft dünken, daß die geschichtliche Entwicklung träge, schläfrig in Filzschuhen dahinschleiche. In der kurzen Spanne der 30 Jahre zwischen der Pariser und der Moskauer Tagung ist sie mit Riesenschritten und zuletzt mit einem kühnen Sprunge vorwärts geeilt. Nicht mehr das Ringen um unerläßliche politische Vorbedingungen des Kampfes zum Sturz des Kapitalismus steht als Aufgabe des Proletariats auf der Tagesordnung der Geschichte, der Sturz des Kapitalismus, die proletarische Weltrevolution selbst. Schon der äußere Umstand des Tagungsortes — Paris, Moskau — kündet die veränderte geschichtliche Situation, die das Schwergewicht des proletarischen Klassenkampfes von Westeuropa nach Osteuropa verschoben, statt der Arbeiterklasse der Staaten mit vorgeschrittenster kapitalistischer Wirtschaft das junge russische Proletariat auf den schwierigsten, exponiertesten Kampfesposten gestellt hatte.
Es ist platte Selbstverständlichkeit, daß die flüchtig umrissene Entwicklung auch im Wirken der Zweiten und Dritten Internationale für die volle Frauenbefreiung ihren Ausdruck fand und findet. Auf dem Pariser Kongreß war die Forderung voller Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts verbunden mit einer energischen Abwehr des Verbots der beruflichen Frauenarbeit, das immer noch im Proletariat der kapitalistischen Länder viele Anhänger besaß. Die Einbeziehung der Proletarierinnen in die wirtschaftlichen und politischen Kämpfe ihrer Klasse wurde in einer Erklärung gefordert, die zugleich die Versicherung enthielt, daß die Frauen alle diese Kämpfe überzeugt und freudig teilen und sich ihre Gleichberechtigung als Mitkämpferinnen für den Sozialismus erringen würden. Der Gründungskongreß der Zweiten Internationale zollte der Erklärung stürmischen Beifall, aber, aber — er stellte sich nicht mit einem Beschluß hinter sie, der die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen zum entsprechenden kraftvollen Handeln verpflichtet hätte. Er überließ es den sozialistischen Parteien und Gewerkschaftsverbänden der einzelnen Länder, wie viel oder wie wenig sie tun wollten, um unbestrittene, bejubelte Grundsätze zu gestaltender Praxis zu erheben.
Das war typisch für das Verhalten der Zweiten Internationale zu den vorliegenden Problemen und Aufgaben der Frauenfrage und Frauenbewegung, mit denen sich das Proletariat aller kapitalistischen Länder auseinandersetzen mußte. Sie verzichtete auf die Initiative zur theoretischen Klärung der Probleme und zur praktischen Lösung der Aufgaben. Sie drängte weder auf eine einheitliche grundsätzliche Einstellung noch auf eine einheitliche Aktion. Im allgemeinen betrachtete sie es als eine Sache der Frauen, in den ihr angegliederten Parteien und Organisationen die Anerkennung der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, die Einbeziehung der Proletarierinnen in die Kampfesfront der Arbeiter durchzusetzen. Das geschah fast in allen Ländern in hartnäckigem Ringen mit den trivialsten Philistervorurteilen gegen die Frauenemanzipation, in manchen Staaten — wie zumal in Deutschland — erschwert durch Gesetzestexte und Behördenpraktiken gegen die politische Betätigung des weiblichen Geschlechts. Manche sozialistische Führer traten energisch für den Mitkampf der Frauen als Gleichberechtigter in Reih und Glied der organisierten Arbeiter ein. So namentlich Bebel in Deutschland, der große Vorkämpfer für volles Frauenrecht und volle Frauenbefreiung, Guesde in Frankreich, Turati in Italien, Keir Hardie in England, Viktor Adler in Oesterreich. Andere sahen dem sich verstärkenden Kampf und seinen Ergebnissen mit kühler Ritterlichkeit zu, und dritte suchten ihn grundsätzlich oder aus Zweckmäßigkeitsgründen zu hindern.
Wie die Dinge lagen, ist es begreiflich, daß die aufstrebende Bewegung der proletarischen Frauen, die nach Mitarbeit und Mitkampf in den sozialistischen Parteien und den Gewerkschaften drängten, in allen Ländern mehr oder minder bürgerlich-frauenrechtlerisch durchseucht war. Die mächtige Entfaltung des Kapitalismus zwang die Zweite Internationale zu einem ersten Schritt ideologischer Abgrenzung der proletarischen von der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie trieb die Proletarierin in den Kampf für eine durchgreifende Arbeiterschutzgesetzgebung und rollte damit die Frage des gesetzlichen Sonderschutzes der Arbeiterinnen auf. Die stark feministisch eingestellten Frauen- und Arbeiterinnenorganisationen in den skandinavischen Staaten und Großbritannien, aber auch führende Sozialistinnen in Belgien, Holland und Deutschland bekämpften den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz grundsätzlich als ein Attentat der Männer auf die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, als eine Mißachtung des Rechts der Frauen auf wirtschaftliche Selbständigkeit und soziale Befreiung. Ihr Widerstand, der auf einer vollständigen Verkennung der Bedeutung des Klassengegensatzes in der Frauenwelt beruhte, stellte sie unfreiwillig in eine Front mit den Kapitalisten und erschwerte den Kampf der politisch und gewerkschaftlich organisierten Arbeiter. Auf Veranlassung deutscher und österreichischer Genossinnen nahm der Kongreß der Zweiten Internationale zu Zürich 1893 Stellung zu der Streitfrage. Er sprach sich für umfassenden gesetzlichen Sonderschutz der Arbeiterinnen aus und zog in der die Forderung begründenden Resolution einen scharfen grundsätzlichen Trennungsstrich zwischen der proletarischen und bürgerlichen Frauenbewegung.
Der folgende Kongreß der Zweiten Internationale in London, 1896, leitete die sehr dringliche organisatorische Abgrenzung zwischen den beiden Bewegungen ein. Auch das geschah dank der Initiative von Genossinnen. Deutsche, österreichische und englische Sozialistinnen beriefen eine Besprechung der weiblichen Kongreß delegierten zusammen, deren Ergebnis ein Antrag war, der das Prinzip der gemeinschaftlichen Organisation der Frauen und Männer der Arbeiterklasse proklamierte. Er forderte die Organisierung der Arbeiterinnen zusammen mit ihren Berufsgenossen in den entsprechenden Gewerkschaften, die Einreihung der politisch kampfgewillten Proletarierinnen in die sozialistischen Parteien und verpflichtete diese, einen energischen Kampf für die Abschaffung der Gesetze zu führen, die den Frauen die politische Organisierung und Betätigung versagten. Er verwarf ausdrücklich die Zugehörigkeit der Proletarierinnen zu frauenrechtlerischen Organisationen. Der Antrag gelangte zur Annahme, denn auch er war aus Notwendigkeiten des proletarischen Klassenkampfes hervorgegangen: die Zersplitterung der Kräfte machte sich zumal in den Gewerkschaften bei Lohnbewegungen und Kämpfen schädigend fühlbar, und das organisatorische Gemengsel von Bourgeoisdamen und Proletarierinnen hinderte die Klärung des proletarischen Klassenbewußtseins und hielt die Ausgebeuteten in geistiger, politischer Abhängigkeit von den ausbeutenden Schichten. Die begonnene ideologische und organisatorische Zusammenfassung der proletarischen Frauen mit ihrer Klasse, ihre Schulung in deren wirtschaftlichen und politischen Kämpfen und für sie wirkten sich in den einzelnen Ländern aus. Das bezeugte die Stellungnahme von Genossinnen verschiedener Nationalität zu den Fragen, die auf den Kongressen der Zweiten Internationale zu Paris 1900 und zu Amsterdam 1904 behandelt wurden.
Ein entscheidender Schritt vorwärts erfolgte auf der Stuttgarter Welttagung 1907. Für die meisten und größten Parteien der Zweiten Internationale war der Kampf für ein demokratisches Wahlrecht von brennender Aktualität geworden. Zumal seit der russischen Revolution 1905 drängten die Arbeiter der Parteien vorwärts zur Anwendung neuer, schärferer Kampfesmittel, wie dem Massenstreik. In dieser Situation meldeten selbstverständlich auch die Frauen ihre Forderung auf volles politisches Recht an. Die Einstellung der sozialistischen Partei dazu war weder eine grundsätzlich klare, noch eine einheitliche. In Norwegen, Schweden, Dänemark, England — von der Sozialdemokratischen Föderation abgesehen —, zum Teil auch in Holland liebäugelten die Sozialisten mit einem frauenrechtlerischen Damenwahlrecht; in katholischen Ländern gingen sie aus Furcht vor dem mächtigen Einfluß der Geistlichkeit auf die werktätigen Frauen der Forderung des Frauenwahlrechts möglichst aus dem Wege oder lehnten wie in Belgien den Kampf dafür aus Rücksicht auf die Bundesgenossenschaften der Liberalen ab. Die starke österreichische Sozialdemokratie war grundsätzlich für das allgemeine Frauenwahlrecht, hatte jedoch die Forderung sogar agitatorisch völlig aus ihrem prächtigen Wahlrechtskampf ausgeschaltet, in dem Feuerfunken der russischen Revolution glühten. Die Ausschaltung war aus seicht opportunistischen Zweckmäßigkeitsgründen erfolgt, im Hinblick auf den leichteren Erfolg, und viele führende Sozialistinnen hatten sich damit einverstanden erklärt.
Abermals waren es die sozialistischen Frauen, die eine Entscheidung der Zweiten Internationale in der Streitfrage herbeiführten. Die deutschen Sozialdemokratinnen setzten es durch, daß die Forderung des Frauenwahlrechts vom Kongreß zu Stuttgart eingehend behandelt werden mußte. Nach gründlichen und oft sehr stürmischen Debatten in der eingesetzten Beratungskommission und im Plenum stimmte er der Resolution zu, die die ihm vorausgegangene Erste Internationale Sozialistische Frauenkonferenz als Antrag eingereicht hatte. Sie verpflichtete die sozialistischen Parteien, jeden Wahlrechtskampf auch als Kampf für das Frauenwahlrecht zu führen, das allgemeine Wahlrecht für alle Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts zu fordern. Jedes beschränkte Frauenwahlrecht wurde auf das entschiedenste zurückgewiesen. Die Resolution betonte nachdrücklich, daß das Frauenwahlrecht nur ein Mittel im Ringen für die volle Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts sei, die nicht im Kampfe der Geschlechter, sondern im proletarischen Klassenkampf gegen die Bourgeoisie erobert werde, weil sie einzig und allein durch den Sozialismus ihre Verwirklichung finden könne. Die Zweite Internationale sagte sich mit ihrem Beschluß völlig von der bürgerlichen Frauenrechteiei los, denn die politische Gleichberechtigung ist Haupt- und Grundfrage des Feminismus. Gleichzeitig wehrte sie Illusionen über den Wert des Wahlrechts, der formalen politischen Demokratie ab. Die Diskussion der umstrittenen Frage war ein leidenschaftlicher Waffengang zwischen Marxismus und Opportunismus. Lenin schrieb darüber: In der Frauenwahlrechtsfrage hat der revolutionäre Marxismus über den österreichischen Empirismus gesiegt.
Die Zweite Internationale hat keine Stellung zu dem weittragenden verwickelten Fragenkomplex des bürgerlichen Rechts der Frau, insbesondere des Familienrechts genommen. Unbestritten, daß die sozialistischen Parteien in den Parlamenten und der Oeffentlichkeit rückhaltlos gegen jedes Vorrecht des Mannes in der Familie, für die volle Freiheit und Gleichberechtigung der Frau in ihr gekämpft haben. So namentlich, wenn es sich um eine Reform der Ehe- und Ehescheidungsgesetze handelte, um die Rechtsstellung der ledigen Mutter und der unehelichen Kinder. Allein eine tieferschürfende Behandlung der angeführten Fragen — die sexuellen Beziehungen inbegriffen — ist unterblieben, obgleich die helle Belichtung der Zusammenhänge von Familienform, Produktionsweise und Privateigentum, von Wirtschaft und Moral für das Verständnis des Wesens der bürgerlichen Gesellschaftsordnung sehr wichtig ist. Wie einschneidend auch die in dieser Hinsicht vorliegende Frage in das Schicksal des einzelnen Proletariers eingreifen, von welch großer grundsätzlicher und praktischer Bedeutung auch für die Proletarierin die gesetzliche Gleichberechtigung der Geschlechter in der Familie ist: für das Proletariat als Klasse treten doch die Fragen der öffentlichen, der politischen Rechte in den Vordergrund, die sich unmittelbar in seinem Kampf gegen die kapitalistischen Unternehmer und die bürgerliche Gesellschaftsordnung auswirken. Jedoch ist sicherlich außer diesem Grund für die Parteien der Zweiten Internationale auch eine starke Dosis Philisterhaftigkeit dafür maßgebend gewesen, daß die betreffenden Fragen nicht ihrer ganzen Tragweite entsprechend marxistisch grundsätzlich aufgerollt und behandelt worden sind. Man fürchtete das Geschwätz von der „Freien Liebe“ und der „Weibergemeinschaft“ der Sozialisten. Deshalb ließ man die Auseinandersetzung mit den strittigen Fragen mehr als Spezialität und Privatsache einzelner Sozialisten gelten denn als Parteiangelegenheit. Charakteristisch ist auch, daß die Parteien der Zweiten Internationale einer grundsätzlichen Klärung der Frage des sogenannten Gebärzwanges auswichen. Sie ließen es geschehen — allerdings unter scharfem Widerspruch marxistischer Kreise —, daß das unbestreitbare Recht der Arbeiterfrau, gleich der Bourgeoisdame die Fruchtbarkeit ihres Leibes bewußt zu beschränken, zur revisionistischen Predigt eines Neo-Malthusianismus ausgenutzt wurde, der dem Proletariat die Kleinhaltung der Familie als Mittel des Klassenkampfes zur Verbesserung seiner Klassenlage empfahl. Unter den aufgezeigten Umständen entwickelte sich mit den sozialistischen Parteien und Gewerkschaftsorganisationen der Zweiten Internationale die proletarische Frauenbewegung in den verschiedenen Ländern. Es war ihr geschichtlich bedingtes Schicksal, daß sie die Merkmale dieser Umstände und dieses Zusammenhangs trug. In ihren Anfängen war sie — von der Begeisterung für den Sozialismus abgesehen — als internationales Ganzes betrachtet, ein buntes Allerlei ideologischer Unklarheiten und organisatorischer Formen, die einen wie die anderen stark frauenrechtlerisch beeinflußt. Einheitlichkeit der Auffassung und der Aktion fehlten, nicht nur international, sondern manchmal sogar national. Dank der Meinungskämpfe um die Frauenfrage und die Einbeziehung der Proletarierinnen in die Schlachtreihen ihrer Klassengenossen begann sich jedoch ein Prozeß der grundsätzlichen Klärung und internationaler Vereinheitlichung zu vollziehen. Führend war dabei die sozialistische Frauen bewegung Deutschlands und ihr Organ Die Gleichheit. Von den deutschen Sozialdemokratinnen ging auch die Initiative aus zur Ersten Sozialistischen Frauenkonferenz 1907. Sie wurde von den sozialistischen Frauen der in der Zweiten Internationale vertretenen Länder freudig begrüßt. Ihr wichtigstes Resultat war außer der bereits erwähnten Entscheidung in der Frage des Frauenwahlrechts der Beschluß, vermittels der Gleichheit, die als internationales Organ bestimmt wurde, eine regelmäßige Verbindung zwischen der sozialistischen Frauenbewegung der einzelnen Länder herzustellen und eine internationale Sekretärin einzusetzen. Die internationalen Beziehungen befeuerten das ideologische Reifen der Bewegung. Die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz zu Kopenhagen 1910 konnte eine einheitliche internationale Aktion beschließen: den Internationalen Frauentag. Die Zweite Internationale hatte für das Ringen der Sozialistinnen, international auf einheitlicher grundsätzlicher Basis eine einheitliche Betätigung der Proletarierinnen im Klassenkampf zu schaffen, wohlwollende Duldung. Die erzielten Fortschritte waren im wesentlichen der Frauen eigenes Werk.
Zusammengefaßt: die Zweite Internationale hat eine Massenbewegung und Massenorganisierung proletarischer Frauen ins Leben gerufen. Sie hat Proletarierinnen in großer Zahl zum Klassenbewußtsein und damit zur Erkenntnis ihres Menschenwertes erweckt, mit Mut und Selbstvertrauen erfüllt und als Gleichberechtigte in die Organisationen und Kämpfe ihrer Klasse geführt. Jedoch neben diesem Verdienst stehen ihre schwachen, unzureichenden Leistungen, die erfaßten Frauen auf fester ideologischer und organisatorischer Grundlage international zu einheitlichem Handeln zusammenzufassen. Sie erwies sich außerstande, auch diese geschichtliche Aufgabe zu lösen, weil sie selbst ein lockeres Gebilde ohne straffe Organisation war, ohne grundsätzlich geklärten und festen Willen zur einheitlichen Aktion. Sie verriet schließlich zusammen mit ihrer großen allgemeinen historischen Aufgabe auch die Sonderpflicht gegen die Proletarierinnen, indem sie im Weltkrieg für den Imperialismus statt für den Sozialismus, die proletarische Revolution, kämpfte. Dieser Verrat hatte auf den Kongressen zu Stuttgart, Kopenhagen und Basel den Todesschatten der Zweiten Internationale vorausgeworfen. Sie stand in der entscheidenden Stunde nicht führend über und vor den proletarischen Massen, wie diese, so hatte auch sie sich von der wirtschaftlichen Entwicklung tragen lassen, statt geistig über sie hinauszugreifen und den Willen der Arbeiterklasse international geklärt auf den revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus einzustellen. Der Verrat der internationalen proletarischen Solidarität bedeutete für die Proletarierinnen, daß die Zweite Internationale auf gehört hatte, die Vorkämpferin ihrer vollen Befreiung und Gleichberechtigung zu sein. Sie wurde aus einer stürzenden zu einer stützenden und erhaltenden Macht des Kapitalismus, ohne dessen Vernichtung die Proletarierin nicht aufhört, Sklavin und elend zu sein. Die Zweite Internationale hat ihr Schandwerk des Verrats in den Nachkriegsjahren und insbesondere in der Revolutionszeit gesteigert fortgesetzt.
Die Dritte Internationale setzt von ihrem Gründungskongreß an das von der Zweiten Internationale begonnene, aber schließlich verratene Werk für die volle Befreiung der werktätigen Frauen fort. Es geschieht in klarer Würdigung der höheren geschichtlichen Entwicklungsstufe, die dafür erreicht worden ist, sowohl durch die fortgeschrittene objektive Reife der Gesellschaftszustände als auch durch die bewußte Tat des Proletariats, die russische Oktoberrevolution. Diese Entwicklungsstufe entscheidet die Zielsetzung und verpflichtet. Aufgabe der Kommunistischen Internationale ist es, den Proletarierinnen, den werktätigen Frauen aller Länder ins Bewußtsein zu hämmern, daß die materiellen sozialen Bedingungen für die Emanzipation ihres Menschentums vorhanden sind, und daß es ihr Werk zu sein hat, in Gemeinschaft mit ihren Klassengenossen den befreienden Umsturz der Gesellschaft zu vollziehen. Mit anderen Worten: sie muß die Erkenntnis, den Willen und das Handeln dieser Frauenmassen auf die proletarische Revolution konzentrieren, muß sie in die Kampfreihen der Vorhut des Weltproletariats eingliedern, die ziel- und wegsicher unaufhaltsam gegen die bürgerliche Ordnung vordringt. Vorbereitung und Sicherung der internationalen Einheitlichkeit der Aktion von Frauen und Männern zum Sturz der Gesellschaft des Kapitalismus ist die internationale Einheitlichkeit der Idee, nämlich der Erkenntnis von dem knechtenden Wesen der bürgerlichen Ordnung, von der befreienden Wirkung des Kommunismus, von der geschichtlich gegebenen Möglichkeit, ja Notwendigkeit, die bürgerliche Ordnung zu vernichten, den Kommunismus zu verwirklichen.
Die Richtlinien für die internationale kommunistische Frauenbewegung sollen die Einheitlichkeit der Idee und der Aktion herstellen helfen. Sie sind grundsätzliche und taktische Wegweisung für tätige, führende Kämpferinnen und Kommunisten, nicht Agitationsschrift für zu erweckende und zu mobilisierende werktätige Frauenmassen. Ihr Charakter ist prinzipiell, programmatisch. Ausgangspunkt und Leitmotiv ist die Feststellung, daß die letzte Ursache der sozialen und menschlichen Unfreiheit und Versklavung des weiblichen Geschlechts das Privateigentum an den Produktionsmitteln ist, und daß cs folglich nur seine volle Gleichberechtigung und Freiheit erlangen kann, wenn die Produktionsmittel aus Privatbesitz in Gesellschaftseigentum übergehen. Der auf dem Privateigentum ah den Produktionsmitteln beruhende Gegensatz von Besitzenden und Besitzlosen hat unter der kapitalistischen Produktionsweise seine letzte und höchste Form erreicht in dem Klassengegensatz von Bourgeoisie und Proletariat, und er wirkt sich auch unerbittlich scheidend in der Frauenwelt aus. In den 15 Jahren, die seit Ausbruch des imperialistischen Weltkriegs verflossen sind, ist eine konsequente, zwangsläufige Rückwärtsentwicklung das charakteristische Merkmal dieser Bewegung, der Betätigung der geflickten und frisch ausgebügelten Zweiten Internationale für die Interessen des weiblichen Geschlechts. Die glänzenden äußeren, zahlenmäßigen Fortschritte in der Organisierung der sozialistischen Frauen unterstreichen den andauernden Verfall in der Zielsetzung, dem Inhalt dieser Frauenbewegung, ihrer Stellungnahme zu den sich aufdrängenden wichtigsten Problemen. Der innere Verfall ist unvermeidlich, unaufhaltsam. Er ist eine geschichtliche Begleiterscheinung des Verrats des Proletariats und seiner Revolution durch die Parteien und Organisationen der Zweiten Internationale. Der Verrat begann beim Kriegsausbruch, er setzte sich in den ersten Jahren nach Kriegsende fort, als angesichts der objektiven Reife der sozialen Dinge für die Revolution die Waffen in den Proletarierfäusten günstige Bedingungen für ihren Sieg schufen, und er dauert — sich steigernd — in der Periode der Koalitionsregierungen fort. Indem die sozialistischen Parteien der neuen Zweiten Internationale die marxistische Auffassung der Gesellschaftsentwicklung preisgeben, an Stelle der Revolution die Reform setzen, an Stelle der Diktatur des Proletariats die bürgerliche Demokratie, an Stelle des unversöhnlichen Klassenkampfes die Klassenverständigung und Klassenversöhnung, an Stelle des Sturzes der bürgerlichen Gesellschaftsordnung deren Unterstützung und Erhaltung, vertagt sie auch die volle soziale und menschliche Befreiung des weiblichen Geschlechts auf St. Nimmerlein.
Die sozialistische Frauenbewegung erfährt als integrierender Bestandteil der Zweiten Internationale die volle Auswirkung der rückläufigen Entwicklung, ja sie zeigt sie in verstärktem Maße. Es verdient jedoch Beachtung, daß die fortgeschrittensten Teile der Sozialdemokratinnen in vielen Ländern diesem Schicksal länger widerstanden haben als die Arbeitermassen. In Berlin erzwang sich 1915 eine Delegation organisierter sozialdemokratischer Frauen den Zugang zum Parteivorstand, um ihm eine Resolution zu übergeben und zu begründen, die sein und der Reichstagsfraktion sozialpatriotisches Verhalten als Preisgabe der beschworenen Grundsätze auf das schärfste verurteilte und die sofortige Rückkehr auf den Boden des proletarischen Klassenkampfes, zu den Prinzipien des internationalen Sozialismus forderte, wie das Eintreten für den Frieden. Der jetzt so würdevoll von der Demokratie deklamierende Reichskanzler Hermann Müller war damals noch simpler Parteisekretär, der mit höchst undemokratischen Manieren seinen Genossinnen den Zutritt zu den „Parteivätern“ zu verwehren suchte. Da erfuhr er, daß auch Proletarierinnenhände sich zu Fäusten ballen können, und das nicht bloß in der Tasche. Die schwälende Empörung sozialistischer Frauen gegen den Verrat des Sozialismus fand einen internationalen Ausdruck und wollte Tat werden. An der Sozialistischen Internationalen Frauenkonferenz zu Bern nahmen Sozialistinnen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Holland, Rußland, Polen und der Schweiz teil, und aus anderen Ländern trafen nachträglich Zustimmungserklärungen ein, so insbesondere aus Bulgarien und Serbien. Die Delegierten aus Deutschland und Frankreich handelten unter Bruch der Parteidisziplin, und die Aktion der deutschen Konferenzteilnehmerinnen wurde vom sozialdemokratischen Parteivorstand nicht bloß verfemt, sondern geradezu dem Staatsanwalt denunziert. In allen Ländern standen Sozialistinnen im Vordertreffen des Kampfes gegen den imperialistischen Krieg, hier und da in unbeugsamer grundsätzlicher Opposition gegen den Sozialpatriotismus der sozialdemokratischen Parteien, großen Schwierigkeiten und Gefahren trotzend. In Deutschland hatte der Spartakusbund eine gute Zahl energischer opferfreudiger Anhängerinnen, und das auch unter den jugendlichen Proletarierinnen.
Manche der Frauen, die während des Krieges die sozialistischen Grundsätze tapfer verteidigten, stehen heute in Reih und Glied der Kommunistischen Internationale. Andere haben aus dem historischen Erleben seit 1914 nichts gelernt und das vergessen, was sie in der Vorkriegszeit vom revolutionären Marxismus erfaßt hatten. Als Ganzes trägt heute die sozialistische Frauenbewegung der II. Internationale die Wesenszüge fortschreitender Verbürgerlichung. Im schärfsten Bruch mit ihrer verheißungsvollen, rühmlichen Aufwärtsentwicklung in der Vorkriegszeit hat sie aufgehört, ein Organ des revolutionären proletarischen Klassenkampfes für die Ausrottung des Kapitalismus und seiner Gesellschaftsordnung zu sein. Sie verzichtet darauf, den Blick unverwandt auf das Endziel gerichtet, Massen der Proletarierinnen, der werktätigen Frauen in die vordersten Reihen und das dichteste Schlachtgetümmel der politischen und wirtschaftlichen Kämpfe des Proletariats zu führen, theoretisch anregend und forschend, praktisch handelnd bei der Klärung von Problemen der Frauenfrage voranzugehen, die Probleme der Arbeiterklasse und ihres Befreiungsringens sind. Sie ist herabgesunken zu einem Organ der verbürgerlichten sozialistischen Parteien und Gewerkschaften, das unter den Schwindellosungen „Demokratie in Staat und Wirtschaft“, „Industriefrieden“, „Verwirklichung des Staatsgedankens“ der Klassenherrschaft der Bourgeoisie dient und damit die Ausbeutung und Unterdrückung der werktätigen Frauen, insbesondere der Proletarierinnen erhält und unter der Herrschaft des Monopolkapitals und der Rationalisierung sogar steigert. Sie ist herabgesunken zu einem Werkzeug der sozialchauvinistischen und sozialimperialistischen, reformistischen Arbeiterparteien, das unter pazifistischem Psalmodieren von Frieden, Völkerbund und Abrüstung dem Rüsten zu neuem Völkermorden und gegen den einzigen Staat der proletarischen Diktatur dient. Die Frauenpresse der Zweiten Internationale erbringt fortlaufend den Beweis dafür, die Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenzen spiegeln es ab.
Symptomatisch für das „Rückwärts“ des einst so „stolzen Cid“ ist der Charakter und Verlauf der ersten dieser Konferenzen. Sie tagte zu Pfingsten 1923 in Hamburg in der aufgehenden Sonne des Einigungskongresses der Zweiten Internationale und der Internationale Zweieinhalb, aus dem die alte Zweite Internationale unter der neuen Firma „Sozialistische Arbeiter-Internationale“ hervorging. Zwischen der letzten Frauenkonferenz der Zweiten Internationale zu Kopenhagen 1910 und dieser Tagung der Sozialistinnen zu Hamburg lagen die gewaltigsten geschichtlichen, welterschütternden Ereignisse: der Machtkampf der großen imperialistischen Staaten, der in der Ruhrbesetzung nachzitterte, die proletarische Revolution in Rußland, das reichlich fünfjährige Bestehen und Wirken des ersten Staates der proletarischen Diktatur, zu dessen ersten Lebensäußerungen die Aufforderung zum Frieden gehörten und die gesetzliche Anerkennung voller Freiheit und Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts. Kein Wort des Rückblicks auf das Weltgeschehen, kein Ueberblick über die Gegenwart, kein Ausblick auf die Zukunft. Daß außerhalb des Tagungslokals eine stürmisch bewegte Welt wogt, in der Altes mit Neuem ringt, kam nur durch zwei Episoden zum Ausdruck. Trotz der Abschwörung der Behandlung „politischer Fragen“, die allein Sache des Kongresses sei, durften eine Menschewikin, eine Sozialrevolutionärin und eine Ukrainerin die Konferenzteilnehmerinnen durch ebenso verlogenes wie sentimentales Gejammer über die angebliche Lage der Frauen in Rußland „erschüttern“. Dagegen ward der unbequemen, temperamentvollen Aufforderung der deutschen Delegierten Lore Agnes keine Erfüllung, die Konferenz möge Stellung zu den vorliegenden politischen Fragen nehmen, insbesondere zur Ruhrbesetzung, die so tief in das Leben der schaffenden Frauen eingriff. Auf der Tagesordnung standen diese Fragen: „Das politische Frauenwahlrecht“, „Mutter- und Kinderschutz“, „Wiederaufnahme des Internationalen Frauentags“, „Erziehung zur Friedensgesinnung“. Sie wurden ohne begründende Referate durch vorgelegte Resolutionen erledigt. Wie die Berichte und Debatten, so ermangelten auch diese Resolutionen jeder Spur einer grundsätzlichen Einstellung, der materialistischen Geschichtsauffassung des wissenschaftlichen Sozialismus entsprechend. Die Worte und Begriffe Kampf und Kämpfen waren auf der Konferenz fast völlig verschwunden, das Wort Revolution befleckte keine Lippe, vom Sozialismus wurde nur anstandshalber etwas in den Resolutionen erwähnt, im Stile eines Märchens aus alten Zeiten: „Es war einmal.“
Was sich in der Hamburger Konferenz keimhaft, doch deutlich wahrnehmbar ankündigte, tritt in den folgenden Frauentagungen der Sozialistischen Arbeiter-Internationale ausgewachsen, greifbarer in Erscheinung. Die internationale sozialistische Bewegung hat nicht mehr als ihr Ziel im Auge den Anteil der proletarischen, der werktätigen Frauenmassen an der Eroberung der Macht durch das Proletariat, der Umwälzung der bürgerlichen in die sozialistische Gesellschaft durch die Revolution. Sie träumt reformistisch von einem friedlichen „Hineinwachsen in den Sozialismus“ und erstrebt ein möglichst behagliches Einrichten der Ausgebeuteten und Geknechteten auf dem Boden der heutigen Ordnung. Damit, daß sie die tragende Grundidee des revolutionären Marxismus verrät, verliert sie auch die richtige grundsätzliche Einstellung zu den Reformen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und den Willen, erst recht aber die Kraft, selbst nur die bescheidenen Forderungen zur Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts und zur Erleichterung drückender Lasten kämpfend zu erzwingen.
Die erste Frauenkonferenz der Zweiten Internationale zu Hamburg und ihre Nachfolgerin zu Marseille im August 1925 zerreißen den heiß erstrittenen Beschluß des Stuttgarter Weltkongresses, das Frauenwahlrecht betreffend. Sie geben den Charakter und das Ziel des Frauenwahlrechts preis, die scharfe Abgrenzung seiner Bewertung gegen bürgerliche Demokratie und Feminismus. Nach der Hamburger Resolution erschöpft sich die Bedeutung des Frauenwahlrechts darin, „Reformen durchzusetzen und den Klassenkampf erfolgreich weiterzuführen“. Zu welchem Ziel, das verschweigt der Sängerinnen Höflichkeit gegenüber der Bourgeoisgesellschaft und der Koalitionspolitik. Das Frauenwahlrecht wird als das einzige Mittel politischer Aktivität aufgefaßt. „Die Frauen können den ihnen zufallenden Teil der Aufgaben nicht erfüllen, solange ihnen das aktive und passive Wahlrecht fehlt.“ In der Vorkriegszeit erklärten die deutschen Sozialdemokratinnen stolz und kampfbereit: „Wählen dürfen wir nicht, aber wühlen können wir, und wir wühlen, wühlen, damit die bürgerliche Ordnung recht bald zusammenstürzt.“
In Marseille wird die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, insbesondere die Einführung des Frauenwahlrechts waschecht frauenrechtlerisch als gleichbedeutend gefeiert mit der vollen sozialen Befreiung der Frau. In demselben Atemzug erklärt sich jedoch die Anbeterin bürgerlicher Demokratie, Frau Juchacz, mit einem Damenwahlrecht einverstanden — ebenfalls waschecht feministisch. Sie fordert das Wahlrecht für die Frauen, „wie es die Männer verfassungsgemäß besitzen“. Also beschränkt dort, wo die bürgerliche Konstitution es für die Proletarier nach dem Geldsack oder sozialen Privilegien einengt oder es ihnen auch ganz vorenthält. Die Krönung der grundsatzlosen Widersprüche ist die Preisgabe des alleinseligmachenden Frauenwahlrechts, wenn diese Forderung der Regierungsfähigkeit sozialistischer Parteien und ihrem Bündnis mit den Liberalen widerspricht. Die englische Delegation verlangt Stellungnahme der Konferenz zu dem bekannten schnöden Verrat des allgemeinen politischen Frauenwahlrechts durch die belgischen Sozialisten, die gegen diese Reformforderung — der Klerikalen stimmten. Der Vorstoß der englischen Delegierten wird durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt.
Die Rationalisierung der kapitalistischen Industrie macht im Interesse der Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten wie im Interesse der gesamten Klasse der Lohn- und Gehaltsfrondenden einen weitfassenden, durchgreifenden gesetzlichen Arbeiterinnenschutz zu brennender Notwendigkeit. Die Auswirkungen der Rationalisierung und der Stabilisierung der bourgeoisen Klassenherrschaft, des diktierenden Monopolkapitals schreien geradezu nach umfassendem gesetzlichen Schutz und sozialer Fürsorge für Mutter und Kind. Die Begleit- und Folgeerscheinungen des imperialistischen Kriegs und der Wiedererstarkung des Kapitalismus steigern die soziale Hilfsbedürftigkeit breitester werktätiger Massen auf das äußerste: die Hilfsbedürftigkeit der Kriegskrüppel, Arbeitslosen, Sozial- und Kleinrentner, der Kranken, Alten und so weiter. Auch dabei geht es um Frauenschicksal und Frauenrecht. Die Frauenkonferenzen der Zweiten Internationale zu Hamburg, Marseille und Brüssel, im August 1928, haben sich unter verschiedenen Kapitelüberschriften mit den dadurch aufgerollten Fragen beschäftigt, und das Ergebnis ist in der Hauptsache tränentropfendes Gerede von Not, Leiden, „humanitären“ Grundsätzen und reformistische Ablehnung des proletarischen Klassenkampfes.
Die Hamburger Konferenz gibt die Note der einschlägigen sozialpolitischen Musik der Zweiten Internationale an. Sie beschränkt die Forderungen für Arbeiterinnen-, Mutter- und Kinderschutz auf das armselige Maß der Beschlüsse der armseligen Washingtoner Konferenz, die noch nicht einmal von allen kapitalistischen Regierungen durchgeführt sind. Die Frauenkonferenz zu Marseille geht nicht über diesen Zauberkreis hinaus und berauscht sich an der Erklärung, daß dank der herrschenden Demokratie nötige Reformen nach den Grundsätzen „eines humanen Menschenrechts“ gestaltet werden. Die Brüsseler Konferenz trippelt gehorsam auf dem alten Platz weiter und nimmt ohne Widerspruch in der Frage des gesetzlichen Schutzes und der Entlohnung der Arbeiterinnen die Behauptung auf, daß sie „vom Gesichtspunkt der Produktion und der Gesellschaft“ aus betrachtet werden müsse. Was darunter zu verstehen ist, spricht etwas weniger geschwollen und mystisch der Bericht der wirtschaftlichen Kommission der Sozialistischen Arbeiter-Internationale aus. Dort heißt es, daß die Kommission die Rücksichtslosigkeit der Rationalisierung verurteilt, jedoch der Meinung ist, daß sie in Zukunft, da sie sich doch unter dem Zwang der Notwendigkeit vollziehe, sich auch für die Arbeiterschaft günstig auswirken werde. Der Bericht kann auch nicht leugnen, daß „die Rationalisierung die Arbeiter zu verfrühter Arbeitsunfähigkeit verurteilt infolge der aufs äußerste angespannten Arbeit und ebenso zu der unglückseligen Arbeitslosigkeit“. Er läßt auch heraufziehende Kriegsgefahren durchblicken. Schließlich die Vertröstung auf die sozialistische Zukunft, für die die Rationalisierung, die Herrschaft der Kartelle, Trusts, Monopole in beschleunigtem Tempo die Grundlage schaffe. Nach dem Muster christlicher Sklavenmoral: duldet und leidet, es wird euch im Himmel wohl gelohnt werden.
Die Frauenkonferenz zu Brüssel macht sich die Auffassung zu eigen, daß „detaillierte Forderungen, Forderungen auf lange Sicht heute nicht gestellt werden können, angesichts des technischen Fortschritts und der anderen Ursachen, die die Produktion und die Verteilung der Waren einschränken“.
Die Arbeiterinnen sollen zufrieden sein, wenn Wirtschafts- und Staatsdemokratie ihnen den Achtstundentag, die achtundvierzig- bzw. sechsundvierzigstündige Arbeitswoche bescheren. Die Reformistinnen enthielten sich peinlich einer sündhaften Meinungsäußerung, daß die Arbeiterinnen zusammen mit den Arbeitern für die dürftigen Forderungen und ein Mehr darüber hinaus kämpfen müssen. Sie sind offenbar der Ueberzeugung, die auf der Internationalen Gewerkschaftlichen Arbeiterinnenkonferenz der Amsterdamer zu Paris im Juli 1927 vertreten wurde, daß die Gefahren und Uebel der modernen Frauenarbeit „nur durch die völlige Erfassung der Arbeiterinnen durch die gewerkschaftliche Organisation“ überwunden werden können, also ohne Kampf gegen die kapitalistischen Herren-im-Hause der Wirtschaft.
Ein großer Reichtum an Worten und Wünschen zur Frage des Mutter- und Kinderschutzes auf der Brüsseler Frauenkonferenz soll über die Armut der Zweiten Internationale an Taten für die Proletarierinnen und ihre Kleinen hinwegtäuschen. Der lange Wunschzettel der Konferenz enthält als bestimmt formulierte Forderungen doch nur diejenigen der Washingtoner Konventionen, nicht einmal die Gewährung von „Stillprämien“ an Mütter, die ihren Säugling an der Brust nähren, und die Einrichtung von Krippen bei den Betrieben und auf Kosten der Unternehmer. Nach der Ansicht der Frauenkonferenz bleiben die schutzbedürftigen Unternehmer überhaupt von Kosten bewahrt, ohne Berücksichtigung der Tatsache, daß sie Mehrwert aus der Arbeit der Frauen und Männer keltern. Die Kosten aller geheischten Einrichtungen und Maßnahmen sozialer Fürsorge für Mutter und Kind — ebenso auch alle Anforderungen für sozial Hilfsbedürftige — sind aus „öffentlichen Mitteln“ zu bestreiten. Der Brüsseler Tagung ist offenbar die Binsenwahrheit ein unergründliches Geheimnis geblieben, daß die als Produzenten ausgebeuteten werktätigen Massen als Staatsbürger im Reich der Demokratie die großen Steuerzahler sind. Ebenso die bockbeinige Wirklichkeit, daß jede Reform vorn Proletariat erkämpft werden muß, und daß die Parteien der Zweiten Internationale die Forderungen zugunsten der Mütter, Kinder und sozial Hilfsbedürftigen in der Aera sozialistischer Ministerherrlichkeit geradezu „berufsmäßig“ verraten. Die in Brüssel tagenden Reformistinnen zehren jedenfalls von der in Marseille gepredigten Weisheit, daß den schaffenden Frauen nötige Reformen als Geschenke der Humanität und parlamentarischer Gesetzgebung in den Schoß fallen.
Früher gehörte zu den charakteristischen Begleiterscheinungen der kapitalistischen Ausbeutung industrieller Frauenarbeit die Massenflucht der proletarischen Kinder aus dieser besten aller Welten, die riesige Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit in der Arbeiterklasse. In dem Zeitalter der Rationalisierung und Stabilisierung mit ihrer wachsenden Arbeits- und Notbürde für die werktätigen Frauen hat sich dazu die Massenflucht der Mütter vor dem Kinde gesellt. In allen kapitalistischen Ländern sinkt die Geburtenzahl rasch, stark und andauernd. Die Frage der „Geburtenkontrolle“, der straffreien künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung und Empfängnisverhütung ist von brennender Aktualität. In der Sitzung des Frauenkomitees bei dem Sekretariat der Zweiten Internationale im Dezember 1927 zu Köln zeigte sich große Neigung, die Frage als besonderen Punkt der Tagesordnung durch die Brüsseler Konferenz behandeln zu lassen. Die Absicht kapitulierte jedoch vor dem Widerspruch der Vertreterin der englischen Labour Party. Ihre Führer sind dagegen, „diese Angelegenheit zu einer Angelegenheit der Partei zu machen, um nicht die tief religiösen Gefühle einer großen Masse des Volks zu verletzen“. Der Auffassung der frommen Macdonalds gehorsam hatte die Frauenkonferenz der britischen Arbeiterpartei zu Portsmouth auf eine Stellungnahme zu der Geburtenkontrolle verzichtet.
Die Internationale Frauenkonferenz zu Brüssel konnte nicht ganz so tugendhaft sein. Sie mußte sich erklären. Um jedoch die Meinungsgegensätze in der sozialistischen Frauenbewegung in den Parteien der Sozialistischen Arbeiter-Internationale nicht schroff und sich verschärfend zum Ausdruck kommen zu lassen, sah sie von einer Erörterung der Streitfrage durch Referat und Diskussion ab. Sie beschied sich mit einer Resolution gegen den Gebärzwang, die von den Vertreterinnen von zwölf Parteien und einzelnen Delegierten aus anderen Ländern unterzeichnet wurde, darunter auch von der Vertreterin der Unabhängigen Arbeiterpartei in England. Wie das Um und Auf der Erklärung die Uneinheitlichkeit der Ansichten in der Frage zeigt, so ihr Inhalt die mangelnde gründliche Erörterung des Problems vom Standpunkt des historischen Materialismus. Sie stellt nicht scharf dessen unlösbaren Zusammenhang mit der Gesellschaftsordnung des Privateigentums auf der gegenwärtigen Stufe der Entwicklung heraus, sie zieht keine feste Trennungslinie gegen Neomalthusianismus. Ja mehr: eine Delegierte aus der Tschechoslowakei befürwortete die Erklärung mit unverfälscht neomalthusianischen Gedankengängen. Die Brüsseler Internationale Frauenkonferenz demonstrierte ihre Feigheit und Unaufrichtigkeit, indem sie bei der Behandlung des Arbeiterinnen-, Mutter- und KinderSchutzes — den Abortus inbegriffen — in allen Sprachen von den beispiel gebenden Einrichtungen und Maßnahmen in der Sowjetunion schwieg.
Eindeutig tritt es bei der Einstellung zur Kriegsgefahr zutage, daß die Frauenbewegung der Zweiten Internationale, wie überhaupt alle ihre Organisationen, mit beiden Füßen im Lager des Klassenfeindes steht, dessen Herrschaft die volle Befreiung des weiblichen Geschlechts zur Unmöglichkeit macht. Mit der humanitär schillernden Bemäntelung „Erziehung zur Friedensgesinnung“ zog sich die Hamburger Konferenz vom proletarischen Klassenkampf gegen die imperialistischen Kriege auf weniger opferreiche und gefährliche Katzbalgereien mit nationalistischen Schulmeistern und Proteste gegen chauvinistische Lehrbücher zurück. In Marseille erfolgte ein klärender Schritt nach rückwärts. Auf der Tagesordnung der Konferenz stand der „Kampf gegen den Krieg“. Es war die Zeit des greuelreichen Marokkokrieges des französischen Imperialismus gegen die Rifkabylen. Eine Abordnung werktätiger Frauen wollte anfragen, wie die Vorkämpferinnen der Sozialistischen Arbeiter-Internationale sich zum Marokkokrieg stellten. Die Konferenz lehnte es ab, die Delegation zu empfangen oder ihr auch nur eine Antwort zu geben. Von reformistischen Rechts wegen. Der Delegation haftete „der Ludergeruch der Revolution“, des Kommunismus an. Sie war aus der Initiative kommunistischer Frauen hervorgegangen.
Doch nicht nur sie, auch die unverdächtigen englischen Delegierten waren so „verständnislos“ für die Situation, eine Stellungnahme der Konferenz zum Marokkokrieg zu heischen. Ohne zu berücksichtigen, daß daran die internationale Einheit der reformistischen Schwestern in die Brüche gehen müsse. Die sozialistische Partei Frankreichs hatte nämlich die Kredite für den imperialistischen Raubzug bewilligt und auf jede Protestaktion unter den Massen verzichtet. Die geriebenen Praktikerinnen der Konferenz steuerten diese um die zweite, schwerere Belastungsprobe ihres wortseligen Pazifismus herum. Sie manövrierten den Antrag der englischen Delegierten in die Dunkelkammer einer Kommission. Aus ihr ging eine phrasengeschwollene unanstößige Resolution gegen jeden Krieg hervor, „von welcher Seite er auch komme“. Der pazifistischen Hüllen entkleidet besagt das: Ablehnung des Bürgerkrieges, der Revolution, Kampf gegen den zusammengefabelten „roten Imperialismus, gegen die Sowjetunion“.
Neuerlich mußte sich die Frauenkonferenz zu Brüssel mit der Frage des Kampfes gegen Kriegsgefahr und Krieg beschäftigen. Die vom Sozialisten Paul Boncour geschaffenen neuen Militärgesetze stellten das Thema: Die Mobilisierung der Frauen auf ihre Tagesordnung. Wie Backfischchen in der ersten Liebe, so schwelgen die Konferenzteilnehmerinnen in Hoffnungen auf den Völkerbund, die Abrüstungskonferenzen, die Friedensgebete der Pazifisten und vor allem auf den papierenen „Stimmzettel der Mütter“ gegen die metallene Macht der rüstungstollen Imperialisten. Mit pazifistischen Gemeinplätzen verurteilen sie scharf die Mobilisierung der Frauen für Kriegszwecke, wie das Boncoursche Gesetz sie vorschreibt. Die französische Delegierte Saumoneau — einst überzeugte Bekämpferin des imperialistischen Kriegs — zerstört den pazifistischen Ringelreihen. Sie rechtfertigt die Mobilisierung der Frauen mit der Pflicht nationaler LandesVerteidigung für alle mit der Lobpreisung des Fortschritts in der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, und das in einem kapitalistischen Staat, der den Frauen das Wahlrecht vorenthält. Die Konferenz kann ihr nichts anderes entgegenstellen als pazifistische Illusionen, sie steht ja mit der Zweiten Internationale auf dem Boden der „Vaterlandsverteidigung“. Wie könnte sie unzweideutige Antwort geben: Mobilisierung der Frauen, jawohl, jedoch nun und nimmer für den Militärapparat der kapitalistischen Staaten, Mobilisierung gegen ihn, für den Bürgerkrieg, die Revolution. Die Konferenz hat kein Wort der Sympathie, der Verteidigung für die nationalen Freiheitsbewegungen der Kolonial- und Halbkolonialvölker, für das revolutionäre China, ja nicht einmal für das Erwachen der Frauen im Osten. Sie schweigt beredt über die konsequente Friedenspolitik der Sowjetunion, die in den Abrüstungsvorschlägen Litwinows auf der komödienhaften Genfer Konferenz zum Ausdruck kam, Vorschläge, die doch sogar von bürgerlichen Pazifisten begeistert begrüßt wurden. Auch auf sie fällt die Schmach des Brüsseler Weltkongresses der Zweiten Internationale, der in einem „Aufruf“ an alle Völker zwar die Bereitschaft der Sozialistischen Arbeiter-Internationale versichert, „die Sowjetrepublik gegen die Feindseligkeiten kapitalistischer Regierungen zu verteidigen“, aber gleichzeitig die Arbeiter der Räteunion aufhetzt, die Demokratie gegen „die politische Despotie“ zu schützen.
Die Zweite Internationale ist nach ihrer Auferstehung als Sozialistische Arbeiter-Internationale organisatorisch ein lockeres Gefüge geblieben. So hat auch ihre Frauenbewegung national und international keine einheitliche Organisation. Immerhin besteht im Vergleich zu der Vorkriegszeit eine etwas bessere Verbindung zwischen ihr und der Leitung der Zweiten Internationale, wie mit den Organisationen in den einzelnen Ländern. Der Hamburger Gründungskongreß lehnte zwar den Antrag der voraufgegangenen Konferenz ab, daß eine Frau dem Büro der Exekutive angehöre, doch beschloß er die Einsetzung eines Frauenkomitees, das Fühlung mit diesem zu halten hat. Es wurde erst 1927 regelrecht konstituiert und besteht aus 15 Vertreterinnen verschiedener Länder, mit einem leitenden Präsidium von fünf Frauen an der Spitze. Das Frauenkomitee tritt mindestens einmal jährlich zusammen. Seine Aufgabe ist, die Frauenbewegung in den einzelnen Staaten international miteinander zu verbinden, das Sekretariat der Exekutive zu informieren und die internationalen Frauenkonferenzen vorzubereiten. Die internationale Zusammenfassung ist also nicht sehr straff. Das macht sich auch bei der einzigen internationalen Frauenaktion der Zweiten Internationale geltend, bei der Abhaltung des internationalen Frauentages, dessen Wiedereinsetzung in Hamburg beschlossen wurde. Es ist nicht möglich gewesen, sein Begehen einheitlich an einem bestimmten Tag in allen angeschlossenen Ländern durchzusetzen. Die Parteien der Zweiten Internationale widerstreben dem. In Oesterreich und England nahm in den letzten Jahren der Internationale Frauentag der Reformistinnen einen glänzenden Verlauf. Doch wie verändert ist sein Charakter. Er ist nicht mehr ein Aufmarsch sich zusammenballender revolutionärer Kräfte zum Sturz der bürgerlichen Eigentumsordnung, er ist ein reformistisches Schaugepränge, bei dem sozialistische Gesten die ausgebeuteten und verknechteten Frauen über den bourgeoisfrommen Gehalt beschwindeln sollen.
Obgleich die Zweite Internationale nicht bloß das Anrecht der Proletarierinnen, der Kleinbürgerinnen und Kleinbäuerinnen auf volle soziale Befreiung durch die Revolution andauernd verrät, sondern auch deren elementarsten Gegenwartsforderungen nach einem bescheidenen Mehr von Brot, Recht, Freiheit, führt sie doch breite Massen dieser Enterbten am Narrenseil. Die internationalistische sozialistische Frauenbewegung ist zweifellos eine starke und rasch wachsende Macht, die sich zum Schutze des Kapitalismus gegen die Revolution kehrt. Auf der Internationalen Frauenkonferenz zu Brüssel waren 915.000 politisch organisierte Frauen vertreten, die reformistischen Gewerkschaften musterten 1.687.000 weibliche Mitglieder. In jedem Bericht verzeichnet zumal die deutsche und die österreichische Partei ein erhebliches Steigen ihrer weiblichen Mitgliederzahl. Die Partei des Panzerkreuzerreichskanzlers Müller zählte am Schluß des Jahres 1928 auf nahezu eine Million Mitglieder 198.771 Frauen.
In den imponierenden Zahlen äußert sich unleugbar die große Gunst äußerer Umstände. In den Ländern, wo die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften freundwillige, gehorsame Helferinnen und Dienerinnen der ausbeutenden und herrschenden Bourgeoisie sind, sitzen ihre Führer und aktiven Anhänger in den gesetzgebenden, regierenden und verwaltenden Körperschaften, sie entscheiden mit über Aemterverteilung, über die öffentlichen Mittel der Sozialversicherung, der Wohlfahrtseinrichtungen und anderes mehr. Wo den Frauen die politische Gleichberechtigung eignet, haben die großen und kleinen reformistischen Führerinnen ihren Anteil an dieser Vorzugsstellung. Die Organisationen der Zweiten Internationale verfügen in der Folge zur Bearbeitung der breiten werktätigen Frauenmassen über einen sehr zahlreichen Stab agitatorisch, propagandistisch und organisatorisch tätiger Frauen und Männer, die nicht wie früher von den Behörden gehetzt, von der bürgerlichen Meinung verlästert, sondern begönnert werden und die sozialen Einfluß besitzen. Das sichert den sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften einen reichen Zustrom weiblicher Mitglieder und darüber hinaus von Anhängerinnen nicht allein aus proletarischen, auch aus kleinbürgerlichen Kreisen. Der gelegentlich auch aus öffentlichen Kassen und Kapitalistengeldschränken gespeiste stattliche Agitationsfonds, raffiniert dem Milieu angepaßte Agitationsmethoden und Organisationsformen und namentlich eine geschickt zugeschnittene Frauenpresse vermitteln volle Ausnutzung der vorteilhaften Umstände.
Jedoch neben diesen Tatsachen bestehen andere, die behufs Ueberwindung des täuschenden und lähmenden Einflusses der Zweiten Internationale auf die schaffenden Frauenmassen nicht übersehen werden dürfen. Unter den führenden und namentlich unter den weniger hervortretenden, tätigen Reformistinnen befinden sich Frauen, die durch lange Jahre des Wirkens reiche Erfahrungen und großes Geschick, auf bestimmten Gebieten Sachkenntnis erlangt haben, die Existenzbedingungen, Bedürfnisse und die Psychologie der Massen vorzüglich kennen und persönliches Vertrauen genießen. Nicht Kleinbürgerinnen, Proletarierinnen stellen den reformistischen Organisationen die Mehrzahl ihrer weiblichen Mitglieder, und übrigens müssen in dem gegenwärtigen Stadium der Klassenkämpfe nicht nur die Proletarierinnen, vielmehr ebenso wie die Kleinbäuerinnen auch die Kleinbürgerinnen gegen den Kapitalismus mobilisiert werden, unter dessen ausbeuterischem, ver- knechtendem Wesen sie leiden. Ferner und vor allem: weit, sehr weit über die Arbeiteraristokratie hinaus sind zumal die proletarischen, die werktätigen Frauen ihrer Grundstimmung und Grundeinstellung nach reformistisch und nicht revolutionär. Das ist die letzte Ursache, weshalb sie unter Führung der Zweiten Internationale, die ihre Interessen tagtäglich Opportunitätsrücksichten opfert, die bürgerliche Gesellschaft schützen und erhalten helfen, die ihr Menschentum verkrüppelt und vernichtet. Um die Lebensdauer dieser Gesellschaft zu verlängern, ist der frühere Kampf der Zweiten Internationale für die volle Befreiung der Frau heute zur verächtlichen Spiegelfechterei geworden. Die schaffenden Frauen werden sich erst dann gegen den Verrat auflehnen und ihn durch ihre Abkehr von den Spiegelfechtern strafen, wenn die Klärung und das Reifen ihres Klassenbewußtseins sie aus illusionsbefangenen Parteigängerinnen des Reformismus zu scharfäugigen, entschlossenen Revolutionärinnen machen. Dann werden sie mit der Kommunistischen Internationale für ihre Emanzipation kämpfen, und ihr Kampf wird die Zertrümmerung der bürgerlichen Ordnung beschleunigen.
Zuletzt aktualisiert am 6. Juni 2019