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Die kapitalistische Produktionsweise entwickelt sich in der Regel (außer in manchen Kolonien) zuerst in den Städten, zuerst in der Industrie, Die Landwirthschaft bleibt meist lauge von ihr unberührt. Aber bereits die industrielle Entwicklung wirkt dahin, der landwirthschaftlichen Produktion einen anderen Charakter zu geben.
Die mittelalterliche Bauernfamilie war eine sich völlig oder fast völlig selbstgenügende Wirthschaftsgenossenschaft, die nicht nur ihre eigenen Lebensmittel produzirte, sondern auch ihr Haus selbst baute, ihre Möbel und Hausgeräthe selbst herstellte, sogar die Mehrzahl der plumpen Werkzeuge selbst verfertigte, selbst das Leder gerbte, den Flachs und die Wolle verarbeitete, selbst ihre Kleider anfertigte u. s. w. Wohl ging der Bauer auf den Markt, aber er verkaufte dort nur den Ueberschuß dessen, was er produzirte, und kaufte nur Entbehrliches, mit Ausnahme von Eisen, das er aber so spärlich als möglich anwendete. Vom Ausfall des Marktes mochte seine Bequemlichkeit und sein Luxus abhängen, nicht aber seine Existenz.
Diese selbstgenügsame Genossenschaft war unverwüstlich. Das Schlimmste, was ihr passiren konnte, waren Mißernte, eine Feuersbrunst, der Einfall eines feindlichen Heeres. Aber selbst diese Schicksalsschläge bedeuteten blos vorübergehendes Ungemach, sie schnitten nicht die Lebensquellen ab. Gegen Mißernte schützten meist die großen Vorräthe, die man aufgespeichert; das Vieh gab Milch und Fleisch; Wald und Wasser lieferten ebenfalls Beiträge zum Tisch. Im Wald war auch Bauholz, um an Stelle eines niedergebrannten Hauses ein anderes zu setzen. Vor dem Feinde entwich man mit Vieh und Fahrhabe in den Wald und kam wieder zurück, nachdem dieser abgezogen. Was er auch verwüstet haben mochte, das Ackerland, die Weide, den Wald, diese Grundlagen der Existenz, hatte er nicht zerstören können. Waren die nöthigen Arbeitskräfte vorhanden, hatten Menschen und Vieh keinen Schaden gelitten, dann war das Unheil bald wieder gutgemacht.
Noch in unserem Jahrhundert hat uns der konservative Nationalökonom Sismondi den behaglichen Zustand dieser unabhängigen Bauernschaft, deren Zustand sein Ideal war, lebhaft geschildert:
„Das ländliche Glück, dessen Bild uns die Geschichte in den ruhmvollen Zeiten Italiens und Griechenlands zeigt, ist auch in unserem Jahrhundert nicht unbekannt. Ueberall, wo bäuerlicher Grundbesitz zu finden, ist auch jener Wohlstand, jene Sicherheit, jenes Zutrauen in die Zukunft, jene Unabhängigkeit anzutreffen, die gleichzeitig das Glück und die Tugend sichern. Der Bauer, der mit seinen Kindern die ganze Arbeit auf seinem kleinen Erbtheil verrichtet, der weder einen Pachtzins an Jemand über ihm, noch einen Lohn an Jemand unter ihm zahlt, der seine Produktion nach den Bedürfnissen seines Konsums einrichtet, der sein eigenes Getreide ißt, seinen eigenen Wein trinkt, sich mit dem selbstgebauten Flachs und der selbstgezogenen Wolle kleidet, kümmert sich wenig um die Marktpreise; denn er hat wenig zu kaufen oder zu verkaufen, und er wird niemals durch Handelskrisen ruinirt. Weit entfernt, für die Zukunft zu fürchten, verschönert sie sich in seinen Erwartungen; denn er verwendet im Interesse seiner Kinder, ja, der kommenden Jahrhunderte jeden Augenblick, den nicht die Jahresarbeit von ihm fordert. Es kostet ihn wenig Zeit, den Kern in den Boden zu legen, der nach einem Jahrhundert ein mächtiger Baum sein wird; den Graben zu ziehen, der sein Feld für immer entwässert; die Leitung anzulegen, die ihm Quellwasser zuführt; durch unermüdlich wiederholte, müßigen Augenblicken abgestohlene Bemühungen alle Arten von Vieh und Pflanzen zu verbessern, die ihn umgeben. Sein kleines Erbgut ist eine wahre Sparkasse, die immer bereit ist, alle seilte kleinen Gewinne aufzunehmen, alle seine Augenblicke der Muße zu verwerthen. Die immer thätige Kraft der Natur befruchtet sie und belohnt sie hundertfach. Der Bauer empfindet auf das Lebhafteste das Glück, das mit seinem Besitzthum verknüpft ist.“ (J.C.L. Simonde de Sismondi, Études sur l’économie politique, I, S. 170, 171)
Dies Glück des Kleinbauern durfte noch vor sechzig Jahren einer der bedeutendsten Oekonomen seiner Zeit in so lebhaften Farben malen. Das Bild mag etwas zu rosig gehalten sein; es war auch nicht das Bild des allgemeinen Zustandes der Bauernschaft. Sismondi hatte dabei hauptsächlich die Schweiz und einige Gegenden Oberitaliens im Auge. Aber auf jeden Fall ist es kein erfundenes, sondern ein von einem scharfen Beobachter nach der Natur gemaltes Bild.
Man vergleiche damit den Zustand der heutigen Bauernschaft in ganz Europa, die Schweiz inbegriffen, und man wird sich nicht verhehlen können, daß sich eine gewaltige ökonomische Revolution in diesem Zeitraum vollzogen hat.
Den ersten Schritt dazu bildete die Auflösung des bäuerlichen Handwerks durch die vornehmlich städtische Industrie und den Waarenhandel.
Im Schoße der bäuerlichen Familie war nur eine geringe Arbeitstheilung möglich, welche über die zwischen Mann und Weib nicht hinausging. Kein Wunder, daß die städtische Industrie bald das bäuerliche Handwerk überflügelte und für den Bauern Geräthe und Werkzeuge schuf, die dieser längst nicht so vollkommen, oft gar nicht herzustellen im Stande war. Die Entwicklung der Industrie und des Handels erzeugte aber auch in den Städten neue Bedürfnisse, die ebenso wie die neuen, verbesserten Werkzeuge um so rascher und unaufhaltsamer aufs Land hinausdrangen, je reger der Verkehr zwischen Stadt und Land sich vollzog; Bedürfnisse, welche die bäuerliche Industrie nicht zu befriedigen vermochte. An Stelle der leinenen Kittel und der Thierfelle traten Tuchkleider, die Bastschuhe wurden durch lederne Stiefel verdrängt u. s. w. Der Militarismus, der die Söhne der Bauern in die Stadt zieht und mit städtischen Bedürfnissen vertraut macht, beförderte diese Entwicklung ungemein. Ihm ist hauptsächlich die Ausbreitung des Tabak- und Branntweinkonsums zuzuschreiben. Schließlich wurde die Ueberlegenheit der städtischen Industrie auf manchen Gebieten so groß, daß sie die Produkte der bäuerlichen Industrie zu Luxusartikeln stempelte, deren Gebrauch der sparsame Bauer sich nicht gestatten durfte, deren Produktion er daher aufgab. So hat die Entwicklung der Baumwollindustrie, die so billige Kattune herstellt, den Anbau von Flachs für den eigenen Verbrauch des Bauern allenthalben sehr eingeschränkt, vielfach völlig beseitigt.
Die Auflösung der bäuerlichen, für den Selbstgebrauch produzirenden Industrie nahm bereits im Mittelalter ihren Anfang, als das städtische Handwerk aufkam. Aber dessen Vordringen auf dem Lande war nur langsam, blieb auf die nähere Umgebung der Städte beschränkt und berührte kaum merklich die Lebensbedingungen der Bauernschaft. Noch um dieselbe Zeit, als Sismondi das bäuerliche Glück pries, konnte Immermann in seinem Hofschulzen (im Münchhausen) einen westfälischen Großbauern zeichnen, der sagt: „Ein Narr, der dem Schmied giebt, was er selbst verdienen kann“ und von dem es heißt, „daß er auch alle Pfosten, Thüren und Schwellen, die Kisten und Kasten im Hause mit eigener Hand flickt, oder wenn das Glück gut ist, auch neu zuschneidet. Ich meine, wenn er wollte, könnte er auch einen Kunstschreiner vorstellen und würde einen richtigen Schrank zu Wege bringen.“ Auf Island giebt es noch heute kein nennenswerthes besonderes Handwerk. Der Bauer ist dort noch sein eigener Handwerker.
Erst die kapitalistische Industrie ist so übermächtig, daß sie die bäuerliche Hausindustrie für den Selbstgebrauch rasch zurückdrängt, und erst das kapitalistische Verkehrswesen mit seinen Eisenbahnen, Posten, Zeitungen trägt die Anschauungen und Produkte der Stadt bis in die abgelegensten Winkel des Landes und unterwirft so die gesammte Landbevölkerung, nicht blos die Umgebung der Städte, diesem Prozeß.
Je mehr dieser fortschreitet, je mehr die urwüchsige bäuerliche Hausindustrie aufgelöst wird, desto mehr steigt das Geldbedürfniß des Bauern; er braucht jetzt Geld, nicht nur um Entbehrliches oder gar Ueberflüssiges, sondern auch, um Nothwendiges, Unentbehrliches zu kaufen. Er kann seine Wirthschaft nicht mehr fortführen, sein Leben nicht mehr fristen ohne Geld.
Gleichzeitig mit seinem Geldbedürfniß entwickelte sich und wuchs aber auch das Geldbedürfniß der Mächte, die den Bauer ausbeuteten, der Feudalherren und der Fürsten und sonstigen Inhaber der Staatsgewalt. Dies führte bekanntlich zur Umwandlung der bäuerlichen Naturalabgaben in Geldabgaben, es erzeugte aber auch das Streben, diese Abgaben immer höher und höher zu schrauben. Dadurch wurde natürlich das Geldbedürfuiß des Bauern noch mehr gesteigert.
Die einzige Methode, durch die er zu Geld kommen konnte, war die, seine Produkte zu Waaren zu machen, sie auf den Markt zu bringen und dort zu verkaufen. Aber es waren selbstverständlich nicht Produkte seiner rückständigen Industrie, für die er am ehesten Käufer fand, sondern jene Produkte, welche die städtische Industrie nicht erzeugte. So fußte der Bauer schließlich zu dem werden, was man heute unter Bauer versteht, was er aber keineswegs von Anfang an gewesen ist: zum bloßen Landwirth. Je mehr er aber dies wurde, je mehr sich die Trennung von Industrie und Landwirthschaft vollzog, desto mehr verschwand jene Selbständigkeit, Sicherheit und Behaglichkeit der bäuerlichen Existenz, die noch Sismondi stellenweise beim freien Bauern fand.
Der Bauer wurde jetzt abhängig vom Markte, den er noch launenhafter und unberechenbarer fand als das Wetter. Gegen des letzteren Tücken konnte er sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade schützen. Er konnte durch Abzugsgräben die Wirkung allzu nasser Sommer mildern, durch Bewässerungsanlagen allzu großer Trockenheit entgegenwirken, er konnte durch qualmende Feuer seine Weinberge vor den Frösten des Frühlings bewahren u. s. w. Aber er hatte kein Mittel, das Sinken der Preise zu verhindern und unverkäufliches Korn verkäuflich zu machen. und gerade das, was ehedem ein Segen für ihn gewesen, wurde nun zum Flache für ihn: eine gute Ernte. Das trat namentlich im Anfang unseres Jahrhunderts auffallend zu Tage, wo die landwirthschaftliche Produktion in Westeuropa bereits allgemein den Charakter der Waarenproduktion angenommen hatte, die Verkehrsmittel aber noch unvollkommen und wenig im Stande waren, Ueberfluß hier und Mangel dort auszugleichen. Ebenso sehr wie die Mißernten da die Preise steigen machten, ließen gute Ernten sie fallen. In Frankreich ergab die Weizenernte folgenden Ertrag:
|
Durchschnittsertrag |
|
Preis des |
---|---|---|---|
Hektoliter |
Francs |
||
1816 |
9,73 |
28,31 |
|
1817 |
— |
36,16 |
|
1821 |
12,25 |
17,79 |
|
1822 |
— |
15,49 |
Die französischen Landwirthe erlangten 1821–22 bei einer um ein Drittel vermehrten Ernte für den Ertrag eines Hektars nur ca. 200 Francs, um ein Drittel weniger als 1816–17. Kein Wunder, daß der König von Frankreich damals der Kammer sein Bedauern aussprach, daß kein Gesetz im Stande sei, „den Unzukömmlichkeiten vorzubeugen, die aus dem Ueberfluß der Ernten entspringen“.
Je mehr die landwirthschaftliche Produktion zur Waarenproduktion wurde, desto weniger konnte sie auf der primitiven Stufe des direkten Verkaufs vom Produzenten an den Konsumenten bleiben. Je ferner und ansgedehnter die Märkte waren, für die der Landmann produzirte, desto unmöglicher war es für diesen, direkt an den Konsumenten zu verkaufen, desto mehr bedurfte er eines Vermittlers. Der Händler tritt zwischen Konsumenten und Produzenten; er übersieht den Markt weit besser als der letztere, er beherrscht ihn bis zu einem gewissen Grade und nützt dies zur Ausbeutung des Bauern aus.
Zum Korn- und Viehhändler gesellt sich bald der Wucherer, falls er mit jenem nicht identisch ist. In schlechten Jahren reichen die Geldeinnahmen des Bauern nicht aus, sein Geldbedürfniß zu decken; es bleibt ihm nichts übrig, als seinen Kredit in Anspruch zu nehmen, seinen Grund und Boden zu verpfänden. Eine neue Abhängigkeit, eine neue Ausbeutung, die schlimmste von allen, beginnt für ihn, die vom Wucherkapital, die er nur schwer wieder abwirft. Nicht immer gelingt es ihm, oft erweist sich die neue Last als zu schwer für ihn, und das Ende vom Liede ist die Subhastirung des Erbgutes, um aus dem Erlös den Wucherer und auch wohl noch den Steuerexekutor zu befriedigen. Was ehedem Mißernte, Feuer und Schwert nicht vermochten, das erreichen jetzt die Krisen auf dem Korn- und Viehmarkt. Sie bringen nicht blos vorübergehendes Ungemach für den Bauern mit sich, sie sind ins Stande, ihm seine Lebensquellen – seinen Grund und Boden – zu entfremden und ihn schließlich völlig von ihnen zu trennen, ihn zum Proletarier zu machen. Dahin kommt es mit dem Wohlstand, mit der Unabhängigkeit, mit der Sicherheit des freien Bauern dort, wo seine Hausindustrie zum Selbstgebrauch sich auflöst und Geldsteuern ihm aufgebürdet werden.
Aber die Entwicklung der städtischen Industrie legt auch den Keim zur Auflösung der urwüchsigen bäuerlichen Familie. Zu einem Bauerngut gehörten ursprünglich so viele Felder, als zur Ernährung der Bauernfamilie und eventuell daneben noch zur Aufbringung des Zinsen an den Grundherrn nothwendig waren.
Je abhängiger aber der Bauer vom Markte wurde, je mehr Geld er brauchte, je größer also der Ueberschuß von Lebensmitteln, den er produziren und verkaufen mußte, um so mehr Boden brauchte er im Verhältniß zur Größe seiner Familie und bei gleichbleibenden Produktionsverhältnissen, um seine Bedürfnisse zu decken. Die einmal gegebene Produktionsweise konnte er jedoch nicht nach Belieben ändern, auch seinen Grundbesitz nicht nach Belieben erweitern. Wohl aber stand es ihm frei, dort, wo seine Familie zu groß war, diese zu verringern, den Ueberschuß an Arbeitskräften vom väterlichen Hofe fortzusenden in fremden Dienst, als Ackerknecht, Soldat oder städtischer Proletarier, oder nach Amerika, sich ein neues Heim zu gründen. Die bäuerliche Familie ward möglichst reduzirt.
Ein anderer Umstand wirkte in derselben Richtung. Die Landwirthschaft ist keine Thätigkeit, die stets die menschliche Arbeitskrach in gleichem Maße in Anspruch nimmt. Zeitweise, während der Feldbestellung, namentlich aber während der Ernten, verlangt sie zahlreiche Arbeitskräfte, zu anderen Zeiten fast gar keine. Im Sommer ist der Bedarf an Arbeitskräften in der Landwirthschaft zwei-, drei-, ja oft viermal so groß wie im Winter.
So lange die bäuerliche Industrie bestand, machte diese Verschiedenheit der Inanspruchnahme von Arbeitskräften durch die Landwirthschaft wenig aus. Gab’s auf dem Felde nichts oder nur wenig zu thun, dann arbeitete die bäuerliche Familie um so mehr im Hause und am Hause. Das hört auf, wenn die bäuerliche Hausindustrie verschwindet. Darin liegt ein zweiter Grund für den Bauern, seine Familie auf ein Minimum zu reduziren, damit er ja keine Müßiggänger im Winter zu ernähren hat.
Wir sprechen hier nur von den Wirkungen des Verschwindens der bäuerlichen Hausindustrie. Veränderungen in der landwirthschaftlichen Produktion können sie paralysiren, so zum Beispiel der Uebergang von der Weidewirthschaft zu intensiver Viehzucht, die mehr Arbeit erheischt; andere Veränderungen können aber im Gegentheil sie noch vergrößern. So war eine der wichtigsten landwirthschaftlichen Arbeiten, die den Winter ausfüllten, das Ausdreschen des Korns. Die Einführung der Dreschmaschine macht dem ein Ende und wird damit ein mächtiges Motiv zu weiterer Verkleinerung der ländlichen Familie.
Die Zurückbleibenden müssen sich natürlich im Sommer um so mehr schinden. Aber trotz Anspannung ihrer Kräfte gelingt es ihnen nicht, die Arbeitskraft der Fortgezogenen zu ersetzen. Es wird nothwendig, Hilfskräfte heranzuziehen, Lohnarbeiter, die man nur während der Zeit der angestrengtesten Arbeit beschäftigt, die man entlassen kann, sobald man sie nicht mehr braucht. Man mag diese noch so hoch bezahlen, das kommt immer noch billiger, als ihre Ernährung als Mitglied der Familie das ganze Jahr hindurch. Solche Arbeitskräfte aber, die sich um Lohn verdingen, liefern die proletarisirten Bauern, die Bauern, die nach einem Nebenverdienst suchen, und die überschüssigen Bauernsöhne und Bauerntöchter.
Dieselbe Entwicklung, die auf der einen Seite das Bedürfniß nach Lohnarbeitern erzeugt, scafft solche auf der anderen Seite. Sie proletarisirt manche Bauern, sie reduzirt die Bauernfamilie, wie wir gesehen, und wirft die überschüssigen Bauernsöhne und Bauerntöchter auf den Arbeitsmarkt. Endlich erzeugt sie bei den kleineren Bauern das Bedürfniß nach einem Nebenerwerb außerhalb des eigenen landwirthschaftlichen Betriebes. Ihr Grund und Boden ist zu beschränkt, um einen Ueberschuß über die Bedürfnisse des eigenen Haushalts hinaus zu produziren; sie haben keine landwirthschaftlichen Produkte, die sie auf den Markt bringen könnten. Die einzige Waare, die sie zu verkaufen haben, ist ihre Arbeitskraft, die von der eigenen Wirthschaft nur zeitweise völlig in Anspruch genommen wird. Eines der Mittel, sie zu verwerthen, bildet die Lohnarbeit in größeren landwirthschaftlichen Betrieben.
Bis im 17. Jahrhundert finden wir nur selten Taglöhner, Knechte und Mägde im Dienste von Bauern. Erst von dieser Zeit an wird ihre Anwendung allgemeiner. Die Ersetzung von Familienmitgliedern durch Lohnarbeiter wirkt aber wieder zurück auf die Lage jener Arbeitskräfte, die im Schoße ihrer Familie bleiben. Auch sie werden mehr und mehr auf das Niveau von Lohnarbeitern im Dienste des Familienoberhauptes herabgedrückt, indeß gleichzeitig der Bauernhof, das Familienerbe, immer mehr ausschließliches Eigenthum des Familienvorstandes wird.
An Stelle der alten bäuerlichen Familiengenossenschaft, die ausschließlich mit den eigenen Kräften das eigene Anwesen bewirthschaftet, tritt in den größeren Bauernwirthschaften eine Schaar gedungener Arbeiter, die unter denk Kommando des Grundbesitzers für ihn seine Felder bestellt, sein Vieh wartet, seine Ernte einheimst.
Der Klassengegensatz zwischen dem Ausbeuter und dem Ausgebeuteten, zwischen dem Besitzenden und dem Proletarier, dringt in das Dorf, ja in den bäuerlichen Haushalt selbst ein und zerstört die alte Harmonie und Interessengemeinschaft.
Dieser ganze Prozeß wurde, wie schon gesagt, bereits im Mittelalter angebahnt, aber erst die kapitalistische Produktionsweise hat ihn so sehr beschleunigt, daß er überall für die Verhältnisse der ländlichen Bevölkerung maßgebend geworden. Er ist jedoch noch nicht zu seinem Ende gelangt und geht heute noch vor sich, immer wieder neue Gegenden erfassend, immer weitere Gebiete der bäuerlichen Produktion für den Selbstgebrauch in Gebiete der Waarenproduktion verwandelnd, das Geldbedürfniß des Bauern auf die verschiedensten Arten steigernd, an Stelle der Familienarbeit Lohnarbeit setzend. So ist die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise in der Stadt allein schon im Stande, die Grundlagen der bäuerlichen Existenz im alten Sinne völlig umzuwälzen, auch ohne daß das Kapital in der landwirthschaftlichen Produktion seinen Einzug hält und der Gegensatz zwischen Großbetrieb und Kleinbetrieb sich bildet.
Aber das Kapital beschränkt sein Wirken nicht auf die Industrie. Sobald es genügend erstarkt ist, bemächtigt es sich auch der Landwirthschaft.
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Zuletzt aktualisiert am 27.2.2012