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Im Jahre 1919 veröffentlichte ich eine Schrift, in der ich historisch-kritische Parallelen zwischen der französischen Schreckensherrschaft von 1793, der Pariser Kommune von 1871 und der jetzigen Sowjetrepublik Rußlands zog.
Diese Arbeit, betitelt Terrorismus und Kommunismus, veranlaßte Trotzki, mir zu antworten und meine „gelehrte Schmähschrift“, wie er sich in seinem Vorwort ausdrückt, zu widerlegen. Er findet es in jenem Vorwort auch sonderbar, daß ich meine Schrift einen „Beitrag zur Naturgeschichte der Revolution“ nenne. Vielleicht gibt es ihm etwas zu denken, wenn er daran erinnert wird, daß Marx im Vorwort zur 1. Auflage des Kapital von den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion spricht.
Trotzkis Erwiderung erschien im Sommer 1920 unter dem Titel: Terrorismus und Kommunismus, Anti-Kautsky, herausgegeben vom westeuropäischen Verlag der Kommunistischen Internationale. Wo ich in folgendem bei Zitaten bloß Seitenzahlen ohne Buchtitel angebe, ist das eben genannte Buch gemeint.
Daß ich nicht sofort zu einer Antikritik das Wort ergriff, sondern andere Arbeiten erledigte, die mir wichtiger dünkten, bezeugt schon, daß die Einwände Trotzkis mir nicht sehr schlagend erschienen, trotz des schweren Geschützes, das er auffahren läßt. Nennt er doch meine Schrift „eines der lügenhaftesten und gewissenlosesten Bücher“, das „unter einer gelehrten Kappe die Ohren des Ehrabschneiders hervorlugen läßt.“ (S. 154) Und er konstatiert: „Die russische Revolution hat Kautsky endgültig getötet“. (S. 153) Man muß sich nur wundern, warum da Lenin und Trotzki es noch notwendig finden, Bücher zu schreiben, um mich immer wieder von Neuem zu toten. Darauf zu antworten, fällt mir nicht ein und ebensowenig haben meine österreichischen Freunde Ursache, verteidigt zu werden, die Trotzki in seiner Antwort an mich ebenfalls aufs stärkste angreift.
Nur zur Erheiterung der Leser sei mitgeteilt, daß Trotzki gegen Fritz Adler den schweren Vorwurf erhebt:
„Friedrich Adler ging in ein bürgerliches Restaurant, um dort den österreichischen Ministerpräsidenten zu ermorden!“ (S. 150)
Er war so bar jedes proletarischen Empfindens, daß er dem Ministerpräsidenten nicht in einer Proletarierkneipe zu begegnen suchte. Wie tief gesunken muß da erst der Tischler Chalturin gewesen sein, der sich, um den Zaren in die Luft zu sprengen, 1880 in den kaiserlichen Winterpalast begab!
In den Jahren 1918 und 1919 war es noch schwierig, am Bolschewismus Kritik zu üben, zu einer Zeit, wo er noch das ganze revolutionär gesinnte Proletariat blendete und faszinierte. Heute sprechen die Tatsachen eine so laute Sprache, daß es keines besonderen Scharfsinnes mehr bedarf, um die Fehler des Bolschewismus zu erkennen.
Wenn ich trotzdem noch auf Trotzkis Schrift zurückkomme, so geschieht es nicht zu Zwecken der Abwehr, sondern um einige Gedanken zu entwickeln, zu denen er mich angeregt hat. Er äußert eine Reihe von, Auffassungen, über die eine Aussprache notwendig erscheint, weil in unseren eigenen Reihen darüber nicht allenthalben die nötige Klarheit herrscht.
Drei Fragen sind es, zu deren Erörterung Trotzki mich angeregt hat. Einmal die, aus welchen Gründen wir die Demokratie fordern. Ob wir keine anderen Gründe dafür haben, als die des Naturrechts.
Zweitens die, was die Diktatur eigentlich bedeutet. So viel darüber diskutiert worden ist und so viel an diktatorischer Praxis wir in den letzten Jahren gesehen haben, so wenig ist Klarheit darüber geschaffen worden, was die Diktatur in Wirklichkeit eigentlich sein soll. Je mehr das Wort gebraucht wird, desto unklarer erscheint es, desto widerspruchsvoller werden seine mannigfachen Anwendungen.
Endlich drittens tritt uns in der Broschüre Trotzkis die Frage entgegen, wie sich der Sozialismus zum Arbeitszwang stellt.
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Zuletzt aktualisiert am: 7.1.2012