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Die zweite wichtigste Vorbedingung, sowohl zur Erwerbung von Produktionsmitteln wie zur Realisierung des Mehrwerts, ist die Hineinbeziehung der naturalwirtschaftlichen Verbände, nachdem und indem sie zerstört werden, in den Warenverkehr und in die Warenwirtschaft. Alle nichtkapitalistischen Schichten und Gesellschaften müssen für das Kapital zu Warenabnehmern werden und müssen ihm ihre Produkte verkaufen. Es scheint, daß hier wenigstens der „Friede“ und die „Gleichheit“ beginnen, das do ut des, die Gegenseitigkeit der Interessen, der „friedliche Wettbewerb“ und die „Kultureinflüsse“. Kann das Kapital mit Gewfremden sozialen Verbänden Produktionsmittel entreißen und die Arbeitenden mit Gewzwingen, Objekte der kapitalistischen Ausbeutung zu werden, so kann es sie doch nicht mit Gewzu Abnehmern seiner Waren machen, es kann sie nicht zwingen, seinen Mehrwert zu realisieren. Was diese Annahme zu. bestätigen scheint, ist der Umstand, daß Transportmittel – Eisenbahnen, Schiffahrt, Kanäle – die unumgängliche Vorbedingung der Verbreitung der Warenwirtschaft in naturalwirtschaftlichen Gebieten darstellen. Der Eroberungszug der Warenwirtschaft beginnt meist mit großartigen Kulturwerken modernen Verkehrs, wie Eisenbahnlinien, die Urwälder durchschneiden und Gebirge durchstechen, Telegraphendrähte, die Wüsten überspannen, Ozeandampfer, die in weltfremde Häfen einlaufen. Doch ist die Friedlichkeit dieser Umwälzungen bloßer Schein. Die Handelsbeziehungen der ostindischen Kompanien mit den Gewürzländern waren so gut Raub, Erpressung und grober Schwindel unter der Flagge des Handels wie heute die Beziehungen der amerikanischen Kapitalisten zu den Indianern in Kanada, denen sie Pelze abkaufen, oder der deutschen Händler zu den Afrikanegern. Das klassische Beispiel des „sanften“ und „friedliebenden“ Warenhandels mit rückständigen Gesellschaften ist die moderne Geschichte Chinas, durch die sich wie ein roter Faden seit Beginn der vierziger Jahre, das ganze 19. Jahrhundert hindurch die Kriege der Europäer ziehen, deren Zweck war, China gewaltsam dem Warenverkehr zu erschließen. Durch Missionare provozierte Christenverfolgungen, von Europäern angezettelte Tumulte, periodische blutige Kriegsgemetzel, in denen sich die völlige Hilflosigkeit eines friedlichen Ackerbauervolkes mit der modernsten kapitalistischen Kriegstechnik der vereinigten europäischen Großmächte messen sollte, schwere Kriegskontributionen mit dem ganzen System von öffentlicher Schuld, europäischen Anleihen, europäischer Kontrolle der Finanzen und europäischer Besetzung der Festungen im Gefolge, erzwungene Eröffnung von Freihäfen und erpreßte Konzessionen zu Eisenbahnbauten an europäische Kapitalisten – das waren die Geburtshelfer des Warenhandels in China von Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bis zum Ausbruch der chinesischen Revolution. [1*]
Die Periode der Erschließung Chinas für die europäische Kultur, d. h. für den Warenaustausch mit dem europäischen Kapital, wird durch den Opiumkrieg inauguriert, in dem China gezwungen wird, das Gift aus den indischen Plantagen abzunehmen, um es für die englischen Kapitalisten zu Geld zu machen. Im 17. Jahrhundert war die Kultur des Opiums durch die englische Ostindische Kompanie in Bengalen eingeführt und durch ihre Zweigniederlassung in Kanton der Gebrauch des Gifts in China verbreitet. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fiel das Opium so stark im Preise, daß es rapid zum „Volksgenußmittel“ wurde. Noch im Jahre 1821 betrug die Einfuhr des Opium nach China 4.628 Kisten zum Preise von durchschnittlich 1.325 Dollar, dann fiel der Preis auf die Hälfte, und 1825 stieg die chinesische Einfuhr auf 9.62l Kisten, 1830 auf 26.670 Kisten. (1) Die verheerenden Wirkungen des Gifts, namentlich der billigsten von der armen Bevölkerung gebrauchten Sorten, gestalteten sich zur öffentlichen Kalamität und riefen als Notwehr seitens Chinas ein Verbot der Einfuhr hervor. Bereits 1828 hatte der Vizekönig von Kanton den Import von Opium verboten, was aber den Handel nur in andere Hafenstädte lenkte. Einer der Pekinger Zensoren wurde mit der Untersuchung der Frage beauftragt und gab folgendes Gutachten ab:
„Ich habe in Erfahrung gebracht, daß die Opiumraucher nach diesem schädlichen Medikament ein so heftiges Verlangen haben, daß sie alles aufbieten, um sich dessen Genuß zu verschaffen. Wenn sie das Opium nicht zur gewohnten Stunde erhalten, fangen ihre Glieder an zu zittern, dicke Schweißtropfen fließen ihnen von der Stirn und über das Gesicht, und sie sind unfähig, die geringste Beschäftigung vorzunehmen. Bringt man ihnen aber eine Pfeife mit Opium, atmen sie einige Züge davon ein und sind sogleich geheilt.
Das Opium ist daher für alle, die es rauchen, ein notwendiges Bedürfnis geworden, und man darf sich gar nicht wundern, daß sie, wenn sie von der Ortsbehörde zur Verantwortung gezogen werden, weit lieber jede Züchtigung ertragen als den Namen desjenigen offenbaren, der ihnen das Opium liefert. Zuweilen erhalten die Ortsbehörden auch Geschenke, um dieses Übel zu dulden oder um eine eingeleitete Untersuchung aufzuhalten. Die meisten Kaufleute, die Handelsartikel nach Kanton bringen, verkaufen auch Opium als Schmuggelware.
Ich bin der Ansicht, daß Opium ein weit größeres Übel ist als das Spiel und daß man daher den Opiumrauchern keine geringere Strafe auferlegen sollte als den Spielern.“
Der Zensor schlug vor, daß jeder überführte Opiumraucher zu 80 Bambushieben, einer, der den Verkäufer nicht angeben wolle, zu 100 Hieben und dreijähriger Verbannung verurteilt werden sollte. Und mit einer für europäische Behörden unerhörten Offenherzigkeit schloß der bezopfte Cato von Peking sein Gutachten:
„Es scheint, daß das Opium zumeist durch unwürdige Beamte von außerhalb eingeführt wird, die im Einverständnis mit gewinnsüchtigen Kaufleuten es ins Innere des Landes befördern, wo zuerst junge Leute aus guter Familie, reiche Private und Kaufleute sich dem Genuß zuwenden, der sich endlich auch bei dem gemeinen Manne verbreitet. Ich habe in Erfahrung gebracht. daß sich in allen Provinzen nicht allein unter den Zivilbeamten, sondern auch in der Armee Opiumraucher befinden. Während die Beamten der verschiedenen Bezirke durch Edikte das gesetzliche Verbot des Verkaufs des Opium von neuem einschärfen, rauchen ihre Eltern, Verwandten, Untergebenen und Diener nach wie vor, und die Kaufleute benutzen das Verbot, den Preis zu steigern. Selbst die Polizei, die ebenfalls dafür eingenommen ist, kauft diesen Artikel, statt zu seiner Unterdrückung beizutragen. und dies ist auch der Grund, weshalb alle Verbote und Verfügungen unberücksichtigt bleiben.“ (2)
Daraufhin wurde 1833 ein verschärftes Gesetz erlassen, das für jeden Opiumraucher hundert Hiebe und zweimonatige Ausstellung am Pranger festsetzte. Die Gouverneure der Provinzen wurden verpflichtet, in ihren Jahresberichten die Erfolge des Kampfes mit dem Opium zu berücksichtigen. Der doppelte Erfolg dieses Kampfes lief freilich darauf hinaus, daß einerseits im Innern Chinas. namentlich in den Provinzen Honan, Setschuan und Kweitschou, Mohnkulturen im großen Maßstab angelegt wurden und daß andererseits England China den Krieg erklärte, um es zur Freigabe der Einfuhr zu zwingen. Nun begann die glorreiche „Erschließung“ Chinas für die europäische Kultur in Gestalt der Opiumpfeife.
Der erste Angriff erfolgte auf Kanton. Die Befestigung der Stadt am Haupteingang des Perlflusses war denkbar primitiv. Ihr Hauptstück bestand in einer Sperre von eisernen Ketten, die täglich bei Sonnenuntergang in verschiedenen Abständen an verankerten Holzflößen befestigt wurden. Man muß noch berücksichtigen, daß die chinesischen Geschütze ohne jedwede Vorrichtung zum Höher- und Niedrigerstellen, also beim Gebrauch ganz harmlos waren. Mit dieser primitiven Befestigung, die gerade imstande war, ein paar Handelsschiffe an der Einfahrt zu verhindern, begegneten die Chinesen dem englischen Angriff. Zwei englische Kriegsschiffe genügten denn auch, um am 7. September 1839 die Durchfahrt zu erzwingen. Die sechzehn Kriegsdschunken und dreizehn Brander, mit denen die Chinesen sich widersetzten, wurden in dreiviertel Stunden zusammengeschossen und zerstreut. Nach diesem ersten Siege verstärkten die Engländer ihre Kriegsflotte bedeutend und gingen zu Beginn 1841 zum erneuten Angriff über. Diesmal erfolgte der Angriff gleichzeitig gegen die Flotte und gegen die Forts. Die chinesische Flotte bestand in einer Anzahl Kriegsdschunken. Schon die erste Brandrakete drang durch die Planken in die Pulverkammer einer Dschunke, so daß diese mit der ganzen Mannschaft in die Luft flog. Nach kurzer Zeit waren elf Dschunken einschließlich des Admiralschiffes zerstört, der Rest suchte in wilder Flucht sein Heil. Die Aktion zu Lande nahm einige Stunden mehr in Anspruch. Bei der gänzlichen Untauglichkeit der chinesischen Geschütze schritten die Engländer mitten durch die Befestigungen, erklommen einen wichtigen Punkt. der ganz unbesetzt geblieben war, und metzelten die wehrlosen Chinesen von oben nieder. Die Schlußrechnung der Schlacht war: auf chinesischer Seite 600 Tote, auf englischer – 1 Toter und 30 Verwundete, wovon mehr als die Hälfte durch das zufällige Auffliegen eines Pulvermagazins Schaden erlitt. Einige Wochen später lieferten die Engländer ein neues Heldenstück. Es galt, die Forts von Anunghoi und Nord-Wantong zu nehmen. Hierzu standen auf englischer Seite nicht weniger als 12 Linienschiffe in voller Ausrüstung zur Verfügung. Außerdem hatten die Chinesen wieder die Hauptsache vergessen, nämlich die Insel Süd-Wantong zu befestigen. Die Engländer landeten also dort in aller Seelenruhe eine Haubitzenbatterie und beschossen das Fort von einer Seite, während die Kriegsschiffe es von der anderen unter Feuer nahmen. Wenige Minuten genügten, um die Chinesen aus den Forts zu verjagen und die Landung ohne Widerstand zu bewerkstelligen. Die unmenschliche Szene, welche nun folgte – so sagt ein englischer Bericht –, wird stets ein Gegenstand tiefen Bedauerns für die englischen Offiziere bleiben. Die Chinesen waren nämlich, als sie aus den Verschanzungen fliehen wollten, in die Gräben gefallen, so daß diese mit hilflosen, um Gnade flehenden Soldaten buchstäblich angefüllt waren. Auf diese liegende Masse menschlicher Leiber wurde nun von den Sepoys – angeblich entgegen dem Befehl der Offiziere – unablässig gefeuert. So wurde Kanton dem Warenhandel erschlossen.
Ebenso erging es den anderen Häfen. Am 4. Juli 1841 erschienen drei englische Kriegsschiffe mit 120 Kanonen bei den Inseln am Eingang zur Stadt Ningpo. Andere Kriegsschiffe trafen am folgenden Tage ein. Am Abend sandte der englische Admiral eine Botschaft an den chinesischen Gouverneur mit der Forderung, die Inseln zu übergeben. Der Gouverneur erklärte, daß es ihm zum Widerstande an Macht fehle, daß er jedoch ohne Befehle aus Peking die Übergabe nicht vornehmen dürfe und daher um Aufschub bäte. Dieser wurde ihm nicht gewährt, und um 2½ Uhr morgens begannen die Engländer den Sturm auf die wehrlose Insel. In neun Minuten waren Fort und Häuser am Strand ein rauchender Schutthaufen. Die Truppen landeten an der verlassenen Küste, die mit zerbrochenen Spießen, Säbeln, Schilden, Flinten und einigen Toten bedeckt war, und zogen vor die Wälle der Inselstadt Ting-hai, um sie einzunehmen. Durch die Mannschaften der inzwischen eingetroffenen weiteren Schiffe verstärkt, legten sie am nächsten Morgen Sturmleitern gegen die kaum verteidigten Mauern und waren nach wenigen Minuten Herren der Stadt. Dieser glorreiche Sieg wurde von den Engländern mit folgender bescheidener Meldung verkündet: „Den Morgen des 5. Juli 1841 hatte das Geschick als denkwürdigen Tag bezeichnet, an dem zuerst die Fahne Ihrer Majestät von England über der schönsten Insel des himmlischen Reiches der Mitte weben sollte, das erste europäische Banner, welches siegreich über diesen blühenden Fluren stand.“ (3) Am 25. August 1841 erschienen die Engländer vor der Stadt Amoy, deren Forts mit mehreren hundert Kanonen größten chinesischen Kalibers armiert waren. Bei der fast gänzlichen Untauglichkeit dieser Geschütze sowie der Unbeholfenheit der Kommandierenden war die Einnahme des Hafens wieder ein Kinderspiel. Die englischen Schiffe näherten sich unter fortgesetztem Feuern den Wällen von Kulangsu, dann landeten die Seesoldaten und vertrieben nach kurzem Widerstand die chinesischen Truppen. Die Engländer erbeuteten dabei im Hafen 26 Kriegsdschunken mit 128 Geschützen, die von der Mannschaft verlassen waren. Bei einer Batterie leisteten die Tataren dem vereinigten Feuer von fünf englischen Schiffen heldenhaften Widerstand, die gelandeten Engländer fielen ihnen aber in den Rücken und richteten unter ihnen ein vernichtendes Blutbad an.
So endete der glorreiche Opiumkrieg. Im Friedensschluß vom 27. August 1842 bekamen die Engländer die Insel Hongkong, ferner mußten Kanton, Amoy, Fu-Tschou, Ningpo und Schanghai dem Handel erschlossen werden. Fünfzehn Jahre später erfolgte der zweite Krieg gegen China, wobei diesmal die Engländer gemeinsam mit Franzosen vorgingen, 1857 wurde Kanton durch die verbündete Flotte ebenso heldenhaft wie im ersten Kriege erstürmt. Im Frieden von Tientsin 1858 wurde der Opiumeinfuhr, dem europäischen Handel und den Missionen Zutritt ins Innere des Landes gewährt. Schon 1859 eröffneten die Engländer von neuem die Feindseligkeiten und beschlossen, die Befestigungen der Chinesen am Pei-ho zu zerstören, wurden aber nach einer mörderischen Schlacht mit 464 Toten und Verwundeten zurückgeschlagen. (4) Jetzt operierten England und Frankreich wieder zusammen. Mit 12.600 Mann englischer und 7.500 französischer Truppen unter General Cousin-Montauban nahmen sie Ende August 1860 zunächst die Takuforts ohne einen Schuß, dann drangen sie bis Tientsin und weiter nach Peking vor. Unterwegs kam es am 21. September 1860 zu der blutigen Schlacht bei Palikao, die Peking den europäischen Mächten preisgab. Die Sieger, die in die fast menschenleere und gar nicht verteidigte Stadt einzogen, plünderten zunächst den kaiserlichen Palast, woran sich General Cousin, der spätere Marschall „Graf von Palikao“, mit Eifer persönlich beteiligte, Lord Elgin aber ließ den Palast „zur Sühne“ in Flammen aufgehen. (5)
Jetzt wurde den europäischen Mächten zugestanden, Gesandte in Peking zu halten, Tientsin und andere Städte wurden dem Handel eröffnet. Während in England die Antiopiumliga gegen die Verbreitung des Giftes in London, Manchester und anderen Industriebezirken arbeitete und eine vom Parlament ernannte Kommission den Genuß des Opiums für höchst schädlich erklärte, wurde der Opiumeinfuhr nach China noch in der Tschi-fu-Konvention 1876 die Freiheit gesichert. Gleichzeitig sicherten alle Staatsverträge mit China den Europäern – Kaufleuten wie Missionen – das Recht auf Landerwerb zu. Hierbei half neben dem Feuer der Geschütze auch bewußter Betrug kräftig mit. Nicht nur bot die Zweideutigkeit der Vertragstexte eine bequeme Handhabe zur stufenweisen Ausdehnung der vom europäischen Kapital in den Vertragshäfen besetzten Gebiete. Auf Grund der bekannten frechen Fälschung im chinesischen Text der französischen Zusatzkonvention vom Jahre 1860, den der katholische Missionar Abbé Delamarre als Dolmetscher ausgefertigt hatte, wurde der chinesischen Regierung in der Folge das Zugeständnis abgepreßt, den Missionen nicht bloß in den Vertragshäfen, sondern in allen Provinzen des Reiches Landerwerb zu gestatten. Die französische Diplomatie wie namentlich die protestantischen Missionen waren einig in der Verurteilung der raffinierten Schwindelei des katholischen Paters, was sie jedoch nicht hinderte, auf der Anwendung der so eingeschmuggelten Rechtserweiterung der französischen Missionen energisch zu bestehen und sie 1887 ausdrücklich auch auf die protestantischen Missionen ausdehnen zu lassen. (6)
Die Erschließung Chinas für den Warenhandel, die mit dem Opiumkriege begonnen war, wurde mit der Serie der „Pachtungen“ [2*] und der Chinaexpedition des Jahres 1900 [3*] besiegelt, in der die Handelsinteressen des europäischen Kapitals offen in internationalen Landraub umschlugen. Fein kehrt diesen Widerspruch zwischen der anfänglichen Theorie und der schließlichen Praxis der europäischen „Kulturträger“ in China die Depesche der Kaiserin-Witwe hervor, die nach der Einnahme der Takuforts an die Königin Victoria schrieb:
„Ew. Majestät einen Gruß! – In allen Verhandlungen Englands mit dem chinesischen Reiche, seit Beziehungen zwischen uns angeknüpft wurden, ist auf seiten Großbritanniens niemals die Rede von Vergrößerung des Landbesitzes gewesen, sondern nur von dem eifrigen Wunsch, die Interessen seines Handels zu fördern. Die Tatsache erwägend, daß unser Land nunmehr in einen entsetzlichen Kriegszustand gestürzt ist, erinnern wir uns daran, daß ein großer Teil von Chinas Handel, 70 oder 80 Prozent, mit England abgeschlossen wird. Außerdem sind Eure Seezölle die niedrigsten in der Welt und wenig Beschränkungen in Euren Seehäfen auf fremde Einfuhr gelegt. Aus diesen Gründen haben unsere freundlichen Beziehungen mit britischen Kaufleuten in unseren Vertragshäfen ununterbrochen während des letzten halben Jahrhunderts zu unserem wechselseitigen Vorteil bestanden. Aber ein plötzlicher Wechsel ist nun eingetreten, und ein allgemeiner Verdacht hat sich gegen uns erhoben. Wir möchten Euch daher bitten, zu überlegen, wenn durch eine gewisse Kombination der Umstände die Unabhängigkeit unseres Reiches verlorengehen sollte und die Mächte sich einigen, ihren längst gehegten Plan, sich unseres Gebietes zu bemächtigen, durchzuführen (in einer gleichzeitigen Depesche an den Kaiser von Japan spricht die temperamentvolle Tsi Hsi offen von den „landhungrigen Mächten des Westens, deren gefräßige Tigeraugen in unsere Richtung hin schielen“ – R.L.), so würde das Ergebnis unglücklich und verhängnisvoll auf Euren Handel wirken. Zur Zeit bemüht sich unser Reich auf das äußerste, ein Heer und Mittel aufzubringen, die seinen Schutz verbürgen. Inzwischen verlassen wir uns auf Eure guten Dienste als Zwischenträger und erwarten dringend Eure Entschließung.“ (7)
Zwischendurch laufen in jedem Kriege Plünderung und Diebstahl en gros der europäischen Kulturträger in den chinesischen Kaiserpalästen, öffentlichen Gebäuden, an altertümlichen Kulturdenkmälern, so gut im Jahre 1860, wo der Palast des Kaisers mit seinen märchenhaften Schätzen von Franzosen geplündert wurde, wie 1900, wo „alle Nationen“ öffentliches und privates Gut um die Wette stahlen. Rauchende Trümmer größter und ältester Städte, Verfall der Ackerkultur auf großen Strecken platten Landes, unerträglicher Steuerdruck zur Erschwingung der Kriegskontributionen waren die Begleiter jedes europäischen Vorstoßes, Hand in Hand mit den Fortschritten des Warenhandels. Von den mehr als 40 chinesischen Treaty ports ist jeder mit Blutströmen, Gemetzel und Ruin erkauft worden.
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1. 1854 wurden 77.379 Kisten eingeführt. Später geht die Einfuhr angesichts der Ausbreitung der heimischen Produktion ein wenig zurück. Trotzdem bleibt China der Hauptabnehmer der indischen Plantagen. 1873/1874 wurden in Indien 6,4 Millionen Kilogramm Opium produziert, davon 6,1 Millionen Kilogramm an die Chinesen abgesetzt. Jetzt noch werden von Indien jährlich 4,8 Kilogramm im Werte von 150 Millionen Mark fast ausschließlich nach China und dem Malaiischen Archipel ausgeführt.
2. Angeführt bei Schreibert: Der Krieg in China, 1903, S. 170.
3. Schreibert: l. c., S. 207.
4. Ein kaiserliches Edikt vom 3. Tage des 1. Mondes im 10. Jahre Hsien-Feng (6. September 1860) sagt u. a.:
„Wir haben weder England noch Frankreich jemals untersagt, mit China Handel zu treiben, und lange Jahre hat zwischen jenen und uns Friede gewaltet. Aber vor drei Jahren sind die Engländer in übler Absicht in unsere Stadt Kanton eingedrungen und haben unsere Beamten in Gefangenschaft hinweggeführt. Wir sahen damals von Wiedervergeltung und Maßregeln ab, weil wir anzuerkennen gezwungen waren, daß die Hartnäckigkeit des Vizekönigs Yeh in gewissen Grade eine Veranlassung zu den Feindseligkeiten gegeben hatte. Vor zwei Jahren kam der Barbarenanführer Elgin gen Norden, und wir befahlen dem Vizekönig von Tschi-li, T’an Ting-Hsiang, die Sachlage zu prüfen, ehe man zu Unterhandlungen schritte. Aber der Barbar benutzte unsere unvorbereitete Lage, griff die Takuforts an und ging auf Tientsin vor. Besorgt, unserem Volke die Kriegsschrecknisse zu ersparen, sahen wir abermals von Vergeltung ab und befahlen dem Kuel-Liang, über Frieden zu verhandeln. Trotz der schmählichen Forderungen der Barbaren befahlen wir dem Kuel-Liang darauf, sich nach Schanghai wegen des vorgeschlagenen Handelsvertrages zu begeben, und haben sogar dessen Ratifikation als Zeichen unserer bona fides verstattet.
Dessen nicht geachtet, entwickelte der Barbarenführer Bruce neuerdings eine Halsstrarrigkeit unvernünftigster Art und erschien im 8. Monde mit einem Geschwader von Kriegsschiffen auf der Takureede. Daraufhin griff ihn Seng Ko Liu Ch’in heftig an und zwang ihn so schleunigem Rückzug. Aus allem diesem geht hervor, daß China keinen Vertrauensbruch begangen hat und daß die Barbaren im Unrecht gewesen sind. Im laufenden Jahre sind nun die Barbarenchefs Elgin und Gros neuerlich an unseren Küsten erschienen, aber China, unlustig, zu äußersten Maßregeln zu greifen, gestattete ihnen die Landung und ihren Besuch in Peking zwecks Ratifikation des Vertrages.
Wer hätte es glauben können, daß während dieser ganzer Zeit die Barbaren nichts als Ränke gesponnen haben, daß sie ein Heer von Soldaten und Artillerie mir sich führten, mit denen sie die Takuforts von rückwärts angegriffen haben und nach Vertreibung der Besatzung auf Tientsin marschiert sind!“ (China unter der Kaiserin-Witwe, Berlin 1912, S. 25. Vgl. auch in dem genannten Werk das ganze Kapitel Die Flucht nach Jehol.)
5. Die Operationen der europäischen Helden behufs Erschließung Chinas für den Warenhandel sind noch mit einem hübschen Fragment aus der inneren Geschichte Chinas verknüpft. Frischweg von der Plünderung des Sommerpalastes der Mandschu-Souveräne begab sich der „Chinesische Gordon“ auf den Feldzug gegen die Taiping-Rebellen und übernahm 1863 sogar den Befehl über die Kaiserliche Streitmacht. War doch die Niederwerfung des Aufstandes eigentlich das Werk der englischen Armee. Während aber eine erhebliche Anzahl von Europäern, darunter ein französischer Admiral, ihr Leben gelassen haben, um China der Mandschudynastie zu erhalten, benutzten die Vertreter des europäischen Warenhandels die Gelegenheit, um bei diesen Kämpfen ein Geschäftchen zu machen, und versorgten mit Waffen sowohl die Verfechter der Erschließung Chinas wie die Rebellen, gegen die jene zu Felde zogen.
„Die Gelegenheit, Geld zu machen, verführte außerdem auch den ehrenwerten Kaufmann dazu, beiden Parteien Waffen und Munition zu liefern, und da die Schwierigkeiten, sich in diesem Artikel zu verproviantieren, für die Rebellen größer waren als für die Kaiserlichen und sie daher höhere Preise zahlen mußten und zu zahlen bereit waren, wurden mit Vorliebe mit ihnen die Geschälte abgeschlossen. die ihnen erlaubten, nicht allein den Truppen der eigenen Regierung. sondern auch denen Englands und Frankreichs Widerstand zu leisten.“ (M. v. Brandt: 33 Jahre in Ostasien, Bd. III: China, 1901, S. 11.)
6. Siehe O. Franke: Die Rechtsverhältnisse am Grundeigentum in China, Leipzig 1903, S. 82ff.
7. China unter der Kaiserin-Witwe, S. 334.
l*. Im Oktober 1911 hatte mit dem Aufstand in Wutschong die bürgerliche Revolution in China begonnen. Die Führer des Aufstandes beschlossen, die Republik auszurufen, und forderten alle Provinzen auf, sich dem Aufstand anzuschließen. Bis Ende November 1911 hatten sich 15 Provinzen für unabhängig von der Mandschu-Regierung erklärt. Am 1. Januar 1912 wurde die Chinesische Republik proklamiert und Sun-Yat-sen zum Provisorischen Präsidenten gewählt.
2*. Die „Pachtungen“ waren verschleierte Annexionen bzw. Einteilung von Einflußsphären. Deutschland begann 1898 mit der Pachtung von Kiautschou, es folgten Frankreich mit der Bucht von Kuantschouwan, Rußland mit Port Arthur und England mit Weihaiwei.
3*. 1899 war in Nordchina der antiimperialistische Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die vereinigten Armeen von acht imperialistischen Staaten unter Führung des deutschen Generals Alfred Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. In einem Abschlußprotokoll von 1901 wurde China u. a. gezwungen, etwa 1,4 Milliarden Mark Kontributionen zu zahlen und der Errichtung von Stützpunkten für die Interventionsarmeen zuzustimmen.
Zuletzt aktualisiert am 14.1.2012