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Ein wichtiges Abschlußkapitel des Kampfes mit der Naturalwirtschaft ist die Trennung der Landwirtschaft vom Gewerbe, die Verdrängung der ländlichen Gewerbe aus der Bauernwirtschaft. Das Handwerk kommt geschichtlich als eine landwirtschaftliche Nebenbeschäftigung zur Welt, bei den ansässigen Kulturvölkern als Anhängsel des Ackerbaus. Die Geschichte des europäischen Handwerks im Mittelalter ist die Geschichte seiner Emanzipation von der Landwirtschaft, seiner Loslösung vom Fronhof, seiner Spezialisierung und Entwicklung zur zunftmäßigen städtischen Warenproduktion. Trotzdem die gewerbliche Produktion weiter vom Handwerk über Manufaktur zur großindustriellen kapitalistischen Fabrik vorgeschritten war, blieb auf dem Lande in der bäuerlichen Wirtschaft das Handwerk noch zäh an der Landwirtschaft haften. Als häusliche Nebenproduktion in der vom Ackerbau freien Zeit spielte das Handwerk zum Selbstbedarf in der bäuerlichen Wirtschaft eine hervorragende Rolle. (1) Die Entwicklung der kapitalistischen Produktion entreißt der bäuerlichen Wirtschaft immer einen Zweig des Gewerbes nach dem anderen, um sie zur fabrikmäßigen Massenproduktion zu konzentrieren. Die Geschichte der Textilindustrie ist dafür ein typisches Beispiel. Dasselbe vollzieht sich aber, weniger auffällig, mit allen anderen Handwerkszweigen der Landwirtschaft. Um die Bauernmasse zur Abnehmerin seiner Waren zu machen, ist das Kapital bestrebt, die bäuerliche Wirtschaft zunächst auf den einen Zweig zu reduzieren, dessen es sich nicht sofort – und in europäischen Eigentumsverhältnissen überhaupt nicht ohne Schwierigkeit – bemächtigen kann: auf die Landwirtschaft. (2) Hier scheint äußerlich alles ganz friedlich abzugehen. Der Prozeß ist unmerklich und gleichsam von rein ökonomischen Faktoren bewirkt. Die technische Überlegenheit der fabrikmäßigen Massenproduktion mit ihrer Spezialisierung, mit ihrer wissenschaftlichen Analyse und Kombination des Produktionsprozesses, mit ihren Bezugsquellen der Rohstoffe vom Weltmarkt und ihren vervollkommneten Werkzeugen steht im Vergleich mit dem primitiven bäuerlichen Gewerbe außer jedem Zweifel. In Wirklichkeit sind bei diesem Prozeß der Trennung der bäuerlichen Landwirtschaft vom Gewerbe Faktoren wie Steuerdruck, Krieg, Verschleuderung und Monopolisierung des nationalen Grund und Bodens wirksam, die gleichermaßen in das Gebiet der Nationalökonomie, der politischen Gewund des Strafkodex fallen. Nirgends ist dieser Prozeß so gründlich durchgeführt wie in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Eisenbahnen, d. h. europäisches, hauptsächlich englisches Kapital, führten den amerikanischen Farmer Schritt für Schritt über die unermeßlichen Gefilde des Ostens und Westens der Union, wo er die Indianer mit Feuerwaffen, Bluthunden, Schnaps und Syphilis vertilgte und gewaltsam vom Osten nach dem Westen verpflanzte, um sich ihren Grund und Boden als „freies Land“ anzueignen, zu roden und unter Kultur zu setzen. Der amerikanische Farmer, der „Hinterwäldler“ der guten alten Zeit vor dem Sezessionskrieg, war ein ganz anderer Kerl als der heutige. Er konnte so ziemlich alles, und er kam auf seiner abgeschiedenen Farm beinahe ohne die Außenwelt ganz gut aus.
„Der heutige amerikanische Farmer“, schrieb zu Beginn der 90er Jahre Senator Peffer, einer von den Leitern der Farmers Alliance, „ist ein ganz anderer Mensch als sein Ahne vor fünfzig oder hundert Jahren. Viele von den heute Lebenden erinnern sich an die Zeit, wo sich die Farmer in bedeutendem Maße mit Gewerbe befaßten, d. h., wo sie selbst einen bedeutenden Teil dessen verfertigten, was sie für ihren eigenen Bedarf brauchten. Jeder Farmer hatte eine Kollektion Werkzeuge, mit deren Hilfe er aus Holz Gerätschaften verfertigte, wie z. B. Heugabel und Harke, Stiele zum Spaten und Pflug, Deichseln für den Wagen und eine Menge anderer Holzgeräte. Ferner produzierte der Farmer Flachs und Hanf, Schafwolle und Baumwolle. Diese Textilstoffe wurden auf der Farm verarbeitet: Sie wurden im Hause versponnen und gewoben, ebenso wurden im Hause Kleider, Wäsche und dergleichen verfertigt, und alles dies wurde von ihm selbst verbraucht. Bei jeder Farm gab es eine kleine Werkstatt für Zimmermann-, Tischler- und Schlosserarbeit, im Hause selbst aber eine Wollkratze und einen Webstuhl; es wurden Teppiche, Decken und anderes Bettzeug gewoben; auf jeder Farm wurden Gänse gehalten, mit deren Daunen und Federn man die Kissen und Federbetten füllte; der Überfluß wurde auf dem Markt der nächsten Stadt verkauft. Im Winter wurden Weizen, Mehl, Mais in großen mit 6 oder 8 Pferden bespannten Wagen zum Markt gefahren, hundert oder zweihundert Meilen weit, dort kaufte man für das nächste Jahr Kolonialwaren, gewisse Stoffe und dergleichen ein. Man konnte auch unter den Farmern verschiedene Handwerker finden. Ein Wagen wurde auf der Farm während der Dauer von einem oder zwei Jahren hergestellt. Das Material dazu fand man in der Nähe: die Art des zu benutzenden Bauholzes wurde im Vertrag mit dem Nachbar genau festgesetzt; es mußte in einer bestimmten Zeit geliefert und dann eine bestimmte Zeit lang getrocknet werden, so daß, wenn der Wagen fertig war, beide Parteien des Vertrages wußten, woher jedes Holzstück kam und wie lange es getrocknet wurde. In der Winterszeit verfertigte der Zimmermann aus der Nachbarschaft Fensterkreuze, Decken, Türen, Simse und Gebälke für die nächste Saison. Waren die Herbstfröste gekommen. dann saß der Schuhmacher in der Wohnung des Farmers im Winkel und verfertigte für die Familie Schuhe. Alles dies wurde zu Hause gemacht, und ein großer Teil der Ausgaben wurde mit Produkten der Farm bezahlt. Wenn der Winter kam, war es Zeit, sich mit Fleisch zu versehen; dieses wurde zubereitet und geräuchert aufbewahrt. Der Obstgarten lieferte Obst zum Most, zum Apfelmus und zu allerlei Konserven, vollauf genügend für den Bedarf der Familie während des Jahres und darüber hinaus. Der Weizen wurde allmählich nach Bedarf gedroschen, gerade soviel, wie man Bargeld brauchte. Alles wurde aufbewahrt und verbraucht. Eine der Folgen derartiger Wirtschaftsweise war, daß man verhältnismäßig wenig Geld brauchte, um das Geschäft zu führen. Im Durchschnitt dürften hundert Dollar für die größte Farm genügt haben, um Knechte zu dingen, Ackergeräte zu reparieren und andere zufällige Ausgaben zu decken. (3)
Dieses Idyll sollte nach dem Sezessionskriege ein jähes Ende finden. Die enorme Staatsschuld von 6 Milliarden Dollar, die er der Union aufgebürdet hatte, zog eine starke Erhöhung der Steuerlasten nach sich. Namentlich beginnt aber seit dem Kriege eine fieberhafte Entwicklung des modernen Verkehrswesens, der Industrie, besonders der Maschinenindustrie, unter Beihilfe des steigenden Schutzzolls. Zur Ermunterung des Eisenbahnbaus und der Besiedelung des Landes mit Farmern wurden den Eisenbahngesellschaften großartige Schenkungen aus nationalen Ländereien gemacht. 1867 allein haben sie über 74 Millionen Hektar Landes bekommen. Das Eisenbahnnetz wuchs denn auch in beispielloser Weise. 1860 betrug es noch nicht 50.000 Kilometer, 1870 über 85.000, 1880 aber mehr als 150.000 (in derselben Zeit, von 1870 bis 1880, wuchs das gesamte Eisenbahnnetz Europas von 130.000 auf 169.000 Kilometer). Die Eisenbahnen und die Bodenspekulanten riefen eine massenhafte Einwanderung aus Europa nach den Vereinigten Staaten herbei. Die Einwanderung betrug in den 23 Jahren 1869 bis 1892 mehr als 4½ Millionen Menschen. Im Zusammenhang damit emanzipierte sich die Union nach und nach von der europäischen, hauptsächlich englischen Industrie und schuf eigene Manufakturen, eine eigene Textil Eisen-, Stahl- und Maschinenindustrie. Am raschesten wurde die Landwirtschaft revolutioniert. Bereits in den ersten Jahren nach dem Bürgerkriege wurden die Plantagenbesitzer der Südstaaten durch die Emanzipation der Neger gezwungen, den Dampfpflug einzuführen. Besonders aber wurden die im Westen im Anschluß an den Eisenbahnbau frisch entstehenden Farmen von vornherein auf die modernste Maschinentechnik gestellt.
„Zur selben Zeit“, schrieb der Bericht der landwirtschaftlichen Kommission der Vereinigten Staaten im Jahre 1867, „während die Anwendung der Maschinerie den Landbau im Westen revolutioniert und das Verhältnis der angewandten menschlichen Arbeit auf das niedrigste bisher erreichte Maß herabdrückt, ... widmen sich hervorragende administrative und organisatorische Talente der Landwirtschaft. Farmen von mehreren tausend Hektar werden mit mehr Geschick geleitet, mit einer zweckmäßigeren und ökonomischeren Ausnutzung der vorhandenen Mittel und einem höheren Ertrag als Farmen von 40 Hektar.“ (4)
Gleichzeitig stieg die Last der direkten wie der indirekten Steuern enorm. Mitten im Bürgerkriege wurde ein neues Finanzgesetz geschaffen. Der Kriegstarif vom 30. Juni 1864, der die Hauptgrundlage des noch heute geltenden Systems bildet, erhöhte die Verbrauchssteuern und die Einkommenssteuern in außerordentlichem Maße. Hand in Hand damit begann eine wahre Orgie der Schutzzöllnerei, die jene hohen Kriegssteuern als Vorwand nahm, um die Belastung der einheimischen Produktion durch Zölle auszugleichen. (5) Die Mr. Morrill, Stevens und die anderen Gentlemen, die den Krieg benutzten, um mit ihrem protektionistischen Programm Sturm zu laufen, haben das System begründet, wonach die Zollpolitik offen und zynisch zum Werkzeug jeglicher Privatinteressen der Plusmacherei gemacht wurde. Jeder einheimische Produzent, der vor dem gesetzgebenden Kongreß erschien, um irgendeinen speziellen Zoll zu verlangen, damit er seine Taschen füllen konnte, sah sein Verlangen in willfähriger Weise erfüllt. Die Zollsätze wurden so hoch hinaufgeschraubt, wie nur irgend jemand es forderte. „Der Krieg“, schreibt der Amerikaner Taussig, „hatte in mancher Hinsicht auf unser Nationalleben erfrischend und veredelnd gewirkt, aber seine unmittelbare Wirkung auf das Geschäftsleben und auf die ganze Gesetzgebung betreffend Geldinteressen war eine demoralisierende. Die Grenzlinie zwischen öffentlicher Pflicht und Privatinteressen war von den Gesetzgebern oft aus dem Auge verloren. Große Vermögen wurden gemacht durch Gesetzesveränderungen, die von denselben Leuten verlangt und durchgesetzt wurden, die die Nutznießer der neuen Gesetze waren, und das Land sah mit Bedauern, daß die Ehre und die Ehrlichkeit der Männer der Politik nicht unangetastet blieben.“ Und dieser Tarif, der eine ganze Umwälzung im ökonomischen Leben des Landes bedeutete, der zwanzig Jahre lang unverändert gelten sollte und im Grunde genommen bis jetzt die Basis der zollpolitischen Gesetzgebung der Vereinigten Staaten bildet, wurde buchstäblich in 3 Tagen im Kongreß und in 2 Tagen im Senat durchgepeitscht – ohne Kritik, ohne Debatte, ohne jede Opposition. (6)
Mit diesem Umschwung in der Finanzpolitik der Vereinigten Staaten begann die schamlose parlamentarische Korruption der Union, der offene und skrupellose Gebrauch der Wahlen, der Gesetzgebung und der Presse als Werkzeuge nackter Tascheninteressen des Großkapitals. Das Enrichissez-vous wurde zur Losung des öffentlichen Lebens seit dem „edlen Kriege“ um die Befreiung der Menschheit vom „Schandfleck der Sklaverei“; der Negerbefreier-Yankee feierte Orgien als Glücksritter der Spekulation an der Börse, schenkte sich selbst als Gesetzgeber nationale Ländereien, bereicherte sich selbst durch Zölle und Steuern, durch Monopole, Schwindelaktien, Diebstahl des öffentlichen Vermögens. Die Industrie kam in Blüte. Jetzt waren die Zeiten vorbei, wo der kleine und mittlere Farmer fast ohne Bargeld auskommen und seinen Weizenvorrat noch nach Bedarf hie und da dreschen konnte, um ihn zu Geld zu machen. Jetzt mußte der Farmer immer Geld, recht viel Geld haben, um seine Steuern zu zahlen, er mußte bald alles, was er hervorbrachte, verkaufen, um wieder alles, was er brauchte, aus der Hand der Manufakturisten als Ware zu erwerben.
„Wenn wir uns der Gegenwart zuwenden“, schreibt Peffer, „so finden wir, daß sich fast alles verändert hat. Im ganzen Westen besonders dreschen alle Farmer ihren Weizen gleichzeitig, sie verkaufen ihn ebenfalls auf einmal. Der Farmer verkauft sein Vieh und kauft irisches Fleisch oder Speck, er verkauft seine Schweine und kauft Schinken und Schweinefleisch, er verkauft sein Gemüse und Obst und kauft sie wieder in Form der Konserven. Wenn er überhaupt Flachs baut, so drischt er den Flachs, anstatt ihn zu verspinnen, sodann Leinwand daraus zu weben und Wäsche für seine Kinder zu verfertigen, wie das vor 50 Jahren gemacht wurde, verkauft den Samen, das Stroh aber verbrennt er. Von fünfzig Farmern züchtet jetzt kaum einer Schafe; er rechnet auf die großen Zuchtfarmen und bezieht seinerseits die Wolle schon in fertiger Gestalt als Tuch oder Kleid. Sein Anzug wird nicht mehr zu Hause genäht, sondern in der Stadt gekauft. Anstatt selbst die nötigen Gerätschaften, Gabeln, Harke usw., anzufertigen, begibt er sich nach der Stadt, um das Heft zum Beil oder den Stiel zum Hammer zu kauten; er kauft Taue und Schnüre und allerlei Faserzeug, er kauft Kleiderstoffe oder selbst Kleider, er kauft konservierte Früchte, er kauft Speck und Fleisch und Schinken, er kauft heute fast alles, was er einst selbst produzierte, und er braucht zu alledem Geld. Außer alledem und was seltsamer scheint als alles andere, ist folgendes: Während früher die Heimstätte des Amerikaners frei und unverschuldet blieb – nicht in einem Fall auf tausend war eine Heimstätte mit Hypotheken belastet, um eine Geldanleihe zu sichern – und während bei dem geringen Bedarf an Geld zur Führung des Betriebes stets Geld genug unter den Farmern vorhanden war, ist jetzt, wo zehnmal soviel Geld benötigt wird, nur wenig oder gar keines zu haben. Etwa die Hälfte der Farmen haben Hypothekenschulden, die ihren ganzen Wert verschlingen, und die Zinsen sind exorbitant. Die Ursache dieses merkwürdigen Umschwungs liegt in dem Manufakturisten mit seinen Wollen- und Leinenfabriken, Holzbearbeitungsfabriken, Baumwollspinnereien und Webereien, mit seinen Fleisch- und Obstkonservenfabriken usw. usw.; die kleinen Farmwerkstätten haben den großen städtischen Werken den Platz geräumt. Die nachbarliche Wagnerwerkstatt hat dem enormen städtischen Werk Platz gemacht, wo hundert oder zweihundert Wagen pro Woche hergestellt werden; an Stelle der Schusterwerkstatt ist die große städtische Fabrik getreten, wo der größte Teil der Arbeit vermittels der Maschinen gemacht wird.“ (7)
Und endlich ist auch die landwirtschaftliche Arbeit des Farmers selbst zur Maschinenarbeit geworden. „Jetzt pflügt, sät und schneidet der Farmer mit Maschinen. Die Maschine schneidet, bindet Garben, und mit Hilfe des Dampfes wird gedroschen. Der Farmer kann beim Pflügen seine Morgenzeitung lesen, und er sitzt auf gedecktem Sitz der Maschine, während er schneidet.“ (8)
Diese Umwälzung in der amerikanischen Landwirtschart seit dem „großen Kriege“ war aber nicht das Ende, sondern der Anfang des Strudels, in den der Farmer hineingeraten war. Seine Geschichte leitet von selbst zur zweiten Phase der Entwicklung der kapitalistischen Akkumulation über, die sie gleichfalls trefflich illustriert. Der Kapitalismus bekämpft und verdrängt überall die Naturalwirtschaft, die Produktion für den Selbstbedarf, die Kombinierung der Landwirtschaft mit dem Handwerk, um an ihre Stelle die einfache Warenwirtschaft zu setzen. Er braucht die Warenwirtschaft als Absatz für den eigenen Mehrwert. Die Warenproduktion ist die allgemeine Form, in der der Kapitalismus erst gedeihen kann. Hat sich aber auf den Ruinen der Naturalwirtschaft bereits die einfache Warenproduktion ausgebreitet, dann beginnt alsbald der Kampf des Kapitals gegen diese. Mit der Warenwirtschaft tritt der Kapitalismus in ein Konkurrenzverhältnis; nachdem er sie ins Leben gerufen. macht er ihr die Produktionsmittel streitig, die Arbeitskräfte und den Absatz. Zuerst war der Zweck die Isolierung des Produzenten, seine Trennung von der schützenden Gebundenheit des Gemeinwesens, dann die Trennung der Landwirtschaft vom Handwerk, jetzt ist die Trennung des kleinen Warenproduzenten von seinen Produktionsmitteln die Aufgabe.
Wir haben gesehen, daß der „große Krieg“ in der amerikanischen Union eine Ära der grandiosen Plünderung der nationalen Ländereien durch monopolistische Kapitalgesellschaften und einzelne Spekulanten eröffnet hatte. Im Anschluß an den riesenhaften Eisenbahnbau und noch mehr die Eisenbahnspekulation entstand eine tolle Bodenspekulation, bei der riesige Vermögen, ganze Herzogtümer, zur Beute von einzelnen Glücksrittern und Kompanien wurden. Von hier aus wurde durch einen Heuschreckenschwarm von Agenten, durch alle Mittel einer marktschreierischen skrupellosen Reklame, durch allerlei Vortäuschungen und Vorspiegelungen der gewaltige Strom der Immigration aus Europa nach den Vereinigten Staaten geleitet. Dieser Strom setzte sich zunächst in den östlichen Staaten an der atlantischen Küste ab. Je mehr aber hier die Industrie wuchs, um so mehr verschob sich die Landwirtschaft nach dem Westen. Das „Weizenzentrum“, das sich 1850 bei Columbus in Ohio befand, wanderte in den folgenden 50 Jahren weiter und verschob sich um 99 Meilen nach Norden und 680 Meilen nach Westen. 1850 lieferten die atlantischen Staaten 51,4 Prozent der gesamten Weizenernte, im Jahre 1880 nur noch 13.6 Prozent, während die nordzentralen Staaten 1880 71,7 Prozent, die westlichen 9,4 Prozent lieferten.
1825 hatte der Kongreß der Union unter Monroe beschlossen, die Indianer vom Osten des Mississippi nach dem Westen zu verpflanzen. Die Rothäute wehrten sich verzweifelt, wurden aber – wenigstens der Rest, der von den Gemetzeln der 40 Indianerkriegen [1*] noch verschont geblieben war – wie lästiger Plunder weggeräumt, wie Büffelherden nach dem Westen getrieben, um hier wie das Wild im Gatter der „Reservationen“ eingepfercht zu werden. Der Indianer mußte dem Farmer weichen; jetzt kam die Reihe an den Farmer, der dem Kapital weichen mußte und selbst jenseits des Mississippi geschoben wurde.
Den Eisenbahnen nach zog der amerikanische Farmer nach dem Westen und Nordwesten in das gelobte Land, das ihm die Agenten der großen Bodenspekulanten vorgaukelten. Aber die fruchtbarsten, bestgelegenen Ländereien wurden von den Gesellschaften zu großen rein kapitalistisch betriebenen Wirtschaften verwendet. Neben dem in die Wildnis geschleppten Farmer erstand als seine gefährliche Konkurrentin und Todfeindin die „Bonanzafarm“, der großkapitalistische Landwirtschaftsbetrieb, wie er bis dahin in der Alten und Neuen Welt unbekannt war. Hier wurde die Mehrwertproduktion mit allen Hilfsmitteln der modernen Wissenschaft und Technik betrieben.
„Olivier Dairymple, dessen Name heute auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans bekannt ist“, schrieb Lafargue 1885, „kann als der beste Repräsentant der Finanzlandwirtschaft betrachtet werden. Seit 1874 leitet er gleichzeitig eine Dampferlinie auf dem Roten Flusse und sechs Farmen, die einer Gesellschaft von Finanzleuten gehören, mit einem Gesamtumfang von 30.000 Hektar. Er teilte dieselben in Abteilungen von je 800 Hektar, deren jede wieder in drei Unterabteilungen von je 267 Hektar zerfiel. Diese stehen unter Werkführern und Unterwerkführern. Auf jeder Sektion sind Baracken errichtet, in denen sich Unterkunft für fünfzig Menschen und Ställe für ebensoviel Pferde und Maultiere befinden, sowie Küchen, Magazine für Lebensmittel für Menschen und Vieh, Schuppen zum Unterbringen der Maschinen, endlich Schmiede- und Schlosserwerkstätten. Jede Sektion hat ihr vollständiges Inventar: 20 Paar Pferde, 8 Doppelpflüge, 12 Sämaschinen, die vom Pferde aus dirigiert werden, 12 Eggen mit Stahlzähnen, 12 Schneide- und Garbenbindemaschinen, 2 Dreschmaschinen und 16 Wagen; alle Maßregeln sind getroffen, daß Maschinen und Arbeitstiere (Menschen, Pferde, Maultiere) in gutem Zustand und fähig sind, die größtmögliche Summe von Arbeit zu leisten. Alle Sektionen stehen untereinander und mit der Zentralleitung in telephonischer Verbindung.
Die sechs Farmen von 30.000 Hektar werden von einer Armee von 600 Arbeitern bestellt, welche militärisch organisiert sind; zur Zeit der Ernte wirbt die Zentralleitung noch 500 bis 600 Hilfsarbeiter an, welche sie unter die Sektionen verteilt. Sind die Arbeiten im Herbst beendigt, dann werden die Arbeiter entlassen, mit Ausnahme der Werkführer und von zehn Mann per Sektion. Auf manchen Farmen Dakotas und Minnesotas überwintern die Pferde und Maultiere nicht am Arbeitsorte. Sobald die Stoppeln umgepflügt sind, treibt man sie in Herden von 100 bis 200 Paaren 1.000 bis 1.500 Kilometer weit nach dem Süden, von wo sie erst im Frühjahr wieder zurückkehren.
Mechaniker zu Pferde folgen den Pflüge-, Sä- und Erntemaschinen bei der Arbeit; sobald etwas in Unordnung gerät, galoppieren sie zur betreffenden Maschine, um sie unverzüglich zu reparieren und wieder in Gang zu bringen. Das geerntete Getreide wird zu den Dreschmaschinen geschafft, die Tag und Nacht ununterbrochen arbeiten; diese werden mit Strohbündeln geheizt, welche durch Röhren von Eisenblech in den Feuerherd geschoben werden. Das Korn wird durch Maschinen gedroschen, geworfelt, gewogen und in Säcke gefüllt, worauf man es zur Bahn bringt, die an der Farm entlang führt; von da geht es nach Duluth oder Buffalo. Jedes Jahr vermehrt Dalrymple sein Saatland um 2.000 Hektar. 1880 betrug es 10.000 Hektar.“ (9)
Es gab schon Ende der 70er Jahre einzelne Kapitalisten und Gesellschaften, die Gebiete von 14.000 bis 18.000 Hektar unter Weizen ihr eigen nannten. Seit Lafargue dies geschrieben, haben die technischen Fortschritte in der amerikanischen großkapitalistischen Landwirtschaft und die Maschinenanwendung noch ganz gewaltig zugenommen. (10)
Mit solchen kapitalistischen Unternehmungen konnte der amerikanische Farmer die Konkurrenz nicht bestehen. In derselben Zeit. wo ihn die allgemeine Umwälzung in den Verhältnissen: den Finanzen, der Produktion und dem Transportwesen der Union, zwang, jede Produktion für den Selbstbedarf aufzugeben und alles für den Markt zu produzieren, wurden die Preise der landwirtschaftlichen Produkte durch die kolossale Ausbreitung der Ackerkultur außerordentlich herabgedrückt. Und in derselben Zeit, wo die Masse der Farmer in ihren Schicksalen an den Markt gekettet wurde, verwandelte sich der landwirtschaftliche Markt der Union plötzlich aus dem lokalen Absatzgebiet in den Weltmarkt, auf dem wenige Riesenkapitale und deren Spekulation ihr wildes Spiel begannen.
Mit dem in der Geschichte der europäischen wie der amerikanischen Agrarverhältnisse denkwürdigen Jahre 1879 beginnt der Massenexport des Weizens der Union nach Europa. (11)
Die Vorteile dieser Erweiterung des Absatzgebietes wurden selbstverständlich von dem Großkapital monopolisiert: Einerseits wuchsen die Riesenfarmen, die den kleinen Farmer mit ihrer Konkurrenz erdrückten, andererseits wurde er zum Opfer der Spekulanten, die ihm sein Getreide aufkauften, um damit auf den Weltmarkt einen Druck auszuüben. Hilflos den gewaltigen Mächten des Kapitals preisgegeben, verfiel der Farmer in Schulden – die typische Form des Unterganges der Bauernwirtschaft. Die Verschuldung der Farmen wurde bald zur öffentlichen Kalamität. Im Jahre 1890 schrieb der Landwirtschaftsminister der Union, Rusk in einem speziellen Rundschreiben aus Anlaß der verzweifelten Lage der Farmer:
„Die Last der Hypotheken auf den Farmen, den Häusern und dem Boden nimmt zweifellos höchst beunruhigende Dimensionen an; wiewohl in einzelnen Fällen die Anleihen zweifellos übereilig aufgenommen wurden, so führte dazu nichtsdestoweniger in der beträchtlichen Mehrzahl der Fälle die Notwendigkeit ... Diese Anleihen, die auf hohe Prozente aufgenommen wurden, sind infolge des Preisfalls der landwirtschaftlichen Produkte höchst drückend geworden und bedrohen den Farmer in vielen Fällen mit dem Verlust des Hauses und des Bodens. Das ist eine äußerst schwierige Frage für alle diejenigen, die die Übel zu kurieren bestrebt sind, an denen die Farmer leiden. Es stellt sich heraus, daß bei den gegenwärtigen Preisen der Farmer, um einen Dollar zu bekommen, mit dem er seine Schuld bezahlt, viel mehr Produkte verkaufen muß als damals, wo er diesen Dollar lieh. Die Prozente wachsen, während die Tilgung der Schuld offenbar eine ganz hoffnungslose Sache geworden, angesichts dieser gedrückten Lage aber, von der wir reden, ist die Erneuerung der Hypothekenaufnahme äußerst schwierig.“ (12)
Die allgemeine Verschuldung des Bodens erstreckte sich nach dem Zensus vom 29. Mai 1891 auf 2,5 Millionen Wirtschaften, davon zwei Drittel Betriebe der Farmereigentümer, die Höhe der Schuld dieser letzteren auf nahezu 2,2 Milliarden Dollar.
„Auf diese Weise“, schließt Peffer, „ist die Lage der Farmer höchst kritisch (farmers are passing through the ‘valley and shadow of death’); die Farm ist eine gewinnlose Sache geworden; der Preis der landwirtschaftlichen Produkte ist seit dem großen Kriege um 50 Prozent gefallen, der Wert der Farmen ist im letzten Jahrzehnt um 25 bis 50 Prozent gesunken; die Farmer stecken bis über die Ohren in Schulden, die durch Hypotheken auf ihren Betrieben gesichert sind, ohne in vielen Fällen imstande zu sein, die Anleihe zu erneuern, da die Hypothek selbst immer mehr entwertet wird; viele Farmer gehen ihrer Betriebe verlustig, und die Mühlsteine der Verschuldung fahren fort, sie zu zermalmen. Wir befinden uns in den Händen einer erbarmungslosen Macht; die Farm geht zugrunde.“ (13)
Dem verschuldeten und ruinierten Farmer blieb nichts anderes übrig, als entweder in Nebenverdiensten als Lohnarbeiter sein Heil zu suchen oder seine Wirtschaft ganz zu verlassen und den Staub des „gelobten Landes“ des „Weizenparadieses“, das für ihn zur Hölle geworden, von seinen Pantoffeln zu schütteln, vorausgesetzt, daß seine Farm nicht schon wegen Zahlungsunfähigkeit in die Krallen des Gläubigers geriet, was mit Tausenden der Farmen der Fall war. Verlassene und verfallende Farmen konnte man massenhaft um die Mitte der 80er Jahre beobachten.
„Kann der Farmer zu den festgesetzten Terminen seine Schulden nicht bezahlen“, schrieb Sering 1887 „so steigt der von ihm zu entrichtende Zins auf 12, 15, ja 20 Prozent. Die Bank, der Maschinenhändler, der Krämer drängen auf ihn ein und berauben ihn der Früchte seiner harten Arbeit ... Der Betreffende bleibt dann entweder als Pächter auf der Farm, oder er zieht weiter fort gegen Westen, um sein Glück von neuem zu versuchen. Nirgendwo in Nordamerika habe ich in der Tat so viele verschuldete, enttäuschte und mißvergnügte Farm er getroffen wie in den Weizendistrikten der nordwestlichen Prärien, keinen einzigen Farmer habe ich in Dakota gesprochen, der nicht bereit gewesen wäre, seine Farm zu verkaufen.“ (14)
Der Kommissar der Landwirtschaft in Vermont teilte 1889 über die weit verbreitete Tatsache des Verlassens der Farmen mit:
„In diesem Staate“, schrieb er, „kann man große Strecken unbebauten, aber zum Anbau geeigneten Bodens finden, den man zu Preisen kaufen kann, die sich denjenigen in den Weststaaten nähern, dazu in der Nähe von Schulen und Kirchen und obendrein mit den Bequemlichkeiten der nahegelegenen Eisenbahn. Der Kommissar hat nicht alle Bezirke des Staates besucht, über die berichtet wird, er hat aber genug besucht, um sich zu überzeugen, daß ein bedeutendes Gebiet verlassenen, früher aber bebauten Landes jetzt zu Ödland geworden ist, obwohl ein bedeutender Teil davon der tüchtigen Arbeit ein gutes Einkommen liefern könnte.“
Der Kommissar des Staates New Hampshire veröffentlichte 1890 eine Schrift, in der 67 Seiten mit der Beschreibung von Farmen gefüllt sind, die zu den billigsten Preisen zu haben waren. Es sind darin 1.442 verlassene Farmen mit Wohngebäuden beschrieben, die erst vor kurzem aufgegeben wurden. Dasselbe auch in anderen Gegenden. Tausende von Acres Weizen- und Maiskulturen lagen brach und wurden zu Ödland. Um das verlassene Land wieder zu bevölkern, trieben die Bodenspekulanten eine raffinierte Reklame, und sie zogen neue Scharen Einwanderer, neue Opfer ins Land, die dem Schicksal ihrer Vorgänger nur noch rascher anheimfielen. (15)
„In der Nähe der Eisenbahnen und Absatzmärkte“, hieß es in einem Privatbrief, „gibt es nirgends mehr staatliches Land, es ist ganz in den Händen der Spekulanten. Der Ansiedler übernimmt freies Land und zählt als Farmer. Aber seine Wirtschaft als Farm sichert ihm kaum die Existenz, und er kann unmöglich dem großen Farmer Konkurrenz machen. Er bebaut den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtteil seiner Farm, aber zur Unterstützung seines Wohlstandes muß er einen Nebenerwerb außerhalb der Landwirtschaft suchen. In Oregon z. B. habe ich einen Ansiedler getroffen, der während fünf Jahren Eigentümer von 160 Acres war, zur Sommerzeit aber, Ende Juni, am Wegebau arbeitete, 12 Stunden täglich für 1 Dollar Tageslohn. Auch dieser figurierte natürlich als Einheit unter den 5 Millionen Farmern, die vom Zensus 1890 gezählt worden sind. Oder in Eldorado County sah ich z. B. viele Farmer, die den Boden nur in dem Umfang bebauten, um sich selbst und das Vieh zu ernähren, nicht aber für den Markt, denn das wäre unvorteilhaft; ihr Haupterwerb aber besteht im Goldgraben, Holzfällen und Holzverkauf usw. Diese Leute leben im Wohlstand, aber ihr Wohlstand rührt nicht von der Landwirtschaft her. Vor zwei Jahren arbeiteten wir in Long Cañon, Eldorado County, und wohnten die ganze Zeit in einer cabin auf einer Parzelle, deren Eigentümer nur einmal im Jahr für einige Tage nach Hause kam, die übrige Zeit aber in Sacramento an der Eisenbahn arbeitete, Seine Parzelle wurde gar nicht bebaut. Vor einigen Jahren wurde ein kleiner Teil davon angebaut, um dem Gesetz Genüge zu tun, einige Acres sind mit Drahtzaun eingezäunt, eine log cabin und ein Schuppen sind errichtet. Aber in den letzten Jahren steht das alles leer: Der Schlüssel von der Hütte befindet sich beim Nachbar, der uns auch die Hütte zur Verfügung gestellt hatte. Im Verlaufe unserer Wanderungen haben wir viele verlassene Parzellen gesehen, auf denen Versuche gemacht waren, die Wirtschaft zu führen. Vor drei Jahren wurde mir der Vorschlag gemacht, eine Farm mit Wohnhaus für 100 Dollar zu übernehmen. Später ist das leere Haus unter der Last des Schnees zusammengebrochen. In Oregon sahen wir viele verlassene Farmen mit Wohnhäuschen und Gemüsegärtchen. Eins davon, das wir besucht haben, war ausgezeichnet gebaut: ein kräftiges von Meisterhand zusammengefügtes Blockhaus mit einigen Gerätschaften. Und alles das war vom Farmer verlassen. Jedermann konnte alles unentgeltlich in Besitz nehmen.“ (16)
Wohin wendet sich der ruinierte Farmer der Union? – Er zieht mit seinem Wanderstab dem „Weizenzentrum“ und den Eisenbahnen nach. Das Weizenparadies verschiebt sich zum Teil nach Kanada an den Saskatschewan und den Mackenziefluß, wo Weizen noch unter dem 62. Grad nördlicher Breite gedeiht. Ihm folgt ein Teil der Farmer der Union (17), um nach einiger Zeit in Kanada noch einmal dasselbe Schicksal durchzumachen. Kanada ist in den letzten Jahren auf dem Weltmarkt in die Reihe der Weizenausfuhrländer eingetreten, dort wird aber die Landwirtschaft noch mehr vom Großkapital beherrscht. (18)
Die Verschleuderung der öffentlichen Ländereien an privatkapitalistische Gesellschaften ist in Kanada noch ungeheuerlicher betrieben worden als in den Vereinigten Staaten. Der Charter und Landgrant der kanadischen Pazifikbahngesellschaft ist etwas Beispielloses an öffentlichem Raub durch das Privatkapital. Der Gesellschaft war nicht bloß das Monopol auf den Eisenbahnbau für 20 Jahre gesichert, die ganze zu bebauende Strecke von etwa 713 englischen Meilen im Werte von zirka 35 Millionen Dollar gratis zur Verfügung gestellt, nicht bloß hatte der Staat auf 10 Jahre eine Zinsgarantie für 3 Prozent auf das Aktienkapital von 100 Millionen Dollar übernommen und ein bares Darlehen von 27½ Millionen Dollar gewährt. Außer alledem ist der Gesellschaft ein Landgebiet von 25 Millionen Acres geschenkt worden. und zwar zur beliebigen Auswahl unter den fruchtbarsten und bestgelegenen Ländereien auch außerhalb des unmittelbar die Bahn begleitenden Gürtels. Alle die künftigen Ansiedler auf der ungeheuren Fläche waren so von vornherein dem Eisenbahnkapital auf Gnade und Ungnade überantwortet. Die Eisenbahnkompanie hat ihrerseits 5 Millionen Acres, um sie möglichst rasch zu Geld zu machen, gleich weiter an die Nordwest-Landkompanie, d. h. an eine Vereinigung von englischen Kapitalisten unter Führung des Herzogs von Manchester verschleudert. Die zweite Kapitalgruppe, an die öffentliche Ländereien mit vollen Händen verschenkt wurden, ist die Hudsonbaikompanie, die für den Verzicht auf ihre Privilegien im Nordwesten einen Anspruch auf nicht weniger als ein Zwanzigstel allen Landes in dem ganzen Gebiet zwischen dem Lake Winnipeg, der Grenze der Vereinigten Staaten, den Rocky Mountains und dem nördlichen Saskatschewan erhielt. Die zwei Kapitalgruppen haben so zusammen fünf Neuntel des besiedelungsfähigen Landes in ihre Hände bekommen. Von den übrigen Ländereien hatte der Staat einen bedeutenden Teil 26 kapitalistischen „Kolonisationsgesellschaften“ zugewiesen. (19) So befindet sich der Farmer in Kanada fast von allen Seiten in den Netzen des Kapitals und seiner Spekulation. Und trotzdem die Masseneinwanderung nicht nur aus Europa, sondern auch aus den Vereinigten Staaten!
Dies sind die Züge der Kapitalsherrschaft auf der Weltbühne: Aus England trieb sie den Bauern, nachdem sie ihn vom Boden verdrängt hatte, nach dem Osten der Vereinigten Staaten, vom Osten nach dem Westen, um aus ihm auf den Trümmern der Indianerwirtschaft wieder einen kleinen Warenproduzenten zu machen, vom Westen treibt sie ihn, abermals ruiniert, nach dem Norden – die Eisenbahnen voran und den Ruin hinterher, d. h. das Kapital als Führer vor sich und das Kapital als Totschläger hinter sich. Die allgemeine zunehmende Teuerung der landwirtschaftlichen Produkte ist wieder an Stelle des tiefen Preisfalls der 90er Jahre getreten, aber der amerikanische kleine Farmer hat davon sowenig Nutzen wie der europäische Bauer.
Die Anzahl der Farmen wächst freilich unaufhörlich. Im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts ist sie von 4,6 Millionen auf 5,7 Millionen gewachsen, und auch im letzten Jahrzehnt ist sie absolut gestiegen. Gleichzeitig stieg der Gesamtwert der Farmen; während der letzten zehn Jahre ist er von 751,2 Millionen Dollar auf 1.652,8 Millionen Dollar gewachsen. (20) Die allgemeine Steigerung der Preise für Bodenprodukte hätte dem Farmer anscheinend auf einen grünen Zweig verhelfen sollen. Trotzdem sehen wir, daß die Zahl der Pächter unter den Farmern noch rascher wächst als die Zahl der Farmer im ganzen. Die Pächter bildeten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Farmer der Union
1880 |
|
25,5 % |
1890 |
28,4 % |
|
1900 |
35,3 % |
|
1910 |
37,2 % |
Trotz der Steigerung der Preise für Bodenprodukte machen die Farmereigentümer relativ immer mehr den Pächtern Platz. Diese aber, die jetzt schon weit über ein Drittel aller Farmer der Union darstellen, sind in den Vereinigten Staaten die unseren europäischen Landarbeitern entsprechende Schicht, die richtigen Lohnsklaven des Kapitals, das beständig fluktuierende Element, das unter äußerster Anspannung der Kräfte für das Kapital Reichtümer schafft, ohne für sich selbst etwas anderes als eine elende und unsichere Existenz herausschlagen zu können.
Derselbe Prozeß in einem ganz anderen historischen Rahmen – in Südafrika – zeigt noch deutlicher die „friedlichen Methoden“ des kapitalistischen Wettbewerbs mit dem kleinen Warenproduzenten.
Bis zu den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts herrschten in der Kapkolonie und in den Burenrepubliken rein bäuerliche Verhältnisse. Die Buren führten lange Zeit das Leben nomadisierender Viehzüchter, indem sie den Hottentotten und Kaffern die besten Weideplätze wegnahmen, sie selbst nach Kräften ausrotteten oder verdrängten. Im 18. Jahrhundert leistete ihnen die von den Schiffen der Ostindischen Kompanie verschleppte Pest treffliche Dienste, indem sie wiederholt ganze Hottentottenstämme dahinraffte und so für die holländischen Einwanderer den Boden frei machte. Durch ihre Ausbreitung nach dem Osten prallten sie mit den Bantustämmen zusammen und eröffneten die lange Periode der furchtbaren Kaffernkriege. Die frommen und bibelfesten Holländer, die sich auf ihre altmodische puritanische Sittenstrenge und ihre Kenntnis des Alten Testaments als „auserwähltes Volk“ nicht wenig zugute taten, begnügten sich jedoch nicht mit dem Raub der Ländereien der Eingeborenen, sondern sie richteten ihre bäuerliche Wirtschaft wie Parasiten auf eiern Rücken der Neger ein, die sie zur Sklavenarbeit für sich zwangen und zu diesem Behufe systematisch und zielbewußt korrumpierten und entnervten. Der Branntwein spielte dabei eine so wesentliche Rolle, daß das Branntweinverbot der englischen Regierung in der Kapkolonie an dem Widerstand der Puritaner scheiterte. Im allgemeinen blieb die Wirtschaft der Buren bis in die 60er Jahre vorwiegend patriarchalisch und naturalwirtschaftlich. Wurde doch erst 1859 die erste Eisenbahn in Südafrika gebaut. Der patriarchalische Charakter verhinderte freilich keineswegs die äußerste Härte und Roheit der Buren. Livingstone beklagte sich bekanntlich viel mehr über die Buren als über die Kaffern. Die Neger schienen ihnen ein so von Gott und Natur zur Sklavenarbeit für sie bestimmtes Objekt, eine so unentbehrliche Grundlage der Bauernwirtschaft zu sein, daß sie die Aufhebung der Sklaverei in den englischen Kolonien im Jahre 1836 [2*], trotz der Abfindung der Eigentümer hier mit 3 Millionen Pfund Sterling, mit dem „großen Treck“ beantworteten. Die Buren wanderten aus der Kapkolonie über den Oranje und Vaal aus, trieben dabei die Matabeles nach Norden über den Limpopo und hetzten sie den Makalakas auf den Hals. Wie der amerikanische Farmer unter den Streichen der Kapitalswirtschaft die Indianer vor sich her nach dem Westen, so trieb der Bur die Neger nach dem Norden. Die „freien Republiken“ zwischen Oranje und Limpopo entstanden so als Protest gegen den Anschlag der englischen Bourgeoisie auf das geheiligte Recht der Sklaverei. Die winzigen Bauernrepubliken lagen im ständigen Guerillakrieg mit den Bantunegern. Auf dem Rücken der Neger wurde nun der jahrzehntelange Kampf zwischen den Buren und der englischen Regierung ausgefochten. Als Vorwand zum Konflikt zwischen England und den Republiken diente die Negerfrage, nämlich die angeblich von der englischen Bourgeoisie angestrebte Emanzipation der Neger. In Wirklichkeit traten hier die Bauernwirtschaft und die großkapitalistische Kolonialpolitik in Konkurrenzkampf miteinander um die Hottentotten und Kaffern, d. h. um ihr Land und ihre Arbeitskraft. Das Ziel beider Konkurrenten war genau dasselbe: Niederwerfung, Verdrängung oder Ausrottung der Farbigen, Zerstörung ihrer sozialen Organisation, Aneignung ihres Grund und Bodens und Erzwingung ihrer Arbeit im Dienste der Ausbeutung. Nur die Methoden waren grundverschieden. Die Buren vertraten die veraltete Sklaverei im kleinen als Grundlage einer patriarchalischen Bauernwirtschaft, die englische Bourgeoisie – die moderne großangelegte kapitalistische Ausbeutung des Landes und der Eingeborenen. Das Grundgesetz der Transvaalrepublik erklärte mit bornierter Schroffheit: „Das Volk duldet keine Gleichheit zwischen Weißen und Schwarzen weder im Staat noch in der Kirche.“ In Oranje und in Transvaal durfte kein Neger Land besitzen und ohne Paß reisen oder sich bei Dunkelheit auf der Straße sehen lassen. Bryce erzählt einen Fall, wo ein Bauer (und zwar ein Engländer) im östlichen Kapland seinen Kaffer zu Tode gepeitscht hatte. Als der Bauer, vor Gericht gestellt, freigesprochen wurde, brachten ihn seine Nachbarn mit Musik nach Haus. Häufig suchten sich die Weißen auch der Löhnung an freie eingeborene Arbeiter dadurch zu entziehen, daß sie sie nach getaner Arbeit durch Mißhandlungen zur Flucht zwangen.
Die englische Regierung befolgte die gerade entgegengesetzte Taktik. Sie trat lange Zeit als die Beschützerin der Eingeborenen auf, umschmeichelte namentlich die Häuptlinge, stützte ihre Autorität und suchte ihnen das Recht der Disposition über Ländereien zu oktroyieren. Ja, sie machte die Häuptlinge, soweit es ging, nach bewährter Methode zu Eigentümern des Stammlandes, obwohl dies dem Herkommen und den tatsächlichen sozialen Verhältnissen der Neger ins Gesicht schlug. Das Land war nämlich bei sämtlichen Stämmen Gemeineigentum, und selbst die grausamsten, despotischsten Herrscher, wie der Matabelehäuptling Lobengula, hatten nur das Recht und die Pflicht, jeder Familie eine Parzelle zum Anbau anzuweisen, die auch nur so lange im Besitze der Familie blieb, wie sie tatsächlich bearbeitet wurde. Der Endzweck der englischen Politik war klar: Sie bereitete von langer Hand den Landraub im großen Stil vor, wobei sie die Häuptlinge der Eingeborenen selbst zu ihren Werkzeugen machte. Vorerst beschränkte sie sich auf die „Pazifizierung“ der Neger durch große militärische Aktionen. Neun blutige Kaffernkriege wurden bis 1879 durchgeführt, um den Widerstand der Bantus zu brechen.
Offen und mit aller Energie rückte das englische Kapital mit seinen eigentlichen Absichten erst heraus, als zwei wichtige Ereignisse: die Entdeckung der Diamantfelder Kimberleys 1867/70 und die Entdeckung der Goldminen Transvaals 1882/83 eine neue Epoche in der Geschichte Südafrikas eröffneten. Bald trat die Britisch-Südafrikanische Gesellschaft, d. h. Cecil Rhodes in Aktion. In der öffentlichen Meinung Englands vollzog sich ein rapider Umschwung. Die Gier nach den südafrikanischen Schätzen trieb die englische Regierung zu energischen Schritten an. Keine Kosten und keine Blutopfer schienen der englischen Bourgeoisie zu groß, um sich der Länder in Südafrika zu bemächtigen. Hierher ergoß sich plötzlich ein gewaltiger Strom der Einwanderung. Bis dahin war sie gering; die Vereinigten Staaten lenkten die europäische Emigration von Afrika ab. Seit den Entdeckungen der Diamant- und Goldfelder wuchs die Anzahl der Weißen in den südafrikanischen Kolonien sprunghaft: 1885–1895 waren 100.000 Engländer am Witwatersrand allein eingewandert. Die bescheidene Bauernwirtschaft wurde nun in den Hintergrund geschoben, der Bergbau rückte an die erste Stelle und mit ihm das Grubenkapital.
Die englische Regierung machte nun einen schroffen Frontwechsel in ihrer Politik. In den 50er Jahren hatte England durch den Sand-River-Vertrag [3*] und durch den Bloemfontein-Vertrag [4*] die Burenrepubliken anerkannt. Jetzt begann die politische Einkreisung der Bauernstaaten durch die Okkupation aller Gebiete um die winzigen Republiken herum, um ihnen jede Ausdehnung abzuschneiden, gleichzeitig wurden die lange beschützten und begönnerten Neger geschluckt. Schlag auf Schlag rückte das englische Kapital vor. 1868 nahm England das Basutoland – natürlich auf „wiederholtes Flehen“ der Eingeborenen – unter seine Herrschaft. (21) 1871 wurden die Diamantfelder am Witwatersrand als „Westgriqualand“ dem Oranjestaat entrissen und zur Kronkolonie gemacht, 1879 wurde das Zululand unterworfen, um später der Kolonie Natal einverleibt zu werden, 1885 wurde das Betschuanaland unterworfen und nachher der Kapkolonie angegliedert, 1888 unterwarf sich England die Matabele und das Maschonaland; 1889 bekam die Britisch-Südafrikanische Gesellschaft den Charter auf beide Gebiete – auch dies natürlich nur aus Gefälligkeit für die Eingeborenen und auf ihre inständigen Bitten (22), 1884 und 1887 wurde die St.-Lucia-Bai und die ganze Ostküste bis zum portugiesischen Besitz von England annektiert; 1894 nahm England das Tongaland in Besitz. Die Matabele und Maschona rafften sich noch zu einem Verzweiflungskampf auf, aber die Gesellschaft, mit Rhodes an der Spitze, erstickte den Aufstand erst im Blute, um dann das probate Mittel der Zivilisierung und Pazifizierung der Eingeborenen anzuwenden: zwei große Eisenbahnen wurden im aufrührerischen Gebiet gebaut.
Den Burenrepubliken wurde in dieser plötzlichen Umklammerung immer schwüler. Aber auch im Innern ging alles drunter und drüber. Der mächtige Strom der Einwanderung und die Wellen der neuen fieberhaften Kapitalswirtschaft drohten alsbald die Schranken der kleinen Bauernstaaten zu sprengen. Der Widerspruch zwischen der Bauernwirtschaft auf dem Felde wie im Staate und den Anforderungen und Bedürfnissen der Kapitalakkumulation war in der Tat ein schreiender. Auf Schritt und Tritt versagten die Republiken gegenüber den neuen Aufgaben. Unbeholfenheit und Primitivität der Administration, die ständige Kafferngefahr, die wohl von England nicht mit scheelen Blicken angesehen war, Korruption, die sich in den Volksrand eingeschlichen hatte und durch Bestechung den Willen der Großkapitalisten durchsetzte, das Fehlen der Sicherheitspolizei, um die zuchtlose Gesellschaft der Glücksritter im Zaume zu halten, Mangel an Wasserzufuhr und Verkehrsmitteln zur Versorgung einer plötzlich aufgeschossenen Kolonie von 100.000 Einwanderern, mangelnde Arbeitergesetze, um die Ausbeutung der Neger im Bergbau zu regeln und zu sichern, hohe Schutzzölle, die den Kapitalisten die Arbeitskraft verteuerten, hohe Frachten für Kohle – alles das fügte sich zu einem plötzlichen und betäubenden Bankrott der Bauernrepubliken zusammen.
In ihrer plumpen Borniertheit wehrten sie sich gegen die Schlamm- und Lavaflut des Kapitalismus, die sie verschlang, durch das denkbar primitivste Mittel, das nur im Arsenal der dickköpfigen und starren Bauern zu finden war: Sie schlossen die Masse der „Uitlander“, die sie an Zahl weitaus übertraf und ihnen gegenüber das Kapital, die Macht, den Zug der Zeit vertrat, von jeglichen politischen Rechten aus. Aber das war nur ein schlechter Spaß, und die Zeiten waren ernst. Die Dividenden litten empfindlich unter der bäuerlich-republikanischen Mißwirtschaft und konnten sie nicht länger dulden. Das Grubenkapital revoltierte. Die Britisch-Südafrikanische Gesellschaft baute Eisenbahnen, warf Kaffern nieder, organisierte Aufstände der Uitlander, provozierte endlich den Burenkrieg. [5*] Die Stunde der Bauernwirtschaft hatte geschlagen. In den Vereinigten Staaten war der Krieg Ausgangspunkt der Umwälzung, in Südafrika war er ihr Abschluß. Das Ergebnis war dasselbe: der Sieg des Kapitals über die kleine Bauernwirtschaft, die ihrerseits auf den Trümmern der primitiven naturalwirtschaftlichen Organisation der Eingeborenen erstanden war. Der Widerstand der Burenrepubliken gegen England war ebenso aussichtslos wie der Widerstand des amerikanischen Farmers gegen die Kapitalsherrschaft in den Vereinigten Staaten. In der neuen Südafrikanischen Union, die, eine Verwirklichung des imperialistischen Programms Cecil Rhodes’, an Stelle der kleinen Bauernrepubliken einen modernen Großstaat setzt, hat nunmehr das Kapital offiziell das Kommando übernommen. Der alte Gegensatz zwischen Engländern und Holländern ist in dem neuen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ertränkt worden:
Beide Nationen haben ihre rührende Verbrüderung in der Union mit der bürgerlichen und politischen Entrechtung von 5 Millionen farbiger Arbeiterbevölkerung durch eine Million weißer Ausbeuter besiegelt. Dabei sind nicht bloß die Neger der Burenrepubliken leer ausgegangen, sondern den Negern der Kapkolonie, die von der englischen Regierung ehemals politische Gleichberechtigung erhalten hatten, ihre Rechte zum Teil genommen worden. Und dieses edle Werk, das die imperialistische Politik der Konservativen durch einen schamlosen Gewaltstreich gekrönt hat, sollte gerade von der liberalen Partei vollendet werden – unter dem frenetischen Beifall „der liberalen Kretins Europas“, die mit Stolz und Rührung in der völligen Selbstverwaltung und Freiheit, die England der Handvoll Weißer in Südafrika schenkte, den Beweis feierten, welche schöpferische Macht und Größe doch noch dem Liberalismus in England innewohne.
Der Ruin des selbständigen Handwerks durch die Konkurrenz des Kapitals ist ein Kapitel für sich, das weniger geräuschvoll, aber nicht minder qualvoll ist. Die kapitalistische Hausindustrie ist der dunkelste Abschnitt dieses Kapitels. Es erübrigt sich hier, auf diese Erscheinungen näher einzugehen.
Allgemeines Resultat des Kampfes zwischen Kapitalismus und einfacher Warenwirtschaft ist dies: Das Kapital tritt selbst an Stelle der einfachen Warenwirtschaft, nachdem es die Warenwirtschaft an Stelle der Naturalwirtschaft gesetzt hatte. Wenn der Kapitalismus also von nichtkapitalistischen Formationen lebt, so lebt er, genauer gesprochen, von dem Ruin dieser Formationen, und wenn er des nichtkapitalistischen Milieus zur Akkumulation unbedingt bedarf, so braucht er es als Nährboden, auf dessen Kosten, durch dessen Aufsaugung die Akkumulation sich vollzieht. Historisch aufgefaßt. ist die Kapitalakkumulation ein Prozeß des Stoffwechsels, der sich zwischen der kapitalistischen und den vorkapitalistischen Produktionsweisen vollzieht. Ohne sie kann die Akkumulation des Kapitals nicht vor sich gehen, die Akkumulation besteht aber, von dieser Seite genommen, im Zernagen und im Assimilieren jener. Die Kapitalakkumulation kann demnach sowenig ohne die nichtkapitalistischen Formationen existieren, wie jene neben ihr zu existieren vermögen. Nur im ständigen fortschreitenden Zerbröckeln jener sind die Daseinsbedingungen der Kapitalakkumulation gegeben.
Das, was Marx als die Voraussetzung seines Schemas der Akkumulation angenommen hat, entspricht also nur der objektiven geschichtlichen Tendenz der Akkumulationsbewegung und ihrem theoretischen Endresultat. Der Akkumulationsprozeß hat die Bestrebung, überall an Stelle der Naturalwirtschaft die einfache Warenwirtschaft, an Stelle der einfachen Warenwirtschaft die kapitalistische Wirtschaft zu setzen, die Kapitalproduktion als die einzige und ausschließliche Produktionsweise in sämtlichen Ländern und Zweigen zur absoluten Herrschaft zu bringen.
Hier beginnt aber die Sackgasse. Das Endresultat einmal erreicht – was jedoch nur theoretische Konstruktion bleibt –, wird die Akkumulation zur Unmöglichkeit: Die Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts verwandelt sich in eine unlösbare Aufgabe. In dem Moment, wo das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion der Wirklichkeit entspricht, zeigt es den Ausgang, die historische Schranke der Akkumulationsbewegung an, also das Ende der kapitalistischen Produktion. Die Unmöglichkeit der Akkumulation bedeutet kapitalistisch die Unmöglichkeit der weiteren Entfaltung der Produktivkräfte und damit die objektive geschichtliche Notwendigkeit des Untergangs des Kapitalismus. Daraus ergibt sich die widerspruchsvolle Bewegung der letzten, imperialistischen Phase als der Schlußperiode in der geschichtlichen Laufbahn des Kapitals.
Das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion entspricht somit nicht den Bedingungen der Akkumulation, solange diese fortschreitet; sie läßt sich nicht in die festen Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten zwischen den beiden großen Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion (Abteilung der Produktionsmittel und Abteilung der Konsumtionsmittel) bannen, die das Schema formuliert. Die Akkumulation ist nicht bloß ein inneres Verhältnis zwischen den Zweigen der kapitalistischen Wirtschaft, sondern vor allem ein Verhältnis zwischen Kapital und dem nichtkapitalistischen Milieu, in dem jeder der beiden großen Zweige der Produktion den Akkumulationsprozeß zum Teil auf eigene Faust unabhängig vom anderen durchmachen kann, wobei sich die Bewegung beider wieder auf Schritt und Tritt kreuzt und ineinander verschlingt. Die sich daraus ergebenden komplizierten Beziehungen, die Verschiedenheit des Tempos und der Richtung im Gang der Akkumulation beider Abteilungen, ihre sachlichen und Wertzusammenhänge mit nichtkapitalistischen Produktionsformen, lassen sich nicht unter einen exakten schematischen Ausdruck bringen. Das Marxsche Schema der Akkumulation ist nur der theoretische Ausdruck für denjenigen Moment, wo die Kapitalsherrschaft ihre letzte Schranke erreicht haben wird, und insofern ist es ebenso wissenschaftliche Fiktion wie sein Schema der einfachen Reproduktion, das den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion theoretisch formuliert. Aber zwischen diesen beiden Fiktionen allein ist die exakte Erkenntnis der Kapitalakkumulation und ihrer Gesetze eingeschlossen.
28. Kapitel – 30. Kapitel
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1. In China hat sich das häusliche Gewerbe bis in die jüngste Zeit sogar beim Bürgertum in weitem Maße erhalten, selbst in so großen und alten Handelsstädten, wie z. B. Ningpo mit seinen 300.000 Einwohnern. „Noch vor einem Menschenalter machten die Frauen selbst Schuhe, Hüte, Hemden und sonstiges für ihre Männer und für sich. Es erregte damals in Ningpo viel Aufsehen. wenn eine junge Frau irgend etwas bei einem Händler einkaufte, was sie durch den Fleiß ihrer Hände selbst hätte herstellen können.“ (Nyok-Ching Tsur: Die gewerblichen Betriebsformen der Stadt Ningpo, Tübingen 1909, S. 51.)
2. Das letzte Kapitel in der Geschichte der Bauernwirtschaft unter den Einwirkungen der kapitalistischen Produktion stellt freilich dieses Verhältnis auf den Kopf. Bei dem ruinierten Kleinbauer wird vielfach die Hausindustrie für kapitalistische Verleger oder einfach die Lohnarbeit in der Fabrik zum Hauptberuf der Männer, während der landwirtschaftliche Betrieb ganz auf die Schultern von Frauen, Greisen und Kindern abgewälzt wird. Ein Musterbeispiel bietet der Kleinbauer Württembergs.
3. W.A. Peffer: The Farmer’s side. His troubles and their remedy, Teil II: How we got here, Kapitel I: Changed conditions of the Farmer, New York 1891, S. 56/57. Vgl. auch A.M. Simons: The American Farmer, 2. Aufl. Chicago 1906, S. 74 ff.
4. Zit. bei Lafargue: Getreidebau und Getreidehandel in den Vereinigten Staaten. In: Die Neue Zeit, 1885, S. 344. (Der Aufsatz ist zuerst im Jahre 1883 in einer russischen Zeitschrift erschienen.)
5. „The three revenue acts of June 30, 1864, practically form one measure, and that probably the greatest measure of taxation which the world has seen ... The internal revenue act was arranged, as Mr. David A. Wells had said on the principles of the Irishman at Donnybrook fair: ‘Whenever you see a head, hit it; whenever you see a commodity, tax it.’ Every thing was taxed, and taxed heavily.“ (F.W. Taussig: The Tariff History of the United States, New York 1888, S. 164.)
6. „The necessity of the Situation, the critical state of the country, the urgent need of revenue, may have justified this haste, which, it is safe to say, is unexampled in the history of civilized countries.“ (Taussig: l. c., S. 168.)
7. W.A. Peffer: l. c., S. 58.
8. W.A. Peffer : l. c., Introducton, S. 6. Sering berechnet Mitte der 80er Jahre das notwendige Bargeld für einen „sehr dürftigen Anfang“ der kleinsten Farm im Nordwesten auf 1.200–1.400 Dollar. (Siehe Die landwirtschaftliche Konkurrenz Nordamerikas, Leipzig 1887, S. 431.)
9. Lafargue: l. c., S. 345.
10. Der Report of the U.S. Commissioner of Labor für 1898 gibt die folgende Zusammenstellung der erreichten Vorteile des maschinellen Betriebes gegen die Handarbeit:
Arbeit |
Arbeitszeit bei der Anwendung von |
Arbeitszeit bei Handarbeit für |
|||
---|---|---|---|---|---|
|
Stunden |
Minuten |
Stunden |
Minuten |
|
Pflanzen von kleinem Getreide |
– |
32,7 |
10 |
55 |
|
Ernten und Dreschen von kleinem Getreide |
1 |
– |
46 |
40 |
|
Pflanzen von Mais |
– |
37,5 |
6 |
15 |
|
Schneiden von Mais |
3 |
4,5 |
5 |
– |
|
Enthülsen von Mais |
– |
3,6 |
66 |
40 |
|
Pflanzen von Baumwolle |
1 |
3.0 |
8 |
48 |
|
Kultivieren von Baumwolle |
12 |
5,1 |
60 |
– |
|
Mähen |
Sense gegen Maschine |
1 |
0,6 |
7 |
20 |
Einholen u. Verpacken |
11 |
3,4 |
35 |
30 |
|
Pflanzen von Kartoffeln |
1 |
2,5 |
15 |
– |
|
Pflanzen von Paradiesäpfeln |
1 |
4,0 |
10 |
– |
|
Kultivieren und Ernten von Paradiesäpfeln |
134 |
5,2 |
324 |
20 |
11. Die Ausfuhr des Weizens aus der Union nach Europa betrug in Millionen Bushels:
1868/69 |
|
|
17,9 |
1874/75 |
71,8 |
||
1879/80 |
153,2 |
||
1885/86 |
57,7 |
||
1890/91 |
55,1 |
||
1899/1900 |
101,9 |
(Juratcheks Übersichten der Weltwirtschaft, Bd. VII, Abt.I. S. 32.
Gleichzeitig ging der Preis pro Bushel Weizen loco Farm in Cents folgendermaßen herunter:
1870/79 |
|
|
105 |
1880/89 |
83 |
||
1895 |
51 |
||
1896 |
73 |
||
1887 |
81 |
||
1898 |
58 |
Seit 1899, wo er den Tiefstand von 58 Cents pro Bushel erreicht hat, bewegt sich der Preis wieder aufwärts:
1900 |
|
|
62 |
1901 |
62 |
||
1902 |
63 |
||
1903 |
70 |
||
1904 |
92 |
(Juraschek: l. c., S. 18.)
Nach den Monatlichen Nachweisen über den auswärtigen Handel stand der Preis pro 1.000 Kilogramm im Juni 1912 in Mark:
|
|
|
Weizen |
---|---|---|---|
Berlin |
227,82 |
||
Mannheim |
247,93 |
||
Odessa |
173,94 |
||
New York |
178,08 |
||
London |
170,96 |
||
Paris |
243,69 |
12. Zit. bei: Peffer: l. c., Teil I: Where we are, Kapitel II: Progress of Agriculture, S. 30/31.
13. Peffer: l. c., S. 42.
14. Sering: Die landwirtschaftliche Konkurrenz Nordamerikas, S. 433.
15. Siehe W.A. Peffer: l. c., S. 35/36.
16. Zit. bei Nikolai—on: l. c., S. 224.
17. Die Einwanderung nach Kanada betrug 1901 49.149 Personen. Im Jahre 1912 sind über 300.000 Personen eingewandert, davon 131.000 britische und 134.000 amerikanische Einwanderer. Wie aus Montreal Ende Mai 1912 gemeldet wurde, dauerte der Zuzug der amerikanischen Farmer auch in diesem Frühjahr fort.
18. „Ich habe auf der Reise durch den kanadischen Westen nur eine einzige Farm besucht, welche weniger als 1.000 Acres (1.585 preußische Morgen) umfaßte. Nach dem 1881er Census des Dominion of Canada waren in Manitoba zur Zeit der Aufnahme 2.384.337 Acre Landes von nur 9.077 Besitzern okkupiert; es entfielen demnach auf einen einzelnen nicht weniger 2.047 Acres – eine Durchschnittsgröße, wir sie in keinem Staate der Union nur entfernt erreicht wird.“ (Sering: l. c., S. 376.) Wenig verbreitet war freilich zu Beginn der 80er Jahre in Kanada eigentlicher Großbetrieb. Doch beschreibt schon Sering die einer Aktiengesellschaft gehörige „Bell-Farm“, die nicht weniger als 22.680 Hektar umfaßte und offenbar nach dem Muster der Dalrymple-Farm eingerichtet war. – Sering, der die Aussichten kanadischen Konkurrenz sehr kühl und skeptisch betrachtete, hat in den 80er Jahren als den „fruchtbaren Gürtel“ Westkanadas eine Fläche von 311.000 Quadratmeilen oder ein Gebiet drei Fünftel so groß wie ganz Deutschland berechnet, davon nahm er bei extensiver Kultur nur 38,4 Millionen Acres als wirkliches Kulturland und davon als voraussichtliches Weizengebiet im Höchstfalle nur 14 Millionen Acres an. (Sering: l. c., S. 337 u. 338.) Nach den Schätzungen der Manitoba Free Press von Mitte Juni 1912 betrug die Anbaufläche für Frühjahrsweizen in Kanada im Sommer 1912 11,2 Millionen Acres gegen eine Fläche von 19,2 Millionen Acres Frühjahrsweizen in den Vereinigten Staaten. (Siehe Berliner Tageblatt und Handelszeitung, Nr. 305 vom 18. Juni 1912.)
19. Siehe Sering: l. c., S. 362ff.
20. Siehe Ernst Schultze: Das Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten. In: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 1912, Heft IV, S. 1724.
21. „Moshesh, the great Basuto leader, through whose courage and statesmanship the Basutos owed their very existence as a people, was still alive at the time, but constant war with the Boers of the Orange Free State had brought him and his followers to the last stage of distress. Two thousand Basuto warriors had been killed, cattle had been carried off, native homes had been broken up and crops destroyed. The tribe was reduced to the position of starving refugees, and nothing could save them but the protection of the British Government, which they had repeatedly implored.“ (C.P. Lucas: A Historical Geography of the British Colonies, Oxford, Bd. IV, S. 60.)
22. „The eastern section of the territory is Mashonaland, where, with the permission of King Lobengula, who claimed it, the British South Africa Company first established themselves.“ (Lucas: l. c., S. 77.)
1*. Die Gesamtzahl der Indianer im Gebiet der USA um 1500 wird auf etwa 1 Million geschätzt. 1887 wurden nur noch 243.000 gezählt. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts waren die Indianer bis an die Alleghenies heran verdrängt oder ausgerottet. Das Territorium der USA wuchs zwischen 1790 und 1860 von 867.980 auf 2.973.965 Quadratmeilen, dabei erreichte die Vertreibung und Ausrottung der Urbevölkerung ihren Höhepunkt.
2*. Ein Sklavenauf stand auf Jamaika im Jahre 1831 hatte das englische Parlament veranlaßt, 1833 die Abschaffung der Sklaverei in den englischen Kolonien zu beschließen. Da die ehemaligen Sklaven kein Land besaßen, waren sie gezwungen, auf den Plantagen ihrer früheren Herren als Lohnarbeiter zu arbeiten. Die Sklavenbesitzer erhielten eine Abfindung von 20 Millionen Pfund.
3*. Im Sand-River-Vertrag, benannt nach einem Fluß in Südafrika, erkannte Großbritannien 1852 die Souveränität der Burengebiete nördlich des Flusses Vaal, die sich 1852/1853 zum Freistaat Transvaal konstituiert hatten, an.
4*. Im Bloemfontein-Vertrag, nach der Hauptstadt des Oranje-Freistaates genannt, erkannte Großbritannien 1854 die Souveränität dieser 1842 gegründeten Burenrepublik an.
5*. Nach der Entdeckung von Goldfeldern in Transvaal hatte England im Oktober 1899 einen Krieg gegen die Burenrepublik in Südafrika provoziert. Nach anfänglichen militärischen Schwierigkeiten gelang es dem englischen Imperialismus durch einen brutalen Unterdrückungsfeldzug, die Buren in Mai 1902 der britischen Herrschaft zu unterwerfen.
Zuletzt aktualisiert am 14.1.2012