Paul Mattick


Krisen und Krisentheorien


1. Die Bürgerliche Ökonomie

Die progressive Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaft war von Anfang an ein von Rückschlägen durchsetzter Prozeß. Es gab gute und schlechte Zeiten, und dafür suchte man nach einer Erklärung. Der zuerst noch ausschlaggebende landwirtschaftliche Charakter der gesellschaftlichen Produktion erlaubte es, die Ursachen wirtschaftlicher Not von der Unbeständigkeit der Natur abzuleiten. Mißernten konnten für den allgemeinen Mangel verantwortlich gemacht werden. Darüber hinaus war es die geringe Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit selbst, die, in Verbindung mit der wachsenden Bevölkerung, die Furcht erweckte, daß der sich entwickelnden kapitalistischen Produktion natürliche Grenzen gesetzt seien, die auf einen unabwendbaren stationären Zustand der Gesellschaft hindeuteten. Ein tiefer Pessimismus kennzeichnete die bürgerliche politische Ökonomie, der erst durch die sich beschleunigende Entwicklung des Kapitals überwunden wurde. Obwohl in der klassischen Theorie die gesellschaftlichen Verhältnisse als natürliche angesehen wurden, hinderte dies die Klassiker nicht, sich in bezug auf die Verteilung den gesellschaftlichen Verhältnissen speziell zuzuwenden. Und war in der klassischen Theorie einerseits das Gleichgewicht verschiedener Interessen durch den Austausch gewährleistet, da er von den in den Waren enthaltenen Arbeitsmengen bestimmt wurde, so wurde dieses Gleichgewicht andererseits zugleich in Frage gestellt. Bei einer rein formalen Betrachtung der Austauschverhältnisse und der Annahme freier Konkurrenz schienen die individuellen Interessen mit denen der Gesellschaft zusammenzufallen und das ökonomische Gesetz des Austauschs von Äquivalenten ein gerechtes zu sein. Bei Betrachtung der klassenmäßigen Aufteilung des gesellschaftlichen Produkts in Grundrente, Lohn und Profit ergab sich jedoch, daß der formale Austauschprozeß keine legitime Abstraktion der Wirklichkeit war.

Die von den Klassikern aufgestellte Arbeitswerttheorie betrachtete die gegebenen Zustände und deren weitere Entfaltung vom Standpunkt des Kapitals und damit vom Standpunkt der kapitalistischen Akkumulation aus. Mit wenigen Ausnahmen, obwohl mit verschiedenen Argumenten, nahmen die Klassiker an, daß der kapitalistischen Akkumulation Schranken gesetzt sind, die ihren Ausdruck im Abfallen der Profite finden würden. David Ricardo zufolge fand die Akkumulation ihre unvermeidliche Grenze in der abnehmenden Produktivität der Bodenbewirtschaftung. Eine zunehmende Ertragsdifferenz zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Produktivität würde die Lohnkosten erhöhen und die Profitrate zugunsten der Grundrente senken. Diese Theorie war offensichtlich eine Widerspiegelung der zur Zeit Ricardos existierenden Beziehungen zwischen den Grundeigentümern und den Kapitalisten und hatte nichts mit den der Wertproduktion immanenten Entwicklungstendenzen zu tun. Nach Marx war es Ricardos Unfähigkeit, die Entwicklungsgesetze des Kapitals aus der Kapitalproduktion selbst zu erklären, die ihn veranlaßte, „aus der Ökonomie in die organische Chemie zu flüchten“[1].

Dennoch sah Marx in der Angst der englischen Ökonomen über die Abnahme der Profitrate ein „tiefes Verständnis der Bedingungen der kapitalistischen Produktion“. Was z. B. Ricardo beunruhigte, war, „daß die Profitrate, der Stachel der kapitalistischen Produktion und Bedingung, wie Treiber der Akkumulation, durch die Entwicklung der Produktion selbst gefährdet wird [...] Es zeigt sich hier in rein ökonomischer Weise, d. h. vom Bourgeoisstandpunkt, innerhalb der Grenzen des kapitalistischen Verstandes, vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion selbst, ihre Schranke, ihre Relativität, daß sie keine absolute, sondern nur eine historische, einer gewissen beschränkten Entwicklungsepoche der materiellen Produktionsbedingungen entsprechende Produktionsweise ist“[2].

Wurde die Tendenz fallender Profite zuerst von der zunehmenden Konkurrenz und, in Verbindung mit dem Bevölkerungszuwachs, von der steigenden Grundrente abgeleitet, so dauerte es nicht lange, bis auch der Arbeitslohn in Gegensatz zu den Profitnotwendigkeiten der Akkumulation gebracht wurde. Andererseits regte das Anwachsen der Lohnarbeit, durch den an Arbeitszeit gebundenen Wertbegriff, zu Fragen nach der Ursache des Profits an; sie fanden ihre Antwort in der Forderung der Produzenten auf ihren vollen Arbeitsertrag. Wie der Profit selbst, wurde auch das akkumulierte Kapital als angehäufte unbezahlte Arbeit verstanden. Die Zurückweisung des Vorwurfs kapitalistischer Ausbeutung erforderte deshalb die Abkehr von der Arbeitswerttheorie. Hingegen konnte das Akkumulationsproblem einfach vergessen werden, da sich die darauf beziehenden Befürchtungen als falsch herausstellten. Die Akkumulation nahm nicht ab sondern zu, und unverkennbar beherrschte das Kapital die ganze Gesellschaft. Lohnarbeit und Kapital stellten nun die wesentlichen Klassengegensätze dar und bestimmten die weiteren Wandlungen der bürgerlichen Ökonomie.

Die sich nun ausbreitende apologetische Natur der Ökonomie brauchte den bürgerlichen Ökonomen allerdings nicht bewußt zu sein. Mit der Überzeugung, daß die kapitalistische die einzig mögliche Ökonomie sei, wird jede an ihr geübte Kritik zu einer unberechtigten subjektiven Entstellung der realen Zustände. Die Apologetik erscheint als Objektivität, als wissenschaftliche Erkenntnis, die selbst durch keinen nachweisbaren Mangel des Systems erschüttert werden kann. Allerdings verlangte die Verallgemeinerung der kapitalistischen Ökonomie eine unhistorische Betrachtungsweise und die Umwandlung der Kategorien der politischen Ökonomie in allgemeine Gesetze des menschlichen Verhaltens, so wie sie in allen Gesellschaftsformen zu finden sind. Da die Vergangenheit nur aus der Gegenwart heraus begriffen werden kann, war auch für Marx die bürgerliche Ökonomie ein Schlüssel zum Verständnis früherer Gesellschaftsformationen; „aber nicht in der Art der Ökonomen, die alle historischen Unterschiede verwischen und in allen Gesellschaftsformen die bürgerlichen sehen“[3]. Die allgemeinen abstrakten Bestimmungen, die mehr oder weniger in allen Gesellschaftsformen zu finden sind, haben trotzdem in jeder besonderen Gesellschaft einen nur dieser Gesellschaft entsprechenden Charakter. Geld als Tauschmittel und Geld als Kapital drücken verschiedene gesellschaftliche Beziehungen aus, und die in der Vergangenheit angewandten Arbeitsmittel sind nicht mit dem sich selbst verwertenden Kapital gleichzusetzen. Aus den abstrakten allgemeinen Bestimmungen des menschlichen Handels und Verkehrs läßt sich die kapitalistische Wirtschaft nicht verstehen, und die Beschränkung darauf kann nur der Unkenntnis der wirklichen gesellschaftlichen Zusammenhänge entspringen oder dem Wunsch, damit verbundenen Problemen aus dem Wege zu gehen.

Nach Marx unterlag der klassischen Werttheorie eine Verwechslung der Produktion in ihrem natürlichen und ihrem ökonomischen Sinn. Sie ging deshalb von der Arbeit aus und faßte das Kapital als Sache auf, nicht als ein gesellschaftliches Verhältnis. Um jedoch „den Begriff des Kapitals zu entwickeln, ist es nötig, nicht von der Arbeit, sondern vom Wert auszugehen, und zwar von dem schon in der Bewegung der Zirkulation entwickelten Tauschwert“[4]. Es ist der Unterschied zwischen Tausch- und Gebrauchswert der Arbeitskraft, auf der die Existenz und die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft beruht und die die Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln zur Voraussetzung hat. Die Arbeit selbst hat keinen Wert, aber die Arbeitskraft als Ware erzeugt neben ihrem eigenen Wert noch einen Mehrwert, aus dem sich die verschiedenen ökonomischen Kategorien der Marktwirtschaft wie Preis, Profit, Zins und Grundrente ergeben und worin sie zugleich ihre Verschleierung finden.

Die Marxsche Kritik der bürgerlichen Ökonomie war damit eine doppelte: sie bestand einerseits in der konsequenten Anwendung der Arbeitswerttheorie auf die kapitalistische Entwicklung auf dem Boden der gegebenen fetischistischen ökonomischen Kategorien und andererseits in der Aufdeckung dieser Kategorien als der der kapitalistischen Warenproduktion eigentümlichen Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse. Was den Klassikern nicht gelingen konnte, nämlich die dem Kapital erwachsenden Schwierigkeiten aus dem der kapitalistischen Produktionsweise eigentümlichen Gegensatz von Tausch- und Gebrauchswertproduktion zu erklären, gelang Marx, der damit die Schranken des Kapitals als vom Kapital selbst gesetzte aufzuzeigen vermochte. Und da sich hinter den ökonomischen Kategorien reale Klassenverhältnisse verbergen, waren die dem Kapital eigenen ökonomischen Widersprüche zugleich aktuelle Gegensätze und konnten damit auf revolutionärem Wege überwunden werden. Die Nichtbeachtung des sich im Kapitalismus herausbildenden Klassengegensatzes von Arbeit und Kapital hatte der klassischen Ökonomie erlaubt, sich als vorurteilsfreie Wissenschaft zu verstehen, ohne damit einem reinen Positivismus zu verfallen. Sie hatte zugleich einen normativen Charakter, indem sie sich in Vorschlägen erging, wie noch vorhandenen oder neu auftauchenden Mißständen abzuhelfen wäre. Die zu erwartende Harmonie der Marktwirtschaft wäre noch durch entgegengesetzte Bestrebungen merkantilistischer Monopol- und Geldpolitik behindert. Gleichzeitig wurde jedoch die universale Konkurrenz als Allheilmittel ökonomischer Unrechtmäßigkeiten schon angezweifelt. Die offensichtliche Verelendung der Arbeiter veranlaßte John Stuart Mill, die ökonomischen Konsequenzen der kapitalistischen Produktion durch eine auf politischen Wegen zu erreichende gerechtere Verteilung abzuändern. Für Marx war das Verhältnis der Produktion zur Verteilung durch die Produktion selbst gesetzt. Die „Abgeschmacktheit“ Mills zeigte sich für Marx darin, daß Mill „die bürgerlichen Produktionsverhältnisse für ewig hielt, aber ihre Distributionsformen für historisch, (und so) weder die einen noch die anderen versteht“[5]. Die normativen Elemente der klassischen Ökonomie drückten nur ein mangelndes Verständnis der kapitalistischen Gesellschaft aus.

Im allgemeinen war die mit dem Kapitalismus entstehende politische Ökonomie jedoch die vom bürgerlichen Standpunkt aus gesehene ideelle Erfassung und Darstellung der Warenproduktion, die den Besitzern der Produktionsmittel auf dem Wege des Austauschs Profite vermittelte. Die praktische Kritik der politischen Ökonomie war selbst noch politische Ökonomie, aber vom Standpunkt der Arbeiter, und erschöpfte sich als solche in deren Kampf um bessere Lebensbedingungen. Die politische Ökonomie war damit der sich in ökonomischen Kategorien verhüllende Klassenkampf von Arbeit und Kapital. So lange die Bourgeoisie an der auf Arbeitszeit basierenden Werttheorie festhielt, wurde sie den objektiven Gegebenheiten in ihrer Art gerecht, selbst wenn sie die Tatsache der Ausbeutung stillschweigend überging. Mit der Abkehr von der Arbeitswerttheorie beraubte sie sich selbst der Möglichkeit der objektiven Erkenntnis ökonomischer Zusammenhänge und überließ der Marxschen Kritik die wissenschaftliche Betrachtung der bürgerlichen Gesellschaft.

Es wäre jedoch falsch anzunehmen, daß die bürgerliche Abkehr von der Arbeitswerttheorie ausschließlich der Leugnung der Ausbeutung zuzuschreiben ist. Abgesehen davon, daß die Arbeitswerttheorie nicht ihrem wirklichen Sinn nach begriffen wurde, d.h. im Sinne der doppelseitigen Natur der Arbeitskraft als Tausch- und Gebrauchswert, hatte sie für die Bourgeoisie auch keine praktische Bedeutung. Hier ging es nicht um Arbeitszeitwerte, sondern um die von den Werten gelösten und durch die Konkurrenz etablierten Preise. Obwohl dies die Klassiker von ihrem gesamtgesellschaftlichen Ausgangspunkt her nicht hätte hindern sollen, die Gültigkeit der Werttheorie dennoch nachzuweisen, und obwohl dies auch in weitgehenden Maße versucht wurde, blieb die Lösung des Wertproblems doch Marx vorbehalten. So waren es sicherlich auch die mit der Arbeitswertlehre verbundenen theoretischen Schwierigkeiten, die für die Abkehr vom Arbeitswertgesetz mitverantwortlich waren.

Wie dem auch sei: Profit, Zins und Grundrente aus dem Wertgesetz abzuleiten, konnte nur zu der Einsicht führen, daß die Arbeiter neben ihrem Wert noch einen Mehrwert produzieren, den sich die nichtproduzierenden Schichten der Gesellschaft aneignen. Die Ansicht, daß die Arbeit allein Wert schafft, mußte fallen gelassen werden, um die Einkommen in Form von Profit, Zins und Grundrente zu rechtfertigen. Dies war nicht nur notwendig, sondern auch einleuchtend, da unter kapitalistischen Bedingungen die Arbeiter ebensowenig ohne das Kapital produzieren können, wie das Kapital ohne Arbeiter. War die Besitzlosigkeit der Arbeiter Voraussetzung kapitalistischer Produktion, so war der Kapitalbesitz Voraussetzung der proletarischen Existenz. Da das eine so notwendig war wie das andere, und man auf der Erde lebte, konnte von drei Produktionsfaktoren: Land, Arbeit und Kapital, gesprochen werden, die gleichermaßen an der Produktion teilhaben. Aus der Werttheorie wurde so zuerst eine von diesen Faktoren bestimmte Produktionskostentheorie. Obwohl mit dem Wertgesetz unvereinbar, verblieb die Produktionskostentheorie ein ‘objektiver’ Begriff, da in ihr angeblich verschiedene Beiträge zur gesellschaftlichen Produktion eingingen und deren Wert darstellten. Der Wert der Waren ergab sich in dieser Theorie nicht nur aus den zu ihrer Erzeugung angewandten direkten Arbeit, sondern auch aus den diese Arbeit erst ermöglichenden Produktionsbedingungen. Der Zins, oft nicht vom Profit unterschieden, fand seine kapitalistische Erklärung in der Produktivität des Kapitals. Der ‘reine’ Profit bezog sich auf die Entlohnung der Unternehmer, deren Tätigkeit dem anderweitig gesellschaftlichen Totalwert angeblich noch einen zusätzlichen Teil vermittelte. Die Theorie war jedoch weder theoretisch noch praktisch zufriedenstellend. Den Besitz an sich als wertschaffend anzusehen, behielt auch weiterhin seine Fragwürdigkeit. Aber die Identifizierung des Marktpreises der Arbeitskraft mit ihrem Wert erlaubte die Illusion, daß der auf den Markt erzielte Gewinn nicht auf Ausbeutung beruht. Die Probleme der bürgerlichen Ökonomie schienen zu verschwinden, sobald man sich auf den Markt beschränkte und die Produktion außer acht ließ. Die reine Marktbetrachtung führte zur Umwandlung des objektiven in einen subjektiven Wertbegriff.

Die einleuchtende Idee, daß die Bewertung der Waren von deren Nutzen für den Käufer abhängt, war auch den Klassikern nicht fremd gewesen. So versuchte schon Jean-Baptiste Say den Wert direkt auf den Nutzen zurückzuführen, kam aber zu dem Schluß, daß sich der Nutzen nicht messen ließe. Er war nur meßbar durch die Menge der Arbeit, die jemand zu leisten bereit ist, um diese oder jene nützliche Ware zu erstehen. Auch für Marx war der Gebrauchswert der Waren Voraussetzung ihres Tauschwerts. Aber es handelte sich hier nicht um den Austausch von Arbeitsprodukten zur individuellen Bedürfnisbefriedigung, sondern um den Austausch gegebener, als Tauschwert auftretender Gebrauchswerte, gegen eine größere Menge von Tauschwert in Geld oder Warengestalt. In Arbeitszeitäquivalenten ausgedrückt ist dies nur möglich, wenn es eine Ware gibt, deren Gebrauchswert größer als ihr Tauschwert ist, und zwar in einem objektiven meßbaren Sinne. Die Ware Arbeitskraft erfüllt diese Bedingung. Sieht man jedoch von dieser Tatsache ab, so erscheinen der Tausch tatsächlich als ein den individuellen Bedürfnissen dienender Prozeß und die Bewertung der Waren von der Vielfältigkeit der subjektiven menschlichen Neigungen bestimmt zu sein.

Losgelöst von der Produktion konnte das Preisproblem als reines Marktphänomen angesehen werden. Überwog das Angebot von Waren deren Nachfrage, so fiel ihr Preis; war das Umgekehrte der Fall, so stieg der Preis. Die Bewegung der Preise konnte jedoch nicht den Preis selbst erklären. Lehnte man den objektiven Wertbegriff ab, so mußte am Wertbegriff doch festgehalten werden, um nicht den Preis aus dem Preis zu bestimmen. Die ‘Lösung’ fand sich im Übergang von der Ökonomie in die Psychologie. Den Preisen, so wurde nun behauptet, unterlagen die individuellen Wertschätzungen der Konsumenten, die in der Nachfrage zum Ausdruck kommen. Knappheit und Seltenheit, im Verhältnis zur Nachfrage, erklären die Preisrelationen. Es dauerte nicht lange, bis die subjektive Werttheorie als Grenznutzentheorie fast zum Allgemeingut der bürgerlichen Ökonomie wurde. Mit der Grenznutzentheorie verlor der Begriff der politischen Ökonomie seinen Sinn und wurde gegen den der ‘reinen’ Ökonomie ausgetauscht. In methodologischer Hinsicht unterschied sich die Grenznutzentheorie nicht von der klassischen Ökonomie, aber ihr Inhalt bezog sich nicht mehr auf gesellschaftliche Probleme, sondern auf das Verhalten des Einzelnen zu den ihm zur Verfügung stehenden Gütern und die Auswirkungen dieses Verhaltens im Austauschprozeß. Natürlich bezog sich die klassische Ökonomie auch auf den Einzelmenschen als Homo Economicus, der, in Konkurrenz mit anderen Einzelmenschen, sich um den größtmöglichsten Gewinn bemühte. Aber diese Konkurrenz wurde als Gleichmachungsund Ordnungsprozeß aufgefaßt, der die Produktion und Verteilung den gesellschaftlichen Bedürfnissen anpaßte. Zwar vollzog sich dieser Prozeß — wie von einer unsichtbaren Hand geleitet — hinter den Rücken der Produzenten, „her er vollzog sich nichtsdestoweniger und stellte die notwendige Verbindung von Privat- und Allgemeininteresse her. Es konnte den Grenznutzlern selbstverständlich nicht einfallen, die Existenz der Gesellschaft zu leugnen. Aber für sie waren die gesellschaftlichen Beziehungen nur Mittel zur Realisierung des 'ökonomischen Verhältnisses’ des einzelnen Menschen zu den ihm nützlich erscheinenden Dingen. Dieses Verhältnis galt gleichermaßen für den Einzelnen außerhalb der Gesellschaft wie für jeden Menschen in irgendeiner Gesellschaft, so daß es sich erübrigte, auf die Natur einer bestimmten Gesellschaft einzugehen.

Der Grenznutzungstheorie lag die nicht allzu fernliegende Entdeckung zugrunde, daß man vom Guten wie vom Schlechten zu viel haben kann, und eben die Anwendung dieser Feststellung auf die Ökonomie. In Deutschland war es Hermann Heinrich Gossen[6], der als erster diesen Grundsatz vertrat. Er fand vorerst keinen Anklang, gewann aber nachträglich Anerkennung durch die Popularität des von William Stanley Jevons[7] in England selbständig entwickelten Begriffs des Grenznutzens. Zur selben Zeit begründete Karl Menger[8] die auf dem subjektiven Wertbegriff basierende 'Österreichische Schule’ der theoretischen Ökonomie, zu der, neben anderen, Friedrich von Wieser[9] und Eugen von Böhm-Bawerk[10] zu zählen sind. Obwohl sich die Beiträge dieser Ökonomen im einzelnen unterscheiden, können sie doch als gemeinsame Gründer der Grenznutzenlehre in einen Topf geworfen werden.

Der Ausgangspunkt dieser Theorie sind die individuellen Bedürfnisse. Die Bewertung dieser Bedürfnisse ist Angelegenheit des menschlichen Bewußtseins und damit subjektiv. Mit Bezug auf den Mangel oder Überfluß an Genußgütern sind Tauschwert und Gebrauchswert nur verschiedene Formen der allgemeinen Erscheinung des vom Bewußtsein bestimmten Werts. Das Bedürfnis nach einem besonderen Gut ist jedoch begrenzt. Der Punkt, an dem in einer angenommenen Sättigungsskala das Verlangen nach einem Gut gestillt ist, bestimmt dessen Grenznutzen und damit seinen Wert. Da die Bedürfnisse des Menschen vielfältig sind, wählt er zwischen den verschiedenen Gütern in solcher Weise, daß er ein Höchstmaß an Grenznutzen erzielt. Da manche Augenblicksgenüsse schädliche Folgen haben, vergleicht er momentane Genüsse mit späteren Entbehrungen, um jedem Genußverlust zu entgehen. Auf den Markt bezogen, wird für jeden Menschen der Wert einer Ware nach ihrem Grenznutzen bemessen und das Höchstmaß von Nutzen erreicht, wenn der Grenznutzen all der von ihm erstandenen Waren von gleicher Größe ist. Wem ist nicht bewußt, daß das menschliche Leben von Lust und Unlust begleitet ist und daß ein jeder versucht, die Unlust zu vermindern und die Lust zu vermehren. Ähnlich wie für den Nützlichkeitsphilosophen und Sozialreformer Jeremy Bentham Freuden und Leiden quantifizierbar waren, so hielt auch Jevons Lust und Unlust für berechenbar, wodurch sich die Volkswirtschaft mathematisch erfassen und darstellen ließe. Aber was schon Say nicht gelungen war, gelang auch Jevons und den Grenznutzlern nicht, und die Versuche, den subjektiven Nutzen meßbar zu machen, wurden bald aufgegeben. Man kam überein, daß man den Nutzen zwar vergleichen, aber nicht genau messen kann.

Die bürgerliche Apologetik hatte sich zwei Aufgaben gestellt. Einerseits hielt sie es für notwendig, Profit, Zins und Grundrente als an der Wertschaffung beteiligt darzustellen, und andererseits hielt sie es für angebracht, die Autorität der Ökonomie naturwissenschaftlich zu unterbauen. Es war dieses zweite Verlangen, das die Suche nach allgemeinen, von Zeit und Umständen unabhängigen ökonomischen Gesetzen beherrschte. Waren solche Gesetze nachweisbar, so würden sie auch die bestehende Gesellschaft rechtfertigen und jeden Gedanken an deren Änderung zurückweisen. Die subjektive Wertlehre schien beide Aufgaben zugleich zu erfüllen. Sie konnte die besonderen Tauschverhältnisse des Kapitalismus übersehen und die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts, wie immer sie auch ausfallen möge, aus den Bedürfnissen der Tauschenden selbst ableiten.

Diesem Bestreben war schon durch Nassau W. Seniors[11]Ansicht vorgegriffen worden, daß Zins und Profit als Entlohnung für das den Kapitalisten auferlegte Opfer der Entsagung von Konsum im Interesse der Kapitalbildung zu gelten hätten. So konnten Kapitalkosten wie Arbeitskosten — die letzteren im Sinne von Arbeitsqual — gleichermaßen als Entsagungen angesehen und der Profit dem Lohn gleichgestellt werden. Abgesehen von diesen Entsagungen diente der Tausch der Befriedigung der Bedürfnisse der Tauschenden, wobei ein jeder nur gewinnen konnte, da ja ein jeder die Güter oder Dienste, die er empfängt, offensichtlich höher einschätzt als die, die er dafür hergibt. Der Kapitalist kauft die Arbeitskraft, da sie ihm mehr bedeutet als die dafür gezahlte Lohnsumme, und der Arbeiter verkauft seine Arbeitskraft, da sie ihm weniger bedeutet als der dafür erhaltene Lohn. So läßt der Austausch beide gewinnen, und von Ausbeutung kann keine Rede sein.

Da sich der subjektive Wert nicht messen läßt, verzichtete man bald auf die psychologische Begründung des Grenznutzens, ohne allerdings die Theorie selbst fallen zu lassen. Sie bezog sich nun nicht auf den Nutzen selbst, sondern auf die subjektiven Bewertungen, wie sie in der Marktnachfrage in Erscheinung treten. Der Nutzen, so wurde nun betont, bezieht sich nicht so sehr auf eine bestimmte Ware als auf die Anzahl der Waren, zwischen denen der Käufer zu wählen beliebt. Diese Anordnungs- oder Präferenzskalen der Konsumenten werden mit Hilfe sogenannter graphisch dargestellter Indifferenzkurven aufgezeigt. Man unterschied nun zwischen der absoluten (kardinalen) Größe des Nutzens und dem relativen (ordinalen) Nutzen, der aus den Präferenzskalen ersichtlich wird. Der Begriff des Grenznutzens verwandelte sich in den der Grenzrate der Substitution. Die zunehmende Quantität einer Ware kompensiert hier die abnehmende Quantität einer anderen, bis die erreichten Grenzraten ihrer gegenseitigen Ersetzbarkeit das Höchstmaß der Bedürfnisbefriedigung vermitteln. Mit anderen Worten: der Käufer teilt sein Geld so ein, daß alle von ihm erstandenen Waren für ihn gleichwertig sind, womit seine Wahlhandlungen zufriedenstellend zum Abschluß kommen. Nicht alle Grenznutzler waren bereit, den Begriff des kardinalen Nutzens aufzugeben, und für andere ging der Begriff des ordinalen Nutzens nicht weit genug, da er noch immer auf den subjektiven Wert bezogen blieb. Da der Grenznutzen nur im Preis ersichtlich werden kann, zogen die letzteren eine allen Wertproblemen fernstehende reine Preistheorie vor.

Es war auch nicht möglich, den Preis als nur von der Nachfrage her bestimmt zu sehen, da ohne Zweifel auch produziert wurde und Angebotspreise genauso existierten wie Nachfragepreise. So lag es auf der Hand, die subjektive Werttheorie mit der ihr vorhergehenden Produktionskostentheorie zu verbinden. Aus diesem Bestreben entwickelte sich die sogenannte neuklassische Theorie, die in Alfred Marshall[12] ihren bedeutendsten Vertreter fand. Allerdings wurden die Produktionskosten weiterhin subjektiv verstanden, als Entsagungen der Kapitalisten und als Unlust an der Arbeit. Wie die Nachfrage vom Grenznutzen bestimmt wird, so steckt hinter dem Angebot der Grenzpunkt der Bereitwilligkeit, mehr zu arbeiten oder den Konsum zugunsten der Kapitalbildung hinauszuzögern. Marshall war sich jedoch darüber klar, daß die Angebot und Nachfrage bestimmenden Faktoren nicht als solche zu erkennen sind, und daß der einzige Anhaltspunkt dieser ‘rea-len’ Faktoren in den aktuellen Preisrelationen zu finden ist. Es ist das Geldsystem, das die subjektiven Bewertungen in Preise verwandelt, in denen sich die ‘realen’ Bedürfnisse und Entsagungen widerspiegeln. Der unberechenbare subjektive Wert wird durch den Preis zum meßbaren Wert. Angebot und Nachfrage regulieren die Preise in Richtung auf ein Gleichgewicht, so daß, wenn auch nicht zu jedem gegebenen Zeitpunkt, so doch auf längere Sicht, das Verhältnis von Angebot und Nachfrage die Warenwerte bestimmt. Eine andere Variante der Grenznutzenlehre sah die Produktion als selbstverständliche Voraussetzung der Austauschbeziehungen, die keiner besonderen Beachtung bedarf. Für Leon Walras[13], den Begründer der ‘Lausanner Schule’, war die gesamte Ökonomie nur eine Theorie des Warenaustauschs und der Preisbestimmung.

Auch für ihn erwuchs der Wert aus der Knappheit der Güter im Verhältnis zu den vorhandenen Bedürfnissen, wobei der Grenznutzen Aufschluß über die verschiedenen Intensitäten der Bedürfnisempfindungen gibt. Aber genau so, wie der Einzelne durch seine Wahlhandlungen auf dem Markt seine verschiedenen Bedürfnisse in ein Gleichgewicht der Bedürfnisbefriedigung bringt, so tendiert der gesamtgesellschaftliche Austausch zu einem allgemeinen Gleichgewicht, in dem der Gesamtwert der nachgefragten Güter und Dienste dem Gesamtwert der angebotenen entspricht.

Die Annahme einer durch den Austausch vermittelten Gleichgewichtsneigung von Angebot und Nachfrage lag allerdings allen Markttheorien zugrunde. Walras versuchte jedoch, die Berechtigung dieser Annahme wissenschaftlich-exakt nachzuweisen. Für ihn war der Grenznutzen nicht nur selbstverständlich, sondern auch meßbar: durch die Anwendung des Prinzips der Substitution auf den gesamten Warenmarkt, in dem alle Preise unlösbar miteinander verflochten sind. Die Preise erschienen ihm als die umgekehrten Verhältnisse der ausgetauschten Warenmengen. Die Produktionskosten setzten sich für ihn aus den in ihnen eingehenden Arbeitslöhnen, Zinsen und Grundrenten zusammen, die, als produktive Dienste aufgefaßt, einander gleichgestellt sind. Alle Personen tauschen für ihre produktiven Dienste die ihnen entsprechenden Konsumgüter ein. Die ‘Realität’ des sich in Gleichgewichtspreisen manifestierenden subjektiven Werts wird hier im Gleichgewicht der Wirtschaft ersichtlich, und dieses Gleichgewicht beweist wiederum den subjektiven Wertbegriff. Da Wert und Gleichgewicht einander bedingen, reduziert sich die Werttheorie auf die des allgemeinen Gleichgewichts, und es genügt, dessen Möglichkeit theoretisch nachzuweisen, um den Nachweis der Gültigkeit der subjektiven Wertlehre erbracht zu haben.

Trotz dieses Zirkelschlusses blieb die Gleichgewichtsbetrachtung für die Wirtschaft als Ganzes, für Teile oder Einzelfälle eine der wesentlichsten Methoden der bürgerlichen Ökonomie, und zwar weil ihrer Ansicht nach alle Bewegung in der Welt — nicht nur in der Wirtschaft — zu Gleichgewichtslagen tendiert. Natürlich war das Walrassche System des allgemeinen Gleichgewichts — dargestellt durch ein System simultaner Gleichungen — nur ein Modell und kein Bild aktueller Zustände. Es erhob jedoch den Anspruch auf Wirklichkeitserkenntnis, da die Volkswirtschaft sich wohl vom Gleichgewichtszustand entfernen könne, jedoch immer wieder diesem Zustand entgegenstrebe. Durch die Unübersichtlichkeit und Komplexität der vielfach verflochtenen ökonomischen Vorgänge ließ sich der theoretische Nachweis des möglichen Gleichgewichts nur auf mathematischen Wege auf einer Abstraktionsebene erbringen, die, obwohl der Theorie entsprechend, jeden Zusammenhang mit der Wirklichkeit verloren hatte.

Bei der Annahme, daß in letzter Instanz der Warenwert von den Konsumenten bestimmt wird, war die gesellschaftliche Einkommensverteilung unberücksichtigt geblieben. Dem versuchte John Bates Clark[14] abzuhelfen durch die Anwendung der Grenzanalyse auf die Produktionsfaktoren. So wie eine Sättigungsskala in der Konsumtion zum Grenznutzen führe, so bedinge die stete Zunahme der Arbeit ein Abnehmen und einen Grenzpunkt ihrer Produktivität. Dieser Grenzpunkt komme in den jeweils gegebenen Löhnen zum Ausdruck. Allerdings kann die Identität, oder das Gleichgewicht, von Lohn und Grenzproduktivität gestört werden, aber nur um sich selbst wieder herzustellen. Übersteigt z. B. die Grenzproduktivität den Lohn, so nimmt die Nachfrage nach Arbeit ab, bis sich Grenzproduktivität und Lohn wieder im Gleichgewicht befinden. Übersteigt der Lohn die Grenzproduktivität, geht die Nachfrage nach Arbeit zurück, bis die Identität von Grenzproduktivität und Lohn wiederhergestellt ist. Was für die Lohnarbeit gelte, treffe auch auf alle anderen Produktionsfaktoren zu, so daß im Gleichgewicht alle Faktoren ihrer Grenzproduktivität entsprechend  am Totaleinkommen teilhätten. Damit waren nicht nur Angebot und Nachfrage, sondern auch die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts aus dem Prinzip des Grenznutzens oder Grenznachteils heraus erklärt. Und da jeder Produktionsfaktor den Teil des gesellschaftlichen Produkts erhielt, der seinem besonderen Beitrag zur gesellschaftlichen Produktion entsprach, war die gegebene Verteilung nicht nur ökonomisch bedingt, sondern auch gerecht. Die Einbeziehung der gesellschaftlichen Produktion in die

subjektive Wertlehre erschien einigen ihrer Vertreter für unangebracht. Für Böhm-Bawerk[15], für den alle Produktion letzten Endes nur dem Konsum diente, hatte es keinen Sinn, auf die Produktion besonders einzugehen oder von einer Abhängigkeit der Einkommensverteilung von der Grenzproduktivität der Produktionsfaktoren zu sprechen. Kapitalproduktion war für ihn Umwegsproduktion, im Gegensatz zur direkten Produktion ohne wesentliche Produktionsmittel. Damit war jeder Produktionsprozeß, in dem Produktionsmittel verwendet werden, ein kapitalistischer Produktionsprozeß, selbst in einer sozialistischen Wirtschaft. Es gab für Böhm-Bawerk nur zwei Produktionsfaktoren: Arbeit und Land; Kapital hielt er für einen rein theoretischen aber nicht historischen Begriff. Alle Gegenwartsgüter stellen Konsumtionsmittel dar, die Zukunftsgüter — ebenfalls Konsumtionsmittel — treten in der Zwischenzeit als Kapitalgüter und Arbeitsleistungen auf. Der Profit, nur als Zins gesehen, leitet sich nicht von der Produktion ab, sondern entsteht aus dem Austausch gegenwärtiger mit zukünftigen Gütern. Der Grenznutzen entscheidet über die verschiedenen Bewertungen von Gegenwart und Zukunft. Nach Böhm-Bawerk ist der Zins nicht nur nicht unvermeidlich, sondern auch gerechtfertigt, da alle Produktion direkt von der Spartätigkeit der Kapitalisten abhängt und Arbeiter wie Grundbesitzer auf Kapitalkredit angewiesen sind. Beide können nicht direkt von ihrer Produktion leben, da diese Herstellungszeiten verschiedener Längen benötigt. Sie müssen von Produkten leben, die zu einer früheren Zeit hergestellt wurden. Wer nicht selbst bereit oder imstande ist, seinen Konsum einzuschränken und zu sparen, bleibt von dem durch das Zeitmoment gewonnenen Zins ausgeschlossen. Obwohl der Zins die Form ist, in welcher der Ertrag der Kapitalgüter bezahlt oder eingenommen wird, ist er kein Produkt der Arbeit oder des Kapitals, sondern ein durch den bloßen Ablauf der Zeit vermittelter Gewinn — sozusagen ein Geschenk des Himmels. Der Zins ist um so mehr eine Himmelsgabe, als er das Instrument des ökonomischen Gleichgewichts und Fortschritts zugleich ist. Er reguliert das notwendige Gleichgewicht zwischen gegenwärtiger und zukünftiger Produktion durch die Regulierung der Kapitalanlagen mit Bezug auf deren Ausdehnung oder Einschränkung im Verhältnis zu den existierenden Konsumtionsbedürfnissen. Mit der Zunahme der Umwegsproduktion wächst jedoch die Masse der Konsumtionsgüter; sie vermindert damit die Notwendigkeit neuer Ersparnisse für zusätzliche Produktionsmittel. So drückt sich der gesellschaftliche Fortschritt in einer abnehmenden Zinsrate aus.

Es lohnt sich jedoch nicht, auf weitere Vertreter der subjektiven Wertlehre einzugehen, wie es auch angebracht war, sie zur Zeit ihrer höchsten Blüte weitgehend zu ignorieren. Marx hat sich darüber nicht direkt geäußert[16], und für Friedrich Engels war sie nur ein schlechter Witz[17], obwohl er es durchaus für möglich hielt, daß sich „auf Grundlage der Jevons-Mengerschen Gebrauchswert- und Grenznutzentheorie ein plausibler Vulgärsozialismus aufbauen ließe“[18]. Tatsächlich hat sich denn auch ein Teil der reformistischen Sozialdemokratie der Grenznutzentheorie zugewandt, aus der Überzeugung heraus, daß die angebliche Marxsche Vernachlässigung der Nachfrage und deren Einwirkung auf die Preisformationen ihn der Möglichkeit beraubt hätten, die wirklichen Wirtschaftszusammenhänge zu erfassen. Während sich die subjektive] Wertlehre im sozialdemokratischen Lager ausbreitete, verlor sie im bürgerlichen Lager bereits an Überzeugungskraft und wurde bald völlig aufgegeben. Es ist die Zurückweisung des psychologischen Werts durch die Bourgeoisie selbst, die eine ausführliche Kritik dieser Theorie erübrigt.

Die Überwindung der subjektiven Wertlehre vollzog sich in zwei verschiedenen Formen: einerseits durch ihre Überspitzung, durch die sie den letzten scheinbaren Zusammenhang mit der Wirklichkeit verlor, und andererseits durch den offenen Verzicht, den Preis auf den Wert zurückzuführen. Im Zusammenhang mit den ersten Bestrebungen mag Joseph A. Schumpeter[19] erwähnt werden. Die Österreichische Schule vertrat den Standpunkt, daß für die Verbraucher der Wert der fertigen Konsumgüter von deren Grenznutzen abhängig ist und daß Waren im unfertigen Zustand, wie Rohmaterialien und Maschinen, erst durch einen Zurechnungsprozeß ihren eigenen Grenznutzen im Grenznutzen der fertigen Waren finden. Vom Standpunkt der Konsumenten haben die verschiedenen Rohmaterialien, Produktionsmittel und Halbfabrikate keinen direkten, sondern nur einen indirekten Nutzwert, der aber auf dem Zurechnungswege in den Preisen der Konsumgüter seinen Ausdruck findet. Dasselbe gälte für die Warenzirkulation. Man unterschied hier zwischen Gütern erster und zweiter Ordnung; die letzteren waren solche, die noch nicht in den Konsum eingegangen waren und deren Nutzen dem Grenznutzen der Konsumgüter zugerechnet werden muß-te. Schumpeter schloß daraus, daß in theoretischer Hinsicht Angebot und Nachfrage ein und dasselbe seien, so daß für die Gleichgewichtsrelationen die Nachfrageseite als zureichend betrachtet werden konnte.

In Schumpeters Gleichgewichtsbetrachtung waren nicht nur die Angebotspreise überflüssig, da sie als Nachfragepreise begriffen werden konnten, sondern Profit und Zins konnten durch ihre Einreihung in die Lohnrubrik ebenfalls übergangen werden. Da die Produktion als Tausch gelten kann, sah Schumpeter keine Notwendigkeit, vom Nutzen oder seinem Gegenteil zu sprechen. Er ersetzte den psychologischen Wertbegriff mit einer Logik der Wahlhandlungen, da auch der subjektive Wertbegriff nicht mehr zu sagen vermag, als daß ein jeder, seinem Gutdünken und Einkommen entsprechend, sich bei seinen Käufen nach den gegebenen Preisen richtet. Er hatte kein Interesse, nach den Ursachen zu forschen, die die Wahlhandlungen bestimmen, sondern nahm diese selbst zum Ausgangspunkt der ökonomischen Analyse. Die Logik der Wahlhandlungen reichte für die mathematischen Gleichsewichtskonstruktionen aus, denen auf dieser abstrakten Ebene allerdings keine reale Bedeutung zukäme. Nichtsdestoweniger sei die ‘reine Theorie’ ein Mittel zur Erkenntnis der Realität und stände zu ihr im selben Verhältnis wie die theoretische Mechanik zum praktischen Maschinenbau. Auf jeden Fall habe die Beschäftigung mit der ‘reinen Theorie’ einen Eigenwert, weil schon an sich interessant und der menschlichen Neugier entgegenkommend.

Neben anderen war es besonders Gustav Cassel[20], der sich um die Abschaffung der Grenznutzenlehre bemühte, da sie auf einem Zirkelschluß beruhte. Obwohl die Theorie sich zur Aufgabe gesetzt hatte, die Preise zu erklären, wurden die Preise herangezogen, um den Grenznutzen zu erklären. Da Cassels Meinung nach nur Preise nötig waren, um Geschäfte abzuwickeln, bedurfte auch die ökonomische Analyse keiner besonderen Werttheorie. Sie müssen sich auf meßbare Quantitäten, Geld und Preise beziehen. Cassel ging von der Annahme eines die ökonomischen Beziehungen bestimmenden allgemeinen Mangels aus; es sei die Aufgabe der Ökonomie, die verschiedenen Bedürfnisse den unzureichenden Mitteln der Bedürfnisbefriedigung auf dem besten Wege anzupassen.

Die Ableitung der Preise von der Knappheit der Güter kann allerdings nur einen Preis aus einem anderen erklären und läßt die Frage, was hinter den Preisen steckt, weiterhin offen. Es besteht für die bürgerliche Ökonomie jedoch keine Notwendigkeit, die Frage zu stellen. So hat sie denn die ursprüngliche Grenznutzenlehre fallen lassen, da sie ohne sie auskommen kann und, wenn notwendig, mit der Behauptung, daß hinter den Preisen letzten Endes die subjektiven Bewertungen der Konsumenten zu finden sind, auf sie zurückzugreifen vermag. Ja, es wurde nun gesagt, daß die moderne ökonomische Theorie gerade durch ihre Subjektivität zur objektiven Wissenschaft wurde. Nach Ludwig von Mises[21] lassen sich die Bedürfnisse der Menschen aus ihren Handlungen erkennen, und diese bedürfen keiner weiteren Untersuchung; sie seien hinzunehmen, wie sie gegeben sind. Da die Grenznutzenlehre zuletzt nur einer Beschränkung des Sachgebiets der Wirtschaft auf den Preismechanismus gleichkommt, muß die Ersetzung der objektiven Werttheorie durch den psychologisch begründeten Grenznutzen als mißlungen gelten. Die diesbezüglichen Versuche führten nur zur Ausschaltung des Wertproblems aus der bürgerlichen Ökonomie. Obwohl der Grenznutzen fallen gelassen wurde, blieb die Grenz- oder Marginalanalyse doch Allgemeingut der bürgerlichen Ökonomie. Nach Joan Robinson bezeugt dies, „daß auch metaphysische Begriffe, die nur Unsinn ausdrücken, der Wissenschaft zuträglich sein können“[22]. Als Mittel der Analyse ist das Marginalprinzip allerdings nicht mehr als eine Verallgemeinerung der Ricardoschen Differentialrente, die den Preis landwirtschaftlicher Produkte von den Erträgnissen des am wenigsten fruchtbaren Boden abhängig machte. Wenn auch in unterschiedlichen Maßen, so soll das Gesetz des abnehmenden Ertrages ebenfalls für die Industrie wie für jede andere Art wirtschaftlicher Betätigung gelten und die Preise und deren Veränderungen bestimmen. So wie der Einzelne dem Grenznutzenprinzip gemäß und auf Basis der gegebenen Preise seine Käufe so anordnet, daß er, im Rahmen seines Einkommens, das Höchstmaß der Befriedigung erreicht, so ergibt sich aus der Universalität dieses rationellen oder ökonomischen Prinzips und durch die gegenseitige Abhängigkeit der Preise eine allgemeine Preiskonstellation, die Angebot und Nachfrage in Einklang bringt. Wo sich die Gesamtnachfrage mit dem Gesamtangebot deckt, sind alle Preise Gleichgewichtspreise; oder, umgekehrt, das ökonomische Prinzip (oder die Grenzkalkulation) führt zu Preisen, die ein allgemeines Gleichgewicht ausdrücken. Damit war die „reine Theorie“ in dem allumfassenden Marginalprinzip verankert, auf der die Preistheorie in all ihren weitgehenden Details aufgebaut ist. Ist es im täglichen Leben für den Konsumenten nicht der Mühe wert, die Einteilung seiner Ausgaben im Sinne der Grenzkalkulation zu ‘optimieren’ — ganz abgesehen davon, ob er dazu imstande ist oder nicht —, so spielt auch in den Handlungen der kapitalistischen Unternehmer die Grenzkalkulation nicht die Rolle, die ihr von den Ökonomen zugedacht wird. Es wird allerdings zugegeben, daß die theoretischen Überlegungen der Grenzanalytiker nicht Abbilder der wirklichen Zustände sind. Sie ständen der Wirklichkeit jedoch nahe genug, um über ihren wissenschaftlichen Erkenntniswert hinaus auch praktische Gültigkeit zu haben. Die Tatsache, daß die Unternehmer ihre Geschäfte abwickeln, ohne sich um die Rechenmethoden der theoretischen Ökonomie zu kümmern, hindert die Theoretiker nicht, im aktuellen Wirtschaftsleben die Richtigkeit ihrer Theorien bestätigt zu finden Allerdings müßten dabei „die Ideen der Geschäftsleute erst in die Sprache der Ökonomen übersetzt werden und umgekehrt“, wobei es sich herausstellen würde, „daß die Unternehmer unbewußt dasselbe tun, was die Theoretiker mit Bewußtsein leisten. Es ist eben selbstverständlich, daß die Konstruktion eines Modells zur analytischen Beschreibung eines Prozesses nicht dasselbe ist, wie der tatsächliche Prozeß im täglichen Leben, wie auch nicht zu erwarten ist, daß wir im täglichen Leben die zahlenmäßig genauen Schätzungen vorfinden, wie sie im wissenschaftlichen Modell zu finden sind“[23]. Während zugegeben wird, daß auch ‘unökonomische’ Elemente im Verhalten der Konsumenten und Geschäftsleute zu finden sind, müßten beide doch im großen und ganzen rationell operieren, d. h. versuchen, mit den geringsten Kosten die höchstmöglichsten Gewinne zu erzielen. Die Unternehmer müssen sich um die proportionalen Beziehungen zwischen Produktion und Nachfrage, zwischen dem angelegten Kapital und den auszugebenden Löhnen, und um die ökonomische Auswahl zwischen Produktionsinstrumenten und Rohstoffen bemühen; was nach dem Prinzip der Grenzrate der Substitution bedeutet, daß an dem Punkt, an dem weitere Veränderungen in den verschiedenen Kombinationen der vielfältigen in die Produktion eingehenden Faktoren keine weiteren Gewinne abwerfen, sich die Grenzrate der Kosten mit der der Gewinne deckt. So handelt es sich hier eigentlich nicht um ein ökonomisches Problem, sondern um eine mehr präzise Berechnung von Ausgaben und Einnahmen, als die, welche man gewöhnlich vorfindet. Zugleich wird diese Rechenmethode aber auch als das Prinzip angesehen, das allen ökonomischen Erscheinungen zugrundeliegt, da sie alle Tauschbeziehungen auf einen gemeinsamen Nenner bringt und damit die der klassischen Werttheorie anhaftenden Mängel durch die einfache Identifizierung von Wert und Preis beseitigt. Obwohl vom Arbeitszeitwert ausgehend, hatten die Klassiker doch von besonderen Marktpreisen gesprochen, die aber durch die Wertrelationen determiniert blieben. Sie sahen den wahren Inhalt der politischen Ökonomie in der Frage der klassenmäßigen Verteilung des gesellschaftlichen Produkts. Mit dem Aufkommen des subjektiven Werts und der ‘reinen Preistheorie’ bezogen sich alle ökonomischen Probleme ausschließlich auf den Austausch, und die von der klassischen Theorie aufgeworfenen Fragen, wie die des Wert-Preis-Verhältnisses und der Distribution, konnten gleichzeitig übersprungen werden. Man verhielt sich nun der Verteilung gegenüber genau so, wie es die Klassiker der Produktion gegenüber getan hatten, d. h. die Verteilung, wie immer sie auch ausfallen möge, als durch das Preissystem geregelt zu sehen. Das Verteilungsproblem hörte auf, ein besonderer Gegenstand der theoretischen Ökonomie zu sein. Es wurde in das Problem der allgemeinen Preisbildung miteinbezogen, da alle Preise miteinander und untereinander in einem funktionellen Zusammenhang stehen, wodurch die Lösung des allgemeinen Preisproblems schon die Lösung des Verteilungsproblems in sich einschließt.

Alle sich auf die Wirtschaft beziehenden Fragen waren damit unter ein einziges Prinzip gebracht und fanden in ihm ihre Erklärung. Dieses Prinzip bestand in einem Kalkulationsverfahren, das allen ökonomischen Anschauungen gegenüber als

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neutral gelten konnte. In den Augen ihrer Vertreter gaben die Marginalanalyse und die sich aus ihr ergebende Gleichgewichtsbetrachtung der Ökonomie erst ihren positiven wissenschaftlichen Charakter. Womit sich ihre Kalkulationen befaßten, war jedoch nicht mehr und nicht weniger, als die alte, von den Klassikern herrührende Illusion der Möglichkeit eines Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage und dementsprechender Preisformationen. Die durch die Grenzanalyse ermöglichte Mathematisierung der Ökonomie bestimmte jedoch — schon von sich aus — die Gleichgewichtsbetrachtung als statisches Modell. Da jedoch die kapitalistische Wirtschaft keinen statischen Zustand kennt, lassen sich die statischen Gleichgewichtsmodelle nicht durch die Wirklichkeit bestätigen, und die ihnen nicht abzusprechenden mathematischen Exaktheiten „beziehen sich nicht auf den Inhalt der ökonomischen Erkenntnisse, sondern auf die Technik der mathematischen Rechenoperationen“[24].

Im Gegensatz zu Marx, für den die Annahme eines statischen Zustandes (oder der einfachen Reproduktion) nur ein methodologisches Mittel war, um die notwendige Dynamik des kapitalistischen Systems nachzuweisen, benutzte die bürgerliche Ökonomie das statische Wirtschaftsmodell, um den angenommenen Gleichgewichtstendenzen einen ‘wissenschaftlichen’ Rückhalt zu geben. Die nicht mehr abbrechenden Spielereien mit solchen Gleichgewichtsmodellen erweckten in der theoretischen Ökonomie die Überzeugung, daß dieses gedankliche Hilfsmittel Voraussetzung jeder ökonomischen Analyse ist. Obwohl sich die wirkliche Wirtschaft niemals im vollen Gleichgewicht befände, ließen sich die gegebenen Unebenheiten erst aus der Sicht des Gleichgewichts verstehen. Wie jede Maschine reparaturbedürftig werden kann, könnte auch das wirtschaftliche Gleichgewichtssystem durch innere oder äußere Störungen zum Ungleichgewicht werden. In beiden Fällen erlaubte erst die Gleichgewichtsanalyse, die Ursachen der Störungen zu ermitteln und die Momente zur Wiederherstellung des Gleichgewichts aufzufinden.

So ist die Vorstellung des sich auf den Markt durch die Konkurrenz durchsetzenden Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage seit Adam Smith und Jean-Baptiste Say bis auf den heutigen Tag Gemeingut der bürgerlichen Ökonomie geblieben, ganz gleich, wie sich die Begründungen dieser Annahme änderten und wie wirklichkeitsfremd sie inzwischen geworden ist. Die Frage, die sich die neuklassische Theorie stellte, war nicht, wie das Preissystem wirklich funktionierte, sondern wie es funktionieren würde, wenn die Welt so wäre, wie sie in den Vorstellungen der Ökonomen erscheint. Diese Theorie benötigte das Gleichgewicht, um im Preissystem den Regulator der Wirtschaft zu sehen, und sie brauchte das Amalgam des reinen Preissystems, um die aktuellen Zustände für rationell und deshalb unangreifbar ausgeben zu können. Was jedoch dabei heraus kam, war nicht mehr als Adam Smith's ‘unsichtbare Hand’, ausgedrückt in mathematischen Formeln und Says Überzeugung, daß jedes Angebot eine ihm entsprechende Nachfrage mit sich brächte. Die neuklassische Theorie war nicht nur bei den ersten Ergebnissen bürgerlicher Wirtschaftswissenschaft stehen geblieben, sondern weit hinter sie zurückgefallen, da sie mit der Gleichgewichtsmethode nicht imstande war, auf die wirkliche Bewegung des Kapitals, auf den Akkumulationsprozeß, einzugehen. Das Augenblicksbild des statischen Gleichgewichts vermag nichts über den Entwicklungsprozeß auszusagen. Die Veränderungen der Wirtschaft lassen sich allerdings nicht übersehen, werden aber als selbstverständlich und keiner weiteren Erklärung bedürftig hingenommen. Da man die statische Gleichgewichtsbetrachtung nicht aufgeben kann, ohne den eigenen theoretischen Bankerott zu erklären, beschränkten sich die Markttheoretiker auf die 'vergleichende Statik’, d. h. ein nicht vorhandenes Gleichgewicht wird mit einem späteren nicht existierenden Gleichgewicht verglichen, um die sich in der Zwischenzeit abgespielten Wirtschaftsveränderungen zur Kenntnis zu nehmen. Da es im neuklassischen Gleichgewicht keinen Profit oder irgend einen anderen Überschuß gibt, ist jede erweiterte Reproduktion des Systems ausgeschlossen. Soweit sie sich trotzdem vollzieht, fällt sie aus den Rahmen der theoretischen Ökonomie. Von den feststellbaren Veränderungen wird allerdings erwartet, daß sie auf den Trend der Entwicklung hindeuten, so daß man sich nicht auf die Beziehungen schon gegebener Situationen zu beschränken braucht, sondern sich auch spekulativ mit der Zukunft befassen kann. Im Gegensatz zur neuklassischen Theorie richteten die Klassiker ihr Augenmerk auf die Akkumulation des Kapitals, das Wachsen des nationalen Reichtums. Ihre Distributionstheorien gingen von der Notwendigkeit der Akkumulation aus und untersuchten, wodurch die Akkumulation gefördert oder behindert wurde. Die Profitwirtschaft war die unerläßliche Voraussetzung der Akkumulation. Das Profitstreben war deshalb ein der Allgemeinheit dienender Vorgang, da es die Voraussetzung zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen durch die wachsende Produktion und Produktivität bildete. Die Marktprobleme waren denen der Akkumulation untergeordnet und unterlagen dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Unter den Bedingungen allgemeiner Konkurrenz wurde der Tausch als ein die Wirtschaft regulierender Prozeß im Rahmen einer fortschrittlichen gesellschaftlichen Entwicklung angesehen.

Dieser selbstregulierenden und damit krisenlosen Wirtschaft stand jedoch eine widerspenstige Realität entgegen. Die Akkumulation des Kapitals vollzog sich nicht als ein stetig fortschreitender Prozeß, sondern wurde durch tiefschneidende Krisen unterbrochen, die sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts periodisch wiederholten. Wodurch waren diese Krisen zu erklären, die ohne Zweifel mit der herrschenden ökonomischen Theorie in Widerspruch standen? Obwohl die Klassiker, und besonders Ricardo, sich auf die Akkumulation des Kapitals konzentrierten, teilten sie doch zugleich die Überzeugung Says[25], daß die Marktwirtschaft ein Gleichgewichtssystem sei, in dem jedes Angebot eine ihm entsprechende Nachfrage fände. So verbanden sich ihre Akkumulationstheorien mit einer statischen Gleichgewichtsbetrachtung, die sie zwang, Gleichgewichtsstörungen des System außerhalb des Systems zu suchen. Nach Says Meinung produziert jeder Mensch mit der Absicht, sein Produkt entweder zu konsumieren oder zu verkaufen, um andere ihm dienende Waren für den eigenen Konsum zu erstehen. Da dies für alle Produzenten zutrifft, muß sich die Produktion notwendigerweise mit dem Konsum decken. Wenn alle individuellen Angebote und Nachfragen übereinstimmen, ergibt sich das gesellschaftliche Gleichgewicht. Dies kann allerdings zeitweise gestört werden durch ein Überangebot einer besonderen Ware oder mangelnde Nachfrage nach einer anderen. Die sich daraus ergebenden Preisbewegungen führten jedoch zur Wiederherstellung des Gleichgewichts. Abgesehen von solchen Störungen könne es keine allgemeine Überproduktion geben, wie auch die Akkumulation nicht über die Konsumtionsansprüche der Gesellschaft hinauszugehen vermöge.

Dem standen allerdings die aktuellen allgemeinen Überproduktionskrisen entgegen, für die die klassische Theorie keine dem System immanente Erklärung fand. Sie veranlaßten J.C.L. Sismonde de Sismondi[26] sich von der klassischen Theorie loszusagen, um bald das ganze Laissez-faire-System zu verwerfen. In seiner Auffassung war es gerade die sich auf nichts als die Preise beziehende allgemeine Konkurrenz, die, anstatt zu einem Gleichgewicht und allgemeiner Wohlfahrt zu führen, dem Elend der Überproduktion Raum machte. Die Anarchie der kapitalistischen Produktion, die Sucht nach Tauschwert ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Bedürfnisse, veranlaßte eine über die jeweilige Nachfrage hinausgehende Produktion und damit periodische Krisen. Die durch ungleiche Verteilung verursachte Unterkonsumtion war die Ursache der Überproduktion und das damit verbundenen Dranges nach äußeren Märkten. Sismondi wurde damit zum Begründer der noch heute weitverbreiteten Theorie der Unterkonsumtion als Ursache der kapitalistischen Krise.

Neben vielen anderen war es besonders John A. Hobson[27], der die Theorie Sismondis auf den entwickelten Kapitalismus anwandte und mit den Imperialismus in Beziehung brachte. In seiner den späteren Keynes vorwegnehmenden Ansicht fällt aufgrund der ungleichen Verteilung und der zunehmenden Akkumulation des Kapitals die Nachfrage nach Konsumgütern und damit die Rate der Kapitalexpansion. Da die Konsumtion nicht mit der Produktion schritthalten kann, kommt es zu periodischen Krisen, da ein Teil des akkumulierenden Profits nicht mehr produktiv investiert wird und damit brachliegt. Erst der Abbau der Überproduktion in der Depression erlaubt die Wiederaufnahme des Expansionsprozesses, um an einem späteren Zeitpunkt erneut in Überproduktion und brachliegendes Kapital umzuschlagen. Die aus dem mangelnden Konsum abgeleitete Überproduktion erkläre auch das den Imperialismus kennzeichnete Verlangen nach fremden Märkten und die imperialistische Konkurrenz. Hobson war jedoch der Auffassung, daß diesem Zustand durch reformatorische staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsmechanismus in Richtung der Konsumförderung abgeholfen werden könnte, und blieb in diesem Sinne der kapitalistischen Wirtschaft verhaftet.

Worauf hier aufmerksam gemacht werden soll, war die Notwendigkeit der Abkehr von den klassischen und später neuklassischen Theorien, um dem aktuellen wirtschaftlichen Geschehen näher zu kommen. Im Rahmen des sich angeblich selbst regulierenden Marktmechanismus blieben die tatsächlichen wirtschaftlichen Vorgänge unverständlich, was Sismondi wie Hobson zwang, sich von der Markttheorie loszusagen. So war die Beschäftigung mit der kapitalistischen Krise, wie mit den sozialen Zuständen im allgemeinen, zugleich ein Absetzen von den überlieferten ökonomischen Anschauungen, um wirklichkeitsnähere Theorien zu entwickeln. Auf dem Boden kapitalistischer Eigentumsverhältnisse ist dies jedoch nur in einem beschränkten Maße möglich. Dementsprechende Versuche waren nicht nur durch die klaffenden Widersprüche der herrschenden Theorie mit der Wirklichkeit bedingt, sondern auch durch die Einwirkung kapitalistischer Konkurrenz auf   die   Entwicklungsmöglichkeiten   rückständiger   Länder. Daraus ergab sich einerseits die Empirik der historischen Schule und andererseits die evolutionäre Einstellung des Institutionalismus, die sich gegen die von den Klassikern entwickelten Theorien wandten.

Im kapitalistischen Akkumulationsprozeß stellt der Vorteil der Zuerstgekommenen die Benachteiligung der Zurückgebliebenen dar. So stellte sich der Freihandel als ein englisches Privileg und Monopol heraus, das die Industrialisierung weniger entwickelter Länder erschwerte und das Elend ihrer 'Gründerjahre’ unerträglich erscheinen ließ. Im Kampf gegen die monopolistische Konkurrenz mußte vom Laissez-faire-Prinzip abgewichen werden und damit von den Theorien der klassischen Ökonomie. Es handelte sich hier nicht, wie Rosa Luxemburg annahm, um einen „Protest der bürgerlichen Gesellschaft gegen die Erkenntnis ihrer eigenen Gesetze“[28], sondern um Versuche, mit politischen Mitteln den Stand der Entwicklung zu erreichen, der der Freihandelsideologie entsprechen würde. Erst durch die Erfahrung des internationalen Konkurrenzkampfes verlor die bis dahin wirksame politische Ökonomie Englands an Einfluß in den ökonomisch schwächeren Ländern, um der staatlichen Intervention und der Schutzzollpolitik eine entsprechende Ideologie zu vermitteln. Daß die historische Schule nur den besonderen Notwendigkeiten konkurrenzschwacher Länder entsprach, war schon in dem in ihr ruhenden Widerspruch ersichtlich, daß sie im nationalen Rahmen empfahl, was sie im internationalen verwarf.

Allerdings bemühten sich die Vertreter der historischen Schule der Nationalökonomie auch um den Nachweis, daß die ausschließliche marktgesetzliche Verteilung zur Verelendung der Arbeiter führte und damit die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft selbst in Frage stellte; eine Befürchtung, die durch das Aufkommen einer unabhängigen Arbeiterbewegung bestätigt zu werden schien. Der Verelendung mußte abgeholfen werden, eben durch eine schnellere und mehr ordnungsmäßige kapitalistische Entwicklung. So verbanden sich mit der national-orientierten ökonomischen Politik die Sozialpolitik, der sogenannte ‘Kathedersozialismus’, eine Ideologie, die sich gegen die Abstraktionen der klassischen Lehre wandte, nicht, um sie völlig aufzuheben, sondern nur um sie durch die historische Kritik den besonderen nationalen Interessen anzupassen.

Wirtschaftskunde war in den Augen der historischen Schule weit mehr als die deduktiv entwickelten Einsichten in den Marktmechanismus. Sie enthielt auch die induktiv zu gewinnenden historisch-bestimmten, national-spezifischen wie außerwirtschaftlichen Momente der gesellschaftlichen Totalität und ihre Entwicklung, so daß sich erst nach weitgehender historischer Forschung Aussagen über den Inhalt der politischen Ökonomie machen ließen. Aber es blieb bei der Forschung, da die fortschreitende Homogenisierung der Wirtschaften, durch die sich durchsetzende Kapitalisierung der westlichen Welt, auch die Wirtschaftstheorien vereinheitlichte. Der Einfluß der historischen Schule verlor sich, nicht aber das von ihr erweckte Bedürfnis nach vorurteilsfreier Untersuchung der empirisch gegebenen Wirtschaftserscheinungen, was sich schließlich in der Konjunkturforschung niederschlug.

Obwohl von Krisen und Konjunkturschwankungen heimgesucht, hatte die bürgerliche Ökonomie keine dem kapitalistischen System immanente Krisentheorie. Die wirtschaftlichen Wandlungen mußten ihre Erklärungen in Vorgängen finden, die außerhalb des Systems zu suchen sind. Jevons ging hier so weit, sie mit natürlichen, außerhalb der Erde liegenden Erscheinungen in Verbindung zu bringen. Er machte die Entdeckung, daß die periodisch auftauchenden Sonnenflecke mit den wirtschaftlichen Krisen zusammenfielen. Die Sonnenflecke beeinträchtigten das Wetter und folglich die landwirtschaftliche Produktion, deren Niedergang zu einer allgemeinen Krise führte. Allerdings fand diese Theorie wenig Anklang, obwohl das Wetter ohne Zweifel Einfluß auf die Wirtschaft hat. Aber Krisen setzten auch bei gutem Wetter ein, und ein wirklicher Zusammenhang zwischen dem Wetter und den Sonnenflecken ließ sich nicht erbringen.

Schumpeter[29] versuchte hingegen, die sich aus dem Konjunkturzyklus ergebende Entwicklung und den Zyklus selbst aus dem kapitalistischen System heraus zu erklären. Als Kenner der Marxschen Theorie war ihm bewußt, daß jeder wesentliche Fortschritt von der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte abhängt. Aber die Träger dieser neuen Produktivkräfte waren für ihn die besonders tatkräftigen Unternehmer, durch deren Genialität die landläufigen, monotonen und sich nur selbstproduzierenden Wirtschaftsprozesse durchbrochen werden. Er entwickelte eine Art Heldentheorie der Konjunkturschwankungen und sah in ihnen die Dynamik des kapitalistischen Systems.

Zu diesem Zweck benötigte er allerdings zwei verschiedene Theorien, wie zwei psychologisch verschiedene Menschentypen. Im allgemeinen Gleichgewicht der 'reinen Theorie’ gab es keine Entwicklung. Aber auch in der realen Welt war die Mehrzahl der Menschen zu träge und denkfaul, um sich gegen das Einerlei des statischen Zustandes zu wenden. Wie schon ausgeführt, gibt es im Gleichgewicht keinen Profit, und wo solcher auftaucht, deutet er auf eine Störung des Systems hin, die aber durch von ihr veranlaßte Gegenbewegungen wieder aufgehoben wird. So stellte sich das Problem: wie die Entwicklung von einem Zustand abgeleitet werden kann, der keine Entwicklung kennt?

Hier kam es Schumpeter zugute, daß er als früherer Anhänger der historischen Schule nicht vergessen hatte, daß sich die Ökonomie nicht auf die Abstraktionen des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage zu beschränken braucht. Um der Dynamik des kapitalistischen Systems gerecht zu werden, müßte es auch von historischen und soziologischen Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Aber im Rahmen der ökonomischen Theorie wäre nur der spezielle Mechanismus zu berücksichtigen, durch den das statische Modell zum dynamischen würde. Der Mechanismus würde durch einen Typ Menschen personifiziert, der, von schöpferischer Unruhe geplagt oder gesegnet, durch seine eigenwilligen Handlungen den Kreislauf des statischen Gleichgewichts durchbricht. Dieser Typus, der ideenreiche Unternehmer, der nach immer neuen industriellen, wissenschaftlichen, geschäftlichen und organisatorischen Kombinationen sucht, die die Produktivität und Produktion quantitativ und qualitativ verändern, zerstört das von den Konsumenten bestimmte wirtschaftliche Gleichgewicht in solcher Weise, daß es sich nur auf einem neuen, höheren Niveau wiederherstellen läßt. Dieser spontane, zufällige, sich aber stets wiederholende Vorgang ergäbe den Konjunkturzyklus, der Schöpfung und Zerstörung zugleich war, und in dem sich die Dynamik des kapitalistischen Systems darstellte. Es wäre zwar zu bedauern, aber unabwendbar, daß die Schwierigkeiten der Adaptierung an die sich verändernden Umstände mit Kosten und Elend verknüpft wären. Doch könnten diese Nachteile durch bessere Wirtschaftsprognosen und staatliche Eingriffe gemildert werden. Jedenfalls wäre die dem kapitalistischen System innewohnende Dynamik von größerer Wichtigkeit als das Problem des wirtschaftlichen Gleichgewichts, mit dem sich die bürgerliche Ökonomie fast ausschließlich beschäftigte.

Wenn sich Schumpeters Entwicklungstheorie auch nur in seiner Einbildung auf die kapitalistischen Bewegungsgesetze bezog, so war sie doch ein Ausdruck der sich in der bürgerlichen Theorie widerspiegelnden weitgehenden Beunruhigung über die mit der zunehmenden Kapitalakkumulation sich verschärfenden Konjunkturschwankungen und Krisenperioden. Die Theorie des sich selbst regulierenden Preismechanismus machten die Krisenerscheinungen zu einem Rätsel, das nicht durch die vorherrschende Theorie gelöst werden konnte. Schumpeters Versuch, sie aus der sich wiederholenden Verletzung der Gleichgewichtslagen durch einen bestimmten Menschenschlag zu erklären, war keine Erklärung, sondern nur das Eingeständnis, daß die dem Markt zugesagten Gleichgewichtstendenzen nicht der Wirklichkeit entsprachen. Das war schon von den früheren Kritikern des Kapitalismus, wie Sismondi und Hobson, erkannt worden. Aber die einfache Feststellung, daß die theoretische Harmonie von Angebot und Nachfrage, Produktion und Konsumtion durch die Wirklichkeit widerlegt wurde, reduzierte sich zuletzt nur auf eine Beschreibung offensichtlicher Zustände, die an sich keinen Aufschluß über die dem Kapital eigentümlichen Bewegungsgesetze gibt.

War die Krise auch nicht aus den dominierenden ökonomischen Anschauungen heraus zu verstehen, so blieb sie doch ein Problem, das nicht übergangen werden konnte und dem auf empirischen Wegen nachzugehen versucht wurde. Dem war schon vorgegriffen worden durch die Etablierung privater Anstalten, die sich dem Konjunkturdienst widmeten, um Konjunkturschwankungen geschäftlich auszunutzen. So entstand ein besonderer, sich ausschließlich mit der Konjunkturforschung beschäftigender Zweig der Wirtschaftskunde, der durch die sich systematisch vermehrende Datensammlung privater und staatlicher Natur weithin ausgebaut werden konnte. Die Konjunkturforschung beabsichtigte den Wirtschaftsverlauf, so wie er der Wirklichkeit nach verlief, darzustellen, wobei sie sich „der ‘reinen Theorie’ nur als einer Elementarlehre bediente“[30].

Dieses nicht sehr großzügige Zugeständnis war jedoch schon eine Übertreibung, da sich die Konjunkturforschung nur in direktem Gegensatz zur ökonomischen Elementarlehre entwickeln konnte. Diese Lehre bezog sich nur auf den Zustand des statischen Gleichgewichts, in dem es keine Datenveränderung im Wirtschaftskreislauf gibt. Es ist gerade dieses stationäre Gleichgewicht, das aus der Konjunkturlehre ausgeschlossen ist, da sie sich auf die dauernde Veränderung der Wirtschaft bezieht. Allerdings werden auch in der Elementarlehre Abweichungen vom Gleichgewicht zugegeben, die aber nur zur Wiederherstellung des Gleichgewichts führen. In der Konjunkturlehre geht es nicht um vorübergehende Unregelmäßigkeiten, sondern um den Versuch, die Bewegungsgesetze des Kapitals und die Krisenerscheinungen bloßzulegen. Sollten diese Versuche Erfolg haben, so würde sich ein dynamisches System der kapitalistischen Entwicklung ergeben, das die statische Betrachtung aufheben würde.

Es versteht sich von selbst, daß die schon lange vorliegende Marxsche Theorie der kapitalistischen Entwicklung und ihrer Bewegungsgesetze geflissentlich übersehen wurde. Die vorurteilsfreiem Methoden der historischen Schule sollten der Konjunkturforschung die notwendige ‘Objektivität’ verleihen, die erst die Erkenntnis des tatsächlichen Verlaufs des wirtschaftlichen Geschehens ermöglicht. Im geschichtlichen Rückblick auf die sich verändernden Marktverhältnisse und ihrer Oszillationen wird an Hand sachdienlicher Statistik und mit Zuhilfenahme mathematischer Methode, wie die der Korrelationsrechnung, versucht, dem Rhythmus des Wirtschaftslebens nachzugehen, um seine treibenden Kräfte und innere Zusammenhänge festzustellen. Allerdings kann die rein empirische Forschung nicht mehr ergeben als sich selbst; eine Feststellung von Tatsachen, die nach wie vor einer Erklärung bedürfen. Dazu bedarf es einer Theorie, die den Zyklus nicht nur beschreibt, sondern auch verständlich macht. Aber in all den anscheinend dynamischen Konjunkturtheorien[31] wird auf die Ursachen der zyklischen Bewegungen nicht eingegangen, sondern diese Bewegungen bilden ihren Ausgangspunkt und werden als gegeben hingenommen. Unter diesen Umständen blieben auch die Konjunkturtheorien nur Darstellungen des dynamischen Wirtschaftsablaufs, ohne die Dynamik selbst bloßzulegen.

Die Vielfältigkeit der Wirtschaftserscheinungen schien auf eine Pluralität von Ursachen der Konjunkturschwankungen hinzudeuten und erlaubte die Herausbildung verschiedener Theorien, die, obwohl den gleichen Tatsachen gegenüberstehend, sich dennoch durch die besondere Betonung unterschieden, die auf einen oder einen anderen Aspekt des Gesamtprozesses gelegt wurde. Man unterschied zwischen ökonomischen und nichtökonomischen, exogenen und endogenen verantwortlichen Faktoren des Konjunkturzyklus oder entschied sich für eine Kombination von beiden, um den wirtschaftlichen Rhythmus aufzuhellen. In diesen besonderen Erklärungen werden entweder Geld- und Kreditfragen, technische Faktoren, Marktdiskrepanzen, Investierungsprobleme, oder psychologische Momente in den Vordergrund gerückt und zum entscheidenden Element der Gesamtbewegung ernannt. Von diesen verschiedenen Gesichtspunkten aus suchte man nach den Ursachen der Krise und Depression in den Vorgängen der vorhergegangenen Zeit der Prosperität und ihrer Abspannung und, umgekehrt, nach den Mitteln und Wegen, die aus den Krisenzuständen zu einem neuen Aufschwung überleiten.

Der Konjunkturforschung war es nicht um eine methodisch erfaßte genauere Darstellung der sowieso wahrnehmbaren Konjunkturschwankungen zu tun, sondern um die Entdeckung von Eingriffsmöglichkeiten zur Milderung der Krisensituationen und zur ‘Normalisierung’ der sich verändernden wirtschaftlichen Vorgänge im Sinne eines Ausgleichs der schroffen Gegensätze von Hochkonjunktur und Krisentiefpunkt. Die Konjunkturdiagnose sollte einerseits zu einer Konjunkturprognose führen, um die Anpassung der wirtschaftlichen Tätigkeit an einen gegebenen Trend der Wirtschaftsentwicklung zu erleichtern, und andererseits die Wirtschaft über längere Zeit hinaus zu stabilisieren suchen durch eine dem automatischen Ablauf des Zyklus entgegenarbeitende Konjunkturpolitik. Sie sah sich so als angewandte Wissenschaft, deren wenn auch abstrakt bleibenden Prognosen doch Analogieschlüsse zuließen, die unter Umständen von praktischer Bedeutung sein könnten.

Allerdings sollte dies auf dem Boden der nicht in Frage gestellten Gesellschaftsordnung erreicht werden und blieb damit von vornherein auf die zyklischen Untersuchungen der Marktphänomene beschränkt. Nicht das Wesen des Kapitalismus, sondern seine Erscheinungswelt bildete das Forschungsterrain der Konjunkturlehre und fundierte die verschiedenen Theorien, in die sie sich kleidete. Die Unübersichtlichkeit der entwickelten Marktwirtschaft und die Unkenntnis oder falsche Auffassung wirtschaftlicher Zusammenhänge verursachten ihrer Meinung nach die. disproportionale Wirtschaftsentwicklung, in der sich der Konjunkturzyklus darstellte. Der Konsum bleibt hinter der Produktion zurück, die Kreditausweitung führt zu Überinvestitionen, die Profite vermindern sich durch eine ungerechtfertigte Expansion der Produktion, um an einem bestimmten Punkt, dem Krisenpunkt, eine gegensätzliche Bewegung auszulösen, in der die Investitionen hinter den Ersparnissen zurückbleiben, der überfüllte Markt keine zahlungsfähige Nachfrage findet, Kapitalwerte der Vernichtung anheimfallen, die Produktion rapide abnimmt und die Arbeitslosigkeit um sich greift. Die Krise und die sich aus ihr zunächst entwickelnde Depressionsperiode räumt mit den Auswüchsen der Expansionsperiode auf, bis sich die nötigen ökonomischen Proportionen wieder herausbilden, die einen neuen Aufschwung ermöglichen, der allerdings wiederum einem Höhepunkt entgegengeht und in eine neue Krise umschlägt.

Es handelt sich hier um zutreffende Beobachtungen der wirtschaftlichen Vorgänge, wie sie durch die kapitalistische Krisengesetzlichkeit gegeben sind, ohne diese Krisengesetzlichkeit selbst zu erklären. Die zyklischen Bewegungen erscheinen als Abweichungen von einer Norm, die ohne diese Entgleisungen reibungslos verlaufen würde. Die geistig vorschwebende Regel ist der Gleichgewichtsmechanismus der ‘reinen Theorie’, der sich allerdings nur auf dem Wege der Unregelmäßigkeit durchzusetzen vermag, so daß die für den ‘normalen’ Wirtschaftsablauf notwendigen Proportionalitäten sich im auf und ab wirtschaftlicher Aktivität herauszubilden haben. Der Konjunkturzyklus ist die wirkliche Form der abstrakten Gleichgewichtstendenzen des Marktmechanismus. So lag es auf der Hand anzunehmen, daß eine genaue Kenntnis der Abweichungsmomente zu bewußt ausgeführten wirtschaftlichen Maßnahmen führen könnten, welche die nachteiligen Seiten des Zyklus mildern oder ausschalten würden. Demzufolge war die kapitalistische Wirtschaft von statischen und dynamischen Tendenzen gekennzeichnet, wobei die letzteren die Voraussetzung der ersteren bildeten. Wenn dem so wäre, so würde die ‘reine Theorie’, die statische Gleichgewichtsbetrachtung, den Konjunkturtheorien unterzuordnen sein — Ausdruck einer nur zeitweise auftretenden Situation, die nur als Übergang zu den sich dauernd verändernden Zuständen gelten konnte und die keine Aussagen über den wirklichen Stand der Wirtschaft und ihrer Bewegungsrichtung zu geben vermochte. Obwohl die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts sich nur als abstrakte Darstellung des Preissystems verstand und keine unmittelbare Übereinstimmung mit den wirklichen wirtschaftlichen Vorgängen für sich beanspruchte, bestand sie doch auf ihrem Geltungswert als Erkenntnistheorie der ökonomischen Zusammenhänge. Von ihrem Gesichtspunkt aus konnten auch die Konjunkturbewegungen als Nachweis tatsächlich existierender Gleichgewichtsneigungen begriffen werden, da die Abweichungen von einer als Norm aufgefaßten Gleichgewichtslage zuletzt doch wieder zum Gleichgewicht zurückführten. Die Abweichungen, wie auch immer bestimmt, würden durch den dem System eigentümlichen   Gleichgewichtsmechanismus   wieder   aufgehoben, so daß der Gleichgewichtstheorie der Vorrang unter den Wirtschaftstheorien nicht abgesprochen werden könne. So gingen bürgerliche Wirtschaftstheoretiker so weit, die Existenz des Konjunkturzyklus überhaupt zu bestreiten. Z.B. fand Irving Visher[32] keinen Grund, der Anlaß geben konnte, von einem Konjunkturzyklus zu sprechen, da es sich hier um nichts weiter handle, als die Registrierung der über oder unter dem Durchschnitt liegenden wirtschaftlichen Aktivität. Die Annahme, daß diesen Vorgängen eine bestimmte Periodizität zukäme und diese zu wirtschaftlichen Voraussagungen führen könnte, sei unhaltbar, solange die Wirtschaft von den sich wandelnden Preisrelationen bestimmt werde. Wichtiger war ihm aufzuzeigen, wie die Wirtschaft ohne ihre zyklischen Abweichungen verlaufen würde, um den Charakter dieser Störungen erkennen zu können und ihnen, wo möglich, entgegenzutreten. So ergab sich schließlich eine Arbeitsteilung in der Wirtschaftskunde, die den ‘reinen’ Theoretikern die Gleichgewichtsbetrachtung erhielt und den mehr empirisch orientierten Wirtschaftswissenschaftlern das Feld der Konjunkturanalyse überließ.

Abgesehen davon, daß es keine unvoreingenommene Tatsachenforschung gibt, ist es auch bemerkenswert, wie W.C. Mitchell[33] aus eigener Erfahrung feststellen konnte, daß sogar dasselbe Tatsachenmaterial von zwei Beobachtern verschiedentlich ausgelegt und angewandt werden kann. Folglich muß man alle statistischen Ermittlungen skeptisch betrachten; eine Notwendigkeit, die allerdings oft übersehen wird, da die vorgetragenen Zahlen und Tabellen einfach durch die Tatsache ihrer Veröffentlichungen eine Autorität annehmen, die ihnen in Wirklichkeit nicht zukommt. Auch Oscar Morgenstern[34]wies darauf hin, daß die statistischen Erfassungen der Konjunkturwellen in bezug auf Ausdehnung, gegenseitige Abhängigkeiten und historische Verbindungen völlig unsicher sind, obwohl dieser Mangel meistens nicht wahrgenommen wird. Die akzeptierten Daten sind nicht fehlerfrei und die von ihr abgeleiteten Einsichten zweifelhaft. Trotz der eingestandenen Mängel statistischer Ermittlung und der unterschiedlichen Datenbewertung wiesen die erreichbaren Resultate der Forschung doch auf die zyklische Bewegung der kapitalistischen Entwicklung hin. Aber damit bestätigte sich nur, was auch ohnehin offensichtlich war, wenn auch mehr in qualitativer als in quantitativer Hinsicht. Die Krisenjahre 1815, 1825, 1836, 1847, 1857, 1866 suggerierten die Existenz eines zehnjährigen Zyklus, obwohl sich nicht feststellen ließ, warum die Konjunkturwellen diesen eigenartigen Rhythmus annahmen. Weitere Krisen und die aufgearbeiteten Daten vergangener Krisen zeigten eine weniger ausgesprochene Regularität der periodisch eintretenden Krisenzustände und ebenfalls unterschiedliche Wirkungen in verschiedenen Ländern. Allerdings ließ sich auch feststellen, daß die Krisenerscheinungen im Verlauf der Zeit stets mehr internationalen und gleichmäßigen Charakter annahmen. Die genauere Anwendung der statistischen Zeitreihenanalyse ergab einerseits kleinere Konjunkturbewegungen innerhalb der zwei Phasen des Konjunkturzyklus und andererseits sogenannte ‘lange Wellen’, welche kleinere Wellenbewegungen in sich einschlossen. Damit waren die Konjunkturschwankungen mit einem ihnen zugrundeliegenden Trend in Verbindung gebracht: den ‘langen Wellen’ oder dem ‘sekularen Trend’, der je nach Art der Berechnung entweder auf 25 oder auf 50 Jahre geschätzt wurde.

In all diesen Fällen handelte es sich um verschiedene Anwendungen und Auslegungen statistischer Zeitreihen, die nur mit ausschließlichem Bezug auf sich selbst zu vorläufigen Wahrscheinlichkeitsaussagen führen konnten. Aber die Theorie der ‘langen Wellen’ hat ihre faszinierende Wirkung[35] bis heute erhalten, da sie einerseits der Bourgeoisie erlaubte, die definitive Marxsche Krisengesetzlichkeit in einer mysteriösen epochalen Wellenbewegung des Wirtschaftslebens untergehen zu lassen, und es andererseits ihren Kritikern ermöglichte, trotz der sich verändernden Periodizität der Krise an ihrer Unvermeidlichkeit festzuhalten. Aber aus den statistischen Feststellungen selbst ließen sich keine Erklärungen für die ‘langen Wellen’ finden, wie es auch an Hypothesen fehlte, die zu ihrer Deutung führen könnten.

Aus diesen verwirrenden Darstellungen verschiedener Konjunkturabläufe ließen sich weder eine kurzfristige Konjunkturprognose noch  eine  langfristige  Konjunkturpolitik  aufstellen, da jeder Konjunkturzyklus seinen besonderen Charakter hatte und dementsprechende, nicht voraussehbare Reaktionen verlangte, deren Wirkungen ebenfalls unübersehbar blieben. Wenn auch eine Konjunkturpolitik im weiten Sinne schon durch die die Gesellschaft beherrschende Privatinteressen eine praktische Unmöglichkeit ist, so versuchte man doch mit Hilfe sogenannter Wirtschaftsbarometer den allgemeinen Geschäftsgang der Öffentlichkeit erkennbar zu machen, in der Hoffnung, die Wirtschaft dadurch günstig zu beeinflussen. Die enttäuschenden Resultate dieser Versuche setzten ihnen jedoch bald ein Ende. Damit verblieb die Konjunkturforschung ein Teil der Wirtschaftsgeschichte, und die an sie geknüpften Erwartungen in bezug auf eine mögliche Wirtschaftslenkung verloren sich im Laufe ihrer eigenen Entwicklung. Die verschiedenen Theorien kapitalistischer Krisengesetzlichkeit waren schon ohne Bezugnahme auf die Konjunkturforschung aufgeworfen worden und suchten in ihren Ergebnissen nach Bestätigung der vorgefaßten Meinungen. Sie gingen vom hypothetischen Gleichgewicht aus, nur um zu zeigen, wie es in der Wirklichkeit verletzt wurde. Die Expansion der Wirtschaft könne nur dann krisenlos verlaufen, wenn sie synchronisch vor sich gehe, was jedoch nicht der Fall sei. Der Ausgleichungsmechanismus habe keine unmittelbare Wirkung, sondern mache sich erst bemerkbar, wenn die verschiedenen Abweichungen von der notwendigen Proportionalität auf ihnen entgegenstehende Grenzen stießen. Die Warennachfrage lasse sich nicht im voraus erkennen, um der Produktion und ihrer Ausdehnung angepaßt werden zu können. So schieße die Produktion über die Nachfrage hinaus und münde schließlich in abnehmende Profite, die dann den Expansionsprozeß zum Halten brächten und die Krise auslösten. Dieser Prozeß wurde noch durch das Kreditsystem akzentuiert, da niedrige Diskontsätze zu neuen Investitionen anreizen, die dann die ganze Wirtschaft beeinflussen und zu einem Punkt führen, an dem die Kreditausdehnung an die Grenzen der Bankreserven stößt und damit ihr Ende findet. Die resultierende Erhöhung der Diskontsätze führte zur Deflation, die ebenfalls die ganze Wirtschaft ergreift und eine Periode der Depression einleitet. Das Nachlassen der Nachfrage gegenüber der Produktion und Kapitalakkumulation wurde entweder subjektiv, aus den abnehmenden Grenznutzen der zunehmenden Konsumgüter, abgeleitet oder, objektiv, aus den durch das Lohnsystem gegebenen Konsumbeschränkungen der arbeitenden Bevölkerung. Demgegenüber konnten die Vertreter der ‘reinen Theorie’, die nicht nur vom Gleichgewichtspunkt ausgingen, sondern auf ihm stehen blieben, behaupten, daß die Krisensituation nicht dem System zuzuschreiben seien, sondern der willkürlichen Außerachtlassung oder Verletzung seiner regulierenden Funktionen. Man bestand auf der absoluten Gültigkeit des Sayschen Marktgesetzes und fand es folglich selbstverständlich, daß, wenn mehr verbraucht wird, weniger investiert wird, und wenn mehr investiert wird, weniger verbraucht werden kann. In jedem Falle bleibe das Gleichgewicht von Produktion und Konsumtion bestehen. Allerdings, irren ist menschlich und kann zu Fehlinvestitionen führen, deren nachträgliche Wirkungen sich jedoch durch neue Anpassungen an die veränderte Marktlage von selbst verlieren. Es habe keinen Sinn, sich über die Krisen den Kopf zu zerbrechen, da der Preismechanismus auch die auftretenden Unebenheiten der Wirtschaft zu überwinden vermöge. Daß diese Unebenheiten sehr weitgehend nach der einen oder anderen Seite des Zyklus ausschlagen, habe weniger mit dem System zu tun, als mit den psychologischen Eigenschaften der Menschen. Obwohl Veränderungen der objektiven Daten eine zyklische Bewegung auslösen, bleibt doch die Frage offen, „warum diese Bewegung zuerst übertrieben wird, nur um später umzuschlagen? Warum führt sie zu einer intertemporalen Falschverteilung statt einer intertemporal beständigen einmaligen Veränderung von Konsumtions- und Produktionsumfang? Diese Frage kann in ungezwungener Weise nur durch eine ‘psychologische’ Theorie erklärt werden“[36].

Dynamisch ist der Wirtschaftsablauf nur dann, „wenn auch bei äußerster theoretischer Abstraktion, nicht nur in der Realität, in ihr keine Tendenz auf Herstellung eines ruhenden Gleichgewichts gefunden werden kann“[37]. Die Annahme der Statik auf Seiten der Theorien, die entweder die Krisengesetzlichkeit verneinten oder bejahten, verschloß beiden von vornherein jeden wirklichen Einblick in die Dynamik des kapitalistischen Systems. Unter diesen Umständen mußten ihre Theorien stets im Widerspruch zur Wirklichkeit stehen, ungeachtet der größten Anstrengungen, diesen Widersprüchen zu entkommen. Die Aussichtslosigkeit, die kapitalistische Entwicklung mittels der Methoden der klassischen und neuklassischen Lehren zu begreifen, führte selbst im bürgerlichen Lager zu einer scharfen Kritik dieser Theorien und zu neuen Versuchen, den Entwicklungsgesetzen auf anderen Wegen näherzukommen.

Nach Smith und Ricardo beruhte die Ökonomie letzten Endes auf der Natur des Menschen und hier speziell auf der ihn vom Tier unterscheidenen Fähigkeit des Austauschens.  Die Arbeitsteilung, die Klassen, der Markt und die Akkumulation des Kapitals wurden als natürliche Erscheinungen angesehen, die sich weder ändern ließen, noch einer Änderung bedurften. Die sich in England herausbildende politische Ökonomie knüpfte zudem an die Ideen der französischen Physiokraten an, d. h. an die Voraussetzung, daß mit der Ökonomie von Natur aus alles in Ordnung sei, daß sich alles zum besten kehren würde, wenn diese natürliche Ordnung der Dinge unbehelligt bliebe. Das Laissez-faire-Motiv der Physiokraten wurde zum moralischen Element der klassischen Theorie. Wenn dieses moralische Prinzip zum Teil schon bei Ricardo und nach ihm stets allgemeiner mit den von Malthus und Darwin entliehenen Anschauungen ausgetauscht wurde, so galt die kapitalistische Produktionsweise auch weiterhin als naturgegebene Ordnung.

Der Sozialdarwinismus zeigte die Bourgeoisie auf dem Höhepunkt ihres Selbstbewußtseins. Sie brauchte sich keiner Illusion über den Charakter der Gesellschaft mehr hinzugeben. Der Kampf der Klassen ging in dem allgemeinen Kampf ums Dasein auf, an den angeblich jeder Fortschritt gebunden ist. Jeder einzelne Mensch stand anderen einzelnen Menschen konkurrierend gegenüber, und dieser Konkurrenzkampf hatte nichts mit den besonderen gesellschaftlichen Beziehungen des Kapitalismus zu tun, sondern war als ein sich in der Ökonomie durchsetzendes Naturgesetz anzusehen. War der eine erfolgreicher als ein anderer, so nicht aufgrund verschiedener sozialer Möglichkeiten, sondern aufgrund besonderer individueller Fähigkeiten. Konnte man von Klassenscheidungen absehen, so auch von den Produktionsverhältnissen, in denen sie zum Vorschein kommen.

Als Evolutionstheorie beinhaltete der Darwinismus eine wenn sich auch äußerst langsam so doch ständig vollziehende Veränderung der Natur, der Gesellschaft und der Menschen. Damit mußte auch der gegebene gesellschaftliche Zustand als vorübergehend angesehen werden, als ein Prozeß, der sich mittels der Statik der ‘reinen’ oder orthodoxen Theorie nicht erfassen ließ. Die Außerachtlassung der Entwicklung und die isolierte ökonomisch-abstrakte Betrachtung der gesellschaftlichen Zusammenhänge verschlossen der orthodoxen Theorie, nach Thorstein Veblen[38], dem Begründer des sich in Amerika herausbildenden Institutionalismus, jede wirkliche Einsicht in das gesellschaftlich-ökonomische Geschehen. Die Wandlungen der Gesellschaft zeigen sich, Veblen zufolge, in den Veränderungen ihrer Institutionen, worunter er die sich kulturell bildenden Gewohnheiten des Denkens und Fühlens versteht, welche die Art und Weise bestimmen, mit denen die Menschen ihre Lebensbedürfnisse befriedigen. Die kulturelle Entwicklung ist ein langsamer wenn auch unablässiger Prozeß, der durch die Anhäufungen kleiner Veränderungen schließlich zu neuen Gewohnheiten und damit zu anderen gesellschaftlichen Verhältnissen führt.

Als gegenwärtiges Resultat allgemeiner Entwicklung und der Anhäufung von Erfahrungen haben sich Gewohnheiten oder Institutionen herausgebildet, die ihren ökonomischen Ausdruck im Maschinenprozeß der Produktion und im kapitalistischen Unternehmertum finden. Obwohl gleichzeitig auftretend, sind diese Institutionen widersprüchlich; die eine dient der Güterproduktion, die andere der Geldgewinnung. Stellt die Industrie auch die materielle Basis der modernen Zivilisation dar, so wird diese doch nicht von ihr, sondern vom Geschäftemachen bestimmt. Daraus ergeben sich alle Ungereimtheiten der Wirtschaft und ihre Krisensituationen. Das die Wirtschaft beherrschende Profitmotiv bedingt ihren Aufstieg wie ihren Niedergang. Profite ergeben sich aus der Differenz zwischen den Kostpreisen und den erzielten Marktpreisen. Der Wert eines Unternehmens wird jedoch nicht nach den von ihm tatsächlich gemachten Profiten geschätzt, sondern nach erwarteten zukünftigen Profiten. Der nominelle und der wirkliche Kapitalwert fallen auseinander, aber es ist der erstere, der die Kreditwürdigkeit der Unternehmen bestimmt. Die Konkurrenz zwingt zur Erhöhung der Produktivität, der Ausdehnung der Unternehmen und damit zu Kreditaufnahmen, die sich auf die zukünftige Profitabilität der Unternehmen beziehen. Solange diese hinreichend sind und die durch die Expansion ausgelöste Prosperität anhält, stellt der wachsende Kapitalwert kein Problem dar. Andernfalls entsteht jedoch eine Divergenz zwischen den aufgeblähten Kapitalwerten und den tatsächlichen Profiten, die zu einem Liquidierungsprozeß und der sich aus ihm ergebenden Depression führt. Damit trägt die Prosperität ihr eigenes Ende in sich. Mit den sich gegenseitig bedingenden wachsenden Profiten und zunehmenden Krediten und den damit verbundenen Preissteigerungen dehnen sich die Produktionskapazität und die Produktion aus, bis die Kreditausweitung an ihre eigene und die Grenze abnehmender Profite stößt. Mit eintretender Knappheit von Leihkapital und der Erhöhung der Diskontsätze verändert sich das bisherige Verhältnis zwischen den erwarteten Profiten und der auf ihrer Basis vollzogenen Kapitalisierung, die zu einer abwertenden Revision der Kapitalwerte zwingt. Dazu gesellen sich die aus der Produktion selbst entstehenden Ursachen sinkender Profitabilität, wie steigende Löhne, abnehmende Intensität der Arbeit, und die um sich greifende Desorganisation der Unternehmen, die sich aus der Hektik der Hochkonjunktur ergibt.

Wenn sich diese Beschreibung des Ablaufs des Konjunkturzyklus auch nicht von anderen unterschied, so führte sie ihn doch auf den Widerspruch zwischen Produktion und kapitalistischer Produktion zurück. Nur weil das Augenmerk auf Kapitalvermehrung anstatt auf die Zufriedenstellung menschlicher Bedürfnisse gerichtet ist, ergeben sich die beklagenswerten Zustände der Gesellschaft und die als Überproduktion oder Unterkonsumtion gekennzeichneten Krisen. Im Gegensatz zu anderen Beobachtern waren für Veblen die Krisen keine von Gleichgewichtsrelationen beherrschten Ereignisse, die nur vorübergehende Abweichungen von der Norm registrierten, sondern der normale Zustand der kapitalistischen Gesellschaft, sobald sie eine gewisse Maturität erreicht hatte. Aus dem Krisenzyklus einer vergangenen Periode ergab sich die chronische Krise des entfalteten Kapitalismus, die nur durch eine Veränderung des Gesellschaftssystems beseitigt werden konnte.

Da es keinen stationären Zustand und kein ökonomisches Gleichgewicht gibt, kann, Veblen zufolge, nicht erwartet werden, daß sich das kapitalistische System trotz oder mittels der Konjunkturschwankungen weiterhin progressiv entfaltet. Das System als solches enthält keinen Ausgleichungsmechanismus. Die Periodizität der Krisen in der Aufstiegsperiode der Geld- und Kreditgesellschaft hätte nichts mit dem System selbst zu tun, sondern wäre höchstwahrscheinlich äußeren Umständen zu verdanken. Die Divergenz zwischen Kapitalisierung und Profitabilität konnte noch durch außerhalb des Systems liegende Mittel, wie die der Geldinflation oder der vermehrten und verbilligten Goldproduktion und der damit verbundenen Preissteigerungen, zeitweise außer Kraft gesetzt werden. Die periodisch auftretenden Krisen waren größtenteils Handelskrisen, die sich von der Krise der Industriegesellschaft unterscheiden. Mit der entwickelten Industrie läßt sich der Widerspruch zwischen den Ansprüchen des Kapitals und den erreichbaren Profiten auch nicht zeitweise überwinden, woraus sich der chronische Krisenzustand ergibt.

Nach Veblen liegt es im Wesen der Maschinenproduktion und der sich mit ihr dauernd vergrößernden Produktivität, daß unter den Bedingungen der Konkurrenz die Preise fallen und die Profite eines gegebenen Kapitals sich vermindern. Die Aufrechterhaltung der Profite zwingt zur Vergrößerung der Einzelkapitale. So entsteht eine Art Wettlauf zwischen der Kapitalexpansion und der Tendenz sinkender Profite, der allerdings nur von der letzteren gewonnen werden kann. Die Divergenz zwischen den Kapitalwerten und den erreichbaren Profiten vergrößert sich; und es wird vorerst versucht, ihr durch Vertrustung und Monopolisierung zu begegnen. Aus der Monopolisierung ergibt sich jedoch die monopolistische Konkurrenz und die Wiederaufnahme des Wettlaufs. Die Sicherung profitabler Preise benötigt dann ein außerordentliches Anwachsen unproduktiver Konsumtion, eine Produktion der Verschwendung, die aber auch auf unüberschreitbare Grenzen stößt. Das Endergebnis ist ein Zustand, der als chronische Krise zu bezeichnen ist. Diese nicht mehr überwindbare Krise war für Veblen bereits vorhanden und damit die Erwartung, sollte es nicht zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Verfall kommen, daß das ökonomische System (als Geld- und Kreditsystem) durch ein anderes Produktionssystem ersetzt werden würde.

Dieses neue System wäre das vorhandene Produktionssystem ohne seine kapitalistischen Entartungen. Ihm sei schon vorgegriffen worden durch die sich ausbreitende Scheidung von Besitz und Management und einem sich herausbildenden Bewußtsein, daß die industrielle Produktion auch ohne das Dazwischentreten parasitärer kapitalistischer Institutionen vor sich gehen kann. Die zunehmende Sabotage industrieller Entwicklung durch die zerfallene Profitproduktion (bei gleichzeitig zunehmender Bedeutung der Technik und Maschinenproduktion) würde veraltete Gewohnheiten zum Abbruch bringen und neue entstehen lassen, die der industriellen Produktion besser angepaßt und der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung dienlicher sind.

Als Zweig der bürgerlichen Ökonomie verlor der Institutionalismus, trotz seiner kritischen Einstellungen, viel von der Konsequenz, die in den Arbeiten Veblens zu finden ist. Kann Veblen den Zerfall des Kapitals letzten Endes auch nur im Sinne Adam Smith's auf die profitverringernde Wirkung der zunehmenden Konkurrenz zurückführen, so bezogen sich seine Abneigungen doch auf alle Aspekte der kapitalistischen Zivilisation. Die Kritik seiner Nachfolger entsprang hingegen mehr der Angst vor dem drohenden Ende der kapitalistischen Gesellschaft, als dem Verlangen nach neuen sozialen Verhältnissen. Die unverantwortlichen Handlungen der mächtigen ‘Profithyänen’ trieben dem Untergang entgegen. „Der Institutionalismus ist ein Schrei nach Aktion, ein SOS, das man der versinkenden Welt zuruft.“[39] Ein bewußtes Eingreifen in die ökonomischen Vorgänge sei notwendig, um aus dem um sich greifenden Elend herauszufinden. Die orthodoxe Theorie bot keine Handhabe zur Lösung der sich zuspitzenden sozialen Probleme und Gegensätze. Dem wollte der Institutionalismus durch eine Reihe von Reformmaßnahmen abhelfen in Richtung einer die Mißstände des Konkurrenzkapitalismus überwindenden Planwirtschaft.

Damit konnte der Institutionalismus keinen weitgehenden oder anhaltenden Einfluß gewinnen und wurde als ein Kuriosum angesehen, das nur, und in abgewandelter Form, zur ideologischen Begründung vorübergehender staatlicher Eingriffe in den Krisensituationen dienen konnte. Um so mehr wirkte er in den verschiedenen Reformbewegungen und hier besonders der englischen Fabian-Gesellschaft.[40] Die orthodoxe Lehre behauptete das Feld der theoretischen Ökonomie, obwohl sich diese in zahlreiche, der ‘reinen Theorie’ untergeordnete Spezialgebiete verzweigte, die einer schnell wachsenden Zahl von Akademikern relativ gute Existenzmöglichkeiten vermittelten. Die rein ideologische Funktion der theoretischen Ökonomie zeigte sich auch im Anwachsen der Handelsschulen, die sich dem praktischen Geschäftsleben widmeten, das von der theoretischen Ökonomie unberührt blieb. Als apologetische Ideologie der kapitalistischen Wirtschaft fand sich die theoretische Ökonomie in wachsender Bedrängnis durch ihre stets mehr offenkundige Beziehungslosigkeit zu den wirklichen wirtschaftlichen Vorgängen. Da sie dieser Wirklichkeit nicht näher kommen konnte, ohne sich selbst aufzugeben, beschritt sie den umgekehrten Weg weiterer Abstraktion, um jeder Konfrontation mit der Wirklichkeit entgehen zu können. Sie bezog sich nun nicht mehr auf die Ökonomie schlechthin, sondern auf ein angeblich alle menschliche Betätigung betreffendes Rationalprinzip, das knappe Mittel alternierenden Zwecken anpaßt, um das bestmöglichste Resultat zu erzielen. Die Ökonomie konzentriert sich in dieser Auffassung „auf einen besonderen Aspekt des menschlichen Verhaltens, das von der Knappheit der Mittel bestimmt ist. Demzufolge fällt jede Art menschlichen Verhaltens in dem Bereich ökonomischer Verallgemeinerung. Wir sagen nicht, daß die Kartoffelproduktion eine ökonomische Tätigkeit und die Philosophie keine ist, sondern daß beide Aktivitäten, insofern sie das Aufgeben anderer erwünschter Alternativen implizieren, einen ökonomischen Aspekt haben. Außer dieser gibt es keine weiteren Beschränkungen in der wissenschaftlichen Ökonomie“[41]. Diese universale Ausdehnung der Ökonomie als Rationalprinzip war gleichzeitig ihre Reduzierung auf ein rein analytisches Verfahren, das es ablehnte, über die Wirtschaftsgestaltung selbst irgend etwas auszusagen. Damit lag auch die Wirtschaftskrise außerhalb des ökonomischen Interesses, und es bedurfte einer langjährigen weltumspannenden und sie erschütternden Krise, um diese Interessenlosigkeit aufzuheben.


Anmerkungen des Verfassers

[1] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 639.

[2] Karl Marx, Das Kapital, Bd. III, MEW 25, S. 269-270.

[3] Marx, Grundrisse, a.a.O., S. 26.

[4] Ebd., S. 170. 10

[5] Ebd., S. 644.

[6] Entwicklungsgesetze des Menschlichen Verkehrs, und der daraus fließenden Regeln für Menschliches Verhalten, 1854.

[7] Theory of Political Economy, 1871.

[8] Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, 1871.

[9] Über den Ursprung und die Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes, 1884.

[10] Kapital und Kapitalzins, 1884.

[11] Outline of the Science of Political Economy, 1836.

[12] Principles of Economics, 1890.

[13] Elements d'economie politique pure ou theorie de la richesse sociale, 1874.

[14] The Distribution of Wealth, 1899.

[15] Vgl. Fußnote 10.

[16] Die Wahrscheinlichkeit, daß Marx mit den Gedankengängen der subjektiven Wertlehre vertraut war, wird aus seinem Studium des Englischen Ökonomen W. F. Lloyd ersichtlich, auf das W. Pieper in einer Nachschrift zu einem Brief von Marx an Engels hingewiesen hat (MEW 27, S. 169). Obwohl Lloyd, noch mehr als Gossen in Deutschland und A. J. Etienne-Juvenal Dupuit in Frankreich, der Vergessenheit anheimfiel, muß er doch als einer der ersten Vertreter der subjektiven Werttheorie gelten (W. F. Lloyd, A Lecture on the Notion of Value as Distinguishable not only from Utility, but also from Value in Exchange, London, 1834). Weiterhin beschäftigte sich Marx eingehend im Kapital, wie in den Theorien über den Mehrwert mit der subjektiven Werttheorie S. Baily's (A Critical Dissertation on the Nature, Measures, and Causes of Value: chiefly in reference to the writings of Mr. Ricardo and his followers, 1825). Ebenfalls mit der Gebrauchswerttheorie in Randglossen zu A. Wagners 'Lehrbuch der Politischen Ökonomie' (MEW 19, S. 355-383).

[17] Am 5. Januar 1888 schrieb Engels an N. F. Danielson: „Mode ist hier gerade die Theorie von Stanley Jevons, nach der der Wert durch die Nützlichkeit bestimmt wird, i. e. Tauschwert—Gebrauchswert, und auf der anderen Seite durch die Größe des Angebots (i. e. durch die Produktionskosten), was nur eine konfuse Manier ist, hintenherum zu sagen, daß der Wert durch Angebot und Nachfrage bestimmt werde“ (MEW 37, S 8).

[18] MEW 25, S. 17.

[19] Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, 1908.

[20] Theoretische Nationalökonomie, 1918.

[21] Nationalökonomie, Theorie des Handels und Wirtschaftens, 1940.

[22] Economic Philosophy, 1964, S. 70.

[23] F. Machlup, 'Marginal Analysis and Empirical Research’, in: The American Economic Review, September 1946, S. 537; 547.

[24] H. Grossmann, Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik, 1969, S. 53.

[25] Traite d''economic politique, 1803.

[26] Nouveau Principes d'Economie Politique, 1819.

[27] The Industrial System, 1909; Imperialismus, 1902.

[28] Gesammelte Werke 1/1,1970, S. 731.

[29] Theorie der Wirtschaftlichen Entwicklung, 1911. 30

[30] E. Wagemann, in: Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung, 1937, H. 3, S. 243.

[31] Unter, anderen: Juglar, Des crises commerciales et de leur retour periodique, 1889; Veblen, The Theory of Business Enterprise, 1904; Karmin, Zur Lehre von der Wirtschaftskrise, 1905; Lecue, Des crises generales et periodiques de Surproduction, 1907; Bouniatan, Studien zur Theorie und Geschichte der Wirtschaftskrisen, 1908; Mitchell, Business Cycles and their Causes, 1913; Hartrey, Good and Bad Trade: An Inquiry into the Causes of Trade Fluctuations, 1913; Sombart, Der Moderne Kapitalismus, 1917; Vogel, Die Theorie des volkswirtschaftlichen Entwicklungsprozesses und das Krisenproblem, 1917; Aftalion, Les Crises periodiques de Surproduction, 1913; Mombert, Einführung in das Studium der Konjunktur, 1921; Liefman, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, 1922; Hobson, Economics of Unemployment, 1922; Kuznets, Cyclical fluctuations, 1926; Spiethoff, ‘Krisen’, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1925; Löwe, Der gegenwärtige Stand der Konjunkturforschung in Deutschland, in Testgabe für Lujo Brentano, 1925; Cassel, Theoretische Nationalökonomie, 1918.

[32] ‘Our Unstable Dollar and the so-called Business Cycle’, in: Journal of the American Statistical Association, Vol. XX, S. 192.

[33] Business Cycles: The Problem and its Setting, 1927, S. 364.

[34] On the Accuracy of Economic Observations, 1963, S. 60.

[35] Parvus war einer der ersten, der auf die längeren, den 7- bis 10jährigen Zyklus übergreifenden Aufschwungs- und Depressionsperioden aufmerksam machte (Handelskrisen und Gewerkschaften, 1902). Der holländische Ökonom J. van Gelderen sprach von einem 60jährigen Zyklus (De Nieuwe Tijd, 1913). De Wolff schloß sich ihm und Parvus an (‘Prosperitäts- und Depressionsperioden’ in Der Lebendige Marxismus, 1924). Die Theorie der „langen Wellen“ des russischen Ökonomen N. D. Kondratieff mit einer Lebenslänge von 50 Jahren fand besondere Beachtung (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 56, H. 3, 1926). Diese Theorie adaptierte Ernest Mandel für seine Beschreibung der gegenwärtigen Wirtschaftssituation (Der Spätkapitalismus, 1972.). J. B. Shuman und D. Rosenau stützen ihre Wirtschaftsprognose der weiteren Entwicklung Amerikas bis zum Jahre 1984 auf Kondratieffs ‘lange Wellen“ (The Kondratieff Wave, 1972).

[36] L. A. Hahn, Wirtschaftswissenschaft des gesunden Menschenverstandes, 1955, S. 157.

[37] A. Löwe, ‘Der Gegenwärtige Stand der Konjunkturforschung in Deutschlands in: Festgabe für Lujo Brentano, 1925, S. 359.

[38] The Theory of Business Enterprise, 1904.

[39] J. A. Estey, ‘Orthodox Economic Theory: A Defense’, in: The Journal of Political Economy, December 1936, S. 798.

[40] S. und B. Webb, The Decay of Capitalist Civilisation, 1923.

[41] L. Robbins, An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, 1945, S. 17.



Zuletzt aktualisiert am 29.5.2009