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Die zweite Weltwirtschaftskrise des neuen Jahrhunderts wurde in dem durch die imperialistische Konkurrenz entbrannten Ersten Weltkrieg aufgefangen. Die sich in den Krisen vollziehende Entwertung des Kapitals wie seine Konzentration und Zentralisierung verbanden sich nun mit der physischen Zerstörung der Produktionsmittel und Arbeitskräfte und einer damit verbundenen Verlagerung des ökonomischen Kräfteverhältnisses von den europäischen Ländern nach Amerika. Die Vereinigten Staaten wurden zum größten Export- und Gläubigerland der Welt. Die durch den Krieg herbeigeführten territorialen Veränderungen, die Ausschaltung Rußlands aus der Weltwirtschaft, die kapitalistische Reparationspolitik, der Zusammenbruch der Währungen und des Weltmarktes erschwerten den Wiederaufbau in einem weit größeren Ausmaß, als es bei einer ‘rein-ökonomischen’ Krise der Fall ist. Die Wiederbelebung der europäischen Wirtschaften vollzog sich so langsam, daß mit Ausnahme Amerikas die in den Ersten Weltkrieg einmündende Krise sich bis zum Zweiten Weltkrieg hinauszog. Der Sonderstellung Amerikas war dadurch schon von vornherein eine beschränkte Frist gegeben, die 1929 abgelaufen war. Der amerikanische Zusammenbruch trieb die gesamte Weltwirtschaft zu weiterem Verfall.
Nicht daß das Kapital sich nicht bemüht hätte, mittels amerikanischer Anleihen, weitgehender Kartellisierung, Rationalisierung der Produktion und der Inflation aus der Krise herauszukommen; aber ohne jeden Erfolg. Um nur auf das derzeit ärmste und reichste kapitalistische Land hinzuweisen, sei bemerkt, daß in den Jahren von 1929 bis 1932 die industrielle Produktion in Deutschland um 50 Prozent gefallen war, daß die Arbeitslosenzahl 1932 sieben Millionen betrug und das Nationaleinkommen von 73,4 auf 42,5 Milliarden Mark gesunken war. In Amerika war um 1932 das Nationaleinkommen ebenfalls um die Hälfte, von 87,5 auf 41,7 Milliarden Dollar gefallen, und 16 Millionen Arbeitslose registrierten den 50prozentigen Abbau der industriellen Produktion. Eine Weltwirtschaftskrise dieses Umfanges übertraf alle bisherigen Erfahrungen und konnte nicht, wie die erste Nachkriegskrise, auf den Umstand des Krieges zurückgeführt werden. Die Anhänger der Marxschen Krisentheorien aller Schattierungen sahen in der anhaltenden Krise die Bestätigung ihrer Kapitalkritik und suchten die Krisenüberwindung entweder in der Reform oder der Beseitigung des kapitalistischen Systems. Die statische Theorie des allgemeinen Gleichgewichts stand der Krise ratlos gegenüber, da sich der postulierte Ausgleichungsmechanismus nicht bemerkbar machte. Da die Regierungen der kapitalistischen Länder sich vorerst auf die Wirkungen der wirtschaftlichen Deflation verließen und nicht in das Wirtschaftsgeschehen eingriffen, ließ sich die Krise auch nicht auf eine falsche staatliche Wirtschaftspolitik zurückführen, so daß nichts übrig blieb, als die Unwilligkeit der Arbeiter, niedrigere Löhne zu akzeptieren, für sie verantwortlich zu machen. Die Beharrlichkeit der Krise und die stets weiter um sich greifende Arbeitslosigkeit zwangen die bürgerliche Ökonomie zuletzt doch zu ihrer Revision, die als ‘Keynesische Revolution [163] in die Geschichte einging.
Ohne sich gegen die neo-klassische Theorie im allgemeinen zu wenden, stellte Keynes den offen zu Tage liegenden Tatbestand fest, das die traditionelle Theorie sich nicht mit der gegebenen Situation vertrug. Der theoretisch implizierte Zustand der Vollbeschäftigung erschien ihm nun als eine mögliche, aber nicht notwendige Voraussetzung des ökonomischen Gleichgewichts. Der Standpunkt Says, daß sich das Angebot stets mit der Nachfrage decken müsse, wurde nun mit hundert Jahren Verspätung als Irrtum erkannt, da das ‘Sparen’ nicht notwendigerweise zu neuen Investitionen führt. Da die Produktion der Konsumtion zu dienen hat, die aber mit zunehmender Sättigung abnimmt, muß auch die Ausdehnung der Produktion zurückgehen und damit die des Arbeitsmarktes. So ließen sich in einer ausgereiften kapitalistischen Gesellschaft stets weniger rentable Neuinvestitionen vornehmen, was sich auch nicht bei einer radikalen Herabsetzung der Löhne änderte. Wenn es auch weiterhin zutreffend sei, daß niedrige Löhne hohe Profite ergeben und damit zu Neuanlagen anreizen, so sei es doch, in Anbetracht der Schwierigkeiten, die solchen Lohnsenkungen im Wege standen, und durch die langfristige unvermeidliche Abnahme der Akkumulationsrate nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, sich dem ökonomischen Ablauf der Dinge willenlos zu überlassen. Die Depression müsse mit einer durch die Regierung ausgelösten Expansionspolitik bekämpft werden, die sich einerseits auf eine inflationistische Geldpolitik und andererseits auf öffentliche Arbeiten auf Kosten des Staatshaushaltsdefizits zu stützen hätte.
Obwohl Keynes die zyklische Bewegung des Kapitals aus der variierenden Profitabilität des Kapitals zu erklären versuchte, entwickelte er eigentlich keine Krisentheorie. In seiner Auffassung war es die sich aus dem gesellschaftlichen Reichtum ergebende abnehmende Konsumtionsneigung, welche die Akkumulationsfreude verringerte und die Kapitalisten veranlaßte, ihr Geld nicht in Kapital zu verwandeln. Würden sie weiter investieren, so könnten sie es nur mit einer abnehmenden Profitrate, die aber in der existierenden Zinsrate ihre untere Grenze fände. Um aus der Depression herauszukommen, wäre es notwendig, die vertrauten Mittel der Krisenbekämpfung mit neuen Mitteln zu verbinden. Die Löhne müßten auf dem Wege der Inflation gekürzt, die Profitrate durch die Senkung der Zinsrate gestützt, und der verbleibende Rest der Arbeitslosigkeit durch öffentliche Ausgaben aufgesaugt werden, bis sich durch all diese Maßnahmen eine neue Konjunktur herausbildet, womit man die Wirtschaft für eine weitere Etappe dem Automatismus des Marktes überlassen könnte. Da es Keynes im wesentlichen auf die Überwindung der aktuellen Krise ankam, blieb die mit seiner Theorie verbundene langfristige Entwicklungstendenz nur ein philosophisches Ornament, dem keine unmittelbare Bedeutung zugesprochen wurde. Seine Theorie verharrte auf den Boden des stationären Gleichgewichts und war außerstande, der Dynamik des Systems gerecht zu werden.
Die keynesianische Theorie bezog sich notwendigerweise auf die nationale Ökonomie, nicht auf die kapitalistische Weltwirtschaft, da die erwünschten Regierungseingriffe sich nur im nationalen Rahmen vollziehen lassen. Allerdings verband sich damit die Hoffnung, daß die Erhöhung der Produktion in den einzelnen Ländern den Welthandel günstig beeinflussen und die internationale Konkurrenz damit an Schärfe verlieren würde. Die geforderten Maßnahmen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit zwangen zu einer Rückkehr zur klassischen Makroökonomie, die sich mit der Gesamtgesellschaft und wirtschaftlichen Aggregaten befaßt, im Gegensatz zu der fast ausschließlich gepflegten Mikroökonomie, die sich nur mit Teilanalysen separater Wirtschaftsvorgänge beschäftigt. Die praktischen Vorschläge, welcher Art auch immer, waren allerdings keine Neuentdeckungen, sondern die Wiederaufnahme von Machinationen, die während der Blüte des Laissez-faire in den Hintergrund getreten waren. Trotz eines enormen Aufwands an neugeprägter ökonomisch-technischer Terminologie steckte hinter den Anforderungen der ‘neuen Ökonomie’ nur das ordinäre kapitalistische Prinzip der Profitvermehrung mittels staatlicher Eingriffe in die Marktverhältnisse. Die durch die Krise diktierte Notwendigkeit staatlicher Wirtschaftseingriffe wurde in den Händen der Wirtschaftstheoretiker bald zur Virtualität der staatlichen Wirtschaftslenkung. Die traditionell vorherrschende Ansicht, daß alle öffentlichen Ausgaben einen unproduktiven Charakter haben, wurde nun als Irrtum angesehen, und es wurde betont, daß sie, genau so wie die privaten Investitionen, eine die Produktion und das Einkommen fördernde Wirkung haben. Alvin Hansen zufolge ergeben „Parkanlagen, Schwimmbäder, Spielplätze, genau so einen Zufluß realen Einkommens, wie die Aufrichtung einer Radios herstellenden Fabrik [...] Öffentliche Ausgaben erhöhen mit der Beschäftigung auch das Nationaleinkommen [...] Selbst ein Krieg kann durch die von ihm veranlaßten Unterlassungen neuer Investitionen eine Nachfrage in der Nachkriegsperiode mit sich bringen, die das Nationaleinkommen genau so vermehrt, wie die Neuanlagen der privaten Industrie. Kurzum, wenn der Mangel an Neuanlagen zu einem Niedergang der Wirtschaft führt, dann ist es allein die Regierung, die das Nationaleinkommen mittels öffentlicher Ausgaben vergrößern kann.“ [164] Da die Ökonomen nicht zwischen Wirtschaft und kapitalistischer Wirtschaft unterscheiden, bleibt ihnen auch verschlossen, daß Produktivität und kapitalistisch produktiv’ zwei verschiedene Dinge sind, daß öffentliche wie private Ausgaben nur dann produktiv sind, wenn sie Mehrwert erzeugen, nicht weil sie materielle Güter oder Annehmlichkeiten mit sich bringen.
In den Vorstellungen der zeitgenössischen Ökonomen tragen das private Kapital und die Regierung gleichermaßen zum Nationaleinkommen bei, und beide schöpfen aus dem großen ‘Strom’ des Einkommens. Obwohl der Regierungsbeitrag auf Steuern und Verschuldung beruht, würde die durch öffentliche Ausgaben erreichte Einkommensvermehrung die damit verbunde Zinsbelastung aufwiegen. Inflationistische Folgen wären nicht zu befürchten, solange es möglich sei, die zunehmende Geldmenge durch ein gleichmäßiges Zunehmen der Produktion und des realen Einkommens auszugleichen. Um dies nachzuweisen, wird auf ein sogenanntes ‘Accelerationsprinzip’ und ein ‘Multiplikationsprinzip’ oder auf eine Kombination von beiden verwiesen, deren Wirkungen sich unter bestimmten erdachten Annahmen mathematisch begründen ließen. Ob die Resultate dieser ‘Prinzipien’ in der Realität dieselben oder ähnliche sind, läßt sich allerdings nicht nachweisen, da die empirische Komplexität der wirtschaftlichen Vorgänge dem entgegensteht. Aber auch als theoretischer Nachweis ergibt sich nicht mehr als die verständliche Einsicht, daß, wie alle anderen Ausgaben, auch die Staatsausgaben zu weiteren privaten Ausgaben führen können, so daß die Gesamtkaufkraft über dem Betrag der ursprünglichen Staatsausgaben liegt.
Alvin Hansen bestritt, daß seine Theorie in das gewöhnliche Fach der Unterkonsumtionstheorien eingereiht werden könne. Seiner Ansicht nach resultierte die Krise nicht aus mangelnder Nachfrage nach Konsumgütern, sondern aus sich spontan herausbildenden Überinvestierungen. Da die Dynamik des Systems die Produktion von Produktionsmitteln schneller vorwärts treibt als die gesellschaftliche Konsumtion, müßte die Konsumsteigerung zum herrschenden Prinzip erhoben werden, um die Überproduktion zu vermeiden. In der modernen kapitalistischen Gesellschaft seien die Investitionen nicht mehr von der Konsumtion bestimmt, und die Kreislauftheorien der klassischen und neuklassischen Ökonomen mit ihrem Angebots-Nachfrage-Gleichgewicht wiedersprächen den wirklichen Zuständen. Die Konsumtion sei nun eine Funktion der Akkumulation, woraus sich der Krisenzyklus als unvermeidliches Ergebnis kapitalistischer Expansion ergebe. Um der Arbeitslosigkeit und Überproduktion zu entgehen, müßte mittels öffentlicher Ausgaben der öffentliche Konsum vergrößert werden: in einer Art gemischter Wirtschaft, in der die Preisrelationen mit geldlichen und fiskalischen Maßnahmen so integriert sind, daß die Wirtschaft sich auch weiterhin progressiv entfalten kann.
Dieser ‘Revolution’ in der theoretischen Ökonomie war eine ihr entsprechende und aus Notwendigkeiten entwachsene Praxis schon vorausgegangen. Sie wies unterschiedliche Formen in den verschiedenen Ländern auf. Während z. B. in den Vereinigten Staaten die Arbeitslosenhilfe aus öffentlichen Mitteln einer wahrnehmbaren Radikalisierung der arbeitenden Bevölkerung entgegentrat, nahm das Arbeitsbeschaffungsprogramm in Deutschland die Form der Aufrüstung an, um die Resultate des Ersten Weltkrieges rückgäng zu machen und die Krisensituation auf imperialistischem Wege auf Kosten anderer Völker zu überwinden. Damit diente die Integration der Marktwirtschaft mit staatlicher Wirtschaftslenkung einerseits der Verteidigung der existierenden machtpolitischen Zustände und andererseits dem Versuch ihrer Durchbrechung. Die allgemeine Krisensituation und die gegensätzlichen kapitalistischen Interessen vermischten die Krisenbekämpfung mit einer Reihe imperialistischer Abenteuer und sozialer Auseinandersetzungen, die mehr oder weniger alle Länder ergriffen und schließlich in den Zweiten Weltkrieg mündeten, der die Integrierung von Staat und Wirtschaft gewaltig vorwärts trieb. Die vollentwickelte gemischte Wirtschaft trat so zuerst als Kriegswirtschaft auf und beendete den scheinbar permanenten Krisenzustand durch die Vernichtung ungeheurer Kapitalwerte und das gegenseitige Abschlachten der Produzenten. Erst nach dem Krieg wurde die ‘neue Ökonomie’ zur Ideologie der herrschenden Klassen, da sich die staatliche Beeinflussung der Wirtschaft im Chaos der Nachkriegszeit nicht aufheben ließ. Mit Ausnahme Amerikas befand sich die Welt in den Augen der Bourgeoisie in einem Zustand tiefster Zerrüttung und benötigte politische und militärische Eingriffe, um nicht völliger Anarchie zu verfallen. Die während Krieg und Krise herausgebildeten wirtschaftlichen Funktionen des Staates konnten nur verändert, aber nicht beseitigt werden. Die sich sofort ergebende Konfrontation der Siegermächte bei der Verteilung der Kriegsbeute und der Schaffung neuer Einflußsphären vermittelte den staatlichen Institutionen auch weiterhin einen großen Einfluß auf die wirtschaftlichen Vorgänge. Die neu abgesteckten Grenzen mußten gesichert und der Wiederaufbau der kapitalistischen Weltwirtschaft mit staatlichen Mitteln in die Wege geleitet werden. Ein zunehmender Teil der gesellschaftlichen Produktion verfiel diesen Zwecken, und so blähten sich die Staatshaushalte auch weiterhin durch Besteuerung und Verschuldung auf.
Die Vorstellung, daß der ‘reife’ Kapitalismus unvermeidlich zu Stagnation und zunehmender Arbeitslosigkeit neige, die nur durch öffentliche Ausgaben aufgehoben werden könne, blieb das Gemeingut der ‘neuen Ökonomie'. Die Tatsache der Vollbeschäftigung während des Krieges galt als hinreichender Nachweis, daß staatliche Eingriffe denselben Zustand unter allen Bedingungen herbeizuführen vermögen, daß die staatlich-integrierte Wirtschaft den Krisenzyklus beenden und eine ununterbrochene Expansion der Wirtschaft ermöglichen könne. Die Einbeziehung des wirtschaftlichen Wachstums in die ökonomische Analyse benötigte die Ausbreitung einer dynamischen Theorie, die der statischen Gleichgewichtstheorie zu Seite gestellt werden konnte. Neben anderen versuchten R. F. Haarod [165] und E. D. Domar [166], durch eine Dynamisierung des keynesianischen Modells der Einkommensdetermination und mit Hilfe der Akzelerations- und Multiplikationsprinzipien den theoretischen Nachweis der Möglichkeit einer gleichgewichtigen Wachstumsrate der Wirtschaft zu erbringen.
Diese Wachstumsrate war einerseits von der Sparneigung bestimmt und andererseits von dem dazu benötigten Kapital und seinen Erträgen. Das Wachstum würde jedoch das Verlassen einer Gleichgewichtssituation bedeuten und hätte die Tendenz sich in der einmal eingeschlagenen Richtung autonom fortzubewegen und damit stets unstabiler zu werden. Da die Neuinvestitionen einen Doppelcharakter haben, indem sie einerseits das Einkommen vergrößern, andererseits jedoch die Produktionskapazität vermehren, wobei die eine Seite die Nach frage und die andere das Angebot repräsentiert, muß eine di wirtschaftliche Stabilität garantierende Wachstumsrate die zu nehmende Produktionskapazität mit der zunehmenden Nachfrage in Einklang bringen. Um dies zu ermöglichen, genüge es nicht, ein Gleichgewicht von Sparen und Investieren zu erzielen, sondern die Investitionen müßten die Ersparnisse übertreffen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. So sei das wirtschaftliche Wachstum ein Mittel, der Arbeitslosigkeit zu begegnen, aber auch eine Quelle neuer Arbeitslosigkeit, sobald das Wachstum vom Pfade einer gleichgewichtigen Entwicklung abweiche.
Wurde das statische Gleichgewicht schon als Illusion erkannt, so konnte einer gleichmäßigen Entwicklungsrate noch weniger Vertrauen geschenkt werden. Aber was ein autonomer Wachstumsprozeß nicht erreichen kann, könnte durch seine bewußte Lenkung vollbracht werden. Die Wirtschaft und ihre Entwicklung ließen sich, nach Paul Samuelson, mit einem „Fahrrad vergleichen, welches im unbesetzten Zustand die Balance verlöre, aber durch die Lenkung der menschlichen Hand stabil gehalten werden kann. In derselben Weise könnte ein Harrod-Domar-Wachstumspfad, der unter Laissez-faire-Verhältnissen unstabil wäre, durch die kompensierende und ausgleichende Geld- und Steuerpolitik der gemischten Wirtschaft stabilisiert werden.“ [167] Obwohl „in einer unexakten Wissenschaft wie der Ökonomie nichts unmöglich ist“, wäre heute doch „der Wahrscheinlichkeitsgrad einer großen Krise, eines ausgedehnten und sich dauernd verschärfenden Niedergangs, wie in den Jahren 1930, 1890 und 1870 so reduziert, daß er fast nicht existiert“. [168]
Diese Zuversicht schien in der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung ihre Berechtigung zu finden und hatte nebenbei noch das „Verdienst, den Nachweis erbracht zu haben, daß neben anderen Möglichkeiten der Entwicklung auch die des Wachstums ohne Gleichgewichtsstörungen gegeben ist, was früher von verschiedenen Forschern abgestritten wurde (u. a. von Marx in seiner Zusammenbruchstheorie)“. [169] Damit war das Problem der kapitalistischen Dynamik für die bürgerliche Ökonomie ohne Aufgabe der Gleichgewichtsbetrachtung zufriedenteilend dargelegt und fand ihren Ausdruck in der neo-neoklassischen Theorie, in der sich die statische mit der dynamischen Analyse verband.
Die Wachstumstheorien beschäftigten sich jedoch weniger mit den Wirtschaftsvorgängen der entwickelten Länder, als mit der durch den Ausgang des Zweiten Weltkrieges aufgeworfnen Frage der kapitalistischen Entwicklung unentwickelter Marionen. Allerdings war diese Frage schnell und leicht zu beantworten, wenn auch die Ausführung der in den Antworten gegebenen Vorschläge, nämlich den in den entwickelten Ländern vollzogenen Prozeß nachzuholen, auf unüberwindliche Schwierigkeiten stieß. Nichtsdestoweniger hat die Beschäftigung mit der Unterentwicklung eine neue Branche der theoretischen Ökonomie eröffnet, die den Erfolg der gemischten Wirtschaft der ganzen Welt klar zu machen versucht und zur Nachahmung empfiehlt. Aber da diese evolutionistische Entwicklungstheorie nichts mit dem Krisenproblem zu tun hat kann sie hier außer acht gelassen werden. Vom Standpunkt der Marxschen Krisentheorie bot die mit einiger Verspätung einsetzende Nachkriegskonjunktur kein Überraschung, da es die Funktion der Krise ist, die Voraussetzungen eines neuen Aufschwungs zu schaffen. Damit ist nicht gesagt, daß jede Krise imstande ist, eine neue Akkumulationsperiode einzuleiten; sie mag auch nur einen Zustand relativer Stagnation erreichen, wie für viele Länder im Gefolge des Ersten Weltkrieges, und innerhalb dieser Stagnation eine neue Krise auslösen. Mit den wachsenden destruktiven Kräften des Kapitals wird der Krieg als Krise zu einem Hindernis schneller Erholung und kann sich nur langsam in eine neue Expansion verwandeln. Unter solchen Umständen ist das Fortbestehen staatlicher Wirtschaftseingriffe eine Notwendigkeit und erscheint tatsächlich als wesentliches Instrumentarium des neuen Aufschwungs.
Führt die Stagnation der kapitalistischen Wirtschaft zu staatlichen Eingriffen, um sie erneut anzukurbeln und der Arbeitslosigkeit Herr zu werden, so ist damit nicht gesagt, daß die sich schließlich ergebende neue Konjunktur ausschließlich diesen Eingriffen zu danken ist. Sie mag aus der sich gleichzeitig und von diesen Eingriffen relativ unabhängig vollziehenden Wiederherstellung der kapitalistischen Profitabilität entstehen, wie es auch in früheren Krisen der Fall war, in denen der Staat durch eine deflationistische Politik den Krisenzustand eher verschärfte als abschwächte. War der Versuch, durch Einschränkung des Staatshaushalts die Profitabilität des Kapitals zu verbessern, ein unzureichendes Mittel, so bietet auch die Vermehrung der öffentlichen Ausgaben keine Garantie der Krisenüberwindung. In beiden Fällen hängt die weitere progressive Akkumulation letzten Endes von der sich verändernden Kapitalstruktur und einer Mehrwertrate ab, die das expandierende Kapital verwerten kann. Ohne Zweifel läßt sich die Ausdehnung der Kapitalproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg nur auf die noch ungebrochene oder wiederhergestellte Expansionskraft des Kapitals erklären, nicht aus der staatlich induzierten Produktion. Aber damit verbindet sich die Garantie einer neuen Überakkumulationskrise und die Notwendigkeit weiterer staatlicher Eingriffe.
Vom Standpunkt der ‘neuen Ökonomie' war jedoch auf eine ausreichende autonome Expansion des Kapitals nicht mehr zu rechnen, womit sich die weitere Entwicklung des Kapitals nur in der Form der gemischten Wirtschaft denken ließ. Eine skeptische Minorität der Ökonomen hielt auch weiterhin am Laissez-faire-Prinzip fest und sah in der gemischten Wirtschaft die Zersetzung der Marktwirtschaft schlechthin, die schließlich zum Zusammenbruch des Privatkapitalismus führen müsse. Die anhaltende Prosperität in den westlichen Ländern, die sich nicht direkt aus den staatlichen Eingriffen erklären ließ, drängte die keynesianischen Überzeugungen wieder in den Hintergrund, und in der akademischen Welt nahm die Mikroökonomie erneut die dominierende Stelle ein. Die staatliche Wirtschaftsbeteiligung wurde nicht nur für überflüssig gehalten, sondern sie hinderte die freie Bewegung des Kapitals, wurde also als ein die Entwicklung behinderndes Element angesehen. Allerdings blieb dieses neue kapitalistische Selbstbewußtsein der vorherrschenden Prosperität verhaftet, und wie die ‘neue Ökonomie' nicht die Laissez-faire-Lehre völlig beseitigen konnte, so war die letztere auch nicht imstande, die ‘neue Ökonomie' nur durch den Tatbestand der Prosperität zum Rückzug zu zwingen. Die gemischte Wirtschaft war bereits zur unabänderlichen Form des modernen Kapitalismus geworden, wenn auch die Art der Mischung veränderlich blieb. Die staatlichen Eingriffe konnten vermehrt oder vermindert werden, je nach den auftauchenden Notwendigkeiten der auch weiterhin unkontrollierten Wirtschaftsentwicklung. Die unerwartet schnelle und andauernde Expansion des westlichen Kapitals, in der die wirtschaftlichen Rückgänge kurzfristig genug waren, um den Begriff der Depression in den der Rezession zu verwandeln, und in der der Anteil der staatlich induzierten Produktion hinter der allgemeinen Zunahme der Produktion zurückblieb, veränderte nicht nur den Charakter der keynesianischen Theorie, sondern ergriff auch die dem Marxismus verpflichteten ökonomischen Anschauungen, um schließlich zu verschiedenen neuen Revisionen der Marxschen Kapital- und Krisentheorie zu führen. Fast allgemein an die keynesianische Theorie der mangelnden Nachfrage als Ursache der Stagnation anknüpfend, vertrat eine Reihe von Autoren [170] den Standpunkt, daß die kapitalistischen Schwierigkeiten nicht einem Mangel, sondern einem Überfluß von Mehrwert entspringen. Der Mehrwertproduktion günstige Verwandlungen in der Kapitalstruktur, wie z. B. die der Verbilligung des konstanten Kapitals als Resultat der modernen Technologie, und die mit der Monopolisierung verbundenen eigenmächtigen Preismanipulationen ergäben eine über die Akkumulationsmöglichkeiten hinausgehende Mehrwertproduktion, die sich nur auf dem Wege öffentlicher Ausgaben verbrauchen lasse. Da die kapitalistische Produktionsweise eine der zunehmenden Produktionskapazität entsprechende Verbesserung des Konsums der arbeitenden Bevölkerung ausschließe, schwanke die Wirtschaft zwischen einem Zustand der Stagnation und dem ihrer Überwindung auf dem Wege einer Verschwendungspolitik mittels Raumforschung, Aufrüstung und imperialistischer Abenteuer. So beseitige der Profitüberfluß zwar nicht die Krisen, aber diese hätten mit der sich aus der fallenden Profitrate ergebenden Krisengesetzlichkeit nichts zu tun. Damit waren diese Autoren, wenn auch auf anderen Wegen, zu der Überzeugung Tugan-Baranowskys und Hilferdings zurückgekehrt, nämlich, daß dem Kapital keine objektive Grenze gesetzt ist, da es die Produktion, trotz antagonistischer Verteilung, unbegrenzt erweitern kann, wenn auch ein Teil davon ‘irrational’ verschwendet werden muß.
Ohne hier auf die diesen Theorien anhaftenden inneren Widersprüchlichkeiten einzugehen [171], sei doch bemerkt, daß sie sich auf nicht mehr zu stützten vermochten als auf den offensichtlichen Aufschwung des westlichen Kapitals, der nicht nur die weitere Akkumulation bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebenslagen der arbeitenden Bevölkerung ermöglichte, sondern auch durch die gewachsenen öffentlichen Ausgaben unbeeinträchtigt blieb. Anders auch, als während der Depression angenommen, waren es nicht die zusätzlichen öffentlichen Ausgaben, die die Wirtschaft lebensfähig hielten, sondern die hohen Profite erlaubten den Luxus der Verschwendungsproduktion und darüberhinaus eine angebliche Verwandlung des Kapitalismus in eine ‘Überfluß- oder Konsumtionsgesellschaft’.
Allerdings verlangt die Prosperitätsperiode nach einer Erklärung, die sich nur in den aktuellen Wirtschaftsvorgängen finden läßt. Für den Marxismus ist die allgemeine Erklärung der Prosperität die einfache Anerkennung der Tatsache, daß der Profit ausreichend ist, um die Akkumulation progressiv fortzusetzen, wie sich Krise und Depression aus dem Nichtvorhandensein dieser Situation ergeben. Spezifisch, wenn auch nur nachträglich, läßt sich jede Konjunkturwelle von den in ihr auftretenden wirtschaftlichen Erscheinungen ablesen. War die lange Depression der Vorkriegsjahre durch allgemeinen Profitmangel und eine äußerst niedrigen Akkumulationsrate und durch Desinvestitionen gekennzeichnet, so nicht deshalb, weil sich die Produktivität der Arbeit plötzlich entscheidend vermindert hätte, sondern weil die existierende Produktivität nicht groß genug war, um dem angewachsenen Kapital gegenüber eine weitere profitliche Expansion zu gewährleisten. Die sich aus der existierenden Kapitalstruktur ergebende Durchschnittsprofitrate war zu niedrig, um die einzelnen Kapitale zur Ausdehnung ihrer Produktion mittels der Ausdehnung des Produktionsapparates zu bewegen, obwohl ihnen der Fall der Durchschnittsprofitrate nicht als solcher erscheint, sondern als wachsende Schwierigkeit des Warenabsatzes. Die Anforderungen an den Profit von seiten des Kapitals — aufgebläht durch fiktive und spekulative Kapitalwerte — ließen sich von der vorhandenen Profitmasse nicht befriedigen, und die daraus resultierende Profitabnahme für jedes einzelne Kapital führte mit dem Aussetzen weiterer Expansion in den allgemeinen Krisenzustand.
Der Ausweg aus dieser Situation liegt in ihrer Umkehrung, in einer Kapitalstruktur und einer Mehrwertmasse, die die weitere Akkumulation ermöglicht. Die Kombination fortwährender Kapitalvernichtung während der langen Depressionsperiode mit der enormen Akzeleration dieses Prozesses durch die Zerstörung von Kapitalwerten während des Krieges fand das überlebende Kapital in einer veränderten Welt, in der die gegebene Profitmasse einem weithin verringerten Kapital zugute kam und dessen Rentabilität entsprechend vermehrte. Gleichzeitig erlaubte die durch den Krieg forcierte technische Entwicklung eine bedeutsame Erhöhung der Arbeitsproduktivität, die, in Verbindung mit der veränderten Kapitalstruktur, die Profitabilität des Kapitals genügend anhob, um Produktion und Produktionsapparat zu vergrößern.
Das amerikanische Kapital war während des Krieges zur Akkumulation außerstande, da ungefähr die Hälfte der nationalen Produktion zu Kriegszwecken verwendet wurde. Die Nachkriegszeit war eine Periode der Aufholung der versäumten Akkumulation und der damit zusammenhängenden Erneuerung der Produktionsmittel, aus der sich eine Konjunktur ergab, in der die Arbeitslosigkeit zeitweise auf das notwendige Minimum reduzierbar war. „Zwischen den Jahren 1949 und 1968 wuchs das jedem Arbeiter gegenüberstehende Kapital um 50 Prozent, woraus sich eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität von 2,3 Prozent auf 3,5 Prozent ergab. Da das Wachstum der Produktivität das der Löhne übertraf, blieb die Profitrate des Kapitals, wenn auch relativ niedrig, so doch stabil.“ [172]Der Wiederaufbau der europäischen und japanischen Wirtschaft wurde zum Teil durch amerikanische Lieferungen und Kredite eingeleitet und finanziert, die den amerikanischen Warenexport belebten und der wachsenden Produktion Absatzmärkte weit über die der eigenen Akkumulation hinaus verschafften. Zum staatlichen Kapitalexport gesellten sich bei den ersten Anzeichen profitabler Produktion der private Kapitalexport, vornehmlich in Form von direkten Investitionen, die die Akkumulation des amerikanischen Kapitals internationalisierten und seine Verwertung erleichterten. Das sich in den Wiederaufbauländern neubildende Kapital konnte sich der entwickelten Technik bedienen und erreichte — bei gleichzeitiger Niederhaltung der Löhne — auf verschiedenen Produktionsgebieten Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Die Produktivität der Arbeit stieg in Deutschland z. B. jährlich um sechs Prozent, und ein Viertel der Gesamtproduktion wurde in zusätzlichem Kapital angelegt. Mit Ausnahme Englands war es in den anderen europäischen Ländern nicht viel anders, während in Amerika die Akkumulationsrate unter ihrem historischen Durchschnitt blieb. Die höheren Profitraten in den schneller akkumulierenden europäischen Ländern beschleunigten den amerikanischen Kapitalexport und dieser wieder die gesamtwirtschaftliche Entfaltung der Importländer. Die durch den Ausgang des Krieges geschaffenen Umstände führten zu einer außerordentlichen Vermehrung der multinationalen Gesellschaften größtenteils amerikanischen Ursprungs, die den allgemeinen Konzentrationsprozeß des Kapitals durch aktuelle Verschmelzungen und Abmachungen noch beschleunigten. Ohne auf diese bekannte Geschichte weiter einzugehen, die als ‘Wirtschaftswunder’ weitgehend gefeiert und bis zum Exzeß dokumentarisch belegt wurde, sei doch gesagt, daß sie sich auf nichts weiter bezog als auf eine beschleunigte Akkumulationsrate, die eben durch ihre Beschleunigung die Profitrate aufwärts trieb, um mit der Gesamtproduktion auch den Konsumtionsanteil entsprechend zu vermehren.
Die ‘neue Ökonomie’ war jedoch als Antwort auf den scheinbar unendenden Krisenzustand entwickelt worden. Es gab zwei Richtungen des Keynesianismus; eine, die auf die Überwindung der Krise durch staatliche Eingriffe rechnete (Pumppriming), um der Wirtschaft nach erreichter Expansion wieder freien Lauf zu lassen, und eine andere, die der Überzeugung war, daß der Kapitalismus bereits einen stationären Zustand erreicht habe und damit dauernder staatlicher Eingriffe bedürfe Die tatsächliche Entwicklung bestätigte weder die eine noch die andere Richtung, sondern führte zu einer Konjunktur bei gleichzeitigem Fortbestehen staatlicher Wirtschaftslenkung In den westeuropäischen Ländern handelte es sich dabei um die staatlich forcierte Beschleunigung der Akkumulation, so daß sich die ‘soziale Marktwirtschaft' nicht von der gemischten Wirtschaft' unterschied. In Amerika blieb jedoch die Notwendigkeit bestehen, das Produktionsniveau mittels öffentlicher Ausgaben stabil zu halten, was zu einem weiteren wenn auch langsameren Anwachsen der Staatsverschuldung
Dieser Zustand ließ sich auch mit der imperialistischen Politik Amerikas und später besonders mit dem Krieg in Vietnam begründen. Aber da die Arbeitslosigkeit nicht unter vier Prozent der Gesamtbeschäftigung fiel und die Produktionskapazität keine volle Ausnutzung fand, ist es mehr als wahrscheinlich, daß ohne den ‚öffentlichen Konsum‘ der Aufrüstung und Menschenschlächterei die Arbeitslosenzahl weit höher gestanden hätte, als es tatsächlich der Fall war. Und da ungefähr die Hälfte der Weltproduktion auf Amerika fällt, ließ sich trotz des Aufschwungs in Westeuropa und Japan nicht von einer völligen Überwindung der Weltkrise sprechen, und besonders dann nicht, wenn die unterentwickelten Länder in die Betrachtung miteinbezogen werden. So lebhaft die Konjunktur auch war, so bezog sie sich doch nur auf Teile des Weltkapitals, ohne es zu einem allgemeinen die Weltwirtschaft umfassenden Aufschwung zu bringern. Aber davon abgesehen: was die ‚neue Ökonomie‘ vertrat, war die Behauptung, daß die kapitalistische Krise aufgehört habe, eine Notwendigkeit zu sein, da jeder wirtschaftliche Niedergang durch ihm entgegenwirkende Regierungsmaßnahmen verhindert werden könnte. Der Krisenzyklus sei ein Ding der Vergangenheit, da jeder Rückgang privatrechtlicher Produktion durch eine entsprechende Vermehrung staatlich induzierter Produktion ausgeglichen werden könne. Ein ganzes Arsenal wirtschaftslenkender Mittel stände nun zur Verfügung, um das wirtschaftliche Gleichgewicht und eine gleichgewichtige Entwicklung zu gewährleisten. Eine expandierende Geldpolitik zur Stimulierung privater Investitionen, Variationen der Besteuerung, eingebaute Stabilisatoren wie die Arbeitslosenversicherung, zusammen mit der Defizitfinanzierung öffentlicher Ausgaben, garantierten einen geregelten Wirtschaftsablauf mit Vollbeschäftigung und Preisstabilität, die nur von der Regierung erwünscht zu sein braucht, um damit zur Realität zu werden.
Soweit die These der staatlich kompensierenden Wirtschaftslenkung in Frage kommt, hat die marxistische Kritik nur auf den Charakter der kapitalistischen Produktion als Profitproduktion hinzuweisen, um diese Auffassung als Illusion aufzuzeigen. Damit ist ihr jedoch nicht jede Wirkung abgesprochen. Wie die Expansion des privaten Kredits die wirtschaftliche Tätigkeit über den Punkt hinaus beleben kann, der ihr ohne ihn gesetzt wäre, so kann auch die auf dem Kreditwege erreichte Vermehrung öffentlicher Ausgaben zuerst eine die Gesamtwirtschaft anhebende Wirkung haben. Beide Maßnahmen finden ihre Schranken in der aktuellen Profitproduktion. Aufgrund dieser Schranken konnte in der abstrakten Entwicklungstheorie des Kapitals vom Kredit abgesehen werden, ohne die Theorie dadurch im geringsten zu entwerten. Wo kein Profit zu haben ist, wird auch kein Kredit angefordert, und wo sich die Wirtschaft im Niedergang befindet, wird auch selten Kredit gewährt. Allerdings ist die kapitalistische Produktion seit langem eine auf dem Kredit basierende Produktion, ohne damit an der Krisengesetzlichkeit etwas geändert zu haben. Während die Ausweitung des Kreditsystems ein krisenverzögerndes Moment sein kann, wird es beim Durchbruch der Krise, durch die größere Wucht der Kapitalentwertung, zu einem krisenverschärfenden Moment, obwohl die Entwertung letzten Endes wieder zum Krisenüberwindungsmittel wird.
Die auf dem Kreditwege ausgedehnte staatlich induzierte Produktion besagt bereits, daß die private Kreditausweitung die Krise nicht zu verhindern vermochte. Da eine mit dem Privatkapital konkurrierende staatlich induzierte Produktion die wirtschaftliche Position des Privatkapitals zunehmend erschweren würde, ohne damit an der niedrigen Profitabilität etwas zu ändern, geht es bei der staatlich induzierten Produktion um eine solche, die nicht in den Markt eingeht, um dort realisiert und akkumuliert zu werden, sondern es geht um Produktion für den 'öffentlichen Konsum'. Dieser 'öffentliche Konsum’ wird zu allen Zeiten durch die Besteuerung der Arbeiter und des mehrwertproduzierenden Kapitals bestritten, um die kapitalistisch-allgemeingesellschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Ausdehnung des 'öffentlichen Konsums’ durch Defizitfinanzierung kann auch nur durch einen Abzug vom Mehrwert und der Verminderung privater Konsumtion beglichen werden; allerdings mit einer Verzögerung, da ihre Finanzierung nicht durch zusätzliche Besteuerung, sondern durch langfristige Inanspruchnahme privaten Geldkapitals oder der Staatsverschuldung aufgebracht wird. Das ganze Problem reduziert sich zuletzt auf die einfache Tatsache, daß das, was konsumiert wird, nicht akkumuliert werden kann, so daß die wachsende ‚öffentliche Konsumtion‘ kein Mittel sein kann, um eine zum Stillstand gekommene oder sich vermindernde Akkumulationsrate in ihr Gegenteil zu verkehren. Ist dies trotzdem der Fall, so nicht aufgrund der öffentlichen Ausgaben, sondern aufgrund einer durch die Krise vollzogenen Wiederherstellung der Profitabilität des Kapitals, die weitreichend genug ist, um trotz der vermehrten öffentlichen Ausgaben zu neuer Expansion vorzustoßen. Dies ändert sich auch nicht dadurch, daß die durch die Staatsausgaben vermittelte Wirtschaftsbelebung zum Impetus weiterer Expansion wird, da die Expansion selbst nur durch die aktuelle Vergrößerung des privaten Mehrwerts erreicht werden kann. Andernfalls kann die staatlich induzierte Produktion nur zu einem weiteren Abgleiten der Akkumulationsrate führen. Die gemischte Wirtschaft besagt, daß ein Teil der nationalen Produktion nach wie vor Profitproduktion des privaten Kapitals ist, während ein kleinerer Teil sich aus staatlich induzierter Produktion zusammensetzt, die keinen Mehrwert abwirft. Der Gesamtproduktion steht damit eine verminderte Profitmasse zur Verfügung. Da der Staat im allgemeinen nicht über Produktionsmittel und Rohstoffe verfügt, muß er sich des brachliegenden Kapitals bedienen, um die staatliche Produktion in Gang zu setzen, d. h. mittels Staatsaufträgen an verschiedene Unternehmen, die das geforderte Produkt an den Staat verkaufen. Diese Unternehmen müssen ihr Kapital verwerten und die von ihnen angestellten Arbeiter Mehrwert erzeugen. Dieser ‘Mehrwert’ wird jedoch nicht auf dem Markt im Austausch mit anderen Waren ‘realisiert’, sondern durch das geborgte Geld der Regierung. Die Produkte selbst werden entweder verwendet oder vergeudet.
Für die mit Staatsaufträgen arbeitenden Kapitalisten hat sich das Leben erleichtert, da sie die Produktions- und Realisierungssorgen los geworden sind. Ihr Einkommen findet sein Äquivalent in der Besteuerung und der Staatsschuld. So realisiert der mit Staatsaufträgen gesegnete Teil des Kapitals seinen Profit genau so, wie der Teil des profitlich für den Markt produzierenden Kapitals. Es hat den Anschein, als ob die staatlich induzierte Produktion den Gesamtprofit vergrößert hätte. Aber in Wirklichkeit ist nur der auf dem Markt realisierte Mehrwert frisch produzierter Mehrwert, während der durch Staatsankäufe ‘realisierte’ Mehrwert sich auf einen in der Vergangenheit in Geldkapital vergegenständlichten Mehrwert bezieht.
Würde die Krise die Profitabilität des Kapitals völlig und allgemein vernichten, so hörte damit die kapitalistische Produktion auf. Aktuell bleibt auch beim tiefsten Krisenpunkt ein Teil des Kapitals profitabel, um die Produktion, wenn auch in beschränktem Maße, weiterzuführen. Ein anderer Teil fällt der Krise zum Opfer und trägt dadurch zur Aufrechterhaltung der Profitabilität der weiterproduzierenden Kapitale bei. Ließe man diesem Prozeß freien Lauf, wie es in den Krisen des 19. Jahrhunderts weitgehend geschah, so würde sich nach einer kürzeren oder längeren Leidensperiode ein Zustand herausbilden, in dem das Kapital, mit verwandelter Struktur und höherem Ausbeutungsgrad, über die vor der Krise erreichte Akkumulationshöhe zu weiterer Akkumulation vorwärts schreiten kann. Unter den Umständen jüngeren Datums ist dieser ‘Heilungsprozeß’ gesellschaftlich zu riskant und erzwing staatliche Eingriffe, um sozialen Erschütterungen vorzubeugen.
Durch die bereits erreichte hohe Konzentration des Kapitals verlieren die sich auf dem Wege der Konkurrenz vollziehende Kapitalentwertung und die Verbesserung der Profitabilität mittels der Kapitalkonzentration einen großen Teil ihrer Wirkung, es sei denn, daß sie sich über den nationalen Rahmer hinaus auf die Weltwirtschaft ausdehnen, was zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen muß. Da die konzentrierten Kapitale die gesellschaftlichen Notwendigkeiten auch in ihrer kapitalistischen Bestimmung völlig unberücksichtigt lassen, müssen diese Notwendigkeiten auf politischen Wege gesichert werden, z. B. durch staatliche Subventionen, um notwendige Produktionszweige trotz mangelnder Profitabilität aufrecht zu erhalten. Kurzum: damit die Gesellschaft lebensfähig bleibt, muß der Staat in die Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Profits eingreifen.
Die staatlich induzierte Produktion ist eine Form staatlicher Wirtschaftslenkung, die sich auf die Umverteilung des gesellschaftlichen Gesamtprofits bezieht, ohne etwas an dessen Größe zu ändern. Da die zusätzliche Produktion keinen zusätzlichen Profit ergibt, kann sie nicht der Akkumulation des Kapitals dienen. Die Krise resultierte jedoch aus der unzulänglichen Akkumulation; eine Situation, die sich durch die staatlich induzierte Produktion nicht aufheben läßt. Unter der Annahme eines zur weiteren Akkumulation unfähigen Kapitalismus, also einer fortdauernden Krisensituation, die als eine Möglichkeit zur Wirklichkeit werden kann, ergäbe sich aus der Krisenbekämpfung mittels vermehrter unprofitabler öffentlicher Ausgaben auf dem Wege der Defizitfinanzierung das folgende Bild: Der Staat kauft mit geborgtem Gelde Produkte, die anderweitig nicht hergestellt worden wären. Diese zusätzliche Produktion hat einen sofortigen positiven Effekt auf die Gesamtwirtschaft, ohne daß dies mit den gängigen, rein spekulativen und auf der unhaltbaren bürgerlichen Wirtschaftstheorie basierenden Modellen des Multiplikationstheorems in Verbindung zu bringen wäre. Es ist selbstverständlich, daß jede neue Investition, ganz gleich von wo sie ausgeht, die wirtschaftliche Tätigkeit vermehren muß, wenn sie nicht zugleich zu Desinvestitionen führt, die ihren Effekt wieder aufheben. Produkte werden erzeugt, Arbeiter beschäftigt, und die allgemeine Nachfrage muß sich den Neuinvestitionen entsprechend vermehren. Da aber der vermehrte Teil der Produktion keinen Profit abwirft, ändert sich nichts an den Akkumulationsschwierigkeiten des Kapitals. Jedoch bleiben diese Schwierigkeiten vorerst nur bestehen, ohne durch die staatlich induzierte Produktion vermehrt zu werden. Da unter unserer Annahme das private Kapital nicht akkumuliert und die staatlich induzierte Produktion als Produktion für den ‚öffentlichen Konsum‘ nichts zur Akkumulation beitragen kann, zwingt die Aufrechterhaltung des erreichten Produktionsniveaus zu fortlaufend zusätzlichen staatlichen Ausgaben, also zum dauernden Anwachsen der Staatsverschuldung. Mit den vom Staatshaushalt eingegangenen Zinsverpflichtungen ergibt sich die Notwendigkeit einer entsprechenden höheren Besteuerung des privaten Kapitals. Natürlich sind diese Zinszahlungen eine Einkommensquelle für die Gläubiger des Staates und gehen als solche wieder in die Konsumtion ein oder werden neu angelegt, entweder in der privaten Wirtschaft oder wieder in Staatspapieren. Aber es handelt sich hier doch nur um ein und dieselbe Summe, die als Profit aufgegeben wurde, um als Zins an anderer Stelle aufzutreten. Da ein nicht-akkumulierendes Kapital nicht einfach mit einem stationären Zustand gleichgesetzt werden kann, sondern einen regressiven Zustand impliziert, muß sich mit dem fortlaufenden Verfall der Wirtschaft die Notwendigkeit immer weitergehender staatlicher Eingriffe ergeben, die jede neue Aufschwungsmöglichkeit des privaten Kapitals in zunehmenden Maße beeinträchtigen. Die kompensierende staatlich induzierte Produktion wird damit von einem ursprünglichen Mittel der Krisenerleichterung zu einem Mittel der Krisenvertiefung, da sie einen wachsenden Teil der gesellschaftlichen Produktion ihres Kapitalcharakters entkleidet, nämlich der Fähigkeit, zusätzliches Kapital zu produzieren.
Mit diesem Bild fortlaufender Krisenzustände soll nur aufgezeigt werden, daß, weit davon entfernt ein Krisenüberwindungsmittel zu sein, die unprofitable staatlich induzierte Produktion im Laufe der Zeit die kapitalistische Produktionsweise
selbst in Frage stellen muß. Da die Krise jedoch die Elemente ihrer Überwindung aus sich selbst heraus entwickelt, verliert sich die Notwendigkeit dauernd zunehmender staatlich induzierter Produktion; abgesehen davon, daß die Regierungen als kapitalistische Regierungen — aus ihren eigenen Bedürfnissen heraus die staatlich induzierte Produktion dort abbrechen werden, wo sie dem System bedrohlich zu werden beginnt. Um die kapitalistische Wirtschaft zu erhalten, muß nicht nur produziert, sondern mehr Profit produziert werden. Ließe sich der Profit durch zusätzliche Produktion schlechthin vermehren, so würde sich das Kapital von selbst darum bemühen, und es bedürfte nicht der staatlichen Intervention. Die bürgerliche Ökonomie denkt nicht in den Kategorien der Wert- und Mehrwertproduktion. Für sie ist der Profit angeblich nicht das bestimmende Moment der Wirtschaft und ihrer Entwicklung, ja sie streitet sogar die Existenz des Profits ab. „Was gewöhnlich Profit genannt wird“, schreibt z. B. Paul Samuelson, „ist nichts anderes als Zinsen, Renten, Löhne unter einem anderen Namen.“ [173] Wo zwischen Lohn und Profit nicht unterschieden wird, da bleibt auch das Verhältnis zwischen Produktion und Profitproduktion im Dunkel, und jede Art von Tätigkeit stellt sich gleichwertig im Nationaleinkommen dar, von dem ein jeder, seinem Beitrag gemäß, seinen Anteil erhält. In der in Geld ausgedrückten Gesamtproduktion verschwindet der Unterschied zwischen profitabler und unprofitabler Produktion, und die staatlich induzierte Produktion verschmilzt mit der privaten Produktion in einem Amalgam von Preisrelationen, in dem alle Katzen grau sind. Das gesellschaftliche Gesamtprodukt tritt als Nationaleinkommen auf, in dem die gegensätzliche Bewegung von Produktion und Profitproduktion ausgelöscht ist. So kann die bürgerliche Ökonomie nicht die Konsequenzen ihrer eigenen Empfehlungen ersehen.
Dennoch beanspruchte die ‘neue Ökonomie’ für sich die Ehre, den Schlüssel zur Überwindung des Krisenproblems gefunden zu haben. Es stellte sich erst später heraus, daß sie sich mit fremden Federn schmückte, daß die tatsächliche Überwindung der Krise nichts mit den keynesianischen Krisenüberwindungsmechanismus zu tun hat. Deshalb kann ihr aber nicht, wie schon gesagt, jede ökonomische Wirkung abgesprochen werden, da ihre Anwendung einer neuen Konjunktur tatsächlich als Anstoß dienen kann, wenn die Möglichkeit einer solchen Konjunktur vorliegt. An sich kann die zusätzliche staatlich induzierte Produktion den gesellschaftlichen Mehrwert nicht vergrößern und muß ihn bei weitgehender Entfaltung vermindern. Trotzdem kann die damit verbundene Ausdehnung der Produktion wie jede Kreditausdehnung den Krisenzustand abschwächen, da ihre negative Einwirkung auf den Gesamtprofit erst an einem späteren Zeitpunkt bemerkbar wird. Wenn es dem Kapital in der Zwischenzeit gelingt, sich aus der Krise herauszuarbeiten, so mag dies als ein Resultat der staatlichen Eingriffe erscheinen, obwohl diese Eingriffe, ohne die eigenmächtige Verbesserung der Verwertungsbedingungen des Kapitals, erfolglos geblieben wären. Aber dennoch gewährt die staatlich vermehrte Produktion dem privaten Kapitel unmittelbar einen weiteren Spielraum und einen besseren Boden für die eigenen Bemühungen, aus der Profitknappheit in die Akkumulation zu kommen. Es ist deshalb kein Widerspruch, in den fiskalpolitischen Maßnahmen der Regierung ein krisenabschwächendes und ein krisenverschärfendes Moment zu sehen. Die durch die Defizitfinanzierung ermöglichte zusätzliche Produktion stellt sich als zusätzliche Nachfrage dar, aber es ist eine Nachfrage besonderer Art, da sie sich zwar aus der gesteigerten Produktion ergibt, aber es handelt sich um eine gesteigerte Gesamtproduktion ohne eine entsprechende Steigerung des Gesamtprofits. Die zusätzliche Nachfrage setzt sich aus dem durch den Staat in die Ökonomie geleiteten Geld zusammen: aus dem Regierungskredit. Sie ist nichtsdestoweniger unmittelbar zusätzliche Nachfrage, die die Gesamtwirtschaft belebt und zum Ausgangspunkt einer neuen Konjunktur werden kann, wenn dieser nicht unüberwindliche Schranken entgegenstehen. Aber nur unter solchen Umständen kann die unprofitable Expansion der Produktion der profitablen Expansion den Weg ebnen, ohne damit ihren kapitalistisch-unproduktiven Charakter zu verlieren. Es ist die kapitalistisch-unproduktive Natur der staatlich induzierten Produktion, der ihrer Anwendung in der kapitalistischen Gesellschaft definitive Schranken setzt, die desto schneller erreicht werden, je länger das Kapital im Krisenzustand verharrt.
Unter allen Umständen wird die staatlich induzierte Produktion nicht durch den Staat selbst ermöglicht, sondern durch seine Kreditfähigkeit. Sie muß also vom privaten Kapital getragen werden. Das ausgeliehene Geld, das zur Erhöhung der Nachfrage benutzt wird, ist Privatkapital. Es ist so das Privatkapital selbst, das das Defizit finanziert und dazu bereit ist, weil es eben nicht nach gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten handeln oder denken kann. Das der Regierung zur Verfügung gestellte Geld wirft Zinsen ab, und diese sind es, die einer Gruppe des Kapitals Veranlassung genug sind, dem Staat ihr Geld zu leihen. Ist dieser Prozeß einmal im Gang, so ergibt sich aus ihm eine wachsende Steuerbelastung des noch profitabel produzierenden Kapitals, das damit in die Finanzierung des Defizits einbezogen wird. So setzt der Staat einen Prozeß in Bewegung, der das Gesamtkapital, als Geldkapital und als produktives Kapital, zu einem Teil unprofitabler Produktion veranlaßt. Da selbst ein Teil des Kapitals, wie schon bemerkt, auch während der Krise Profite macht, ohne diese in zusätzliches Kapital zu verwandeln, wird diesem Teil des Kapitals die Profitabilität durch die sich ausdehnende staatliche Produktion noch weiter beschnitten, womit im Laufe der Zeit die Unwilligkeit zur Aufnahme von Neuinvestitionen in ihre objektive Unmöglichkeit umschlägt. In diesem Sinne muß — ohne autonome Wiederaufnahme profitabler Akkumulation — die staatlich induzierte Produktion als Folge der Krise zur Ursache ihrer weiteren Vertiefung werden. Die positive Wirkung staatlicher Eingriffe auf die Wirtschaft ist damit nur temporärer Natur und schlägt in ihr Gegenteil um, wenn sich die erhoffte Belebung der profitablen Produktion nicht vollzieht oder zu lange hinauszögert. Die Vertreter der ‘neuen Ökonomie’ hatten, wie man so sagt, ‘Schwein gehabt', daß die von ihnen nicht erwartete neue Konjunktur sich zugleich mit den staatlichen Eingriffen entfaltete. Wäre das nicht der Fall gewesen, dann hätte die staatliche Produktionserweiterung wohl zuerst auch eine belebende Wirkung gehabt, die sich jedoch im Laufe der Zeit progressiv vermindert hätte, um zuletzt selbst zu einem Hindernis der Krisenüberwindung zu werden. Läßt sich der Keynesianismus nicht für die aktuelle Prosperität verantwortlich machen, dann enthält er auch nicht das Instrumentarium der Krisenüberwindung, und die kapitalistische Krisengesetzlichkeit geht ihren eigenen Weg, wie es auch vor dem Auftauchen der ‘neuen Ökonomie’ der Fall war.
Die lange Aufschwungsperiode war jedoch eindrucksvoll genug, um — ähnlich wie um die Jahrhundertwende — der Erwartung Raum zu geben, daß der Konjunkturzyklus zu einer Verflachung. tendiere, womit den milder werdenden Depressionsperioden mit bescheideneren Regierungsmaßnahmen begegnet werden könnte. Die sich auch weiterhin vollziehenden Unterbrechungen der Expansion wären nichts weiter als' ‘Wachstumsrezessionen’, die den schon erreichten Stand der Produktion nicht beeinträchtigten; oder einfache Pausen innerhalb einer ununterbrochenen Steigerung der Produktion. Beim Eintreten solcher Pausen würde die staatliche Geld- und Fiskalpolitik ausreichen, um die eintretende Divergenz zwischen Nachfrage und Angebot wieder aufzuheben und dem weiteren Wachstum freie Bahn zu machen. Der durch die schnelle Entfaltung der Profitproduktion ermöglichte relative Rückgang der Defizitfinanzierung öffentlicher Ausgaben verstärkte die Überzeugung, daß das Zusammenspiel der Marktwirtschaft mit staatlicher Wirtschaftslenkung ein für allemal das Krisenproblem aus der Welt geschafft hätte. Strich die Besteuerung auch einen großen Teil des Nationaleinkommens ab, in Amerika z. B. 32 Prozent, in der Bundesrepublik 35 Prozent, so wuchsen die Staatsausgaben doch nicht schneller als die Gesamtproduktion. Nahm die Staatsverschuldung weiter zu, so doch in langsameren Tempo. In Amerika betrug z. B. die Staatsschuld 278,7 Milliarden Dollar im Jahre 1945 und 493 Milliarden Dollar im Jahr 1973. Die Zinsverpflichtungen erhöhten sich von 3,66 Milliarden Dollar (1945) auf 21,2 Milliarden Dollar (1973). Der Anteil der Zinskosten am Nationalprodukt blieb jedoch derselbe, nämlich 1.7 Prozent. Diese Verhältnisse gestalteten sich in verschiedenen Ländern unterschiedlich. Was hier interessiert: bei einer schneller wachsenden Gesamtproduktion kann die Zinsbelastung durch die wachsende Staatsverschuldung stabil gehalten werden.
Der gewachsene Anteil des Staates am nationalen Gesamtprodukt stellt einen Abzug vom Gesamtmehrwert dar; ein Mehrwertteil, der nicht in die Akkumulation des privaten Kapitals eingehen kann. Aber die sich trotzdem vollziehende private Kapitalakkumulation kann diesen Mehrwertteil relativ stabil halten, während er absolut, wenn auch langsam, zunimmt. Das sich ergebende Verhältnis zwischen der staatlichinduzierten Produktion und der Gesamtproduktion, zwischen der Staatsverschuldung und dem Nationaleinkommen mag sich so gestalten, daß die Produktion, bei gleichbleibender Akkumulationsrate, sich mit relativ niedriger Profitrate fortlaufend vermehrt. Aber dieses Verhältnis ist äußerst empfindlich, eben wegen der relativ niedrigen Profitrate, die von der fortlaufenden Akkumulation weiterhin gegensätzlich beeinflußt wird. Einerseits hebt die Akkumulation die Produktivität der Arbeit an, andererseits drückt die mit ihr verbundene höhere organische Zusammensetzung des Kapitals auf die Profitrate. Jede neu eintretende Divergenz zwischen Profitabilität und Akkumulation muß den dem Staate zufallenden und bisher tragbaren Mehrwertteil zu einem die weitere Akkumulation erschwerenden Faktor machen. So ist die erste Reaktion des privaten Kapitals beim Fallen der schon niedrigen Profitrate die Forderung nach der Beschneidung der öffentlichen Ausgaben oder der Wiederherstellung eines Verhältnisses zwischen staatlich induzierter Produktion und Gesamtproduktion, welches die Akkumulation unbeeinträchtigt läßt. Mit der Akkumulation des Kapitals nimmt auch seine Empfindlichkeit dem Profit gegenüber zu. Um dem Druck der abgleitenden Durchschnittsprofitrate zu entgehen und die Verwertung des gewachsenen Kapitals sicherzustellen, versucht das sich monopolisierende Kapital seine Angebotspreise den eigenen Profitbedürfnissen anzupassen und seine eigene Akkumulation von den Marktvorgängen unabhängig zu machen. Allerdings ist dies nur innerhalb bestimmter Grenzen möglich. Da sich weder das gesellschaftliche Gesamtprodukt noch der Gesamtmehrwert durch Preismanipulationen vergrößern lassen, kann sich der Monopolprofit nur aus dem weiteren Fall des Profits der der Durchschnittsprofitrate unterworfenen konkurrierenden Kapitale ergeben. In dem Maße, in dem der Monopolprofit über dem Durchschnittsprofit liegt, reduziert er den letzteren und zerstört damit fortlaufend seine eigene Basis. Damit tendiert der Monopolprofit zum Durchschnittsprofit, ein Prozeß, der sich allerdings durch die internationale Ausdehnung der Monopolisierung verzögern läßt. Aber diese ungleichmäßige Aneignung des gesamtgesellschaftlichen Mehrwerts kann dessen Größe nicht beeinflussen, es sei denn, daß die Monopolisierung nicht nur die Preisbestimmung, sondern auch den Produktionsprozeß in dem Sinne miteinbezieht, daß die Vernichtung konkurrierender Kapitale zu einem gleichzeitigen Anwachsen der Produktivität der Arbeit und damit des Mehrwerts führt.
Weit mehr als unter Laissez-faire-Verhältnissen ist die Entwicklung des Kapitals in der gemischten Wirtschaft und unter den Einwirkungen der Monopole von einer schnell zunehmenden Mehrwertmasse bestimmt. Da das Wachsen der Produktion ein gleichmäßiges Wachsen des Profits ausschließt und damit schneller als der Profit wachsen muß, um diesen den Akkumulationsansprüchen gegenüber adäquat zu halten, kann sich die Akkumulationsrate nur bei Strafe der Krise verlangsamen. Umgekehrt setzt die Akkumulation wieder ausreichende Profite voraus. Aber so wie der monopolistische Profit über längere Zeiträume hinaus auf Kosten des allgemeinen Profits erreicht werden kann, so kann auch der allgemein Profit für beträchtliche Zeiten auf Kosten der Gesamtgesellschaft erhalten bleiben. Die Mittel zu diesem Zweck finden sich in der staatlichen Geld- und Fiskalpolitik. Die Akkumulation des Kapitals stellt selbst kein Problem da solange die dazu benötigten Profite vorhanden sind. Sie vollzog sich für lange Zeiten in weitgehender Unabhängigkeit von staatlichen Eingriffen. Die Anwendung der staatlichen Geld und Fiskalpolitik zur Beeinflussung der Wirtschaft deutet auf einen Zustand hin, in dem die Akkumulation zu einem Problem geworden ist, das sich nicht länger ohne bewußte Ein Wirkung auf die Wirtschaftsvorgänge bewältigen läßt. Da Problem ist mit dem einen Wort Profit umrissen. Jedes Kapita hat sich um den eigenen Profit zu sorgen, aber eben weil c das tut, ergibt sich die Krise der Überakkumulation, deren periodisches Auftreten gesellschaftlich stets untragbarer wird. Die Folgen der Krise — Überproduktion und Arbeitslosigkeit — können durch die Vermehrung öffentlicher Ausgaben gemildert werden, aber die Ursache der Krise, nämlich der die weitere Akkumulation hindernde Profitmangel, kann damit nicht beseitigt werden. Nach wie vor bleibt es dem Kapital überlassen, sich aus der Krise herauszuwinden. Um dem Kapital nicht zusätzliche Schwierigkeiten in den Weg zu legen, werden die vermehrten öffentlichen Ausgaben auf dem Wege des Defizits finanziert. Die Besteuerung des Kapitals kann damit fürs erste weitgehend zurückgehalten werden, um den zur Akkumulation benötigten Mehrwert nicht weiter einzuschränken. Daraus ergibt sich jedoch ein inflationärer Prozeß, der, einmal im Gang, die weitere Entwicklung der kapitalistischen Produktion bestimmt.
Die Inflation gehört zum Arsenal des Keynesianismus. Durch das schnellere Anwachsen der Preise gegenüber den Löhnen vermehrt sich der zur Expansion notwendige Profit, und durch die beschleunigte Geldschöpfung reduziert sich der Zinsfuß, was die Investitionen erleichtert. Die Inflation ist hier als ein Mittel der Mehrwertvergrößerung gesehen und findet in ihr seine Zweckmäßigkeit. Der durch die Inflation gewonnene Mehrwert ist gleich der Reduzierung des Werts der Arbeitskraft, plus des Mehrwerttransfers vom Geldkapital zum produktiven Kapital, womit sich die Akkumulation entsprechend anheben läßt.
Die Injektionen der von der Regierung geborgten Gelder beziehen sich auf eine profitlose Produktion. Obwohl deren Endprodukte in den Bereich des ‚öffentlichen Konsums‘ fallen und damit nicht auf dem Warenmarkt auftreten, vermehrt ihre Produktion unmittelbar die Gesamtnachfrage. Die gewachsene, in die Zirkulation eingehende Geldsumme erlaubt damit Preissteigerungen auch für die den privaten Konsum betreffenden Warenmengen. In Kriegszeiten wird dieser Prozeß direkt ersichtlich. Um die Inflation zu vermeiden, die sich aus einer abnehmenden oder gleichbleibenden Warenmenge bei einem durch die Kriegsproduktion wachsenden Geldeinkommen ergeben würde, gehen die Regierungen zum Zwangsparen und zur Rationierung der Gebrauchsmittel über. Wenn auch in schwächerer Form, ist die durch die Defizitfinanzierung vermittelte Vermehrung des Geldes ein nicht aufgehaltener inflatorischer Prozeß, da der durch die gewachsene Geldmenge ermöglichten Erhöhung der Preise nichts entgegensteht.
Der zugenommenen, in die Zirkulation eingehenden Geldsumme steht vorerst ein unveränderter Gesamtmehrwert gegenüber, der sich in einer gegebenen Warenmenge darstellt. Die durch den Geldzuwachs ermöglichten Preissteigerungen verbessern die Profitabilität des Kapitals. Dem in der Produktion erzielten Mehrwert wird der Teil hinzugefügt, der sich aus den Preissteigerungen oder dem Kaufkraftverlust des Geldes ergab. Damit ist nicht nur der Wert der Arbeitskraft über den Umweg der Zirkulation verringert, sondern auch der Anteil der vom Mehrwert zehrenden Bevölkerungsschichten, um den Anteil des Kapitals entsprechend zu vermehren. Es handelt sich hier um eine zweite Teilung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts zugunsten des Kapitals, die an dem Gesamtprodukt selbst nichts ändern kann. Erst wenn der aus der Zirkulation gezogene zusätzliche Mehrwert in die Akkumulation eingeht und mit der größeren Produktivität der Arbeit das gesellschaftliche Produkt vermehrt, hat sich die vergrößerte Profitmasse aus der Geldform in die Kapitalform verwandelt. Andernfalls führt die verbesserte Profitabilität nur zu einem weiteren Fall der privaten Nachfrage und einem größeren brachliegenden Kapital.
Die dem Kapital zufallenden realen Inflationsgewinne sind nur eine andere Form der sich in jeder Krise vollziehenden Entwertung der Arbeitskraft. Wurde dies traditionell auf deflatorischem, so nun auf inflatorischen Wege herbeigeführt, nicht durch das Senken der Löhne, sondern durch das Steigen der Preise, oder eine Kombination beider Mittel. Der Profitvermehrung auf dem Wege der Inflation sind jedoch unüberschreitbare Schranken gesetzt, da die Reduzierung des Werts der Arbeitskraft absolute Grenzen hat und selbst diese durch den Gegenangriff der Arbeiter nicht erreicht werden können. Zudem verbindet sich mit der vermehrten Gesamtnachfrage auch die nach Arbeitskraft und beschränkt schon dadurch den Abbau der Löhne durch die Preisinflation. Die Krise kann erst dann als überwunden gelten, wenn sich die Expansion des Kapitals ohne Wertreduzierung der Arbeitskraft vollzieht und die neue Konjunktur sich mit zunehmenden Löhnen verbindet. Das läßt sich durch die öffentlichen Ausgaben’ der Regierung nicht erreichen, da sie letzten Endes nichts weiter vermögen, als einen wachsenden Teil des in Geldform vorliegenden Mehrwerts im ‚öffentlichen Konsum‘ auszulöschen. Wird zu dieser Politik trotzdem gegriffen, so deshalb, weil keine andere Wahl vorhanden ist; es sei denn, daß das Kapital das Risiko großer Arbeitslosigkeit und einer weiterreichenden Kapitalzerstörung eingehen will alt die, welche sich aus dem ‚öffentlichen Konsum‘ ergibt. Es handelt sich hier um eine in den Kauf genommene und regulierte Kapitalvernichtung, in der Erwartung, daß das System aus sich selbst heraus die Bedingungen einer weiteren progressiven Kapitalakkumulation entwickeln wird; also nicht um eine Kontrolle der Wirtschaft, sondern um die der Krise. Damit die wachsenden öffentlichen Ausgaben nicht zu einem die Krise vertiefenden Faktor werden, muß es dem Kapital gelingen, die wachsende Staatsverschuldung in den Grenzen zu halten, die ihr durch die aktuelle Mehrwerterzeugung gesetzt sind, und zugleich die Bedingungen weiterer Akkumulation herzustellen, d. h. den Profit schneller zu vermehren, als er in der profitlosen Produktion verloren geht. Es handelt sich hier jedoch immer nur um die Kosten der zusätzlichen staatlich induzierten Produktion zur Verminderung der Arbeitslosigkeit, nicht um den anderweitig benötigten staatlichen Mehrwertanteil, der unter allen Bedingungen dem Gesamtmehrwert abzuziehen ist. Da der Anteil des Staates am Gesamtmehrwert auch ohne die zusätzliche staatlich induzierte Produktion dauernd gewachsen ist, ist seine Vermehrung durch die staatlich induzierte Produktion ein weiteres die Kapitalakkumulation erschwerendes Hindernis, aber ein Hindernis, das sich wegräumen läßt, wenn es dem Kapital gelingt, durch seine weitere Akkumulation die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Das erfordert jedoch eine Akkumulationsrate, bei der sich die absolute Zahl der mehrwertproduzierenden Arbeiter derartig vermehrt, daß ihr mit der höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals verbundener relativer Rückgang im Zustand der Vollbeschäftigung aufgehoben wird. Eine sich diesem Zustand annähernde Akkumulationsrate wurde in den Konjunkturen einiger westeuropäischer Länder erreicht und führte zum Import von Arbeitskräften, der allerdings darauf hinwies, daß in anderen Ländern die Arbeitslosigkeit bestehen blieb. In den Vereinigten Staaten stabilisierte sich die Arbeitslosigkeit um 4 Prozent der Gesamtbeschäftigung — ein offiziell etablierter Prozentsatz, der nun als ‘normal’ angesehen wurde, ohne dem Begriff der Vollbeschäftigung Abbruch zu tun.
Die Tatsache, daß die zusätzliche staatlich induzierte Produktion insoweit, als sie im Staatshaushaltsdefizit zum Ausdruck kommt, bisher nur einen kleineren Bruchteil der Gesamtproduktion betraf, und die andere Tatsache, daß ihre Kosten sich vorerst auf die Verzinsung des dem Staate gewährten Kredits beschränkten, also nur einen Bruchteil des im ‚öffentlichen Konsum‘ verschwindenden Kapitals beanspruchten, verschob die damit verbundene Belastung des Privatkapitals auf einen späteren Zeitpunkt und hatte keine unmittelbare negative Wirkung. Allerdings hat das der Regierung geliehene Geld die Form der Staatsschuld angenommen, hinter der nichts steht, als das Versprechen der Regierung, die Schulden eines Tages abzutragen und den Gläubigern inzwischen Zinsen zu zahlen. Das von der Regierung angewandte Geldkapital ist nicht als Kapital verwandt worden und damit erhalten geblieben, sondern als ‚öffentlicher Konsum‘ aus der Welt geschieden. Soll die Staatsverschuldung abgetragen werden — was allerdings nicht der Fall zu sein braucht —, so kann dies nur durch neuen, in der Produktion frisch erzeugten Mehrwert geschehen, was jedoch nichts daran ändert, daß der in der Staatsverschuldung ausgedrückte Mehrwert spurlos verschwunden ist und seinem Ausmaß gemäß nicht in die Akkumulation des Kapitals eingegangen ist.
Daraus ergibt sich, daß die staatliche Krisenbekämpfung mittels vermehrter öffentlicher Ausgaben sich nur auf dem Wege des Kapitalverbrauchs durchsetzten kann. Aber dieser Verbrauch stellt sich dar als ein Anwachsen der Produktion und Beschäftigung, die sich durch ihren profitlosen Charakter nicht mehr auf den Kapitalismus bezieht und damit eine verschleierte Form der Kapitalexpropriation durch den Staat gleichkommt, der sich mittels der Gelder einer Gruppe von Kapitalisten das Recht auf die Produktion einer anderen Gruppe erkauft und beide zu befriedigen versteht, indem er der einen die Verzinsung und der anderen die Profitabilität ihres Kapitals sichert. Aber die hier als Zins und Profit auftretenden Einkommen können nur aus dem aktuell produzierten gesamtgesellschaftlichen Mehrwert beglichen werden, wenn sich der Ausgleich auch weiterhin verzögern läßt, so daß — vom Standpunkt der Gesellschaft — die aus der staatlich induzierten Produktion gewonnenen Erlöse als ein Abzug vom Gesamtprofit und damit als eine Verminderung des zur Akkumulation benötigten Mehrwertteils zu gelten haben. Resultiert die Krise aus einem Mangel an Mehrwert, so kann sie auf keinen Fall durch die Vergrößerung dieses Mangels überwunden werden. Es stimmt natürlich, daß der unzureichende Profit, der sich als Krise darstellt, durch die staatlich induzierte Produktion unmittelbar weder vergrößert noch verkleinert wird und daß sich die Produktion, die Beschäftigung und die Einkommen trotzdem vermehren, eben weil Produktionsmittel und Arbeitskräfte in Bewegung gesetzt werden, was ohne das Eingreifen des Staates nicht der Fall wäre. Dieser Teil der Produktion, der angewandten Produktionsmittel und der in den Konsum der Arbeiter eingehenden Gebrauchsmittel, hat keinen kapitalistischen Charakter, wenn man den Prozeß vom Standpunkt des Gesamtkapitals aus berücksichtigt. Er behält für die durch sie betroffenen profitierenden Einzelkapitale auch weiterhin seinen kapitalistischen Charakter. Aber der ihnen zufallende Profit bedingt die Profitverminderung aller anderen Kapitalisten und damit deren Versuche, ihre Verluste mittels Preiserhöhungen auf die Schultern der Gesamtbevölkerung abzuwälzen. Durch die sich über die ganze Gesellschaft ausdehnende Aufteilung des Profitverlustes der staatlich induzierten Produktion bleibt sie für längere Zeit tragbar, ohne daß sie damit aufhörte, den Gesamtprofit zu schmälern. Hier ist nicht der Platz, auf weitere Implikationen der staatlich induzierten Produktion einzugehen. Uns liegt an dieser Stelle nur daran, festzuhalten, daß sich auf diesem Wege die Krisengesetzlichkeit des Kapitals nicht aufheben läßt. Was immer die Wirkungen der staatlich induzierten Produktion im Krisenzustand sein mögen, sie ist kein Mittel der Profitvermehrung und damit kein Instrument der Krisenüberwindung. Ihre fortgesetzte Inanspruchnahme kann nur den profitlosen Teil der Gesamtproduktion ausdehnen und damit ihren Kapitalcharakter progressiv zerstören. Aber jede Prosperität beruht auf der Vergrößerung des Mehrwerts zur weiteren Expansion des Kapitals. Man muß so dem Kapital mit dem Eingeständnis die Ehre erweisen, daß es sich aus seiner Selbstentfaltung heraus die Konjunktur der jüngsten Vergangenheit geschaffen hat, aber damit auch die Voraussetzung einer neuen Krise.
Dies muß jedoch mit einer Einschränkung gesagt werden. Wie die letzte große Krise sich von den vorhergehenden unterschied und in ihrer Dauer, Ausdehnung und Vehemenz die Welt einzigartig erschütterte, so hatte die nach dem zweiten Weltkrieg einsetzende Konjunktur einen besonderen, sich von früheren Konjunkturen unterscheidenden Charakter. Sie war von Anbeginn mit einem außerordentlichen Anwachsen des Kredits und damit des Geldes verbunden, welches die zunehmende Produktion weit hinter sich ließ und die Konjunktur auf dem Wege der Inflation vorwärtstrieb und aufrechterhielt. Die Zunahme des Kredits ist eine Erscheinung jeder Prosperität und ihre Beschleunigung, Marx zufolge, ein Symptom der sich nähernden Krise. Auch in der bürgerlichen Wirtschaftstheorie wurde die schnelle Expansion des Kredits und die damit verbundene Preisinflation als Zeichen einer sich erschöpfenden Konjunktur angesehen, der eine Periode des wirtschaftlichen Rückgangs folgen mußte, da der Kreditausdehnung durch die Pflichtreserven der Banken definitive Grenzen gesetzt sind. Mit der Annäherung an diese Grenze verteuerte sich das Kreditangebot und verminderte sich die Nachfrage, womit die inflatorische Wirkung der Hochkonjunktur zu ihrem Ende kam. Soll die Konjunktur jedoch erhalten bleiben, und kann sie es nicht aus sich selbst heraus, d. h. aus einer die Akkumulation vorwärtstreibenden adäquaten Profitrate, so kann sie doch durch die weit weniger beschränkte staatliche Geld- und Kreditpolitik auf Kosten zunehmender Inflation fortgesetzt werden.
Mit einer Politik des ‘billigen Geldes’, die einerseits die allgemeine Schuldenlast verringert und den Zinsendienst der Staatsschuld erleichtert, andererseits der Kreditnachfrage des Staates die der Industrie und den Konsumentenkredit hinzusetzt, konnte die Produktion auf Kosten zunehmender Verschuldung und wachsender Inflation schnell vorwärtsgetrieben werden. In den Vereinigten Staaten z. B. war das reale Gesamtprodukt zwischen den Jahren 1946 bis 1970 um rund 130 Prozent gewachsen; in Geld ausgedrückt jedoch um 368 Prozent. Die Gesamtverschuldung — die der Regierung ausgeschlossen — stieg in derselben Periode um 798 Prozent. So wie die Kreditnachfrage der Regierung zur Defizitfinanzierung öffentlicher Ausgaben vermehrt auch die private Kreditexpansion die wirtschaftliche Tätigkeit über den Punkt hinaus, der ihr ohne sie gesetzt wäre, ohne jedoch damit etwas an der sich von der Kreditexpansion unabhängig entwickelnden Produktivität der Arbeit und des Mehrwerts ändern zu können. Wie die staatliche Defizitfinanzierung beruht auch die Beschleunigung der privaten Verschuldung auf der Erwartung, daß der wachsenden Produktion keinerlei Schranken gesetzt sind und sie sich proportional mit der Kreditexpansion ausdehnen läßt.
Wo diese Proportionalität liegt, läßt sich jedoch nicht feststellen. In Erwartung fortlaufender und sich vergrößernder Produktion und den sich daraus ergebenden höheren Einkommen und getrieben von der Notwendigkeit der Expansion zur Verwertung des Kapitals, setzte sich die allgemeine Konkurrenz auch mittels des Kreditsystems durch und läuft Gefahr, den Kredit weit über die durch die aktuelle gesellschaftliche Produktion gegebene Basis hinaus zu entwickeln. Allerdings wird für die Kreditgeber die Gefahr gemildert durch die weitgehende Möglichkeit eigenwilliger Preisgestaltung und durch die Einkalkulierung wahrscheinlicher Verluste in die Zinssätze, was an sich wieder die Preise erhöht. Zum Teil wird das Risiko auf die Gesamtbevölkerung abgewälzt, indem den kapitalistischen Schuldnern erlaubt wird, Verschuldung und Zinsbelastung von ihren Steuern abzuziehen. Trotzdem entrinnt der inflatorische Kredit der staatlichen Geld- und Kreditpolitik, da es die Inflation selbst ist, die der Verteuerung des Kredits durch staatliche Beeinflussung des Zinsfußes entgegenwirkt, und da die Kreditnachfrage auch mit höheren Zinssätzen zu nehmen kann. Natürlich kann die Regierung dadurch, daß sie die Vermehrung der Bankreserven verweigert, die Kreditexpansion aufhalten, was jedoch die von der Regierung selbst benötigte Konjunktur in Frage stellen würde. Wo immer auf diesem Wege versucht wurde, der Inflation Einhalt zu gebieten, zwang der daraus resultierende Rückgang der Wirtschaft zur Wiederaufnahme der inflatorischen Kreditpolitik. War die außerordentliche Zunahme der privaten Verschuldung ein Mittel der Konjunkturerhaltung, durch das sich das Anwachsen der Staatsverschuldung verlangsamen ließ, so war die Geld- und Kreditinflation zugleich Voraussetzung und Folge einer Prosperität, die sich in weitgehendem Maße auf zukünftige Profite zu beziehen hat und bei deren Ausfall zusammenbrechen muß. Da sich durch die inflatorische Differenz zwischen Preis- und Lohngestaltung der Profit vermehren läßt, wurde auch der Druck der Akkumulation auf die Profitrate weniger bemerkbar. Alles was jedoch dabei heraus kam — für Amerika wenigstens, wie schon bemerkt —, war eine sich auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau stabilisierende Profitrate, die von sich aus, ohne die staatliche Inflationspolitik, die Produktion nicht in dem Maße ausgedehnt hätte, wie es tatsächlich der Fall war. Allerdings enthält die Inflation ihre eigenen Widersprüche; sie kann von einem die Wirtschaft belebenden zu einem die Wirtschaft zersetzenden Mittel werden, da sich die realen Widersprüche der kapitalistischen Produktion nicht durch die Finanztechnik beseitigen lassen. Stößt die private Kreditausweitung an die ihr von der aktuellen Profitabilität des Kapitals gesetzte Grenze, dann hört auch die von ihr geförderte Konjunktur auf und zwingt zu neuer staatlich induzierter Produktion, um den wirtschaftlichen Niedergang aufzuhalten, ohne ihn damit abwenden zu können.
Vom Standpunkt der ‘neuen Ökonomie’ war die inflatorische Geld- und Kreditpolitik ein Mittel der Krisenüberwindung und der Wiederherstellung der Vollbeschäftigung. Die Illusion eines sich neu herausbildenden und auf Preisstabilität beruhenden Gleichgewichts schwand jedoch bald, wenn auch nicht aufgrund theoretischer Einsicht, so doch aufgrund empirischer Tatbestände. Der Ökonom A. W. Phillips machte in einer historischen Untersuchung des Verhältnisses zwischen den Löhnen und dem Beschäftigungsgrad in England die nicht sehr überraschende Feststellung, daß sich wachsende Löhne und Preise mit abnehmender Arbeitslosigkeit und abnehmende Löhne und Preise mit zunehmender Arbeitslosigkeit verbinden. Den Gewohnheiten der Ökonomen gemäß wurde diese Feststellung in einer sogenannten Phillips-Kurve verbildlicht, die den Wandel der Löhne und Preise als eine Funktion der Beschäftigung aufzeigt. Daraus soll sich angeblich ergeben, daß die wachsende Beschäftigung stets die Lohn- und Preis-Inflation impliziert und man so nur die Wahl hat, sich entweder für die Inflation oder für die Arbeitslosigkeit zu entscheiden.
Auf Basis der Phillips-Kurve wurde z. B. für das Nachkriegs-Amerika errechnet, daß ohne Inflation die Arbeitslosigkeit auf 6 bis 8 Prozent der arbeitenden Bevölkerung steigen würde, sich jedoch durch eine drei- oder vierprozentige Inflationsrate auf 4 oder 4,5 Prozent reduzieren ließe. So hatte man nicht nur die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation, sondern auch die Möglichkeit, durch staatliche Eingriffe die zur Konjunktur notwendige Balance zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation herzustellen. Jedes übermäßige Anwachsen der Arbeitslosigkeit könnte durch eine ihr entsprechende weitere Inflation aufgehoben werden, was, in den Augen der Ökonomen, wirklich ein nicht zu hoher Preis für eine permanente Konjunktur ist; schon deshalb nicht, weil den Vertretern der Funktionellen Finanz zufolge „die Inflation die Kaufkraft der Bevölkerung in keiner Weise beeinträchtigt. Es wäre falsch anzunehmen, daß der mit der Inflation verbundene Kaufkraftverlust des einzelnen Käufers auch einen gesellschaftlichen Verlust darstellt, da es doch auf der Hand liegt, daß das, was der eine verliert, ein anderer nur gewinnen kann. Der Verlust des Käufers ist der Gewinn des Verkäufers. Da Käufer und Verkäufer derselben Gesellschaft angehören, registriert die Gesellschaft weder Verlust noch Gewinn. Und da die meisten Menschen gleichzeitig Käufer und Verkäufer sind, heben sich für sie die Verluste und Gewinne größtenteils gegenseitig auf. Soweit die Einkommensverteilung dabei verändert wird, wäre die Veränderung größtenteils neutral und auf keinen Fall größer, als es auch ohne Inflation der Fall wäre.“ [174]Diese kaltschnäuzige Verfälschung der wirklichen Funktion der Inflation erlaubte den Vertretern der ‚neuen Ökonomie‘, in der inflatorischen Konjunktur mit stabilisierter Arbeitslosigkeit den Wahrheitsgehalt ihrer Theorie bestätigt zu finden, bis sich eines Tages die zunehmende Inflationsrate mit wachsender Arbeitslosigkeit verband und die Theorie als falsch entlarvte. Damit geriet die bürgerliche Wirtschaftstheorie in eine zweite Krise, wenn man die erste in der allgemeinen Verwirrung sieht, die dem Keynesianismus voraufging und von ihm angeblich überwunden wurde. Es stellte sich heraus, daß die aus der Keynes’schen Theorie entwickelten Kontrollmaßnahmen nicht nur beschränkt und zweischneidig sind, sondern auch den dem kapitalistischen System immanenten Widersprüchen unterworfen bleiben. Die Volkswirtschaftslehre, die nach Paul Samuelson durch den Keynesianismus von einer traurigen zu „einer heiteren Wissenschaft“ [175] geworden ist, fiel wieder in ihre ursprüngliche Traurigkeit zurück. „In der Ära nach Keynes“, führte Samuelson aus, „verfügen wir über die Instrumente einer Geld- und Steuerpolitik, um die Kaufkraft zu schaffen, die zur Vermeidung großer Krisen notwendig ist. Niemand, der gut informiert ist, macht sich noch über das Ausmaß der öffentlichen Verschuldung Gedanken: Solange das Bruttosozialprodukt und die Besteuerungsfähigkeit der Nation mit dem Wachstum der Zinszahlungen für die öffentlichen Schulden Schritt halten, reduziert sich dieses Problem auf eine Sorge siebzehnter Rangordnung, und niemand verbringt unruhige Nächte wegen der wachsenden Automation oder der Konjunkturzyklen. Bei all unserer triumphierenden Selbstzufriedenheit bleibt jedoch ein Gespenst, das uns verfolgt: die schleichende Inflation. Sie ist die neue Geißel, von der die Theoretiker vor 1914 noch nichts ahnten. [...] Nach unseren derzeitigen Kenntnissen wissen wir zwar, wie man eine chronische Rezession vermeidet, oder eine notwendige Ausgabepolitik treibt. Doch wissen wir noch nicht, wie einer Kostendruckinflation beizukommen ist, ohne daß deren Therapie der Wirtschaft nahezu ebensoviel Schaden zufügt wie die Krankheit.“ [176]
Es entgeht Samuelson völlig, daß die ‘gefürchtete Geißel der Inflation’ und die ‚triumphierende Geld- und Steuerpolitik‘ ein und dasselbe sind und daß man der Inflation nicht mit der Inflation beikommen kann. Allerdings unterscheidet er zwischen zwei Typen der Inflation; erstens einer, die sich aus einer die Preise hochtreibenden zu großen Nachfrage ergibt und sich leicht durch Drosselung der Einkommen bewältigen läßt; und zweitens der neuzeitigen Angebotsinflation, die sich aus „dem Druck der Lohnkosten sowie der Versuche der Riesenunternehmungen, Gewinnspannen ungeschmälert zu behaupten“ [177], ergibt; für diese habe sich noch keine Lösung gefunden, da die Erfahrung lehre, daß staatliche Lohn- und Preiskontrollen nur kurzfristige Wirkungen haben. Da die kapitalistische Krise von einer mangelnden Nachfrage abgeleitet wurde, die eben durch die ‚triumphierende Geld-und Steuerpolitik‘ bewältigt wurde, ist nicht zu ersehen, wie diese Krisenbewältigung nun ihrerseits zu einem inflatorischen Krisenzustand wird, der sich erneut in wachsender Arbeitslosigkeit darzustellen hat. Um diesen neuen Krisenzustand aufzuheben, müßten nun Samuelson zufolge die Profite und Löhne vermindert werden, woraus sich unweigerlich wieder eine mangelnde Nachfrage ergäbe, die damit von neuem durch die ‚triumphierende Geld- und Steuerpolitik‘ zu bewältigen wäre.
Samuelson hält es für „eine Binsenwahrheit, daß das Preisniveau steigen muß, wenn alle Kostenelemente schneller steigen als das Produktionsvolumen“. [178] Aber warum steigt das Produktionsvolumen nicht? Weil „die Löhne schneller steigen als die durchschnittliche Arbeitsproduktivität“, antwortet Samuelson. Aber warum steigt die Arbeitsproduktivität nicht schneller als der Lohn? Da das Steigen der Arbeitsproduktivität von der technischen Entwicklung und diese von der Kapitalakkumulation abhängt, akkumuliert das Kapital offensichtlich nicht schnell genug. Aber warum nicht, wenn ‘die Riesenunternehmungen ihre Gewinnspanne ungeschmälert behauptend Ja, das wissen wir nicht; „ein guter Wissenschaftler“, sagt Samuelson, „muß seine Unkenntnis zugeben können.“ [179] Die Unkenntnis des guten Wissenschaftlers führte bis zum Nobelpreis.
Ein anderer Nobelpreisträger stellt resigniert fest, „daß die Lösung eines Problems leider stets ein neues Problem mit sich bringt. Seit dem Beginn der Keynes’:schen Ära ist stets befürchtet worden, daß die Vollbeschäftigung zur Inflation führen würde. Die Wirtschaftstheorie basiert auf der Idee des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage auf allen Märkten, einschließlich des Arbeitsmarktes, und impliziert Preisstabilität, während ein Überangebot die Preise drücken würde. Arbeitslosigkeit sollte damit zu einem Senken der Löhne führen, was allerdings in den letzten Jahren nicht der Fall war So ist die gleichzeitige Existenz von Arbeitslosigkeit und Inflation ein Rätsel und eine unbequeme Tatsache.“ [180] Bis zur Lösung dieses Rätsels und damit der Aufhebung dieser unbequemen Tatsache sollte man sich jedoch vor Augen halten „daß die bisherigen Inflationsraten keine unüberwindlichen Probleme und keine außerordentlichen Schwierigkeiten mit sich gebracht haben, die sich mit denen der großen Depressionen der Vergangenheit vergleichen ließen. Die Menschen werden oder haben schon gelernt mit der Inflation umzugehen und ihre Pläne danach einzurichten.“ [181]
Die Unkenntnis, zu der sich Samuelson bekennt, und Arrows ungelöstes Rätsel lassen sich auf dem Boden der bürgerlichen Wirtschaftstheorie nicht bewältigen. Aber diese Theorie kann nicht preisgegeben werden, ohne der kapitalistischen Gesellschaft einen wichtigen Bestandteil ihrer notwendigen Ideologie wegzunehmen. Es ist jedoch nicht nur das ‚Rätsel‘ der Inflation mit wachsender Arbeitslosigkeit, der Bankerott der keynesianischen Vollbeschäftigungstheorie in ihrer neo-klassischen Fassung, sondern das gesamte Gedankengut der bürgerlichen Ökonomie, das angesichts der aktuellen Zustände selbst die scheinbare Beziehung zur Wirklichkeit verliert, an die ihre ideologische Funktion gebunden ist. Selbst für manche der ökonomischen Ideologen [182] wird die Belastung der neoklassischen Preis- und Gleichgewichtslehre untragbar und führt zu Versuchen, sie loszuwerden, um Theorien zu entwickeln, die den realen Verhältnissen weniger ins Gesicht schlagen. Allerdings ist die sogenannte Krise der akademischen Ökonomie keine Allgemeinerscheinung. Die Mehrzahl der Wirtschaftstheoretiker bleibt auch weiterhin von der Divergenz zwischen Theorie und Realität unberührt; was nicht verwunderlich ist, da dieses Phänomen auch auf anderen ideologischen Gebieten zu bemerken ist: Es gibt zwar keinen Gott, aber dennoch Hunderttausende von Theologen. Für einen anderen Teil der theoretischen Ökonomie bezieht sich ihre ‚zweite Krise‘ nicht auf das Rätsel des Versagens der Geld- und Steuerpolitik zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung, sondern auf das von den Neo-Klassikern unbeachtet gelassene Verteilungsproblem. So wie der Neo-Marxismus à la Baran und Sweezy ohne weiteres zugab, daß sich mit den keynesianischen Methoden die Produktion bis zur Vollbeschäftigung erhöhen läßt, hält auch der ‘linke’ Keynesianismus an dieser Überzeugung fest. Im Gegensatz zu den Neomarxisten halten die ‘linken’ Keynesianer die damit bisher verbundene Verschwendungsproduktion nicht für unvermeidbar. Die Vollbeschäftigung lasse sich auch durch die Konsumsteigerung der Bevölkerung erhalten. Die Grenzproduktivitätstheorie als Erklärungsprinzip der Einkommensverteilung sei theoretisch unhaltbar und nur eine Apologie der vorherrschenden ungerechten Verteilung. Die Ökonomie sei ein Problem der Distribution des gesellschaftlichen Produkts, so wie es ursprünglich von Ricardo formuliert wurde. Den keynesianischen Methoden der Produktionsvermehrung auf dem Wege staatlicher Eingriffe müsse eine ihr entsprechende politisch bestimmte Distribution zugeordnet werden, was einer Rückkehr von der Ökonomie zur politischen Ökonomie entspreche. Stellen die gegenwärtigen Zustände für die Vertreter der ‘neuen Ökonomie’ ein ungelöstes Rätsel dar, so bezieht sich der ‘linke’ Keynesianismus noch immer auf die schon überholte Annahme einer krisenlosen Wirtschaft, in der es nur noch darauf ankommt, den erfreulichen Tatbestand ständiger Produktionsvermehrung der gesamten Gesellschaft zuteil werden zu lassen. Das erfordert nicht nur ein anderes als das bestehende Verteilungsprinzip, sondern auch eine andere Aufteilung der gesellschaftlichen Arbeit, um von der Verschwendungsproduktion zur Produktion für den privaten Konsum zu gelangen. Da dies die direkte Konkurrenz staatlich induzierter Produktion mit der privatwirtschaftlichen Produktion erfordern würde, die den privaten Sektor der Wirtschaft dem staatlichen gegenüber nur weiterhin verdrängen würde, läßt sich dieses Programm nur auf dem Wege des Kampfes gegen den Privatkapitalismus durchführen. Und in der Tat bewegt sich der ‘linke’ Keynesianismus in Richtung auf den Staatskapitalismus zu und fällt in diesem Sinne mit dem Neo-Marxismus zusammen, ohne damit seine Bezugslosigkeit zur Realität zu verlieren.
Das noch ungelöste ‘Rätsel’ der wirtschaftlichen Stagnation mit wachsender Arbeitslosigkeit und zunehmender Inflationsrate, das als ‘Stagflation’ zum Begriff geworden ist, ist überhaupt kein Rätsel, sondern die lange bekannte und angewandte Erscheinung gewaltsamer Versuche der Profitvermehrung unter Bedingungen, die der Mehrwertproduktion ungünstig sind. Inflation mit Arbeitslosigkeit begleiteten die ‘klassische’ deutsche Inflation nach dem Ersten Weltkrieg. Sie begleiten heute die Forcierung der Akkumulation in den kapitalarmen Ländern. Die schleichende Inflation als Dauererscheinung in den kapitalistisch entwickelten Ländern weist auch hier auf eine den Akkumulationsnotwendigkeiten des Kapitals nicht gewachsene Profitabilität hin, die sich wohl durch Produktionsvermehrung verschleiern, aber nicht aufheben läßt. Die Inflation ist keine Naturerscheinung, sondern das Resultat geld- und fiskalpolitischer Maßnahmen, die auch unterlassen werden können. Wenn die Regierung sich weigert, einen inflatorischen Kurs aufzugeben, so aus Angst vor der sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Stagnation, die ihr genau so abträglich ist wie dem Kapital selbst. Jede deflatorische Maßnahme, jeder wirtschaftliche Rückgang vermindert auch den der Regierung zufallenden Mehrwertteil. Worin die Akkumulationsnotwendigkeiten des Kapitals bestehen, läßt sich nicht ermitteln und damit auch nicht die Mehrwertmasse, die sie ermöglichen würde. Daß das Verhältnis zwischen beiden nicht ‚in Ordnung‘ ist, stellt sich erst indirekt durch die Marktvorgänge heraus. Ob die staatlichen Eingriffe auf dem Wege der Geld- und Steuerpolitik das notwendige Verhältnis zwischen Profit und Akkumulation vorübergehend herzustellen imstande sind, läßt sich ebenfalls nur aus den weiteren Marktvorgängen ersehen. So gibt es nur die blinden Reaktionen auf unbegriffene Wirtschaftsschwankungen, auf die sich die staatlichen Eingriffe beziehen, um einerseits die Wirtschaft anzutreiben und andererseits die dazu benötigte Profitabilität des Kapitals zu sichern. Aber das eine widerspricht dem anderen, was sich allerdings auch erst in späteren Marktvorgängen bemerkbar macht und sich in Inflation mit wachsender Arbeitslosigkeit zu äußern beginnt. Ist die inflatorische Geld- und Kreditpolitik ein Mittel der Produktionsvermehrung, so sollte sich die neu auftretende Arbeitslosigkeit durch die Beschleunigung der Inflation wieder aufheben lassen. Aber vor dieser konsequenten Anwendung ihrer Theorie, die von der schleichenden zur galoppierenden Inflation führen würde, schrecken selbst die Inflationstheoretiker zurück. Die Defizitfinanzierung öffentlicher Ausgaben und die inflatorische Geld- und Kreditpolitik dürfte nicht übertrieben werden, da dies die Weiterexistenz des Systems selbst in Frage stellen würde. Mit diesem Eingeständnis ist allerdings auch zugegeben, daß die schleichende Inflation dem Kapital nur insoweit nützlich sein kann, als sie den Profit auf Kosten der Gesamtgesellschaft zu erhöhen vermag, womit nicht gesagt ist, daß diese Profitvermehrung zu einer Akkumulationsrate führt, die sich als kapitalistische Properität bezeichnen ließe. Das Auftreten wachsender Arbeitslosigkeit bei schleichender Inflation deutet damit an, daß sich die Profite auch auf dem Wege der Inflation nicht genügend vermehren lassen, um die einsetzende Stagnation abzuwenden. Die Inflation ist eine weltweite Erscheinung, die nicht nur auf die gegenseitigen Abhängigkeiten und die erreichte Verflechtung der Weltwirtschaft hinweist, sondern auch auf die sich verschärfende allgemeine Konkurrenz, die auch mit den Mitteln der Währungspolitik geführt werden muß. Der Profithunger ist universal, und das Verlangen nach zusätzlichem Kapital kann keine Befriedigung finden in einer Welt, in der sich stets größere Kapitalmassen konkurrierend gegenüberstehen und stets weiter wachsen müssen, nicht nur, um sich behaupten zu können, sondern auch um der sonst einsetzenden wirtschaftlichen Stagnation zu entgehen. Es ist ohne Zweifel richtig, daß sich monopolistische Profite auch unter den Bedingungen der Stagnation erhalten und sogar vermehren lassen, aber nur auf Kosten weiterer Stagnation und eines unaufhaltsamen Verfalls der Wirtschaft. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit weiterer staatlicher Eingriffe, die an sich wieder zur Zersetzung des Systems beitragen. So bleibt die Zukunft des Kapitals an seine Akkumulation gebunden, wenn auch die Akkumulation ihm keine Zukunft verspricht. So wie die langjährige Konjunktur nicht alle kapitalistischen Länder gleichmäßig erfaßte, so wirkt sich auch die einsetzende Krise in den verschiedenen Ländern noch verschiedentlich aus. Aber in allen Ländern ist die Wende von der Konjunktur zur Stagnation bereits bemerkbar, und zur Furcht vor weiterer Inflation gesellt sich die Furcht vor einer neuen Krise. Ob sich die ausbreitende Krise wiederum durch staatliche Eingriffe aufhalten läßt, um den gegenwärtigen Schwierigkeiten auf Kosten der Lebenslänge des Kapitals zu begegnen, läßt sich theoretisch nicht ermitteln. Ohne Zweifel wird es versucht werden, aber das Resultat mag sehr wohl nicht zu mehr führen als der temporären Konsolidierung der gegebenen mißlichen Zustände — und damit zu einem sich hinstreckenden systematischen Verfall des kapitalistischen Systems. Was uns über kurz oder lang täglich vor Augen geführt werden wird, ist die empirische Bestätigung der Marxschen Akkumulationstheorie, die Krisengesetzlichkeit des Kapitals.
[163] Vgl. P. Mattick, Marx und Keynes, die Grenzen der gemischten Ökonomie, Frankfurt 1969.
[164] A. H. Hansen, Fiscal Policy and Business Cycle, 1941, S. 150, 124
[165] Essays in Dynamic Theory, 1939.
[166] Essays in the Theory of Growth, 1957.
[167] Economics, 1973, S. 757.
[168] Ebd., S. 266.
[169] H. Rittershausen, in: Das Fischer Lexikon: Wirtschaft, 1958, S. 259.
[170] U. a.: J. M. Gillman, Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate und Prosperität in der Krise, 1969; Paul A. Baran und Paul M. Sweezy, Monopolkapital, 1967.
[171] Siehe u. a.: U. Rodel, Forschungsprioritäten und technologische Entwicklung, 1972; Braunmühl, Funken, Cogoy, Hirsch, Probleme einer materialistischen Staatstheorie, 1973; R. Schmiede, Grundprobleme der Marxschen Akkumulations- und Krisentheorie, 1973; C. Deutschmann, Der linke Keynesianismus, 1973; Hermanin, Lauer, Schurmann, Drei Beiträge zur Methode und Krisentheorie bei Marx, 1973; P. Mattick, Kritik der Neomarxisten, 1974.
[172] Monthly Economic Letter. First National City Bank, Februar 1974, S. 15.
[173] Economics, 1973. S. 619.
[174] A. P. Lerner, Flation, 1973, S. 59.
[175] P. A. Samuelson, Inflation – der Preis des Wohlstandes, in: Der Spiegel 35/1971, S. 104.
[176] Ebd.
[177] Ebd.
[178] Ebd.
[179] Ebd.
[180] K. J. Arrow, Somehow, It has Overcome, in: The New York Times, March 25, 1973.
[181] Ebd.
[182] In einem bemerkenswerten Artikel beschäftigt sich Oskar Morgenstern mit den Hauptirrtümern der gegenwärtigen ökonomischen Theorie, die, seiner Ansicht nach, nicht erlauben, irgendetwas Brauchbares zur Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme beizutragen. Nach der Feststellung, daß die Theorie nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, wendet er sich einer immanenten Kritik ihrer Postulate zu und erbringt den überzeugenden Nachweis, daß sich aus ihren Prämissen nicht die gefolgerten Schlüsse ziehen lassen. Allerdings beschränkt sich Morgenstern auf die Kritik der neo-klassischen Theorie, ohne ihr mehr entgegensetzen zu können, als die von ihm und von Neumann entwickelte Spieltheorie, die sich ebensowenig auf die Realität bezieht (Thirteen Critical Points in Contemporary Economic Theory. An Interpretation, in: Journal of Economic Literature, Vol. X, No. 4, December 1972.)
Zuletzt aktualisiert am 29. September 2019