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Wostotschnoje Obosrenie, Nr. 285, 23. Dezember 1900/5. Januar 1901.
- Sagen Sie – mitfühlend fragt der Gesprächspartner, wenn er gutwillig, mit Zähneknirschen, wenn er böswillig ist (letzteres pflegt er häufiger zu sein) – sagen Sie, sind Sie gegen den Organisationsplan Lenins?
- Aber was verstehen Sie unter dem Organisationsplan Lenins?
Minute der Verlegenheit.
- Das Statut?
- Nein wieso – der Gesprächspartner fühlt sich ein wenig beleidigt – nur diese „Minderheit“, die uns für „zentralistische Bürokraten“ hält, denkt, dass für uns das Statut alles sei. Es handelt sich nicht um das Statut, sondern um den gesamten Organisationsplan ...
- Sie sprechen über den Brief Lenins an einen Petersburger Genossen?
- Nun ja, zum Beispiel auch über diesen Brief; auch in Was tun? ist sozusagen der Organisationsplan dargelegt.
- Und worin besteht er?
- Aber erlauben Sie, was Sie ... – der Gesprächspartner geht schon völlig aus sich heraus – wie, worin? Der Organisationsplan ... der Plan Lenins?
- Nun ja der Plan, der Plan Lenins!
- Das ist vortrefflich! Immer und immer wieder hieß es: die Organisationspläne, Lenin hat einen Plan ... Aber jetzt auf einmal: worin besteht er?
- Ja, auch von General Trochu (das war während der Belagerung von Paris) sagte man immer: Il a un plan. Trochu a un plan („Er hat einen Plan, Trochu hat einen Plan“). Aber sein ganzer Plan war, Paris den Preußen zu übergeben. Nein, Sie müssen mir schon genauer sagen, worin der Organisationsplan Lenins besteht.
- Ja ich kann nicht ... so auf einmal ... lesen Sie Was tun??
- Ich habe es gelesen. Nun, wenn schon nicht den ganzen „Plan“, so zeigen Sie doch wenigstens die grundlegenden Prinzipien auf.
- Die grundlegenden Prinzipien ... das ist eine andere Sache ... beispielsweise die Arbeitsteilung ... Konspiration ... Disziplin ... und überhaupt der Zentralismus ... damit das ZK kontrollieren kann ... nun, das, was „Organisation von Berufsrevolutionären“ heißt ... und gegen den Demokratismus – da haben Sie die Prinzipien.
- Nun vorzüglich. Sie sagen: Arbeitsteilung. Ich bin einverstanden, das ist eine ehrwürdige Sache, die dem sozialen Fortschritt große Dienste leistete. Aber ist dieses Prinzip etwa von Lenin proklamiert worden?
Ich bitte Sie, noch immer sind es die Politökonomen der Manufakturperiode, die die Vorteile der Arbeitsteilung erläuterten. Entdecken Sie Adam Smith: Welch zauberhafte Perspektiven entwickelte er für die Nadeln ... In der Tat, ich kann Ihnen absolut nicht beipflichten, dass Lenin die Arbeitsteilung erfunden habe wie bestimmte mythologische Persönlichkeiten den Ackerbau, die Viehzucht, den Handel. Ich verstehe, ich verstehe: Sie wollen sagen, dass Lenin die Anwendung dieses Prinzips verkündet habe, an der Schwelle der „vierten Periode“. Das mag so sein. Aber denken Sie wirklich, dass die „Minderheit“ das „Prinzip“ der Arbeitsteilung verneinte? Oder das „Prinzip“ der Konspiration?
- Ich weiß nicht ... Aber schließlich schreibt Axelrod von den „Rädchen“ und „Schräubchen“ ... Und ich denke, dass Lenin recht hat, wenn er sagt, dass die „Minderheit“ ihre kleinbürgerliche Natur verrate, indem sie gegen die Arbeitsteilung unter Leitung des Zentrums ein tragikomisches Zetergeschrei ausstoße. [A]
- Über das „Zetergeschrei“ der „Minderheit“ werde ich sofort sprechen, und zwar ausführlich. Aber bevor ich mich damit beschäftige, werde ich noch eine Frage stellen: Kann die Arbeitsteilung das Prinzip schlechthin sein oder kann man sie dafür halten, das Prinzip, das wir als sozialdemokratische Parteiorganisation vertreten? Die Arbeitsteilung ist technisch vorteilhaft – aber vorteilhaft nicht nur für die sozialdemokratische, sondern überhaupt für jede Partei, vorteilhaft für jedes x-beliebige Büro, für jedes Geschäft. Wenn die Arbeitsteilung als organisatorisches Prinzip betrachtet werden kann, so nur bei einer Manufaktur, niemals jedoch bei einer politischen Partei im allgemeinen und bei der unseren im besonderen. Ist es denn nicht jedermann klar, dass das „Prinzip“ der Arbeitsteilung in nichts für eine Organisation charakteristisch ist, die sich selbst die Entwicklung des Klassenbewusstseins des Proletariats als Aufgabe stellt? Abstrakt für sich selbst genommen, entpersönlicht dieses „Prinzip“ unsere Partei, indem es sie schlicht und einfach zu einer komplizierten Kooperation führt. Weiter die Konspiration. Das ist schon ein enger begrenztes Prinzip, das ausschließlich politischen Sinn hat. Aber auch die Konspiration ist organisch durch nichts mit der sozialdemokratischen Partei verbunden. Vornehmlich die bürgerlich-revolutionären Parteien mussten und müssen konspirativ arbeiten; d. h. wir müssen zugeben, dass die Konspiration als solche nicht das organisatorische Prinzip unserer Partei sein kann. Gleiches gilt auch vom Zentralismus: eine Fabrik ist zentralisiert, ein Staatswesen ist zentralisiert, eine Verschwörung ist zentralisiert. Was ist denn an „Orthodoxie“ im Zentralismus? Sie haben auf Ihrem Wunschzettel nicht die leninistischen „Prinzipien“ der Zentralisierung der Führung und der Dezentralisierung der Verantwortung erwähnt. [B] Ich werde bei ihnen nicht verweilen, ich sage nur, dass sie mir die gleiche Idee auszudrücken scheinen, die der selige Abbé Sieyès als Grundlage seiner Verfassung aufstellte: „Das Vertrauen muss von unten kommen (= Dezentralisierung der Verantwortung), aber die Macht von oben (= Zentralisierung der Führung).“ Das heißt, auch in diesen „Prinzipien“ findet das Proletariat nicht zu sich selbst; mit einem Wort, wenn man alles zusammennimmt, was Sie die „organisatorischen Prinzipien“ Lenins nennen, erhält man eine komplizierte zentralisierte Kooperation, die konspirativ irgendwelche politischen Ziele verfolgt. Aber sie wird noch keine sozialdemokratische Partei sein. Im besten Fall bedeutet diese Determinierung nicht ihre eigene Negation als sozialdemokratische Partei, sondern stellt nur eine ihrer Möglichkeiten dar; im besten Fall ist sie nur eine organisatorisch-algebraische Formel, die sozialdemokratischen Inhalt bekommen kann, wenn man statt der Buchstaben konkrete Zahlenwerte einsetzt. Aber der „Plan“ schließt diese konkreten Zahlenwerte nicht mit ein.
Ein Genosse machte folgenden interessanten Versuch: Er ersetzte in
dem ganzen Brief an einen Genossen das Wort Sozialdemokrat
durch den Begriff Sozialist-Revolutionär. Auch nicht ein
einziges Mal ergab sich ein Widersinn. Versuchen Sie die gleiche
Operation bei unserem Parteiprogramm oder den taktischen
Resolutionen, und Sie werden sich die Finger verbrennen! Aus diesem
Grunde riefen solche Schemata, wie sie der Brief an einen Genossen
entwickelt, unvermeidlich die Frage hervor: Wo ist hier die
Sozialdemokratie? Sie werden antworten, sie sei eine immanente
Voraussetzung. Sie bildet vielleicht eine subjektive, keineswegs
jedoch eine objektive Voraussetzung. In letzterem aber liegt ihre
Stärke.
Der Druck sozialdemokratischer Proklamationen erfordert nicht unbedingt einen Sozialdemokraten, ebenso wenig ihre Verbreitung oder Plakatierung. Unter den russischen Bedingungen allerdings führt nur ein ergebener Parteigänger der Sache der Revolution solche Arbeiten aus. Aber gerade der rein technische Charakter dieser Arbeit stellt keine besonderen politischen Ansprüche an die Ausführenden; er ist an und für sich ungeeignet, sozialdemokratisches Bewusstsein zu entwickeln und zu schärfen. Es muss infolgedessen einen anderen Bereich des Parteilebens geben, wo der Drucker, der Verteiler, der Bibliothekar und der Organisator miteinander verkehren – nicht als Teilarbeiter des technischen Parteiapparats, sondern als voll in die Politik der Partei integrierte Arbeiter. In der Praxis unserer Organisationen wird dieses Postulat auf Schritt und Tritt ignoriert, und der Inhalt der Parteiarbeit wird verstanden als die Summe bloß der verschiedenen technischen Funktionen „unter Leitung des Zentrums“.
Die Ursache dieser Verwirrung liegt offen zutage. Die Arbeit, die in jeder europäischen Partei – und natürlich auch in den sozialistischen Parteien – hinter den Kulissen der Parteiszenerie ausgeführt wird (Druck, Verbreitung, Plakatierung etc.), steht bei uns an vorderster Stelle, raubt den größten Teil an personellen und materiellen Kräften der Partei und bindet gerade dadurch den größten und besten Teil der schöpferischen Aufmerksamkeit und Anstrengung. In beständigem Kampf mit der polizeilichen Repression, die im Lauf von Stunden zerstört, was in mühsamer Arbeit im Laufe von Monaten geschaffen wurde, in beständigem Kampf mit der Armut unserer illegalen Technik, die sich mit Hilfe von Dampf und Elektrizität einige Oasen in unserem steinernen Zeitalter schafft, – in diesem unermüdlichen Kampf beginnen die rein technischen Voraussetzungen der politischen Arbeit den gesamten Bereich der politischen Aufgaben der Partei zu usurpieren. Kein Wunder, dass das angestrengt in dieser Sphäre arbeitende Denken die Arbeitsteilung zum organisatorischen Prinzip der revolutionären („orthodoxen“) Sozialdemokratie zu befördern geneigt ist. Das ist die materielle Vorbedingung für die Ersetzung der Aufgaben proletarischer Politik durch die Aufgaben organisatorischer Technik, die Ersetzung der Fragen des Kampfes gegen die Autokratie durch Fragen der verborgenen Auseinandersetzung mit der politischen Polizei.
Man muss hier hinzufügen, dass die neue „politische“ Richtung sich aus dem Kampf mit der alten „ökonomistischen“ entwickelte, die sich organisatorisch im sogenannten „Handwerklertum“ äußerte. Dem Bewusstsein des Handwerklers, dessen Denken eine plötzliche „Erleuchtung“ widerfuhr und der sich seiner Nacktheit (in theoretischer oder in politischer, organisatorischer oder in welcher Hinsicht auch immer) in äußerstem Maße schämte, musste die Arbeitsteilung als rettendes und befreiendes Prinzip und die Manufaktur als glänzendes Ideal erscheinen – gerade die Manufaktur und nicht die Fabrik, die aus der polemischen Literatur schon zitiert wurde; denn die Fabrik setzt eine höchst entwickelte Technik voraus, die die Rolle der Arbeitsteilung auf ein Minimum zurückführt, während die Manufaktur, die auf der technischen Grundlage des „Handwerklertums“ fußt, die Arbeitsteilung zum Objekt eines theoretischen Kultes macht.
„... je vollkommener jedes einzelne Rädchen gearbeitet, je größer die Zahl der Teilarbeiter wäre, die an der gemeinsamen Sache mitarbeiten, um so dichter würde unser Netz sein, und eine um so geringere Verwirrung würden die unvermeidlichen Verhaftungen in den gemeinsamen Reihen hervorrufen.“ [C]
In diesen Zeilen wird dem primitiven „Handwerkler“, der in seiner Person alle Branchen der handwerklichen Tätigkeit vereinigt, der präzise „Detailarbeiter“ (Teilarbeiter) der Manufaktur, dem ganzheitlichen Individuum das „Rädchen“ eines komplizierten Mechanismus gegenübergestellt. In diesem System verwandeln sich gerade die Mängel des gestrigen Handwerklers – seine Unwissenheit, Initiativlosigkeit und politische Primitivität – in einen Vorteil, da „die Einseitigkeit und selbst die Unvollkommenheit des Teilarbeiters (Detailarbeiters) ... zu seiner Vollkommenheit als Glied des Gesamtarbeiters“ [D] werden. „Nachdenken und Einbildungskraft sind dem Irrtum unterworfen; aber die Gewohnheit, den Fuß oder die Hand zu bewegen, hängt weder von dem einen noch von dem anderen ab. Manufakturen prosperieren also da am meisten, wo man am meisten sich des Geistes entschlägt ...“ [E]
Den Überlegungen Lenins, die noch aus der Periode des Kampfes mit den Narodnitschestwo in seinem Schädel stecken: die Intelligenz fürchte sich vor der Fabrik, „das Zetergeschrei gegen die Arbeitsteilung unter der Leitung eines Zentrums“ verrate nur die Natur des „bürgerlichen Intellektuellen“ – können wir hier wenigstens die Worte von Marx gegenüberstellen über
„dasselbe bürgerliche Bewusstsein, das die manufakturmäßige Teilung der Arbeit, die lebenslängliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung und die unbedingte Unterordnung der Teilarbeiter unter das Kapital (das „Zentrum“) als eine Organisation der Arbeit feiert, welche ihre Produktivkraft steigere...“ [F]
Wir befürchten jedoch, dass unser Gesprächspartner, von dem wir uns zu Beginn dieses Kapitels verabschiedeten und der sich mehr durch Hartnäckigkeit als durch Klarheit des Bewusstseins auszeichnete, aus diesem Kapitel den unerschütterlichen Schluss ziehen wird, dass die „Minderheit“ gegen die Arbeitsteilung und für die Restaurierung des „Handwerklertums“ sei. Wir wollten jedoch den Leser eigentlich zu einer völlig andersgearteten Schlussfolgerung führen; wir wollten, er möge verstehen, dass die Arbeitsteilung bei all ihrer Nützlichkeit ein rein technisches Prinzip ist; mit anderen Worten, wer zwischen technischer Arbeit und Leben der Partei nicht ein Gleichheitszeichen setzt, der kann die Arbeitsteilung nicht als prinzipielle Grundlage der Parteiorganisation betrachten, sondern muss zu dem Schluss gelangen, das Leben der Partei sei das, was nach Subtrahierung der „Arbeitsteilung) übrigbleibt.
Wenn die Bedürfnisse der ökonomischen Kräfte uns bei der jämmerlichen Technik, über die wir verfügen, in bestimmten Bereichen unserer Arbeit zu einer rein manufakturmäßigen Arbeitsteilung zwingen, so müssen wir alle Kräfte darauf verwenden, erstens diesen technischen Bereich nach Möglichkeit einzuschränken, und zweitens darauf, dass wir das Ideal der geschickten und geschicktesten Teilarbeiter, der vortrefflich gearbeiteten „Rädchen“, nicht aus dem technischen Bereich in den Bereich der im eigentlichen Sinne des Wortes politischen Arbeit übertragen, dass in diesem Bereich nicht die menschlichen „kleinen Splitter“ [1] unser Ideal werden, die „im Interesse der revolutionären Sozialdemokratie“ regelmäßig, rasch und folgsam „unter der Leitung eines Zentrums“ den „Fuß oder die Hand... bewegen“, sondern die ganzheitliche politische Persönlichkeit, das Mitglied der Partei, das aktiv auf alle Fragen des Parteilebens reagiert und seinen Willen gegenüber allen „Zentren“ geltend macht in allen ihm möglichen Formen bis – ja, schlimmstenfalls bis zum Boykott!
„Das ist alles sehr schön und richtig, aber – wer weiß das denn nicht?“ wird der Leser aus der „Mehrheit“ fragen, der vor zehn Minuten noch überzeugt war, dass die „Minderheit“ die Arbeitsteilung ablehne; „wer weiß das denn nicht? Das versteht sich doch von selbst!“
Diese Antwort wird nicht verständiger dadurch, dass sie von allen Parteigängern der gegensätzlichen Richtungen ständig wiederholt wird, von unten nach oben, vom Komitee von Twer [G] bis zum Genossen Lenin. [H] Wir sprechen von der unbedingten Notwendigkeit der Schaffung von Mitgliedern der Partei, von bewussten Sozialdemokraten, nicht aber von einfach geschickten „Teilarbeitern“ – und man antwortet uns: „Das versteht sich ja ganz von selbst!“ Was heißt das? Für wen „versteht sich das von selbst“? Und worin realisiert sich eine solche „Selbstverständlichkeit“? Versteht sich „das“ von selbst im Inhalt unserer Parteiarbeit, d. h. bildet die Schaffung politisch denkender Parteigenossen ihren unbedingten Bestandteil? Oder „versteht sich“ diese Aufgabe „von selbst“ in dem sogenannten Organisationsplan Lenins? Oder ist sie schließlich lediglich subjektiv „selbstverständlich) für jeden Sozialdemokraten? Letzteres trifft zweifelsohne zu, vor allem wenn die friedlich schlummernde „Selbstverständlichkeit) durch einen Hagel von Vorwürfen und Anklagen wachgerufen wird. Aber das reicht nicht aus! Es ist unbedingt notwendig, dass gerade die „völlig selbstverständliche“ Aufgabe sich als klar bewusstes Ziel darstellt und in der Parteiarbeit praktisch erfüllt wird. Bislang wurde in dieser Hinsicht weniger als wenig getan. Mehr noch: der augenblicklich in der Partei vorherrschende organisatorische Fetischismus treibt viele Genossen zu direktem Widerstand gegen jeden Versuch, diese „so völlig selbstverständliche) Aufgabe korrekt zu stellen. Und das ist verständlich.
Jenes Denken, welches das technische Prinzip der Arbeitsteilung zum Prinzip der sozialdemokratischen Organisation befördert, gelangt bewusst oder unbewusst zu der letzten unvermeidlichen Konsequenz: zur Trennung von Bewusstsein und Ausführung, zur Trennung des sozialdemokratischen Denkens von den technischen Funktionen, mittels derer es sich notwendigerweise realisieren muss. Die „Organisation der Berufsrevolutionäre“, genauer noch ihre Spitze, erscheint als das Zentrum sozialdemokratischen Bewusstseins, und unterhalb dieses Zentrums befinden sich die disziplinierten Exekutoren technischer Funktionen.
Genosse Lenin gibt diesem organisatorischen Ideal eine klassische Formulierung:
„Um aber ... all diese kleinen Splitter zu einem Ganzen zusammenzufassen, um mit den Funktionen der Bewegung nicht die Bewegung selbst zu zersplittern und um dem mit kleinen Funktionen Beauftragten den Glauben an die Notwendigkeit und die Bedeutung seiner Arbeit zu geben (NB), ohne den er überhaupt nie arbeiten wird, für all das ist eben eine feste Organisation von erprobten Revolutionären notwendig.“ I
Dem Genossen Lenin stellt sich hier nicht (es kommt ihm nicht einmal in den Kopf) die „so völlig selbstverständliche) Aufgabe, wie die schwerfälligen Seiten der Arbeitsteilung durch die Einbeziehung jedes Teilarbeiters in die ganzheitliche parteipolitische Arbeit wettzumachen seien – nein, er stellt der Armee der splitterhaften „Beauftragten“ den zentralen Stab gegenüber, der infolge seiner persönlichen, monopolisierten Bewusstheit, Scharfsichtigkeit, Initiativbereitschaft, Ausdauer und Standhaftigkeit allen „kleinen Splittern“ den Glauben daran eintrichtert, dass sie für die gemeinsame Sache notwendig seien; was wäre das dann: eine Partei oder eine „sozialdemokratische“ Manufaktur? Man vergleiche damit:
„Die Kenntnisse, die Einsicht und der Wille, die der selbständige Bauer oder Handwerker (und wir fügen hinzu, unser „Handwerken, der selbst alle Funktionen seiner primitiven „ökonomistischem Arbeit erfüllte), wenn auch auf kleinem Maßstab, entwickelt, ... sind jetzt nur noch für das Ganze der Werkstatt (der Partei) erheischt. Die geistigen Potenzen der Produktion erweitern ihren Maßstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten verschwinden. Was die Teilarbeiter verlieren, konzentriert sich ihnen gegenüber im Kapital (im „Zentrum“). Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit, ihnen (den „Beauftragten mit kleinen Funktionen“) die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses als fremdes Eigentum (als zentralisierte Funktion) und sie beherrschende Macht gegenüberzustellen.“ [J]
Jener ideale, beinahe mit geometrischer Regelmäßigkeit konstruierte Plan, der in dem Brief an einen Genossen dargelegt ist, wirft in keiner Weise die Frage auf, wie die sozialdemokratischen Militants, die zukünftigen „Berufsrevolutionäre“ erzogen werden sollen. Die revolutionären Aktivisten, die Drucker, die Funktionäre, ... „die Popen, die Generale, die Frauen, die Massen, die Vögel und die Bienen – all das bildet eine mächtige Kooperation“ [K] nach dem Plan, gelenkt durch die sozialdemokratischen Berufsrevolutionäre. Aber wo ist das Reservoir, aus dem die Kaste dieser kurzlebigen Militants sich ergänzen wird? Der Handwerkslehrling wird fast immer Meister; aber der Teilarbeiter wird fast niemals Chef der Manufaktur. Man fragt sich: Wo ist die Brücke, über die der heutige „Teilarbeiter“ in die Klasse der politischen Handlungsträger aufsteigen kann, damit er in dieser Eigenschaft nicht nur Detailfunktionen erfüllen kann und daran „glauben“ muss, dass das Auge des Berufsrevolutionärs über seinen Taten wacht, sondern auch in der politischen Lage sich selbständig zu orientieren vermag, eine Losung ermitteln und eine Initiative geben kann?
In einer ganzen Reihe von Komitees setzen sich sogenannte „Diskussionen“ durch, d. h. Versammlungen, auf denen der Kassier, der Verteiler, der Drucker sich begegnen nicht als Kassier, Verteiler und Drucker, sondern als Parteimitglieder, die die Parteiangelegenheiten und die allgemein politischen Angelegenheiten erörtern. Natürlich ist das nur ein partieller Ausgleich für die Verkrüppelungen, die bei unseren barbarischen Verhältnissen die Arbeitsteilung mit sich bringt, und man kann von diesem Gesichtspunkt aus auf die Dürftigkeit und Beschränktheit der „Diskussionen“ verweisen. Aber nur in solchen „Diskussionen“ beginnt die Formung von Parteimitgliedern – und nur solche Diskussionen werden bei der augenblicklichen Verfassung der Arbeit eine allerdings ziemlich schmale Brücke bilden, über die die „kleinen Splitter“ in die Kaste der „Einser“ (unter denen nicht wenig „Nullen“ sich befinden, die nur irrtümlich für „Einser“ durchgehen) aufsteigen. Und was dann? Genosse Lenin erledigt diese „Diskussionen“ in seinem „Plan“ mit beneidenswerter Konsequenz – sie entsprächen nicht den konspirativen Anforderungen und störten die Einheit und Harmonie des Plans. Ja, und wozu überhaupt Diskussionen? Das Resultat, das die „Diskussionen“ haben sollten, könne man mit einem viel billigeren Mittel erreichen: Es sei nur nötig,
„dass alle, die an der Arbeit teilnehmen, dass ausnahmslos sämtliche Zirkel das Recht haben, ihre Beschlüsse, Wünsche, Anfragen sowohl dem Komitee als auch dem ZO und dem ZK zur Kenntnis zu bringen. Wenn wir das gewährleisten, so werden wir erschöpfende Beratungen aller Parteiarbeiter erreichen, ohne so schwerfällige und unkonspirative Einrichtungen zu schaffen, wie es die „Diskussion“ wäre.“ [L]
Mit welcher Verachtung äußert Lenin sich weiter über die „handwerklerischen“ Komitees, die Arbeiter- und Studentenzirkel, die aus „nicht-spezialisierten“ Mitgliedern bestünden und mit „endlosen Beratungen über alles“ beschäftigt seien, anstatt „professionelle Erfahrungen zu erarbeiten“. [M] „Über alles“ nachzudenken und zu beraten komme nur dem Zentrum zu, und alle Gruppen, Zirkel und einzelnen Agenten müssten ihrem speziellen Beruf gemäß denken und sich beraten, Stand und Abteilung entsprechend. Das Bewusstsein der Partei sei zentralisiert, und es bleibt nur übrig, die Detailerfahrung der Teilarbeiter zum Besitz des Zentrums zu machen („zur Kenntnis zu bringen“) – schon dadurch werde die Praxis aller Teilarbeiter bereichert werden, die vom berufsbewussten Zentrum genährt würden.
Die Praktiker, die dieses Schema wie ein Glaubenssymbol akzeptiert haben, müssten letztlich zu der Frage gelangen: Woher Sozialdemokraten nehmen, wenn es ringsum nur „kleine Splitter“ gibt, die an das Zentrum glauben? Und zu welchen unglaublichen, in Wahrheit aber tragischen Schlussfolgerungen manche Praktiker gelangen, zeigt der Brief des Genossen Severjanin, eines hervorragenden Kämpfers der Partei, in Nr. 51 der Iskra, als die Zeitung von Lenin und Plechanow redigiert wurde. Severjanin schreibt:
„Bemerkt Ihr? Die routinierten und tüchtigen Genossen geben jetzt häufig die Komiteearbeit auf und gehen zu speziellen Funktionen über. Das ist ein arges Symptom! Es muss eine eigene Organisation geschaffen werden, speziell für die Ausbildung zu sozialdemokratischer Arbeit. Sie wird unter die unmittelbare Leitung des ZK kommen, nachdem die Arbeitsgebiete der Komitees jene Punkte nicht beinhalten, die für eine revolutionäre Schule wichtig sind. Die Einteilung der Kräfte muss natürlich in den Händen des ZK liegen, unbedingt notwendig ist eine möglichst vollständige Trennung der militanten Arbeit der Komitees von der vorbereitenden Arbeit der neuen Organisation. “
So ist die Lage der Dinge. Es gibt keine sozialdemokratischen
Handlungsträger, alle treten zurück in Detailfunktionen,
und nachdem die Arbeit der Partei die „völlig
selbstverständliche“ Aufgabe der Heranbildung aktiver und
initiativenreicher Sozialdemokraten nicht erlaubt, bleibt nur übrig,
außerhalb der Parteiarbeit eine sozialdemokratische
Bildungsanstalt „unter unmittelbarer Leitung des ZK“ zu
errichten. Die sozialdemokratische Partei bildet und erzieht
im Prozess ihrer politischen Praxis keine Sozialdemokraten,
sie muss sie außerhalb fabrizieren. Die militante Arbeit
wird von der Vorbereitungsarbeit getrennt, präziser
formuliert, die revolutionäre Tätigkeit trennt sich
von der sozialistischen. Muss man den Bankrott der
manufakturmäßigen Organisationsideale in noch krasseren
Farben schildern?
Im Kampf mit den alten, recht schwerfälligen, quasi demokratischen Formen unserer organisatorischen Existenz führten die Komitees den Zentralismus zu völliger Selbstbefreiung von allen Verbindlichkeiten gegenüber der von den Komitees abhängigen Welt. Drei oder fünf Mitglieder des Komitees repräsentieren in ihren Personen „die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Organismus der Arbeiter“, sie fassen Beschlüsse, sie „machen“ die neue Richtung in der Partei, legen den „Ökonomismus“ ins Archiv ab, setzen den „Zentralismus“ in Funktion, erkennen die Iskra an oder lehnen sie ab – mit einem Wort, sie vollziehen die gesamte innerparteiliche Politik; und unter ihnen befindet sich die Welt der Teilarbeiter, die Proklamationen zusammenstellen, Geld sammeln, Broschüren verteilen (vorausgesetzt natürlich, dass das richtungbestimmende Komitee in der Lage ist, ihnen Broschüren zu liefern). Während der letzten drei bis vier Jahre scharfer innerparteilicher Meinungsverschiedenheiten fanden in vielen Komitees eine Reihe von coups d’etat im Geiste unserer Palastrevolutionen des 18. Jh.s statt. Irgendwo oben, sehr hoch oben, verbannt irgendwer irgendwen irgendwohin, ersetzt, erdrückt irgend jemanden, irgendwer ruft sich aus zu irgend etwas – und zu guter Letzt erscheint auf dem Wachtturm des Komitees eine Flagge mit der Aufschrift: „Orthodoxie, Zentralismus, politischer Kampf ...“
Wir bezweifeln, dass es auch nur ein Komitee gegeben hat, das, bevor es die Iskra als sein leitendes Organ „anerkannte“ oder ihr in der Folge dieses Prädikat „verweigerte“, seiner Verpflichtung Rechnung getragen hätte, seine Resolution durch alle dem Komitee untergeordneten Gruppen von „Teilarbeitern“ hindurchgehen zu lassen (und nicht nur pro forma „hindurch zu jagen“, sondern es wirklich in das Bewusstsein der Verteiler, Kassiers, Organisatoren, Schulungsleiter, Agitatoren und aller übrigen „Schräubchen“ und „Rädchen“ einzuführen). Ein so komplizierter „demokratischer“ Prozess wurde und wird durch ein einziges „zentralistisches“ Dekret ersetzt. Aber wenn die vom Komitee abhängigen Gruppen sich widerspenstig zeigen und nicht einverstanden sein sollten, par ordre du moufti die neue „Richtung“ anzuerkennen? Dann löst man sie auf, und zusammen mit ihnen nicht selten auch die gesamte lokale Arbeiterbewegung.
Ich zitiere als Beispiel, wie einer der Militants der vorangegangenen Periode den geistigen Sieg der Iskra in seinen Briefen ins Ausland schildert:
„6. November 1902 – Hier ein Bericht aus dem hiesigen Komitee. Dem Komitee wurde eine Resolution vorgelegt, die die völlige Solidarität mit der Iskra aussprach und sie als wünschenswertes Parteiorgan bezeichnete. Das Komitee erkannte diese Resolution an, jedoch mit einem kleinen Vorbehalt, in dem die Schärfe der Polemik getadelt wurde. Die Resolution war zuletzt zurückgenommen worden, und erst danach nahm man sie ohne Zusatzantrag an. Daraufhin jedoch wiederholte sich hier fast wortgetreu die Petersburger Geschichte: die damit Unzufriedenen reizten die besonders ehrgeizigen Elemente gegen die „despotische Intelligenz“ auf, wobei sich erwies (sic!!!), dass Agitation und Schulung bislang nahezu ausschließlich gerade von jenen Unzufriedenen geleitet worden waren, weshalb sich ihr Einfluss schließlich als sehr stark erwies. Jetzt wurde der Kampf hitzig. Die alten Agitatoren mussten fast alle gehen (wohin?!?); geeignete Leute als Ersatz gab es wenig, und deshalb fällt es uns nicht leicht (natürlich nicht!!!), aber der Sieg muss unser sein.“
Einen Monat später schreibt derselbe furchtlose Kämpfer: „4. Dezember 1902 – Die Sache verhält sich hier folgendermaßen: Die Anhänger des Rabotscheje Djelo richten anscheinend verdoppelte Aufmerksamkeit auf uns. Am Sonntag, dem 24. November, nahm das Komitee freudig den Vorschlag des Organisationskomitees an und sicherte ihm jede nur mögliche Unterstützung zu. Tags darauf jedoch nutzten fünf Burschen – Anhänger des Rabotscheje Djelo – die Abwesenheit mehrerer Genossen aus, um im Komitee einen ausgesprochenen coup d’etat durchzuführen. Man schlug vor, die Abwesenden aus der Mitgliederliste zu streichen und an die Iskra zu schreiben, sie dürfe das bereits abgeschickte Schriftstück mit ihrer Anerkennung als Parteiorgan nicht drucken. Es ist Ihnen darüber wahrscheinlich schon berichtet worden; aber man beauftragte mich, Ihnen mitzuteilen, Sie sollten dieses Schriftstück unter allen Umständen abdrucken. Das wird als Signal für die entschlossene Auseinandersetzung mit den hiesigen Ignoranten dienen.
Das Ganze geschah für alle ziemlich unerwartet, obwohl sich schon gezeigt hatte, dass es ihnen gelungen war, viele Arbeiter – darunter die einflussreichsten – in Verwirrung zu bringen.
Jetzt steht ein hitziger Kampf bevor. Die Sache wird schließlich zum Bruch führen – jedenfalls gewinnt diese Vorstellung hier immer mehr Anhänger. Letztlich erweist es sich (!!!), dass die lokale Arbeit hauptsächlich von den „Ökonomisten“ durchgeführt wird; tatsächlich erklären sich daraus die Rückschläge überall: hier, in Petersburg und, wie man hört, in Charkov.“
Man sieht, dass dieser aktive Genosse nicht als jemand betrachtet werden kann, der hinter der Masse hertrottet oder als „Chwostist“ sich vor der Spontaneität der Massen verneigte. Er geht nicht am Schwanz, aber – leider zieht er auch keinen Schwanz hinter sich her! Er gestikuliert im leeren Raum. Dieser Genosse steht zwar sicherlich über dem Durchschnitt – er spielte späterhin eine bedeutende Rolle in der Praxis des Belagerungszustands – aber er treibt das bis ins Absurde, bis in die Karikatur, was den charakteristischen Zug der ganzen Periode bildet und sich, wie wir aus den Briefen sehen, „wirklich überall: hier, in Petersburg und, wie man hört, in Charkow“ abspielt. Dieses Charakteristikum ist die Emanzipation der „Berufsrevolutionäre“ von allen, nicht nur den moralischen („Spießertum“!), sondern auch den politischen („Chwostismus“!) Verpflichtungen den bewussten Elementen jener Klasse gegenüber, der politisch zu dienen das Ziel unserer Existenz ist. Die Komitees verloren das Bedürfnis, sich auf die Arbeiter zu stützen, in dem Maße, wie sie eine Stütze in den „Prinzipien“ des Zentralismus fanden.
Man beachte: Schon ist die neue Richtung geschaffen, schon ist „enthusiastisch“ die vierte Periode ausgerufen, schon ist die Iskra zur Führung berufen – als sich plötzlich „ziemlich überraschend für alle“ zeigt, dass Agitation und Propaganda „beinahe ausschließlich“ von Elementen betrieben werden, die mit der Iskra unzufrieden sind, dass es niemanden gibt, um diese Elemente zu ersetzen, dass sie die besonders „ehrgeizigen“ und – seltsames Spiel des Zufalls – auch einflussreichsten Arbeiter gegen die Iskra aufreizen. Und die Moral aus dieser Geschichte: Wie mühsam ist es doch, hohe Politik zu betreiben, wenn die Freiheit deiner Bewegungen durch „Ignoranten“ behindert ist. [N]
Woraus aber erklärt sich die Tatsache, dass die Methode des stellvertretenden Denkens – stellvertretend für das Proletariat –, die in den verschiedensten Formen, von äußerst barbarischen bis zu durchaus parlamentsfähigen, praktiziert wurde, damals in der ganzen Periode der Iskra nicht oder kaum auf Selbstkritik aus den Reihen der „Iskristen“ selbst stieß?
Die Erklärung dafür fand der Leser bereits auf den vorhergehenden Seiten. Auf der gesamten Arbeit der Iskra lastete die Aufgabe des Kampfes für das Proletariat, für seine Prinzipien, für sein Endziel – im Milieu der revolutionären Intelligenz.
Diese Arbeit, die im Bewusstsein der „Iskristen“ die psychologischen Elemente für die politische Substitution zusammentrug, war, wie wir schon einmal erläutert haben, historisch unvermeidlich. Aber sie war zugleich aus historischen Gründen begrenzt, sie stellte nur einen sekundären Prozess in der allgemeinen Entwicklung der gerade erst einsetzenden Klassenbewegung des Proletariats dar. Jeder Teilprozess des allgemeinen Klassenkampfes des Proletariats entwickelt jedoch auch auf einer höheren Stufe als bei uns seine eigenen immanenten Tendenzen: eigene Denkmethoden, eigene taktische Methoden, eigene spezifische Losungen und eine eigene spezifische Mentalität. Jeder Teilprozess trachtet die durch seine Natur festgelegten Grenzen zu überschreiten und seine Taktik, sein Denken, seine Losungen der gesamten historischen Bewegung, die durch diesen Teilprozess ins Leben gerufen wurde, aufzuprägen. Das Mittel wendet sich gegen die Ziele, die Form gegen den Inhalt.
Jene Methoden der „Substitution“, deren Muster wir weiter oben sahen und die die eben zitierten Briefe des martialischen „Iskristen“ im Bereich der „inneren“ Politik beispielhaft belegen, sind allgemeiner Ausdruck einer ganzen Periode. In dieser oder jener offenen oder maskierten Form waren sie insofern unvermeidlich, als der Griff nach der auseinander laufenden sozialdemokratischen Intelligenz keine saumseligen Methoden duldete und keine langwierigen Scherereien mit den „Ignoranten“ erlaubte; mit anderen Worten – insofern, als sich die Vereinigung der revolutionären Intelligenz um die politischen Prinzipien der Sozialdemokratie in einem unvergleichlich rascheren Tempo vollzog als die Mobilisierung des revolutionären Proletariats für Losungen der Klassenpolitik. Es versteht sich jedoch von selbst, dass es die Grundlage der ganzen Bewegung untergraben heißt, wenn man ihr – angeblich im Interesse ihrer Prinzipienreinheit und „Orthodoxie“ – das Gebrechen der Substitution auferlegt.
Es ist unsere Aufgabe, die Partei möglichst gegen jede Überraschung abzuschirmen. Die tragischste Überraschung wäre aber unbestreitbar, dass uns die „Ignoranten“ (das Proletariat) in der entscheidenden Minute „ziemlich überraschend für alle“ den Rücken zukehrten. Um eine solche wahrhaft tragische Perspektive zu vermeiden, ist es unbedingt notwendig, koste es, was es wolle, unsere politische, moralische und organisatorische Verbindung mit den bewussten Elementen der Arbeiterklasse zu befestigen. Es ist unumgänglich, dass jede einzelne unserer prinzipiellen Entscheidungen ihre Entscheidung ist.
In der Broschüre Was tun? werden die „Ökonomisten“ hart wegen ihres Bestrebens getadelt, die örtliche Organisation auf einer solchen Basis zu errichten, „... dass die Komiteebeschlüsse durch alle Zirkel die Runde machen, um erst dann zu gültigen Beschlüssen zu werden“. [O] Wir verfechten durchaus kein legalistisches Ritual von Komitee-Referenden; das Problem liegt nicht in demokratischem Funktionen. Aber die Komitees müssen daran denken, dass ihre Beschlüsse nur dann „gültige Beschlüsse werden“, wenn sie den bewussten Willen aller vom Komitee abhängigen Gruppen und Zirkel formulieren. Danach gilt es unabänderlich zu streben – nicht im Namen dieses oder jenes demokratischem Vorurteils, sondern im Namen der Stabilität und Lebendigkeit unserer Partei.
Wir verweilen hier nicht bei der technischen Seite der Frage, wie dieses Ziel zu erreichen sei, wir verweisen den Leser auf die Broschüre des Genossen Tscherewanin, Die Organisationsfrage, deren wesentlicher Inhalt unserer Ansicht nach nicht in diesem oder jenem „Organisationsplan“ besteht, nicht in dem Prinzip der „Autonomie“ der Komitees, das nur sehr bedingt gültig ist, sondern gerade in jenem einfachen, nahezu banalen, nach unserer Ansicht jedoch zu energisch „liquidierten“ Gedanken der Entwicklung mit Befestigung eines überaus engen Bandes kollektiven Denkens zwischen leitender Organisation und dem „Splitter“-Personal des technischen Apparats; man muss ja – wie an anderer Stelle schon gesagt – „die Garantie der Stabilität der Partei an ihrer Basis suchen, im aktiven und selbsttätig handelnden Proletariat, und nicht an ihrer organisatorischen Spitze, welche die Revolution als historisches Missverständnis, unvorhersehbar für das Proletariat, mit ihrem Flügel unverhofft hinwegfegen kann“. [P]
„Das war also der langen Rede kurzer Sinn? Mag die „Minderheit“ auch die „Arbeitsteilung“ nicht ablehnen – sie erscheint ihr jedoch als Übel, das sie durch ein anderes, noch schlimmeres Übel zu kurieren gedenkt. Die „Minderheit“ kehrt ganz einfach zum „Demokratismus“ zurück, wenn auch zu einem maskierten; sie fordert, dass die Komiteebeschlüsse durch die vom Komitee abhängigen Gruppen gehen, stellt die Berufsrevolutionär in Abhängigkeit von den wenig bewussten Elementen der Bewegung, reduziert auf diese Weise Initiative und Schwung der Komiteearbeit, öffnet so das Tor zum „Ökonomismus“, Trade-Unionismus, Chwostismus, Opportunismus – und als Ergebnis schließlich übergibt sie das Proletariat an die bürgerliche Demokratie!“ Ich gestehe, ich habe diesen Wortschwall mit einigen Widerwillen wiedergegeben; aber man muss sich daran gewöhnen! Wir wären keineswegs erstaunt, angesichts der gegenwärtigen bitteren Zeiten, wenn Genosse Lenin in seinem nächsten „Opus“, das vielleicht sogar schon geschrieben ist, sich die Aufgabe stellte zu beweisen, dass sich die „Minderheit“ zum Kathedersozialismus hin entwickle. Sie denken, dass dies schwierig sei? Keineswegs!
„Plärrt nicht“ (Verzeiht, ich nehme für eine Minute den Kehrichtbesen des geschätzten Genossen Lenin zur Hand!) „plärrt nicht die „Minderheit“ Tag und Nacht, dass das Prinzip der Arbeitsteilung, das ich, Lenin, verkündet habe, sie verkrüpple, sie in Schräubchen und Rädchen verwandle. [Q] dass das von mir entworfene System den Revolutionär der „Selbständigkeit“ und Selbsttätigkeit beraube – Eigenschaften, die für die armen, von mir aus den Zentralstellen vertriebenen Intellektuellen notwendig seien? Arme Teufel! Es ist klar ersichtlich, dass sie den deutschen Professor Schmoller gelesen haben, der sich in einem seiner letzten Artikel gleich den unglücklichen Kandidaten der Minderheit bitter über die Arbeitsteilung beklagt, die „immer mehr den Menschen zerstückelt, vielen Leuten (sprich: Parteimitgliedern – nach der opportunistischen Formulierung des Genossen Martow) eine seelen- und inhaltslose spezialisierte Tätigkeit – geistlose, öde Spezialtätigkeit – auferlegt, in der Seele, Verstand und Körper verwelkem etc. etc. Entwickelt eure Prinzipien nur weiter und weiter, ihr Herren von der „Minderheit“, und ihr werdet rasch in den Armen des Herrn Professor Schmoller landen!“
Leider besitzt der Genosse Lenin nicht genügend Geschmeidigkeit des Denkens; sonst könnte er, Vielfalt und Reichtum der zeitgenössischen Weltliteratur benutzend, noch viel wunderlichere Dinge zutage fördern.
Wir würden natürlich dem Genossen Lenin nichts schuldig
bleiben. Wir schlügen eine beliebige Seite seiner jüngsten
Broschüre auf, Seite 159 beispielswiese! Da geht es um die
anarchistische Praxis des Minderheit, und in Parenthese wird bemerkt:
„... die Praxis geht immer (NB) der Theorie voraus.“
Immer? — beginnen wir zu schreien, ohne der
Kursivschrift zu achten – wirklich immer, Genosse Lenin?
Haben wir doch gedacht, die Theorie, die die Summe der allgemeinen
Erfahrungen aus den vergangenen Jahrhunderten darstellt, sei
imstande, auch die Praxis des morgigen Tages und die Praxis
sogar ganzer Jahrzehnte vorwegzunehmen. Nach der „Theorie“
des Genossen Lenin jedoch, die, wie man glauben muss, seine eigene
„Praxis“ widerspiegelt, hinkt die Theorie immer (immer??)
am Schwanz hinter der Praxis einher. Ist das nicht ganz einfach die
quasi-marxistische Apologie des theoretischen „Chwostismus“!
Dürfen wir annehmen, dass das für den Anfang gar nicht so
schlecht ist?
„Parteidisziplin“ – das ist eine der kriegerischsten Losungen der Mehrheit. Es ist sehr schade, dass all diese Überlegungen über die Disziplin, die wir, die Angehörigen der sogenannten Minderheit, anzuhören genügend Gelegenheit hatten, bevor die Frage aus dem Untergrund hervortrat, für die Menschheit unwiederbringlich verloren sind; es sei denn, man würde in den Urwäldern des Ural oder im Busch der sibirischen Taiga jetzt noch auf eine erhabene, aber aussterbende Rasse „harter Jakobiner“ besonderer Güte treffen, les Jacobins purs comme les rayons du soleil, von Jakobinern also, rein wie die Strahlen der Sonne. Schließlich jedoch wird der zersetzende Geist der Kritik und des Zweifels auch sie erreichen; aber sie werden tapfer gegen ihn kämpfen und sich bemühen, ihn vom Ural auf den Westen zurückzuschleudern, um so ein sozialdemokratisches Asien, geleitet durch die mir nahestehende Sibirische Union [R] zu retten. Natürlich werden all diese Bemühungen im vorhinein von der Geschichte verurteilt sein, aber die heldenmütigen Uraler flößen doch Achtung vor ihrem konsequenten Mute ein. Dieser ihrer Eigenschaften wegen wird sie der zukünftige Historiker unserer Geschichte vor der Vergessenheit retten: Er wird einige Seiten ihrem Manifest widmen, in dem die Position der Mehrheit kühn und rechtschaffen formuliert ist; weiter unten werden wir uns noch mit diesem „Credo“ der reinen Leninisten beschäftigen müssen. Jetzt verweilen wir nur bei jenen Überlegungen des „Manifests“, die sich unmittelbar auf die Frage der „Disziplin“ beziehen.
Die Vertreter dreier Komitees im Ural [S] sagen:
„Den proletarischen politischen Kampf voraussehen (?), sich auf ihn vorbereiten und an der Spitze der Massen gehen kann nur eine gesamtrussische zentralisierte Organisation von Revolutionären, in deren voller Verfügungsgewalt sich die lokalen Komitees befinden. Die Komitees wie auch einzelne Parteimitglieder können sehr weitreichende Vollmachten erhalten, aber das muss vom ZK bestimmt werden. Umgekehrt kann das ZK, wenn es sich als notwendig und nützlich erweist, durch seine Befugnis ein Komitee oder eine andere Organisation auflösen, es kann jedes beliebige Parteimitglied seiner Rechte entkleiden. Anders lässt sich die Sache des proletarischen Kampfes nicht vernünftig organisieren.“ [T]
Bis zum II. Kongress gab es als reale und formale Größen isolierte und völlig selbständige Komitees; um sie als Mittelpunkt bildete und entwickelte sich das gesamte Parteileben. Der II. Kongress änderte radikal die Physiognomie der Partei. Als Ergebnis so schlichter Dinge wie Erheben der Hände oder Abgabe von Stimmzetteln zeigt sich, dass in der Partei bereits eine „zentralisierte Organisation“ besteht, „in deren voller Verfügungsgewalt sich die lokalen Komitees befinden“. Der „Zentralismus“ wird augenscheinlich nicht als komplizierte organisatorisch-politische und organisatorisch-technische Aufgabe begriffen, sondern als bloße Antithese zum vielzitierten „Handwerklertum“. Man glaubt die reale Aufgabe – im Prozess der kollektiven Arbeit in allen Parteimitgliedern das Gefühl der moralischen und politischen Verantwortlichkeit zu entwickeln – umgehen zu können, indem man dem ZK das Recht gibt, alles aufzulösen, was ihm im Weg steht. So ist es zur Verwirklichung der Ideale dieses „Zentralismus“ unerlässlich, dass alle realen, noch durch nichts und niemanden disziplinierten Elemente der Partei dem ZK bei seinen Versuchen, sie zu desorganisieren, keinen Widerstand leisten. „Anders lässt sich“, nach Meinung der Genossen vom Ural, „die Sache des proletarischen Kampfes nicht vernünftig organisieren.“ Es bleibt nur noch zu fragen: Kann die „Sache des proletarischen Kampfes“ so überhaupt organisiert werden? Und die Antwort muss lauten: Nein, das kann sie nicht!
In der Tat! Die Autoren dieses Dokuments stellen sich ohne Zweifel vor, der vom ZK organisierten Arbeit stünden lediglich „Ökonomisten“, „Opportunisten“ und, um ganz allgemein ihre Formulierung zu benutzen: Vertreter anderer Klassen der Bevölkerung im Wege. Wir räumen sogar ein, dass einander bekämpfende Richtungen sich gegenseitig immer so klassifizieren werden. Aber wo wird man eine so dumme Richtung finden – sei sie auch „opportunistisch“ –, die es gestattete, sie „aufzulösen“ und ihre Parteigänger „der Rechte zu entkleiden“, ohne dass sie zunächst allen Widerstand leistete, dessen sie fähig ist? Ist es wirklich so schwierig zu begreifen, dass jede auch nur im Geringsten ernst zu nehmende und bedeutsame Richtung (mit unbedeutenden und nicht ernst zu nehmenden Richtungen zu kämpfen, lohnt sich sowieso nicht), die vor der Alternative „wortlose Selbstauflösung aus Disziplin) oder Existenzkampf ungeachtet jeder Disziplin“ steht, zweifellos den zweiten Weg wählen wird? Und dies deshalb, weil Disziplin nur so lange sinnvoll ist, wie sie erlaubt, dafür zu kämpfen, was man für richtig hält und wofür man sich Disziplin auferlegt. Wenn jedoch eine Richtung vor der Perspektive steht, ihrer „Rechte entkleidet“, d. h. der Möglichkeit, um ideellen Einfluss zu kämpfen, beraubt zu werden, dann verwandelt sich die Frage ihrer Existenz für sie aus einer Rechtsfrage in eine Machtfrage.
Je nach Art und Zugespitztheit der Situation würden die Vertreter der aufrührerischen Richtung in diesem Falle entweder die Partei spalten, indem sie die reale Disziplin gegenüber ihren eigenen Prinzipien höher stellen als das „Prinzip“ der formalen Disziplin, oder sie würden in der Partei verbleiben und versuchen, kraft ihres Einflusses die Einengung durch die Fessel der Parteidisziplin auf ein Minimum zu reduzieren, um sich selbst ein Maximum an Freiheit von Handlung und von Widerstand gegen die als störend empfundenen Tendenzen zu sichern. Soweit sie sich bewusst vom Zwang des Parteizügels befreien werden – im Namen der Parteiinteressen, wie sie sie verstehen – und soweit ihr Einfluss ihnen dies zu tun gestattet, so weit wird jeder Versuch der Gegenseite, sie durch ständige Wiederholung des Wortes Disziplin in Schach zu halten, kläglich illusorisch sein. Nichts kann weniger Achtung gebieten als die Figur eines politischen „Führers“, der zu solchen Beschwörungen in der entscheidenden Minute seine Zuflucht nimmt. Das ist ein für allemal festzuhalten. Natürlich können solche Verhältnisse in der Partei nicht als normal betrachtet werden, wenn die Disziplin auf der einen Seite lediglich als drückende Verpflichtung, auf der anderen als Drohung figuriert; das zeugt im Gegenteil von einer tiefen Krise in der Partei. Man kann jedoch eine Krise nicht „überschreien“, wenn es auch Leute gibt, die bereit sind, bis zur Heiserkeit zu schreien.
Was also tun? Es gilt jenseits der Sphäre der in Auflösung begriffenen Disziplin die realen Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Bewegung zu ermitteln, die allen gemeinsam sind; um sie kann man die wertvollsten und einflussreichsten Elemente der Partei vereinen. In dem Maße, in dem diese Kräfte sich um die lebendigen Losungen der Bewegung scharen, werden die Wunden, die der Einheit der Partei von beiden Seiten zugefügt wurden, verharschen; man wird aufhören, von Disziplin zu sprechen, weil man aufhören wird, sie zu verletzen. Wer die Arbeit der beiden streitenden Richtungen unter diesem Blickwinkel zu analysieren versucht, wird unschwer die Frage beantworten können, welche von beiden die Partei zu der realen Vereinigung führt.
Wenn auf dem Weg zu diesem Ziel die „Minderheit“ das verletzen muss, was die „Mehrheit“ für Disziplin hält, dann bleibt nur der Schluss: Sie gehe zugrunde, diese Disziplin, die die lebendigen Interessen der Bewegung unterdrückt! Die Geschichte selbst zieht unbestreitbar diese Schlussfolgerung. Im Gegensatz nämlich zum Komitee von Jekaterinoslaw verharrt sie nicht auf dem Boden des idealistischen Prinzips: Möge die Welt untergehen – hoch lebe die Disziplin! Als dialektisch-materialistische Größe gibt sie im Falle innerparteilicher Kollisionen zuletzt immer dem recht, auf dessen Seite der Sieg ist – weil der Sieg sich zuletzt immer auf der Seite dessen einstellt, der besser, weiter und tiefer die Aufgaben der revolutionären Sache begreift. Deshalb blicken wir mit Vertrauen in die Zukunft. Aber es ist eine merkwürdige Sache: Schon heute erkennen immer mehr Parteigänger aus den Reihen unserer Metaphysiker und Mystiker des Zentralismus, dass der Zusammenstoß mit der Liga beispielsweise ein Irrtum, eine Ungeschicklichkeit, eine Fahrlässigkeit oder zumindest eine Taktlosigkeit Seitens der Vertreter des ZK und seines Mentors war. Für diese Taktlosigkeit jedoch soll keineswegs das System verantwortlich sein, jenes System, das keine anderen Methoden der „Organisierung des proletarischen Kampfes“ als „Entkleidung der Rechte“ und „Auflösung“ kennt! Die folgerichtigen Konsequenzen aus den Prämissen werden als zufällige Irrtümer, als Taktlosigkeiten einzelner Personen dargestellt, und auf diese Weise erkauft sich die Trägheit des menschlichen Denkens das Recht, weiterhin fest an die „Prämissen“ zu glauben. Das ist der übliche Weg der Zertrümmerung bestimmter Denksysteme – im Großen wie im Kleinen; zuerst brechen die Schlussfolgerungen zusammen, die den Schlägen der Praxis unmittelbar ausgesetzt sind. Das Bewusstsein wirft diese folgerichtig gezogenen, in der Realität aber unsinnigen Schlüsse beiseite und erarbeitet mittels Sophismen richtige Konsequenzen aus unsinnigen Prämissen. Die sophistische Methode ist jedoch selbst schon ein Zeichen des Verfalls; der Gedanke verwickelt sich in die eigenen Widersprüche und gibt sich zuletzt gefangen. In genau einer solchen Phase des Kampfes der Schlussfolgerungen mit den Voraussetzungen befindet sich das Denken unserer „Mehrheit“. Wir halten es nicht für ausgeschlossen, dass sogar die zitierten Genossen aus dem Ural heute anzuerkennen bereit sind, dass der Kreuzzug gegen die Liga ein bedauerliches „Missverständnis“ war, obwohl ihrer Meinung nach eigentlich „man die Sache des proletarischen Kampfes anders nicht vernünftig organisieren kann“.
Nichts ist kläglicher, sagten wir oben, als die Figur des „Führers“, der durch suggestive Wiederholung des Wortes Disziplin versucht, die Vertreter verschiedener Meinungen auf der horizontalen Ebene von Gegnern anzusiedeln. Offensichtlich fühlte Lenin die Misslichkeit seiner Lage und suchte seine Beschwörungen „philosophisch“ zu untermauern. Wir sehen, was dabei herausgekommen ist: der willenlose, nervös schwankende, individualistische Intellektuelle scheue die strenge Disziplin. „... Die Parteiorganisation erscheint ihm als ungeheuerliche „Fabrik“, die Unterordnung des Teils unter das Ganze und der Minderheit unter die Mehrheit betrachtet er als Knechtung (siehe [U] die Feuilletons Axelrods), die Arbeitsteilung unter Leitung einer Zentralstelle ruft bei ihm ein tragikomisches Gezeter über die Verwandlung der Menschen in „Rädchen und Schräubchem hervor...“ [V] Und die Moral dieser Geschichte: „Hier kann und muss der Proletarier, der durch die Schule der „Fabrik“ gegangen ist, dem anarchistischen Individualismus eine Lehre erteilen.“ [W]
Nach der neuen Philosophie Lenins, der seit Abfassung der Broschüre Was tun? kaum ein Paar Schuhe abgetreten hat, heißt das, dass es für den Proletarier hinreichend sei, die „Schule der Fabrik“ zu passieren, um der Intelligenz, die in seiner Partei bislang die führende Rolle spielt, Lektionen in politischer Disziplin zu geben! Jeder, der in der Partei nicht eine riesige „Fabrik“ sieht, dem eine solche Vorstellung im Gegenteil „ungeheuerlich“ erscheint, jeder, der nicht an die unmittelbare politisch-pädagogische Kraft der Maschine glaubt, der „verrät“ nach dieser neuen Philosophie „sofort die Mentalität des bürgerlichen Intellektuellen“, der von Natur aus unfähig sei, zu unterscheiden zwischen der negativen Seite der Fabrik („der auf der Furcht vor dem Hungertod beruhenden Disziplin“) und ihrer positiven Seite („der auf der gemeinsamen, durch die Bedingungen der technisch hochentwickelten Produktion vereinigten Arbeit beruhenden Disziplin“ [X}).
Ohne Furcht, die Mentalität des „bürgerlichen Intellektuellen“ zu verraten, behaupten wir vor allem, dass die Bedingungen, die das Proletariat zu kollektiven und gleichgerichteten Kampfmethoden treibt, nicht in der Fabrik liegen, sondern in den allgemeinen sozialen Existenzbedingungen des Proletariats; wir behaupten weiter, dass zwischen diesen objektiven Bedingungen und der bewussten Disziplin einer politischen Handlung ein langer Weg des Kampfes, der Irrtümer, der Erziehung liegt – nicht die „Schule der Fabrik“, sondern die Schule des politischen Lebens, in die unser Proletariat nur unter der (schlechten oder guten) Anleitung durch die sozialdemokratische Intelligenz eintritt; wir behaupten, dass das russische Proletariat, dessen politische Selbsttätigkeit zu entwickeln wir kaum begonnen haben, unglücklicherweise für sich selbst und glücklicherweise für die Herren Anwärter auf die „Diktatur“ noch nicht fähig ist, seiner „Intelligenz“ Lektionen in Disziplin zu geben, wie sehr auch die Fabrik es gedrillt hat in der „gemeinsamen, durch die Bedingungen der technisch hochentwickelten Produktion vereinigten Arbeit“. Ohne die geringste Furcht, die „Mentalität des bürgerlichen Intellektuellen“ zu verraten, erklären wir weiter unsere volle Solidarität mit dem Gedanken, dass die „technische Unterordnung des Arbeiters unter den gleichförmigen Gang des Arbeitsmittels (= „die auf der gemeinsamen, durch die Bedingungen der technisch hochentwickelten Produktion vereinigten Arbeit beruhende Disziplim) und die der Fabrik eigentümliche Zusammensetzung des Arbeitskörpers aus Individuen beider Geschlechter und verschiedenster Altersstufen eine kasernenmäßige (kasernenmäßige, aber nicht bewusst politische!) Disziplin schaffen, die sich zum vollständigen Fabrikregime ausbildet...“ [Y] Wenn Lenin zur Disziplin des russischen Proletariats als einer realen Größe betet, verwechselt er in der Tat, um seine eigene Formulierung zu gebrauchen, eine politische mit einer „philosophischen“ Frage. Die „technisch hochentwickelte Produktion“ schafft schließlich die materiellen Bedingungen der politischen Entwicklung und der politischen Diszipliniertheit des Proletariats in der gleichen Art, wie der Kapitalismus die Voraussetzungen des Sozialismus schafft. Ebenso aber, wie es unbegründet wäre, den Sozialismus mit dem Kapitalismus gleichzusetzen, würde es sinnlos sein, die Fabrik-Disziplin des Proletariats mit revolutionär-politischer Disziplin zu identifizieren.
Die Aufgabe der Sozialdemokratie besteht gerade auch darin, dass sie das Proletariat gegen die Disziplin aufreizt, die die Arbeit des menschlichen Gedankens durch den Rhythmus physischer Bewegungen ersetzt, und dass sie es gegen diese tödliche und abstumpfende Disziplin in der einen Armee zusammenschließt, die Fuß an Fuß und Schulter an Schulter durch die Gemeinschaft des politischen Bewusstseins und des revolutionären Enthusiasmus verbunden ist. Eine solche Disziplin besitzt der russische Proletarier noch nicht – Fabrik und Maschine versorgen ihn mit dieser Eigenschaft weit weniger spontan als mit Berufskrankheiten.
Das Regime unserer Partei kann ebenso wenig ein Kasernenregime sein, wie die Fabrik ihr Vorbild sein darf. Armer Genosse Praktiker, der diesen Gedanken ausspricht und nicht „ahnt ..., dass das von ihm gebrauchte furchtbare Wort (Fabrik) sofort die Mentalität des bürgerlichen Intellektuellen verrät“! [Z] Armer Genosse Lenin! Das Schicksal wollte ihn in eine besonders lächerliche Lage versetzen: Auch er „ahnt nicht“, dass der Genosse Praktiker kein „bürgerlicher Intellektueller“ ist, sondern ein Proletarier, der durch die heilsame Schule der Fabrik gegangen ist ...
Das russische Proletariat, dasselbe, dem die Anhänger des Genossen Lenin auf Schritt und Tritt das Problem der Parteikrise verheimlichen, muss morgen auf den Anschnauzer des Genossen Lenin hin, dem „anarchistischen Individualismus“ eine strenge Lektion erteilen. ...
Welcher Unwille muss den erfassen, der diese hässlichen, undiszipliniert-demagogischen Zeilen liest! Das Proletariat, dasselbe Proletariat, von dem man gestern noch erzählt hat, es werde „spontan zum Trade-Unionismus gezogen“, ist schon heute dazu aufgerufen, Lektionen in politischer Disziplin zu geben. Und wem? Der gleichen Intelligenz, der im gestrigen Schema die Rolle zufiel, das klassenmäßige, das politische Bewusstsein des Proletariats von außen her in das Proletariat hinein zu tragen! Gestern noch kroch das Proletariat im Staub, heute schon ist es in unerwartete Höhe gehoben! Gestern noch war die Intelligenz Trägerin des politischen Bewusstseins, heute werden auf sie die Spießruten der Fabrikdisziplin herab gerufen!
Und das soll Marxismus und sozialdemokratisches Denken sein! Fürwahr, es ist kaum möglich, sich dem besten geistigen Reichtum des Proletariats gegenüber mit größerem Zynismus zu verhalten, als Lenin das tut. Für ihn ist der Marxismus nicht die Methode wissenschaftlicher Untersuchung, die große theoretische Verpflichtungen auferlegt, nein – ein Putzlumpen, wenn es gilt, sich die Füße abzuwischen, eine weiße Leinwand, wenn er davor seine Größe demonstrieren möchte, ein zusammenklappbarer Meßstab, wenn er sein Parteigewissen vorzeigen muss.
Die „Minderheit“ ist gegen den Zentralismus; in der ganzen Welt stehen die „Opportunisten“ innerhalb der Sozialdemokratie gegen den Zentralismus auf, folglich ist die „Minderheit“ opportunistisch ...! Dieser Syllogismus – der sogar von seiner formalen Seite unrichtig ist – bildet den kriegerischen Hauptgedanken des jüngsten Buches von Lenin, wenn man es vom Ballast der grob und unsauber, nach einem System indirekter Beweise aufgebauten Anklagekonstruktionen befreit. Lenin repetiert seinen Syllogismus in tausendfältiger Art und Weise, wobei er sich bemüht, den Leser durch zentralistische Gesten suggestiv zu beeinflussen. Axelrod in Zürich sei wider den Zentralismus – Heine in Berlin sei gegen den Zentralismus – Jaurès in Paris sei gegen den Zentralismus; Heine und Jaurès seien Opportunisten, folglich befinde sich Axelrod in Gemeinschaft mit „Opportunisten“ – es sei klar, dass auch er „Opportunist“ ist, und es ist noch klarer als klar, dass die „Minderheit“ opportunistisch ist; andererseits bekenne Kautsky in Berlin sich zum Zentralismus – und ein gewisser Wasiljew, ein ZK-Mitglied, habe die Liga im Namen des Zentralismus aufgelöst; der Genosse Lenin sei der große Mentor dieses Feldzugs zum Ruhme des Zentralismus gewesen, folglich ... etc. etc.
Nachdem Lenin auf diese „uralische“ Art und Weise die internationale Sozialdemokratie „aufgelöst“ hat (erstaunlich, dass er uns zu dieser Frage keine Diagramme lieferte!), rechnet er, er habe seinem Auditorium alles gegeben, was es brauche: die Täuschung durch einen Syllogismus, der den Gegner kompromittiere.
Wir sind der Ansicht, dass Lenin von seinen Anhängern eine schlechtere Meinung hat, als sie es verdienen. Wir vertrauen darauf, dass sogar den anspruchslosesten Anhängern des Genossen Lenin die Frage in den Kopf kommen muss, worin die Erklärung dafür liege, dass gegenwärtig in der ganzen Welt diejenigen Vertreter der Sozialdemokratie gegen den Zentralismus auftreten, die im Rahmen ihrer sozial-politischen Weltanschauung auf dem opportunistischen Standpunkt stehen: Zusammenarbeit der Klassen statt Klassenkampf, soziale Reform statt sozialer Revolution?
Nachdenklich geworden über dieser Fragestellung, werden sie zu der Antwort gelangen, dass, räumt man ein, der organisatorische Zentralismus sei eine mächtige Waffe für den Klassenkampf des Proletariats (und das ist er für uns ganz zweifellos), verständlich wird, wieso Heine und Jaurès mit dem Zentralismus als mit einem von ihnen als feindlich empfundenen System organisatorischer Beziehungen zusammenstoßen. In der zeitgenössischen sozialistischen Bewegung begleitet der organisatorische Zentralismus die Herrschaft derjenigen Richtung in der Partei, die dem Partialinteresse die allgemeinen Interessen der Bewegung überordnet und letzterem die Kontrolle über das erstere zu sichern bemüht ist. Der Zentralismus zeigt sich als organisierte Form der politischen Kontrolle der Partei über ihre Teile. Der Opportunismus entsteht und entwickelt sich nicht aus dem Kampf für die allgemeinen Ziele der Bewegung, d. h. für die Klasseninteressen des Proletariats in ihrem vollen historischen Umfang, sondern aus dem Kampf für partielle und temporäre Ziele syndikalistischen, munizipalen, regional-wahlrechtlichen Charakters. In diesem Sinne steht der Zentralismus der politischen oder programmatisch-taktischen Position des Opportunismus feindlich gegenüber. Sogar Genosse Lenin jedoch konnte sich – trotz all seiner Kühnheit – nicht zu der Behauptung entschließen, dass die programmatisch-taktischen Ansichten der „Minderheit“ opportunistisch seien. Wieso wäre dann in diesem Falle die „Minderheit“ gegen den Zentralismus? Und gegen welchen Zentralismus? Und wieso nehmen die Genossen Kautsky, Parvus und Rosa Luxemburg, alle unversöhnliche Gegner von Heine und Jaurès, gegen den „Zentralismus“ des Genossen Lenin Stellung? Der tausendmal wiederholte Syllogismus, der primär auf den akustischen Effekt abzielt, gibt darauf natürlich keine Antwort.
Kautsky verbindet die organisatorischen Ansichten des rechten Flügels der deutschen Sozialdemokratie – den Kampf gegen den Zentralismus, gegen die Disziplin, gegen die „kompakte Mehrheit – mit der politischen Mentalität der bürgerlichen Intelligenz, auch wenn sie marxistische Ansichten übernommen habe. Diese treffende und wertvolle Analyse ist lediglich darin zu ergänzen, dass Kautsky von der „organischen“ Neigung der europäischen sozialistischen Intelligenz zu Reformismus und programmatisch-taktischem Opportunismus sprach. [a] Zwischen den organisatorischen und den sozio-politischen Ansichten der Intelligenz zeigt sich ein tiefes inneres Wechselverhältnis, da beide aus ein und derselben Gruppenmentalität entspringen, die ihrerseits durch die sozialen Existenzbedingungen der Intelligenz bestimmt ist. Selbstverständlich jedoch kann derselbe (oder ein gleichartiger) psychologischer Rahmen in Abhängigkeit von den zeitlichen und örtlichen Bedingungen für verschiedene und manchmal keineswegs ähnliche politische Muster Raum bieten.
Entscheidende Bedeutung wird in unserem Falle der Frage zukommen müssen, ob wir es mit einer prä-revolutionären oder einer posf-revolu-tionären Intelligenz zu tun haben. Analogien aufzustellen zwischen den organisatorischen Ansichten der deutschen und der französischen sozialistischen Intelligenz auf der einen und denen der russischen auf der anderen Seite, ohne dabei zu beachten, dass die ersteren von der zweiten durch den „Rubikon“ der bürgerlichen Revolution geschieden sind, heißt dem hoffnungslosesten Formalismus vordergründiger Analogien verfallen und hat mit materialistischer Analyse nichts zu tun. Diese oder jene organisatorischen Ansichten repräsentieren in keiner Weise ein grundsätzliches und zwangsläufig spezifisches Moment einer Weltanschauung der Intelligenz als solcher, sie sind keineswegs ein für allemal gegeben, im Gegenteil, sie entspringen auf allerdings komplizierten Wegen der politischen Mentalität, die auf das sich verändernde politische Milieu veränderlich reagiert. Der heutige intellektuelle „Jakobiner“ kann in seiner politischen Mentalität, in seinen Denkmethoden dem gestrigen intellektuellen Reformisten entsprechen. Den Jakobiner trennt vom Reformisten die Eroberung eines bestimmten Minimums demokratischer Garantien.
Wenn somit die gleiche sozio-psychologische Natur bis zu einem solchen Grad gegensätzliche Spektren ergibt, was soll es dann noch, hier die partielle Sphäre organisatorischer Probleme anzuführen! Die Intelligenz kann föderalistisch und zentralistisch sein, kann zum Autonomismus oder zum Autokratismus, zum Demokratismus oder zur Diktatur hin gewendet werden, ohne dabei auch nur im Geringsten ihr Wesen oder die Natur ihrer politischen Interessen zu verändern.
Sich mechanischer Analogien zu enthalten wäre dem Genossen Lenin leichtgefallen, wenn er seine Aufmerksamkeit auf folgende Überlegungen gerichtet hätte: Nach seiner eigenen Formulierung (über die später noch zu reden sein wird) ist der revolutionäre Sozialdemokrat eben „der Jakobiner, der untrennbar verbunden ist mit der Organisation des Proletariats, das sich seiner Klasseninteressen bewusst geworden ist“. [b] Möge dem so sein; aber der klassische Jakobiner, als dessen Übertragung in marxistische Sprache Lenin sich verstehen will, ist doch gerade auch ein revolutionärer Intellektueller; Lenin wird dies, wie ich hoffe, bezüglich der großen Französischen Revolution und mutatis mutandis bezüglich unserer Narodnaja Wolja nicht leugnen. Und „Zentralismus“ und „Disziplin, die Lenin bei den Jakobinern so sehr imponieren, entlehnten diese „bürgerlich-individualistischen“ revolutionären Intellektuellen nicht dem durch die Fabrik disziplinierten Proletariat, sondern sie entwickelten sie unmittelbar „aus sich selbst heraus“. Und deshalb schillerten und schillern in der Gestalt der Demokratie gerade die gesellschaftlichen Elemente des neuen „Mittelstandes“ in allen Farben des Regenbogens, vom Anarchismus bis zum Millerandismus. Die Natur der Intelligenz ist eben so plastisch und elastisch, dass sie sich nicht in einem ein für allemal aufgestellten Käfig von Diagrammen unterbringen lässt!
Gleiche Eigenschaften (und das gilt es fest im Gedächtnis zu behalten) stoßen die prärevolutionäre Intelligenz zum Jakobinismus und zu konspirativen und zentralistischen Organisationen, die mit Dynamit oder dem „Plan“ eines Volksaufstands bewaffnet sind, und die postrevolutionäre Intelligenz zum Reformismus, zur Abstumpfung der scharfen Schneiden des Klassenkampfes. Das ist die Dialektik der gesellschaftlichen Entwicklung.
Bezüglich Dialektik jedoch ist mit dem Genossen Lenin nichts anzufangen. Er geht mit marxistischen „Leitsätzen“ um wie mit starren Strafgesetzbuchparagraphen: zunächst ermittelt er den „passenden“ Paragraphen, wühlt dann in den Materialien der Anklageschrift und ermittelt die Indizien der Übertretung, die formal den Strafparagraphen entsprechen.
Bezüglich Dialektik ist mit dem Genossen Lenin nichts anzufangen. Er weiß sicher, dass „der Opportunismus nicht zufällig, sondern seinem ganzen Wesen nach, und nicht nur in Russland, sondern in der ganzen Welt (!) zu den organisatorischen „Ansichten“ Martows und Axelrods führt“. [c] Er weiß dies ganz sicher; da jedoch sogar unser kühner Polemiker sich nicht entschließen kann, Axelrod und Martow allgemein in die Kategorie der Opportunisten zu stecken (was vom Standpunkt der Klarheit und Schlichtheit aus so verlockend gewesen wäre!), schafft er für sie die Rubrik: „Opportunisten in der organisatorischen Frage“. Die Verwendung des Begriffs Opportunismus verliert dabei jeden politischen Gehalt; er wird zum „Schwarzen Mann, mit dem man kleine Kinder erschreckt.
Degradierung der Dialektik zur Sophistik, Zerstörung aller lebendigen Ideen des geistigen Gebäudes des Marxismus, die Verwandlung von sozio-historischen „Typen“ in unveränderliche übergesellschaftliche Normen, die zur Bemessung irdischer Sünden dienen – das ist der Preis, der für den Kampf gegen die „Minderheit“ bezahlt wird! „Opportunismus in der Organisationsfrage“! Girondismus in der Frage der Kooptierung durch zwei Drittel bei Abwesenheit eines motivierten Protests!
Jaurèsismus in der Frage des Rechts des ZK, den Wohnort der Administration der Liga zu bestimmen! – Kann man denn noch weiter gehen? Aber Genosse Lenin geht noch weiter.
Nachdem Lenin ein ganzes Buch über das Thema geschrieben hat, dass revolutionäre Methoden („Aufstand“ und „Sturz“) lediglich für das Zirkelwesen zulässig gewesen seien, dass in der „einen und ungeteilten“ Partei Disziplin herrschen müsse, dass die Elemente, die die Disziplin in der Partei des Proletariats verletzten, dadurch selbst schon ihren kleinbürgerlichen Opportunismus offenbarten, erschlägt er den Leser, nachdem es ihm über einhundertfünfzig Seiten hinweg geglückt ist, ihn mit all der Philosophie wenn schon nicht zu überreden, so doch zu ermüden, plötzlich buchstäblich mit dem folgenden dunklen Aphorismus:
„Der Aufstand ist eine herrliche Sache, wenn sich fortgeschrittene Elemente gegen reaktionäre erheben. Erhebt sich der revolutionäre Flügel gegen den opportunistischen, so ist das gut. Erhebt sich der opportunistische Flügel gegen den revolutionären, so ist das schlecht.“ [d]
Es wäre für alle Verehrer des Genossen Lenin sehr nützlich, sich hier in seine „Argumentation“ hineinzudenken: Die „Minderheit“ wolle sich nicht mit der Parteidisziplin vertragen. Gerade dadurch (man beachte: dadurch gerade!) verrate sie ihren „Anarchismus“ und „Jaurèsismus“. Folglich sei die „Minderheit“ der opportunistische Flügel unserer Partei. Das ist das direkte Theorem; jetzt folgt das gegenläufige: Der Aufstand der „Minderheit“ sei eine sehr schlechte Sache, weil die „Minderheit“ der opportunistische Flügel unserer Partei sei. Es wäre eine andere Sache, wenn die „Mehrheit“ rebellieren könnte, deren revolutionäre Haltung dadurch bezeugt werde, dass sie von der opportunistischen „Minderheit“ bekämpft werde. Die „Minderheit“ selbst sei, wie im direkten Theorem gezeigt, opportunistisch deshalb, weil sie die Disziplin verletze. Die Folgerung aus beiden Theoremen: Genosse Lenin hat nach beiden Seiten die Hände frei. Quod est demonstrandum.
Man muss eine nur sehr geringfügige Geistesanstrengung vollbringen, um die Frage zu lösen, wie Lenin sich hier entschließen kann, seiner ganzen Broschüre in einigen wenigen Zeilen einen Fußtritt zu versetzen. Die Lage verlangt es! Die Armee unseres Generalissimus schmilzt dahin, und die „Disziplin“ droht sich mit ihrer Kehrseite gegen ihn zu wenden. Aber da Lenin als Gegengewicht zu den anarchistischen Intellektuellen der „Minderheit“ (um das von ihm gebrachte Zitat aus der Arbeit Kautskys zu benutzen), „das ideale Beispiel des Intellektuellen“ darstellt, „der völlig durchdrungen ist von proletarischer Gesinnung, ... der ohne Brummen in Reih und Glied geht, auf jedem Posten arbeitet, auf den man ihn stellt...“, da Lenin, gleich Marx, „niemals sich auf den ersten Platz drängt [e] und in mustergültiger Weise sich der Parteidisziplin unterordnet“, da der Genosse Lenin all diese völlig unschätzbaren Eigenschaften eines disziplinierten Parteimitglieds besitzt, das sich nicht fürchtet, in der Minderheit zu bleiben, hält er es auch für unerlässlich, die philosophische Rechtfertigung der von ihm zur Erhaltung und Befestigung der Überreste seiner Armee vorgenommenen Parteispaltung rechtzeitig in seine Schrift „einzumontieren“; und er tut dies mit einer Unbekümmertheit, die sich nur als die Kehrseite seiner tiefen Verachtung für seine eigenen Gesinnungsgenossen erweist.
Wenn man sich gegen mich erhebt, ist das sehr schlecht. Wenn ich mich erhebe, dann ist das gut.
Das ist die kurze und fröhliche Moral eines langen, faden,
mit langen Zitaten, internationalem Parallelen, ausgeklügelten
Diagrammen und sonstigen Mittelchen psychischer Betäubung
versehenen Buches.
..., März 1904
Gestern war die Versammlung der Propagandisten (11 Leute) mit einem Organisator. Ziel der Versammlung war, mit dem Organisationsplan im allgemeinen und mit dem unsrigen im besonderen bekannt zu machen. Bevor der Organisator den Organisationsplan erklärte, sprach er einige Worte über die „Mehrheit“ und die „Minderheit“. Er gehört selbst zur „Mehrheit“ und erkennt den vom Genossen Lenin vorgeschlagenen und auf dem Kongress angenommenen (sic!!!) Organisationsplan an. „Die „Minderheit““, sagte der Organisator, „beschuldigt die „Mehrheit“ des Formalismus, des Bürokratismus. Das ist, wie ihr sehen werdet, ein völlig unbegründeter Vorwurf. Ja, die „Minderheit“ stellt gegenüber dem Leninschen überhaupt keinen eigenen Plan auf.“ Er äußerte sich weiterhin in dem Sinne, dass in der „Minderheit“ ein Relikt des „Auslandsbundes“, des „Demokratismus“, sich zeige. Er bedauerte die Sorglosigkeit, mit der man sich gegenüber der Frage des Organisationsplans verhalten habe, als dieser Plan von Lenin in dem Brief an einen Genossen und in Was tun? [2] vorgelegt worden sei, und erwähnte in Verbindung damit, dass Trotzki und Sassulitsch den Plan, wie er im „Brief“ sich vorfand, gebilligt hätten (?!); schließlich begann er mit der Darstellung des Plans:
„Ein Zirkel ist keine Organisation, noch nicht einmal die Keimzelle einer Organisation. Eine Keimzelle ist ein Fabrikkomitee (das bislang noch nirgends existiert). Eine solche Zelle ist unbedingt notwendig. Bei uns herrscht totale Uninformiertheit über das Leben in den Fabriken und Betrieben, das unterdessen reiches Tatsachenmaterial bietet. Die Agitatoren haben, kurz gesagt, keinen Boden unter den Füßen.
Zurück zum Fabrikkomitee: an seiner Spitze steht ein Arbeiter in der Rolle des Organisators, und weiterhin sind fünf, sechs organisatorisch gute und einflussreiche Leute im Komitee (die man aber infolge des Mangels an Kontinuität nicht vorfinden kann). Die Funktionen des Fabrikkomitees sind Verbreitung von Literatur, Einrichtung von Kassen, Installierung von Kursen, Sammlung von Informationen, Verbreitung von Flugblättern.“
Ausführlich wurde die Organisierung von Gruppen zur Verteilung von Flugblättern erklärt, die bis jetzt noch nicht geregelt sei, weiter die Organisierung von Agitationsversammlungen und Schulungsgruppen. Die Mitglieder des Fabrikkomitees seien ein Organisator, ein Techniker, ein Kassier, ein Bibliothekar und ein Publizist. Die Stadt werde in sieben Gebiete eingeteilt, wozu noch die Arbeit in der Intelligenz komme; die Gebietsorganisation bestehe aus dem Gebietsorganisator, einem Gebiets-Schulungsleiter, -bibliothekar, -publizist, -kassier. Das örtliche Komitee dagegen bestehe aus einem Mitglied des Kollektivs (über das man bisher noch nichts erzählte), einem Techniker, einem verantwortlichen Schulungsleiter, einem Organisator, einem Redakteur und einem Sekretär. (Verzeiht die eilige und verworrene Darlegung: keine Zeit; falls nötig, werde ich ausführlicher schreiben.)
Der Referent verweilte ausführlich bei der Technik der gesamten Arbeit, wie sie organisiert werden müsse, um konspirativ und produktiv zu sein. Über die wechselseitigen Beziehungen all dieser Gruppen untereinander, über ihre Beziehungen zum örtlichen Komitee – darüber wurde nichts erzählt; man erklärte lediglich die äußere Form.
Schließlich stellte der Referent die Frage, ob in diesem Plan Formalismus, Bürokratismus seien; niemand antwortete darauf etwas, aber alle waren zu denken geneigt, dass da keinerlei Gefahr bestehe.
Die Schulungsleiter wissen nichts über die Meinungsverschiedenheiten: es gibt keine Literatur. Jetzt ist für sie ein Lesesaal eingerichtet; ausgelegt sind die letzten Nummern der Oswoboschdenije, der 1. Teil (?!) der „Protokolle des II. Kongresses“ und die Broschüre von Pavlowitsch.
Unlängst war eine Versammlung von 25 Leuten, die auf dem Gebiet der Technik arbeiten und studieren. Man machte auch sie mit dem Organisationsplan bekannt. Bis zu dieser Zeit hatte man sich mit ihnen durchaus nicht versammelt: „Weshalb nun mit Euch? Studiert Eure Medizin“, hieß es.
Fester Händedruck [f] ...
..., März 1904
Teurer Freund! Ihr letzter Brief ist außerordentlich interessant und gibt zu mannigfaltigen Überlegungen und Reflexionen Anlass, so dass mir die Frage zu schaffen macht, von welcher Seite ich an ihn herantreten soll. Die erste Feststellung gilt der unbestreitbaren Tatsache, dass nicht nur die organisierten Arbeiter von N. und nicht nur die Schulungsleiter, sondern sogar die Mitglieder des Komitees sich bis heute noch nicht über den Sinn der Meinungsverschiedenheiten orientiert haben, die die Partei zerreißen. Gegenwärtig kann man auf Schritt und Tritt die Äußerungen hören, dass „an der Basis unserer Arbeit die Idee (!) des Zentralismus liegen müsse“ (siehe, wie es scheint, die Resolution des Komitees von Batum). Man spricht überall vom Zentralismus: im mingrelischen Komitee, im Komitee von Petersburg wie im Komitee von Riga und im Komitee von Tschita. Und man denkt, dass Zentralismus Zentralkomitee bedeuten solle; wenn es ein ZK gebe, so heiße das, dass auch Zentralismus existiere. Aber die Tatsache, dass eine Organisation wie das Komitee von N. mangels Quellen und mangels Interesses keine Vorstellung davon hat, was das ZO der Partei erstrebt, was die Liga will, was die fünf oder sechs russischen Komitees wollen, die mit dem ZO solidarisch sind, diese Tatsache bringt die Genossen aus N. nicht auf den Gedanken, dass es bei uns überhaupt keinen Zentralismus gibt; Zentralismus nämlich bedeutet – das muss man doch wenigstens begreifen – nicht ZK, ZO oder Rat, sondern etwas weit Größeres: Vor allem die aktive Teilnahme aller Parteimitglieder am Leben der Gesamtpartei ist seine Voraussetzung. Ich spreche natürlich vom europäischem Zentralismus, nicht vom autokratisch-asiatischen „Zentralismus“. Letzterer setzt eine solche Teilnahme nicht nur nicht voraus, er schließt sie sogar aus. Vielleicht ist der Organisations„plan“, den man Euch entwickelte, „an sich“ vortrefflich (darüber weiter unten), in der Tat jedoch existiert dieser Plan bereits zwei Jahre, es bildete sich eine ganze Generation, die gemäß dem Leninschen Brief an einen Genossen „lebt“ (buchstäblich!), es schien, als würde der Zentralismus in üppigen Farben erblühen. Tatsächlich jedoch macht sich das Komitee von N. (nicht das Komitee von Poltava oder das Komitee von Ufa vor den Fragen, die anscheinend schon ein Jahr die einflussreichsten Parteiarbeiter zerspalten, mit einem Schulterzucken davon. Bedeutet das nicht, dass das Komitee von N. nichts anderes ist als eine unbedeutende Gruppe von Handwerklern, genau wie vor drei Jahren, um nichts besser – von Handwerklern, die, wie aus Ihrem Brief deutlich wird, nicht den hundertsten Teil der örtlichen Arbeit zu bewältigen fähig sind und wie seinerzeit den Fragen der Gesamtpartei gegenüber sich völlig indifferent verhalten oder sogar ihnen gegenüber eine souveräne Verachtung an den Tag legen? Wo ist der Unterschied? Worin liegt er? Darin, dass die Leute einige Termini des revolutionären Jargons neu belebten, mit drei von fünf Worten auf den Zentralismus schwören, und darin, dass alle Hoffnungen vom „spontanen Wachstum der Aufgaben“ auf die „Idee des Zentralismus“ oder den Organisationsplan verlegt werden, der von irgend jemand irgendwann in Gang gesetzt werden wird (wenn die Desorganisatoren das nicht stören), woraufhin „Wald und Berge zu tanzen beginnen werden“. Wo ist der Unterschied? Worin liegt er? Der sozialdemokratische Zentralismus setzt unbedingt die aktive Teilnahme aller Parteimitglieder am Leben der Partei voraus; dafür ist vor allem Informiertheit notwendig. Bei Euch ist bislang nur der erste Teil der Kongressprotokolle (wer hat wozu die Protokolle in zwei „Teile“ zerteilt?) und die Broschüre Pawlowitschs vorhanden, weder jedoch die Protokolle des Ligakongresses noch die Broschüre Martows oder die Iskra. Wo sind denn die günstigen Resultate der „Idee des Zentralismus“, die an die Basis der Parteiarbeit gestellt ist? Ist es nicht klar, dass ein ZK noch in keiner Weise Zentralismus bedeutet, nicht einmal im engsten technischen Sinn des Wortes? Und ist es nicht klar: das Komitee von N. hätte – anstatt Euch, den Schulungsleitern, den Organisations„plan“ zu erklären, der schon von drei oder vier Generationen von Komitee-„Zentralisten“ der Aufmerksamkeit von drei oder vier Generationen von Schulungsleiter-„Zentralisten“ übergeben wurde, ohne dass daraus allerdings irgendeine Vermehrung des Reichtums der Partei resultierte; statt vier- und fünfmal diese Arbeit zu repetieren, die zu der Frage der Meinungsverschiedenheiten nichts aussagt – hätte Euer Komitee bei einem Punkt verweilen und ihn genau betrachten müssen: wodurch kam es zustande, was wurde es und was besitzt es? Es hätte gesehen, dass von all den märchenhaft raschen Metamorphosen und Umwandlungen es nur eine einzige Eigenschaft beibehalten hat: den alten Trümmerhaufen der Handwerklerei.
Und dann hätte es sich die Frage gestellt: Steckt der Kern der Sache wirklich in einem Organisations„plan“? Treten wir nicht ständig auf der Stelle, ungeachtet der Tatsache, dass allen Gehirnen die „Idee des Zentralismus“ eingetrichtert worden ist und aus manchen Köpfen sogar geradezu eine Ecke von Lenins Brief an einen Genossen herausragt? Liegen etwa die Ursachen des Stillstands der Partei tiefer als die Frage, wie viele Kassiers, Buchhalter und andere Träger der „Idee des Zentralismus“ es an welcher Stelle geben muss?
Und sobald das Komitee in dieser Richtung (eine sehr nutzbringende Richtung übrigens) zu reflektieren beginnt, wird es die Lust verlieren, die „Minderheit“, wie das Euer „Chef“ tut, zu fragen: „Wo ist euer Plan als Ersatz für den Plan Lenins, den ihr verwerft?“ – weil es begreifen wird, dass die „Minderheit“ nicht einen bestimmten sich selbst genügenden Plan als Rettungsmittel verwirft, sondern den Plan selbst eines solchen sich selbst genügenden Plans.
Sie schrieben in einem Ihrer früheren Briefe, wie selten bei Euch Versammlungen der Schulungsleiter stattfänden: alles hocke in seiner Ecke, jeder sei auf seine individuellen Kräfte angewiesen, die Konspiration enge alle ein. Nun jedoch wurde eine dieser seltenen Versammlungen einberufen; es erschien ein führender Genosse. Er sagte Euch, dass in der „Minderheit“ (die er übrigens nach eigener Aussage nicht kennt) sich Überbleibsel des „Demokratismus“ äußerten und erklärt daraufhin Euch, den Schulungsleitern, den „Plan“ der Organisation. Aber was folgt weiter? Welche Schlüsse werden aus diesem Plan gezogen? Welche Hinweise gibt Euch dieser Genosse für Eure Schulungsarbeit? Wodurch bereichert er Euer Bewusstsein? Beginnt Ihr nach dem Verlassen der Versammlung damit, diesen Plan in die Realität umzusetzen? Wie, auf welche Weise? Von welchem Punkt aus? Oder wird diese Arbeit von irgend jemand anderem ausgeführt, beispielsweise dem Organisator, der Euch in alle Geheimnisse des Plans einweihte? Sprach der Genosse zu Euch auch davon, wie er in eine Realisierung seines „Plans“ einzutreten gedenkt? Gedenkt er alle existierenden Gruppen und Zellen aufzulösen und auf gesäubertem Feld aus gesonderten Elementen ein neues organisatorisches Gebäude nach allen Regeln zentralistischer Architektur zu errichten? Oder gedenkt er die rudimentären Organe der schon bestehenden Organisation stufenweise zu beseitigen? Auf welchem Weg? Womit beabsichtigt er zu beginnen? Worin muss sich für Euch, die Schulungsleiter, die organisatorische Mitarbeit äußern? Aus Ihrem Brief geht klar hervor, dass der Genosse über diese „Kleinigkeiten“ kein einziges Wort verlor; falls dem tatsächlich so war, war Euer Kolloquium fruchtlosester Zeitvertreib.
„Ein Zirkel ist keine Organisation, noch nicht einmal die Keimzelle einer Organisation. Eine Keimzelle ist ein Fabrikkomitee, das bislang noch nirgends existiert.“ – Der Plan ist vortrefflich, ohne auch nur den Schatten von Bürokratismus; aber machte Euer Organisator sich wirklich nicht die Mühe, die rätselhafte Erscheinung zu bedenken, dass auf der einen Seite der Plan zwar für sich selbst existiert, dass aber auf der anderen auch die Sozialdemokratie von N. selbständig, für sich selbst besteht? Eure Organisation ist so schlecht, dass die Proklamationen schlimmer grassieren als zur Zeit des „Demokratismus“; und der Plan, der speziell für die Stadt N. entworfen, vom Komitee von N. herausgegeben und von den Genossen in N., von den „Alten“ wie den „Jungen“, sorgfältig und bis ins letzte Detail studiert wurde, nährt noch immer die völlig selbstlose Begeisterung der „Zentralisten“ in N., obschon nach diesem zweijährigen zentralistischen Platonismus die grundlegende Zelle des Leninschen „Plans“, das Fabrikkomitee, noch nirgends existiert. Der Schulungszirkel jedoch, der nach dem „Plan“ lediglich an letzter, unbemerkter Stelle steht, nimmt entgegen dem Plan den ganzen Vordergrund ein und erweist sich bis heute faktisch als die einzige „Keimzelle“, in der Euer Organisator die Möglichkeit hat, seine organisatorischen Pläne darzulegen.
Und Ihr Schulungsleiter werdet, wenn Ihr nach dieser Versammlung Eures Zirkels zu den von Euch geleiteten Zirkeln zurückgeht, mit den Arbeitern diskutieren – vielleicht über das Thema, dass einmal der Tag anbrechen werde, an dem die ganze Stadt mit Fabrikkomitees überzogen sein wird, deren jedes einen Organisator, einen Techniker, einen Kassier und einen Publizisten umfasst, dass über ihnen Gebietskomitees bestehen werden, die ihrerseits jeweils einen Gebietsorganisator, einen Gebietsschulungsleiter, einen Gebietsbibliothekar, -kassier und -publizisten umfassen, und über ihnen das örtliche Parteikomitee bestehen wird und als Komitee aller Komitees unser Zentralkomitee, das zu seiner Zeit alle örtlichen Komitees zur Ordnung rufen wird, während die örtlichen Komitees die Gebietskomitees, die Gebietskomitees die Fabrikkomitees, die Fabrikkomitees die Arbeiter zur Ordnung rufen – und der Papierkrieg des gesamtrussischen revolutionären Proletariats geht los; er geht los – wenn nur die „Desorganisatoren“ das nicht stören!
Hier werde ich erneut nachdenklich: Weshalb, zu welchem Zweck erklärte Euch der Organisator seinen „Plan“? Ich will versuchen, ihm seine Handlungsweise psychologisch zu erklären; ich erinnere mich der Zeit der „primitiven“ Zirkelschulung: damals setzte sich ein Schulungsleiter das Ziel, dem Arbeiter der Fabriken von Pal’ oder Maksuel’ seinen Standort im Weltgebäude zu erläutern. Man begann mit der Kosmologie. Man leitete glücklich den Menschen vom Affen ab. Man wälzte sich durch die Kulturgeschichte, gelangte (selten) bis zum Kapitalismus und zum Sozialismus. Am Beginn dieser Arbeit stand die Idee, den grauen Proletarier in einen Sozialdemokraten mit einem abgeschlossenen materialistischen Weltbild zu verwandeln. Jetzt ist diese ehrwürdige Doktrinenreiterei vergangen und für immer vergessen – wie sich zeigt, nur dafür, dass sie in der albernsten karikierten Form wieder erneuert wird.
Die Elemente unserer Partei, die in der Periode des Zusammenbruchs des „Handwerklertums“ groß wurden, kamen auf den erstaunlich dürftigen Gedanken, dass an der Basis unserer Arbeit die Idee des Zentralismus stehen müsse. Der Gedanke der materialistischen Erklärung des Weltgebäudes wich der Idee des zentralistisch aufgebauten „Plans“, die weit gefasste, jedoch doktrinäre Aufgabe, dem Zirkelmitglied seinen Platz im göttlichen Makrokosmos zu erklären, wich der leblosen bürokratischen Aufgabe, dem Mitglied der Organisation seinen Platz im Leninschen Mikrokosmos zu erläutern.
Mag es auch selten gewesen sein, dass es einem der Objekte der primitiven Schulung gelang, im Zirkel die Entscheidung der Frage zu erleben, was er, der Arbeiter von Pal’ oder Maksuel’, als er selbst genau darstelle – er erfuhr doch, dass die Menschheit durch eine Periode der Polyandrie ging; all das sind nützliche und richtige Erkenntnisse zum Verständnis dessen, was ist und was war. Das Weltgebäude von N. jedoch, an dessen Basis 130 Arbeiter-Kassiers, 130 Buchhalter, 130 Publizisten stehen, wurde vom Genossen Lenin tatsächlich geradewegs in der Stunde einer bürokratischen Erleuchtung entworfen; in der Tat existiert es nicht, in keiner Weise existiert es. Und wenn Ihr dem Arbeiter von N. seinen Standort in diesem Weltgebäude erklärt, erzählt Ihr ihm geradewegs das, „was nicht zu sein pflegt, was niemals zu sein pflegt“. Ist es nicht klar, teurer Freund, dass die Vorhaltungen betreffs Bürokratismus und Formalismus der „Minderheit“ an die Adresse gewisser Elemente in unserer Partei „jeder Grundlage entbehren“?
Fester Händedruck ...
..., Juli 1903
Geschätzter Freund!
Ist jetzt die Zeit, sich mit der detaillierten Erforschung des Organisationsproblems zu beschäftigen? Große Ereignisse ziehen langsam herauf, und die Revolution kann wesentlich rascher eintreten als wir zu erwarten wagen. Und wir diskutieren über das eine Drittel eines Sozialdemokraten, das unmittelbar mit der Arbeit im Komitee zu tun hat ... Wenn die Masse entschlossen und revolutionär auf die Straße geht, werden wir dann kapieren, dass das die Revolution ist? Wird die Masse die dazu notwendigen Losungen vorfinden? Und das Militär? In der Tat hängt von seinem Verhalten der Ausgang eines Straßenkampfes ab; unternehmen wir irgend etwas, um es der revolutionären Masse näher zu bringen? Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir uns auf die Revolution vorbereiten, die „wie ein Dieb in der Nacht“ herannaht. Nach meiner Auffassung müssen wir uns so vorbereiten, als die Revolution Ende des Sommers beginnen würde und jeden „Aufschub“ im Interesse unserer Partei ausnützen... Es ist Zeit, höchste Zeit!...
..., August 1904
Ich stimme, geschätzter Freund, darin mit Ihnen überein, dass die Revolution wesentlich näher sein kann, als es uns scheint, und darin, dass wir eine möglichst umfangreiche intensive und extensive politische Agitation entwickeln und unbedingt einer möglichst breiten Masse militante Tageslosungen vermitteln müssen, mit denen diese Masse auf die Straße gehen könnte, und dass jetzt keine Zeit ist, die Details der Organisationsfrage zu erarbeiten. Aber ich bin nicht mit Ihnen einverstanden, wenn Sie diesen Gedanken als Einwand gegen die Arbeit vor bringen, die die „Minderheit“ leistet; obgleich Sie das nicht direkt aussprechen, kann man Sie doch nur so verstehen. Damit die Revolution, die in jedem Falle kommen wird „wie ein Dieb in der Nacht“, uns nicht mit erloschenen Lampen überrascht, müssen wir unbedingt politisch wach bleiben. Politisch gesehen schläft unsere Partei jedoch leider; in ihrem Schlummer sieht sie phantastische organisatorische Traumbilder, die sich zuweilen in schwere Alpträume verwandeln. Es ist unbedingt erforderlich, welche Anstrengungen es auch koste, die Partei aufzuwecken; sonst kann sich ihr politischer Schlaf in politischen Tod verwandeln.
Wenn Sie sagen: man muss sich auf die Revolution vorbereiten, wird die ganze Partei mit Ihnen einer Meinung sein, drei Viertel jedoch werden Sie so verstehen, als ob Sie von der organisatorisch-technischen Vorbereitung sprächen. Das Komitee von Riga wird sagen: „Es ist unbedingt erforderlich, eine streng zentralisierte Organisation von Berufsrevolutionären aufzubauen.“ Zehn andere Komitees werden ebenfalls irgend etwas in dieser Art von sich geben. Vorbereitung auf die Revolution bedeutet für sie, wenn schon nicht Ausgabe von Parolen und Losungen und Bestimmung von Tag und Stunde des sogenannten „Aufrufs“ zum sogenannten „Aufstand“, so doch in jedem Falle einen inneren organisatorischen Aufbau, der übrigens richtiger „desorganisatorisch“ heißen müsste, da er mit der Zerstörung der bereits existierenden organisatorischen Formen einsetzt. Die Aufgabe des gegenwärtigen entscheidenden Moments, der nicht wartet und sich nicht wiederholt, besteht indessen darin, alle existierenden organisatorischen Elemente aufzugreifen und sie in einer systematisch zentralisierten, nicht zersplitterten und nicht zerstreuten Arbeit zu vereinen. Das Ziel dieser Arbeit ist, die Masse durch zweckentsprechende taktische Methoden in politischer Spannung zu halten, die immer höher steigen muss, um sich schließlich zu befreien – sei es in einer Revolutionsperiode, sei es, was wenig wahrscheinlich ist, in der Periode einer zeitweiligen Reaktion.
Unsere Aufgabe in ihrer Gesamtheit liegt auf dem Gebiet der politischen Taktik. Wir, die sogenannte „Minderheit“, konstruieren keine selbständigen organisatorischen Aufgaben, wir denken, dass sich die dringendsten im Prozess des politischen Kampfes von selbst ergeben werden. In diesem spezifischen Sinn bekunden wir tatsächlich „Opportunismus in der organisatorischen Frage“. Man muss nur berücksichtigen, dass der organisatorische Rigorismus, der sich gegen unseren Opportunismus stellt, nichts anderes ist als die Kehrseite politischer Stupidität.
Ich wiederhole hier, was ich an anderer Stelle schon gesagt habe: Solange das Denken der Mehrheit der Genossen hilflos wie die Maus in der Falle auf einem Quadratwersok organisatorisch-statuarischer Kleinlichkeiten und Lappalien sich abzappelt, ist allein schon die Aufstellung tatsächlicher politischer Aufgaben unmöglich. Die „polemische“ Arbeit der „Minderheit“ hat prinzipiell gesehen mit „detaillierter“ Ausarbeitung der „organisatorischen Frage“ nichts gemein – sie führt zur Zerstörung des organisatorischen Fetischismus, zur Säuberung des Feldes für die Fragen der politischen Taktik, von deren Lösung in dieser oder jener Weise das gesamte Schicksal der russischen Sozialdemokratie als Partei der Revolution und als Partei des Proletariats abhängt. Sapienti sat!
Der Ausgangspunkt der Kampagne, die wir unverzüglich eröffnen müssen, indem wir uns dabei auf alle bei uns vorhandenen individuellen und organisierten Kräfte stützen, kann natürlich nur der Krieg sein. Die Losung, die er uns bietet, ist klar: Frieden und Freiheit! Diese Losung gilt es aufzustellen nicht nur als Formulierung unserer prinzipiellen Stellung zum Krieg, sondern als Formulierung des Ziels, das wir unmittelbar angehen wollen. Wir demonstrieren nicht einfach zum Besten des Friedens, wir hoffen tatsächlich, die Einstellung des Krieges zusammen mit der „Einstellung“ der Autokratie zu erzielen. Darauf müssen wir hoffen – und das muss deutlich werden in Inhalt und Tonfall unserer Agitation.
Wir haben noch keineswegs gelernt, der Masse militante Losungen zu geben. Dem Formalismus unseres politischen Denkens entsprechen nicht wirksame Losungen, sondern bestimmte Schablonen, die immer und überall passen, weil sie sogar in unseren eigenen Augen häufig nur phraseologische Bedeutung besitzen.
Die Proklamation des Komitees von Riga Über den Krieg formuliert folgende Losung: „Unsere Antwort auf alle Versuche der autokratischen Clique, die Bestie in uns wachzurufen und auf unsere japanischen Brüder zu richten, soll der Ruf sein: Nieder mit der Bourgeoisie! Nieder mit dem Krieg! Es lebe der Friede und die brüderliche Einheit der Völker! Es lebe der Sozialismus!“ Es ist klar, dass eine aktive, militante Losung hier nicht gegeben ist, man kann den Ruf „Nieder mit der Bourgeoisie“ als Antwort auf die Abenteuerpolitik der „autokratischen Clique“ nicht als Losung ansehen. Das Schicksal des augenblicklichen Krieges wird hier mit dem Schicksal der Bourgeoisie verknüpft. Das Komitee von Jekaterinoslaw sagte: „Wir sind gegen den Krieg, weil der Krieg gegen die Arbeiterklasse ist. Wir können den Krieg jetzt nicht abwenden, aber wir protestieren heftig gegen diesen unnötigen, zerstörerischen, abenteuerlichen Krieg!“ [g]
Ein solcher Standpunkt vermag unsere revolutionäre Position in einen peinlich schlechten Ruf zu bringen. Wir müssen bedenken, dass das Schicksal des Zarismus jetzt mit dem Krieg verknüpft ist; und wenn es klar ist, dass wir in die Periode des endgültigen Zusammenbruchs der Autokratie eintreten, muss daraus die taktische Schlussfolgerung gezogen werden, dass wir nicht einfach gegen den Krieg protestieren können – wir müssen seinen unmittelbaren Abbruch fordern.
Friede um jeden Preis! Mit dieser Losung beginnt und schließt jede Proklamation, jede Agitationsrede; man muss unbedingt die gesamten Ergebnisse des Krieges in Betracht ziehen und sie zum Gemeingut der Massen machen. Einfache, klare und nach Möglichkeit kurze Proklamationen müssen ganz Russland überziehen, und sie alle müssen in jeder gegebenen Phase der Agitation in die gleiche Kerbe schlagen. Friede um jeden Preis! Ruft alle zu dieser Losung!
„Pflanzen Sie diesen Ruf fort, in jede Werkstatt, in jedes Dorf, in jede Hütte. Mögen die städtischen Arbeiter ihre höhere Einsicht und Bildung auf die ländlichen Arbeiter überströmen lassen. Debattieren Sie, diskutieren Sie überall, täglich, unablässig, unaufhörlich ... Je mehr das Echo Ihrer Stimmen millionenfach widerhallt, desto unwiderstehlicher wird der Druck derselben sein.“ [h]
Man muss unbedingt angestrengteste Arbeit, die sich auf diese Losung stützen muss, unter den Arbeitslosen entfalten. Schluss mit dem Krieg, der dem Volk nur Elend, Arbeitslosigkeit, Tod bringt. In einer bestimmten Phase muss die Agitation komplizierteren Charakter annehmen, indem man das Verhältnis der gesellschaftlichen Institutionen der herrschenden Klassen zum Krieg zu ihrem Gegenstand macht. Die Arbeiter müssen fordern, dass Semstwos, Dumen, Universitäten, wissenschaftliche Gesellschaften und die Presse ihre einflussreichen Stimmen gegen den Krieg erheben. In gewissem Maß ist der weitere Verlauf der Kampagne davon abhängig, wie diese Institutionen auf die Forderungen des revolutionären Proletariats reagieren werden.
Staatliche Hilfe für die notleidenden Bauern und die Arbeitslosen, die ausgebluteten Opfer des Krieges! Diese zweite Losung muss im geeigneten Augenblick mit aller Energie hervorgehoben werden. Auf dieser Ebene kann die Agitation Demonstrationen des Proletariats herbeiführen, besonders von Seiten der Arbeitslosen, gegen Dumen und Semstwos, die das Vermögen des Volkes für die Bedürfnisse des Krieges ausplündern.
Je tiefer und weiter greifend die Bewegung gegen den Krieg sein wird, um so größer werden die Schwierigkeiten sein, in die die Autokratie gerät, die hier zwischen zwei Feuern steht. Die Losung: „Es lebe die Konstituierende Versammlung!“ – muss, den prinzipiellen Ausweg aus den Schwierigkeiten aufzeigend, ganz Russland erfüllen. Die Verbindung dieser Losung mit den beiden weiter oben angeführten ergibt sich von selbst: die Konstituierende Versammlung muss den Krieg liquidieren, ebenso wie die ganze Wirtschaft der Romanows.
Ein „Appell“ von Vertretern der Semstwos, Dumen, Universitäten darf uns nicht unvorbereitet überraschen. In den Köpfen vieler Genossen ist ein solcher Aufruf geeignet, die Besorgnis zu erregen, dass man zu spät komme (zu spät wozu? Zum Aufstand aufzurufen?). Diese oder jene „konstitutionalistische“ Reform von oben schließt doch in keiner Weise eine revolutionäre Bewegung der Massen aus, im Gegenteil, sie können, als Prolog einer solchen Bewegung dienen. Die Reformen Turgots standen an der Schwelle der großen Französischen Revolution.
Dem Appell „von oben“ an Dumen und Semstwos müssen wir mit der Losung Allgemeines, gleiches, direktes, geheimes Wahlrecht! begegnen. Wir müssen, worauf ich weiter oben bereits mit einigen Worten hinwies, die Masse, damit sie diese Losung unterstützt, im Prozess ihrer Mobilisierung durch alle anderen Losungen auf diese oder jene Weise den Semstwos und Dumen als gesellschaftlichen Institutionen, die auf Stand und Vermögenszensus begründet sind, gegenüberstellen. Der Versuch, sofort die Reihenfolge der Herausstellung dieser oder jener Losung oder die Formen der Mobilisierung der Massen um diese Losungen vorherzubestimmen, wäre natürlich abgeschmackt. Ich kann lediglich ein exemplarisches Schema der uns bevorstehenden revolutionären Arbeit geben. Aber wie auch immer unsere taktischen Methoden sich ändern und in welcher Kombination sie auch auftreten mögen, die Methode selbst der Taktik muss unverändert bleiben: das Proletariat der Autokratie und allen gesellschaftlichen Institutionen der herrschenden Klassen in der politischen Aktion gegenüberzustellen, besonders denjenigen, die – wie Dumen und Semstwos – demnächst vielleicht „aufgerufen“ sein werden, die Geschicke der russischen Freiheit zu bestimmen.
Im Prozess der Durchsetzung dieser komplizierten prärevolutionären Kampagne müssen wir uns den Grundsatz vergegenwärtigen, den Lassalle 1863 den deutschen Arbeitern predigte:
„Alle Kunst praktischer Erfolge besteht darin, zu jeder Zeit alle Kräfte auf einen Punkt – auf den wichtigsten Punkt – zu konzentrieren und nicht nach rechts noch links zu sehen. Blicken Sie nicht nach rechts noch links, seien Sie taub für alles, was nicht allgemeines und direktes Wahlrecht heißt oder damit in Zusammenhang steht und dazu führen kann!“ [i]
Auf welcher Etappe unserer Kampagne uns unsere Revolution auch einholen mag, immer wird in ihr das Proletariat sein Wort sagen, vereint um präzise politische Losungen. Und unter diesen Bedingungen wird die Revolution selbst seiner weiteren politischen Vereinigung kolossalen Auftrieb geben. Folglich ist die Mobilisierung des Proletariats um die grundlegenden Losungen der Revolution der Inhalt unserer unmittelbaren Vorbereitung auf die heraufziehenden entscheidenden Ereignisse. Wenn durch den Willen der Geschichte diese Ereignisse auf unbestimmte Zeit aufgeschoben werden sollten, geht auch nicht ein Stäubchen unserer Anstrengungen fruchtlos verloren. Sie werden sich voll und ganz in unsere große historische Aufgabe, die Entwicklung des Klassenbewusstseins des Proletariats, einreihen.
Im Augenblick weiß ich außer dieser keine, andere Vorbereitung; diese Vorbereitung hingegen weiß ich und sehe ich in all ihrer Kompliziertheit, Mühseligkeit und Kolossalität. Klarer gesagt: jede andere Vorbereitung wird sich zu dieser hinzufügen müssen. Da stehe ich, anders kann ich nicht. Und dasselbe wird letztlich jeder bewusste Anhänger der „Minderheit“ sagen. Mag man ihn ans Kreuz schlagen für seinen organisatorischen „Opportunismus“, er wird sich nicht geschlagen geben. Auch am Kreuz muss er zu rufen bereit sein: „Ihr Blinden! Die Mücken vertreibt ihr, aber die Kamele seht ihr nicht!“ ...
A. Schag wperjod ..., S. 147.
B. N. Lenin, Pismo k towarischtschu... (Brief an einen Genossen), S. 20.
C. N, Lenin, Tschto delat?, S. 130; kursiv von mir.
F. K. Marks, [op. cit.], S. 288.
G. Siehe seine Resolution in Nr. 66 der Iskra.
H. Siehe N. Lenin, Schag wperjod ..., S. 142 und passim.
I. N. Lenin, Tschto delat?, S. 98.
K. Aus einem Brief Herzens an Bakunin.
L. Pismo (Briefe), S. 9.
M. ebd., S. 21.
N Ist es ein Wunder, dass das Komitee von Odessa, das prinzipiell auf dieser Basis steht, in einer Proklamation die Parole vorschlägt: „Es lebe die Befreierin (sie!) des russischen Volkes, die russische Sozialdemokratie!“
Das Komitee von Odessa hat offensichtlich den unwichtigen Gedanken als Überrest des Chwostismus beiseite geworfen, dass die Befreiung des Volkes nur die Sache des Volkes selbst sein kann. Es lebe der „Befreier“ des Volkes, das Komitee von Odessa, das die Arbeiter von Odessa bereits von der Aufgabe befreit hat, sich selbst zu befreien! Man fragt sich lediglich, in welchem Punkt die Losung des Komitees von Odessa besser oder schlechter ist als die Versprechung eines sogenannten „Volksheros“, eine militärische Organisation werde die Freiheit für das Volk herbeiführen.
O. S. 109.
P, Iskra, Nr. 62
Q. ... Die Arbeitsteilung unter Leitung einer Zentrale ruft bei ihm (Axelrod) ein tragikomisches Gezeter über die Verwandlung der Menschen in „Rädchen“ und „Schräubchen“ hervor.“ Schag wperjod ..., S. 147.
R. Der Verfasser war Delegierter der Sibirischen Union auf dem II. Parteikongress. Der Wahrheit entsprechend muss man anmerken, dass nach Abschluss dieser Zeilen sowohl der Ural als auch Sibirien sich als weit hinter den Komitees von Odessa und Jekaterinoslaw stehend erwiesen, welche einen Grad von Bitterkeit erreicht haben, der Zeugnis ablegt von der Agonie ihrer „Richtung“.
Die Genossen aus Jekaterinoslaw haben jetzt das ganze Gewicht ihres Zorns von der „Minderheit“ auf die versöhnlerische Strömung in der „Mehrheit“ selbst übertragen. Die jüngste Resolution des Komitees von Jekaterinoslaw, die das „Versöhnlertum“ des ZK geißelt, erinnert uns lebhaft an eine Rede im jakobinischen Klub: „Ich mache den Volksvertretern den Vorwurf“, sagte dort ein strenger Jakobiner, „dass sie sich mit den Aufrührern zu einem Zeitpunkt verbrüderten, als man mit ihnen nicht anders in Berührung treten durfte als mit Beil und Pike (avec la hache et la pique)“.
S, Genosse Lenin wiederholt in seiner Broschüre (Ein Schritt vorwärts ...) mehrmals den Gedanken, dass Kritik an den prinzipiellen Resolutionen der Komitees, d. h. der Parteiorganisationen, die die gesamte theoretische Arbeit leisten, theoretisch „betteln gehen“ heiße. Diagramme aufzustellen auf der Grundlage von Abstimmungen isolierter Vertreter dieser Komitees über die Frage des Stellenwertes der Diskussion über die Frage des Standorts des Bundes in der Partei, das heißt natürlich echt wissenschaftliche Untersuchungsmethoden anwenden. Wir haben lange, jedoch erfolglos, zu begreifen versucht, wieso die Meinung eines vereinzelten Komiteevertreters wichtiger sein solle als die Meinung des Komitees selbst.
Was übrigens die echt wissenschaftliche Methode betrifft: Das Leninsche „Diagramm“ operiert mit 44 Stimmen, 20 Stimmen der „Minderheit“, 24 der „Mehrheit“; von diesen letzteren gingen 3 zur „Minderheit“ über und die vierte gar zu den Anarchisten – nicht à la Axelrod, sondern à la Bakunin. Wir ersuchen den Genossen Lenin dringend, vor weiterer Ausarbeitung seiner Diagramme solch unerlässliche Korrekturen vorzunehmen.
T. Beilage zu Nr. 63 der Iskra; kursiv von mir.
U, „Siehe“ besser nicht, denn man wird in den Feuilletons von Axelrod natürlich nichts dergleichen finden!
V. Schag wperjod ..., S. 147.
W. S. 150.
X. Schag wperjod ..., S. 147.
Y. K. Marks, Kapital, I, S. 347.
Z. Schag wperjod ..., S. 147.
a. Siehe beispielsweise Sotsialnaja revoljutsija, izd. Ligi (K. Kautsky, Die soziale Revolution, hg. von der Liga ...), S. 42 f.
b. Schag wperjod ..., S. 140.
c. Schag wperjod ..., S. 128; kursiv von mir.
d. Schag wperjod ..., S. 160.
e. Wir glauben, dass das Papier, auf dem Genosse Lenin diese Worte schrieb, unter seiner Hand errötete.
f. Brief gekürzt; kursiv von mir.
g. Kursiv in der Proklamation.
h. Lassall, Glasnyj otwet (Ferdinand Lassalle, Offenes Antwortschreiben).
i. Lassall, Glasnyj otwet.
Zuletzt aktualiziert am 1. November 2024